antimilitarismus

Strategie Nummer Eins: schlicht das Überleben der Idee

Die Ignoranz der anderen sozialen Bewegungen ist das Hauptproblem der totalen Kriegsdienstverweigerer

| TKDV-Initiativen Braunschweig & Dresden

Der folgende Artikel bezieht sich auf die Abhandlung von Andreas Speck "Freiheit braucht keine Wehrpflicht!" (GWR 223). Darin wurde zunächst kurz die Geschichte der Kriegsdienstverweigerung im spanischen Staat und in der BRD dargestellt, um anschließend unter Bezug auf das Referat von Rafael Ajangiz (Fachtagung "KDV in Europa" vom 17./18. Okt. 1997) Gründe für die Erfolge der spanischen (T)KDV-Bewegung aufzuzeigen. In der zweiten Hälfte des Artikels wurde ein systematischer Vergleich zur bundesdeutschen (T)KDV-Bewegung gezogen und im wesentlichen attestiert, daß gerade die Punkte, die im spanischen Staat zum Erfolg führten, von der (T)KDV-Bewegung in Deutschland vernachlässigt werden.

Daß der Vergleich des Erfolges oder Mißerfolges der (T)KDV-Bewegungen in Spanien und Deutschland – insbesondere vor den äußerst unterschiedlichen gesellschaftlich-historischen Hintergründen – eigentlich unmöglich ist, hat Andreas selbst an mehreren Stellen betont. Und so möchten wir auch weniger auf den Bericht über die Geschichte der spanischen Bewegung eingehen, als uns vielmehr mit den Punkten befassen, die zur deutschen Entwicklung angemerkt worden sind und die unseres Erachtens von einer teilweise groben Fehleinschätzung der gesellschaftlichen Verhältnisse in Deutschland geprägt sind. Wir wollen dabei mit unserer Antwort nicht die Gründe und nicht die Probleme der TKDVer thematisieren. Dies tun wir regelmäßig an anderer Stelle.

In dem Artikel wird in jedem Fall richtig dargestellt, daß in Deutschland die friedenspolitischen Verbände, Friedensinitiativen etc. KDV und erst recht TKDV niemals als eine politische Stoßrichtung angesehen haben, und sie tun es bis heute bezüglich der TKDV immer noch nicht. Was die legalisierte KDV nach Art. 4 Abs. 3 GG anbelangt, wird zwar von der DFG-VK deren Politik zu diesem Thema als „politisch“ angesehen, in Wirklichkeit aber wird für gewöhnlich in erster Linie Dienstleistung betrieben, also dem mehr oder insbesondere weniger politisch ambitionierten KDVer der Verwaltungsweg näher gebracht und die Auswahl einer Zivildienststelle unterstützt. So bietet die DFG-VK Bundesgeschäftsstelle etwa immer noch als eine der am meisten unmittelbar in Anspruch genommenen Dienste dort eine Ersatzdienststellen-Liste an.

TKDVer in der BRD: fehlende praktische Solidarität

Daß die Totalen Kriegsdienstverweigerer in Deutschland eine recht schleppend verlaufende und äußerst kleine Soziale Bewegung – als diese möchten wir sie auf jeden Fall bezeichnen – darstellen, liegt unseres Erachtens am allerwenigsten bei den Totalverweigerern selbst, schon gar nicht an mangelnder Organisation, wie dies Rafael Ajangiz in seinem Vortrag in Georgsmarienhütte auf mehrfache Nachfrage wiederholend behauptete, um so den Unterschied des Erfolgs der spanischen und der deutschen TKDV-Bewegung recht monokausal zu erklären.

