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De-facto-lebenslänglich für Osman Murat Ülke

Türkischer Kriegsdienstverweigerer erneut wegen 'fortgesetztem Ungehorsam im Militär' verurteilt

| Andreas Speck

Am 4. Mai wurde Osman Murat Ülke zum wiederholten Male vom Militärgericht in Eskisehir wegen 'fortgesetztem Ungehorsams im Militär' zu einer Gefängnisstrafe von sieben Monaten verurteilt. Damit summieren sich seine Verurteilungen auf insgesamt 38 Monate. Da der Kreislauf jedoch weitergeht, werten die türkischen KriegsgegnerInnen diese erneute Verurteilung als 'de-facto-lebenslänglich'. (Red.)

Auch wenn auf diesen Seiten schon oft über Osman Murat Ülke berichtet wurde, so macht es doch Sinn, die Prozeßgeschichte einmal zusammenzufassen.

Osman hatte am 1. September 1995 in Izmir im Rahmen einer Pressekonferenz seinen Einberufungsbefehl und seinen Wehrpaß verbrannt (vgl. GWR 201). Über ein Jahr später, am 7. Oktober 1996, war er deswegen in Izmir verhaftet und über einige Umwege ins Militärgefängnis nach Ankara gebracht worden, wo ihm zunächst wegen des ‚Versuchs, das Volk vom Militär zu distanzieren‘ (Art. 155 des türkischen Strafgesetzbuches) der Prozeß gemacht wurde. Dieses Verfahren war jedoch nur ein Vorgeplänkel, denn erst danach begann der Kreislauf, in dem Osman jetzt noch immer steckt. Direkt vom Gericht wurde Osman damals zum Rekrutierungsbüro in Ankara und von dort zu ’seiner‘ Einheit, der 9. Feldjägerausbildungseinheit in Bilecik, gebracht. Dort folgte zunächst einmal Militärarrest, und am 26. November 1996 wurde Osman schließlich ins Militärgefängnis nach Eskisehir gebracht, wo er auf seinen Prozeß vor dem dortigen Gericht warten mußte. Die Anklage lautete auf Verstoß gegen Art. 87 Abs. 1 des Militärstrafgesetzbuches: wiederholte Befehlsverweigerung.

Die Verhandlung begann am 27. Dezember, und überraschenderweise wurde Osman nach Ende der Verhandlung entlassen – mit einem Marschbefehl zu seiner Einheit in der Tasche. Osman befolgte diesen Befehl jedoch nicht und fuhr erstmal nach Hause (vgl. GWR 216). Bei einer weiteren Verhandlung vor dem Militärgericht in Ankara am 28. Januar 1997 – immer noch wegen seiner Wehrpaßverbrennung vom 1.9.95 – wurde Osman jedoch erneut verhaftet und über den Umweg des Militärgefängnisses in Ankara wieder nach Eskisehir gebracht. Dort wurde Osman am 6. März 1997 zum ersten Mal vom Militärgericht wegen ‚fortgesetzten Ungehorsams‘ zu fünf Monaten Haft verurteilt. Ein weiteres Verfahren wurde vorbereitet, da Osman im Dezember nicht zu seiner Einheit zurückgekehrt war. Bei einem Prozeßtermin am 29. Mai 1997 wurde Osman jedoch erneut mit einem Marschbefehl in der Tasche entlassen und erst bei einer Verhandlung am 9. Oktober wieder festgenommen.

Am 23. Oktober 1997 wurde Osman daher wegen ‚fortgesetzter Befehlsverweigerung‘ erneut zu fünf Monaten Haft und wegen ‚Fahnenflucht‘ (vom Dezember 96) zu weiteren fünf Monaten Haft verurteilt. Neue Verfahren wurden ebenfalls wieder eingeleitet, und führten am 22. Januar 1998 zu Verurteilungen von zehn Monaten wegen ‚Fahnenflucht‘. Diesmal wurde Osman zwar wieder entlassen, aber unter Bewachung zu seiner Einheit nach Bilecik gebracht, wo er erneut das Tragen der Uniform verweigerte. Deswegen erging am 19. März 1998 eine erneute Verurteilung wegen ‚fortgesetztem Ungehorsams‘ zu weiteren fünf Monaten Haft. Und Osman wurde erneut unter Bewachung zu seiner Einheit nach Bilecik gebracht – the same procedure…

Am 4. Mai erging nun das vorläufig letzte Urteil, doch ohne daß der Kreislauf durchbrochen wäre. Er wurde erneut zu sieben Monaten wegen ‚fortgesetztem Ungehorsams‘ verurteilt, aus dem Gefängnis entlassen und unter Bewachung zu seiner Einheit nach Bilecik überstellt. Mittlweiweile befindet er sich wieder im Militärgefängnis von Eskisehir.

Dazu erklärte der Verein der KriegsgegnerInnen Izmir: „Osman sieht sich in einem brutalen Kreislauf. Er hat eine Aktion durchgeführt: die Weigerung, den Militärdienst abzuleisten. Doch, aufgrund dieser einen Aktion wird er wieder und wieder verurteilt, und das bedeutet de-facto lebenslänglich.“

Noch kurioser wird die Situation durch eine Entscheidung des Militärgerichts beim Großen Generalstab vom 9. Dezember 1997. Das Gericht hat festgestellt, daß es vollkommen legal ist, das Recht auf Kriegsdienstverweigerung zu fordern, und daß dies keinen Verstoß gegen Art. 155 (‚Versuch, das Volk vom Militär zu distanzieren‘) darstellt. Das Gericht erkannte außerdem an, daß KDV ein Menschenrecht entsprechend der Europäischen Menschenrechtskonvention darstellt, und diese von der Türkei unterzeichnet wurde.

Die Inanspruchnahme dieses Menschenrechts bleibt in der Türkei jedoch strafbar, ebenso die Aufforderung an andere, dieses Recht in Anspruch zu nehmen. Legal, illegal – scheißegal?

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