JedeR, die/der die TKDV-Bewegung in Deutschland seit den 70er Jahren etwas näher kennt, weiß, daß der Organisationsgrad bei denen, die sich der Bewegung verbunden fühlen, zumindest teilweise sehr hoch ist. Das heißt nicht, daß es dort nicht noch sehr viel mehr zu tun geben könnte. Es ist aber eine Frage auch des Umfeldes, wieviel geleistet werden kann. Wenn es zur Zeit etwa 150 Totalverweigerer pro Jahr gibt, von denen gerade einmal gut 20 pro Jahr sich als politisch verstehen und eine Außenwirkung erreichen wollen, dann ist das auf der einen Seite eine sehr geringe Zahl. Auf der anderen Seite sind die – selbst nicht mehr von der Strafverfolgung betroffenen – verbleibenden Aktiven schon mit dieser Zahl beinahe überfordert, wenn es darum geht, zuverlässige Arrest- /Prozeß- und Knastbetreuung zu leisten.

An diesem Punkt möchten wir ansetzen und versuchen deutlich zu machen, wie schwer einerseits der Kontakt zu „Nicht-Szene-Menschen“ ist, wie viel andererseits durchaus von Seiten der TKDVer immer und immer wieder versucht wurde, diese Schwierigkeiten abzubauen. Es sei vorweggenommen, daß wir die Hauptdefizite nicht bei den Totalverweigerern sehen (und noch einmal: Defizite existieren, das ist unstrittig), sondern bei den Menschen um sie herum, bei anderen Sozialen Bewegungen, die sich nur in sehr kleinen, abgeschlossenen Kreisen um die Problematik Wehrpflicht/Militarismus/KDV/TKDV gekümmert haben und vielfach praktische Solidarität haben vermissen lassen.

Geben wir nur vier Beispiele, die die mangelnde (inhaltliche) Kontakt- und Solidaritätsfreudigkeit anderer Sozialer Bewegungen beleuchten:

Als erstes die Geschichte, daß auf mindestens jedem zweiten TKDV-Bundestreffen die Frage auftaucht und behandelt wird, wie wir uns aus unseren eigenen Betroffenheitskreisen lösen können; insbesondere, wie wir versuchen können, auch gerade vor dem patriarchalen Hintergrund des Militarismus, mit Frauen und Frauengruppen gemeinsam zu arbeiten. So entstand beispielsweise auf dem Bundestreffen 1994 ein Aufruf an Frauengruppen, gemeinsam gegen Pläne zu einer Allgemeinen Dienstpflicht zu arbeiten. Wir wissen nicht, wieweit die einzelnen regionalen Gruppen für eine Verbreitung dieses Aufrufs gesorgt haben. Für Braunschweig können wir berichten, daß der Aufruf an etwa zehn Gruppen (Unigruppen, Frauenbuchläden, -cafés etc.) verteilt wurde, ohne daß auch nur eine einzige Reaktion hierauf ergangen ist. Dies ist (nun nicht auf Frauengruppen, sondern jedwede Soziale Bewegung bezogen) ein leider ziemlich typisches Ergebnis.

Zweitens greifen wir die GWR selbst auf: In der gleichen Ausgabe, in der über die TKDV-Bewegungen in Spanien und Deutschland geschrieben wird, findet sich vier Seiten vorher bei der Einladung zum Herbsttreffen der GraswurzlerInnen die Frage: „Ist Totalverweigerung bei der heutigen Entwicklung noch sinnvoll? Wie und wo können ‘Totis’ Unterstützung gebrauchen?“ Die erste dieser beiden Fragen hat uns – abgedruckt in der GWR! – doch schlicht die Schuhe ausgezogen, stellt sie doch indirekt die Frage nach der Effektivität dieser Form Zivilen Ungehorsams. Zum anderen wird auch hier deutlich, daß Totalverweigerung eben nicht als gemeinsame Strategie politischen Handelns verstanden wird. Vielmehr betrachten nicht direkt Betroffene die Totalverweigerer meist aus der „wir- sie“-Perspektive.

Die widersprüchliche Politik amnesty internationals

Als drittes Beispiel sei die Politik amnesty internationals genannt, die lauttönend eine KDV-Kampagne inszenieren, dabei aber auf ein westeuropäisch verkürztes Verständnis von Kriegsdienstverweigerung zurückgreifen. ai lehnt seit jeher die Adoption von inhaftierten Totalverweigerern ab und beruft sich dabei auf u.a. in Deutschland angeblich „ausreichende“ KDV-„Mindeststandards“. Die Vertreter von ai werden wiederum von verschiedenen KDV-Verbänden (etwa Zentralstelle KDV; Trägerkreis Osnabrücker Friedenskongreß) hofiert und deren Politik im wesentlichen unkritisch präsentiert, auch, um in der Bevölkerung mit dem „hohen Ansehen“ von ai Stimmung zu machen. In diesem Zusammenhang ist auch die Adoption von Osman Murat Ülke als „Gefangener aus Gewissensgründen“ zu sehen, sowie die etwa in Deutschland existierende breite Solidarität für Osman auch außerhalb ai. Verschwiegen wird in diesem Zusammenhang häufig, daß es Osman und den anderen aktiven AntimilitaristInnen in der Türkei beispielsweise auf keinen Fall um die Einrichtung eines Zivildienstes geht, sondern daß ihr Agieren auf der grundsätzlichen Ablehnung allen militärisch-staatlichen Handelns beruht. So würde also ein Zivildienst in der Türkei nichts an Osmans Situation ändern – warum aber sollte zur Zeit (berechtigterweise) die Solidarität recht groß sein, diese aber (unberechtigterweise) bei Einführung eines eventuellen Zivildienstes (nach dem in der Türkei praktisch niemand fragt) zumindest teilweise zusammenbrechen? Warum sollte dann die Verfolgung eines radikalen Antimilitaristen auf einmal weniger Aufmerksamkeit einfordern? Warum würde dann amnesty international – und in der Folge auch diverse andere bürgerliche Verbände in Deutschland – die Unterstützung einstellen? Fragen, die sich bei einer solchen, an „westeuropäischen Standards“ orientierten Sichtweise aufdrängen und einen bisweilen bitteren Beigeschmack bei den Solidaritätserklärungen hinterlassen. Und so ist es kein Wunder, wenn über diese – ohne Zweifel berichtens- und verurteilenswerten – Vorgänge in der Türkei geschrieben wird, aber die akute Situation in der BRD – jüngst etwa 16 Monate Freiheitsstrafe ohne Bewährung gegen einen Totalen Kriegsdienstverweigerer in Göttingen als „Spitze des Eisbergs“ – in diesen angesprochenen Kreisen vollständig ignoriert wird.

Schließlich sei auf die Rote Hilfe verwiesen, die im Sommer 1996 beschloß, sich vorläufig (bis heute) nicht mehr an Geldstrafen in Fällen Totaler Kriegsdienstverweigerung zu beteiligen, mit der Begründung, die Strafen seien „Teil der politischen Aktion selbst, ähnlich wie der bewußt in Kauf genommene Knast in diesen Fällen“! Nach diesem Zeitpunkt an die RH gerichtete Briefe, die sich mit Fragen der Zusammenarbeit beschäftigten, wurden nicht mehr beantwortet.

Es ist gleichzeitig anzumerken, daß Andreas in seinem Artikel selbst erklärt, daß „die Verbreitung Zivilen Ungehorsams in der BRD nicht auf die KDVer, sondern auf die Friedens- und Ökologiebewegung zurückzuführen“ sei, „auch wenn viele der Aktiven KDVer waren“. Dies entspricht genau unserem Eindruck, daß die längerfristig aktiven TKDVer sich auch immer praktisch solidarisch zu anderen Sozialen Bewegungen verhielten – soweit es die Arbeitsanforderungen an sie selbst überhaupt zuließen.

Gesellschaftliches Umfeld ist gefordert

Gehen wir nun also die Punkte durch, an denen Andreas die Defizite in der Entwicklung der TKDV-Bewegung festmacht. Um es vorweg zu nehmen: Die Defizite sind im einzelnen zwar tatsächlich vorhanden, sie lassen sich aber nicht aus dem Kreis der zur TKDV arbeitenden Menschen heraus lösen. Vielmehr würde eine Lösung dieser Probleme ein gesellschaftliches Umfeld brauchen, in dem es möglich ist, daß viele Dinge den „befreundeten“ Sozialen Bewegungen „selbstverständlich“ erscheinen und diese somit eine gewisse soziale Auffangfunktion ausüben könnten, wo es notwendig ist. Genau diese Voraussetzungen waren und sind in Spanien offenbar vor einem spezifischen historischen Hintergrund gegeben, und genau diese Voraussetzungen sind in Deutschland vor einem spezifischen historischen Hintergrund wohl so schlecht wie in kaum einem anderen europäischen Land.

  1. Kollektive Entscheidung: Schon anhand der oben dargestellten Zahlen ist es klar, daß ein Verweigerungskollektiv auch nur annährend in „spanischen Verhältnissen“ (300 im ersten Jahr) unmöglich ist. Trotzdem geben sich die (wenigen) Aktiven alle Mühe, kollektives Bewußtsein und gemeinsames Handeln zu fördern. Betrachten wir nur die Zeitschrift OHNE UNS, die im inzwischen 14. Jahrgang erscheint, immer als unsicheres Projekt, immer in Minimalauflage, immer unter personellen und finanziellen Problemen litt – und dennoch irgendwie aufrecht erhalten werden konnte (die OU dürfte wohl die einzige politische Zeitschrift mit 14 Jahren Geschichte sein, die in einer 400er Auflage produziert wird). Betrachten wir die gerade von TKDVern immer wieder aufgenommene Diskussion um politisches Handeln und Bewußtsein im Wehrpflichtbereich, insbesondere was die Frage der Dienstleistung zur (legalisierten) KDV als auch was die Frage zur „Wehrpflichtumgehung“ betrifft. Betrachten wir die Versuche, mit Strafprozessen gemeinsam umzugehen, sich untereinander zu verteidigen, daß also „ältere“ TKDVer die Zulassung als Strafverteidiger durch die Gerichte in den jeweiligen „Einzelfällen“ beantragen und somit in Gruppen den akut „betroffenen“ TKDVern (nicht nur) juristische Unterstützung anbieten und dies auch als politisches, gemeinsames Konzept begreifen, gerade auch, um den Anschein des „Einzeltäters“ zu durchbrechen.

    Es ist also richtig, daß es nur „Versuche kleinerer Gruppen“ gab, „zu einer kollektiven Herangehensweise zu kommen“ – was den Bereich TKDV betrifft, gibt es aber überhaupt nur kleinere Gruppen. Mehr Kollektivität würde mehr Totalverweigerer würde mehr a-priori-Verständnis von außenstehenden Kreisen zur Voraussetzung haben.

  2. Öffentliche Präsentation: Zunächst muß wieder auf die Zahlen verwiesen werden. Tatsächlich liegt, wie Andreas es vermutete, der Anteil der TKDVer, die keinen Antrag auf Anerkennung als legalisierter KDVer stellen, leicht unter dem Anteil der als „KDVer“ anerkannten TKDVer. Das Verhältnis allerdings hat sich in den letzten Jahren zugunsten der ersten Gruppe gewandelt. Dies ist in erster Linie auf die Verbreitung der Bekanntheit der TKDV zurückzuführen, die es mit sich bringt, daß sich betroffene Menschen früher Gedanken um ihr eigenes Verhalten machen und somit ggf. erst gar keinen Antrag auf Anerkennung als „KDVer“ stellen. Dies wiederum ist auf die relativ hochorganisierte Öffentlichkeitsarbeit der aktiven TKDV- Initiativen zurückzuführen. Entsprechend gab es zu Beginn der 90er einen hohen Anteil an ZD-Abbrechern, der inzwischen fast vollständig verschwunden ist, bei gleichzeitig leicht ansteigenden Zahlen der TKDVer.

    Die öffentliche Präsentation wird dort, wo es aktive TKDV-Gruppen gibt, durchaus als Mittel angewandt. Das Problem ist auch hier wieder, daß bis auf die genannten Gruppen niemand bereit ist, einen Betroffenen in einer solchen Aktion nachhaltig zu unterstützen. Daß „öffentliche Präsentationen von einzelnen in der Kaserne … häufig zu einer Individualisierung“ führten und „das Problem weg von der politischen Frage der Wehrpflicht hin zu einer Auseinandersetzung der Gewissensentscheidung des einzelnen“ zog, kann ebenfalls angesichts der Zahlen nicht überraschen (im übrigen halten wir die oben gemachte recht strikte Trennung von „politischer Frage der Wehrpflicht“ und „Gewissensentscheidung des einzelnen“ keineswegs für so deutlich machbar, daß sich die beiden Aspekte gegenseitig auszuschließen scheinen).

  3. Gewaltfreies Training: Das Thema Knast werde in der hiesigen TKDV-Bewegung kaum diskutiert. Es ist schon merkwürdig, wenn ein TKDVer als GWR-Redakteur dies schreibt. Fakt ist, daß es auf Bundestreffen mindestens seit sieben Jahren regelmäßig Arrest-, und seit der „Wiedereinführung“ von Knaststrafen auch Knast-AGs gibt und daß u.a. im OHNE UNS auch Knastproblematik über die TKDV hinaus immer wieder beleuchtet wird. Schließlich gab es auch Zusammenarbeit etwa mit dem Carl-Kabat-Haus, als dieses noch Knastvor- und Nachbereitungswochenenden anbot – einige Zeit, bevor „gewaltfreie Trainings“ teilweise zu angeblichen Allheilmethoden etabliert wurden.

    Das Problem liegt auch hier wieder in den Zahlen. Natürlich werden TKDVer bei ihrer aktuellen Anzahl nicht „bedeutender Reibungsfaktor im Repressionsapparat“ – zumindest, wenn sich dies auf die Knastaufenthalte beziehen soll. Gerade aber wegen der geringen Zahl scheint dies zur Zeit auch keineswegs eine besonders sinnvolle Strategie zu sein. Wissen sich etwa TKDVer in Spanien bei Verzicht auf ein Rechtsmittel gegen ein Knasturteil zum einen in „guter Gesellschaft“ sowohl im Knast als auch „draußen“, so ist jeder inhaftierte TKDVer hierzulande relativ isoliert und kann „glücklich“ sein, wenn es auch nur einen oder zwei andere Inhaftierte in dem Zeitraum gibt, in dem er sitzt. Das soziale Umfeld hat häufig keine Auffangfunktion, eher im Gegenteil, KDV-Verbände kümmern sich im wesentlichen (hier, wie immer: bis auf wenige sehr angenehme Ausnahmen) einen Scheiß um Inhaftierte, kirchliche und bürgerrechtsbewegte Kreise bezahlen ihren ai-Mitgliedsbeitrag und schlafen ruhig.

  4. Einbeziehung anderer Menschen: Auch hier wieder ein Beispiel. In dem Verfahren wegen angeblichen Verstoßes gegen das Rechtsberatungsgesetz (übrigens eine Konsequenz selbst organisierter juristischer Unterstützung) hat die TKDV-Ini Braunschweig eine Selbstanzeigenaktion gestartet. Der Rücklauf ist in etwa so, wie erwartet, mäßig, aber verwendbar, sicher aber ganz ganz anders, als er in Spanien etwa wäre. Das spannende ist jedoch, wie beispielsweise die Zentralstelle KDV oder die DFG-VK-Gruppe Flensburg händeringend argumentieren, warum sie sich daran nicht beteiligen wollen. Ohne dies im Detail auszuführen: es entspricht einer – selbst in tendenziell fortschrittlichen Kreisen unglaublich festgefahrenen – bürgerlichen Mentalität, solche Aktionsformen schlicht abzulehnen, keinen „Sinn“ dafür zu haben (im wahrsten Sinne des Wortes). Es ist also nicht „die Schwäche der Bewegung“, die es hier dem Staat leicht macht, solche Versuche des kollektiven und außenstehende Menschen miteinbeziehenden Handelns „zu ignorieren“. Es ist wiederum die Schwäche der angrenzenden Sozialen Bewegungen, die Notwendigkeit radikalen Handelns und praktischer Solidarität zu erkennen, die weder erhebliche Kosten noch hohen Arbeitsaufwand fordern würden.

  5. Zusammenarbeit mit Parteien und Bewegungsorganisationen: Ob nun gerade die Zusammenarbeit mit Parteien in Deutschland (die wiederum historisch kaum mit der spanischen Situation zu vergleichen ist) wegweisend sein soll, sei dahingestellt. Nun sind es teilweise gerade die erklärten Anarchisten unter den TKDVern, die noch den intensivsten pragmatischen Kontakt zu Parteien pflegen, immer dem Vorsatz verpflichtet, dogmatische Überzeugungen nicht vor eventuelle – wenn auch nicht erwartete – pragmatische Vorteile zu stellen.

    Daß nun die Totalen KDVer auf eine Ebene der Verantwortung für die Isolierung vom Rest der Friedensbewegung gestellt werden, ist reichlich kühn. So werden ebenso wie zu den Parteien immer und immer wieder – reichlich frustrierende und an die persönliche Substanz gehende – Kontakte zu allen möglichen und unmöglichen Gruppen, Verbänden etc. gesucht. Wie eingangs beschrieben, ist der Rücklauf – auch im Sinne einer inneren Veränderung bei den Angesprochenen – dabei extrem gering, es ist aber auch kaum ein Wille da, überhaupt zu verstehen.

  6. Ständige Aktualisierung der Strategie: Andreas wirft die Frage auf, inwieweit überhaupt eine Strategie existiert. Wir möchten antworten, aufgrund unserer personellen und organisatorischen Verfaßtheit ist Strategie Nummer Eins: schlicht das Überleben der Idee. Nun ausgerechnet die Berliner Kampagne als positiven Ausnahmetatbestand hinzustellen, wie es Andreas getan hat, ist ebenfalls auf das höchste fragwürdig, da gerade die Kampagne in Berlin unserer Ansicht nach viele der oben angeführten Punkte aus Eigenverschulden nicht im Ansatz versucht umzusetzen. Dies jedoch im einzelnen auszuführen würde hier zu weit gehen, betrifft daneben aber auch nicht das eigentliche Problem dieses Textes.

Abschließend bleibt zu fragen, welche Perspektiven sich aus der Sicht der TKDV-Bewegung vor dem hier skizzierten Hintergrund ergeben. Zunächst sind wir, wie jede andere Soziale Bewegung auch, auf die praktische, zumindest aber ideelle Solidarität anderer Sozialer Bewegungen angewiesen. Dazu gehört von Seiten der KDV- Organisationen ein klares Bekenntnis zur Totalen Kriegsdienstverweigerung, was sich auch in deren verinnerlichten Selbstverständnis niederschlagen muß. Es ist nicht nachvollziehbar, wieso einerseits Lippenbekenntnisse immer wieder existieren, aber sich KDV-Verbände niemals auch nur ansatzweise die Sachkompetenz aneignen (wollen), die sie sich zur Frage der legalen „KDV“ über Jahre hinweg erarbeitet haben.

Solange Männer, die sich in gewissen Sozialen Bewegungen befinden, sich bei dem Entschluß zur Totalverweigerung aus diesen partiell lösen müssen, weil sie isoliert sind und auf Unverständnis oder zumindest doch gnadenlose Hilflosigkeit treffen, solange also nur eine relativ kleine Gruppe von „Spezialisten“ – denen dann von anderer Seite perfiderweise „Abschottung“ vorgeworfen wird – sich um dieses Anliegen kümmert, solange kann von Seiten der TKDVer keine Wende in diesem Beziehungsgeflecht wirksam angetrieben werden. Daher bleibt es unsere derzeitige vornehmliche Aufgabe, immer und immer wieder zu versuchen, angrenzenden Sozialen Bewegungen und den KDV-Verbänden den „Sinn“ der Sache näherzubringen und über Verständnis deutlich hinausgehendes Interesse zu wecken.