antimilitarismus

Wehrgerechtigkeit und DDR-Kolonialisierung

Bei der FREIen HEIDe geht es nicht nur ums Militär, sondern auch um den Umgang mit der ehemaligen DDR

| Ulrich Görlitz

Im Westen - und dort wird bis heute nicht nur 'große Politik' gemacht, sondern auch die Politik der 'Szene' bestimmt - wird die Auseinandersetzung um die FREIe HEIDe vor allem unter dem Gesichtspunkt des Widerstandes gegen Militarismus betrachtet. Eine nicht unbedeutende Rolle spielt allerdings auch der Umgang mit den Menschen in der ehemaligen DDR, ein Umgang, an dem sich die Siegermentalität des Westens bis heute deutlich zeigt. (Red.)

Aus Gründen politischer Gerechtigkeit kann die CDU-Fraktion der Streichung des TÜP-Wittstock nicht zustimmen. Ost und West sollen gleichermaßen die Lasten der Verteidigung tragen.
(MdB Breuer, verteidigungspolitischer Sprecher der CDU)

Diese kriegerische Variante der Definition von Gerechtigkeit kam aus der CDU-Fraktion im „Verteidigungs“ausschuß des uns teuren Bundestages anläßlich einer Diskussion um den Truppenübungsplatz in der FREIen HEIDe. Daß die SPD-Fraktion mehrheitlich nicht viel anders denkt, zeigt ihr Abstimmungsverhalten im Bundesrat in der gleichen Sache. Dort hätte ihre Ländermehrheit Herrn Rühe bremsen können. Das mußte die Hoffnung der BI Freie Heide, aus der föderativen Struktur dieses Staates und einer möglichen SPD-Mehrheit ihren Frieden beziehen zu können, begraben.

Die Schalt- und Entscheidungsstrukturen sind westlich dominiert und orientiert: Herr Stolpe als Ministerpräsident bestärkt die BürgerInnen in ihrer Forderung nach ziviler Nutzung des einstigen Truppenübungsplatzes (TÜP) und verspricht, sie zu unterstützen. Dabei hat der Chef seiner Staatskanzlei schon längst den Deal eingeleitet, der die Bundeswehr begünstigt: War es etwa nur taktisches Ungeschick, der Bundeswehr mit der Forderung nach einem „Ausgleich über wirtschaftliche Vorteile durch Stationierung von Truppenteilen“ entgegenzukommen? Oder ist der Ossi Stolpe mit seiner betont, laut und lange diskutierten Vergangenheit diesem Manne – rate mal woher er kommt – nicht gewachsen? Die formalen Einsprüche der potsdamer Staatskanzlei gegen die TÜP-Planung im Ministerium Rühe werden dort gelassen zurückgewiesen. Sie werden wohl als Pflichtübung der Staatskanzlei betrachtet und Stolpe kann sein Gesicht sowieso nicht mehr verlieren seit Horno. Dort versprach er auch hoch und heilig: Horno bleibt, wird nicht abgebaggert. Dann siegten doch die (ökologisch und wirtschaftlich) sinnlosen „Arbeitsplätze“ einer Mehrheit über Heimat- und Eigentumsrecht einer kleinen Minderheit. „Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig“, steht im sog. Grundgesetz (Art.14.3). Wer definiert das Allgemeinwohl? Offensichtlich die Parteipolitik mit schielen auf Mehrheiten und die Industrieinteressen. Stolpe war auf der falschen Seite, oder er log bewußt. Die westdeutschen „Spitzenkräfte“ finden hier kaum GegnerInnen mit Durchsetzungskraft. Wer nicht käuflich ist, stasidiskreditierbar ist sie/er immer.

In Mehrheits-Demokratien sind Minderheiten beliebig belastbar ohne Herrschaft zu gefährden, ein Ergebnis allgemeiner Entsolidarisierung. Wie die Repräsentanz muß auch die Bundeswehr sich mehrheitsorientiert verhalten. Über Großstädten wird deshalb nicht tief geflogen, trotz CDU-Gerechtigkeit nicht.

Wie zu erwarten war, wird das Thema Bundeswehr, Rüstung und Weltmachtanspruch aus dem Wahlkampf herausgehalten. Zu sehr sind alle „regierungsfähigen“ Parteien auf das tradierte Staatsverständnis fixiert (vgl. GWR 228). Mit der Unabhängigkeit des Staates BRD 1955 bekam dieser das Recht auf eigenes Militär. (oder: Die Militärs bekamen ihren Staat.) Das wuchs und wuchs und verlangte im kleineren Deutschland größere Übungsflächen. Und dafür bekam es im Februar 1958 ein Landbeschaffungsgesetz, enteignete und wurde neben den Alliierten eine weitere Landplage. Als Folge des Zusammenbruchs der DDR kam der sogenannte Einigungsvertrag da zwar gelegen, weil er alle NVA-genutzten Flächen der Bundeswehr schenkte. Aber alle brauchte sie gar nicht, weil der Vertrag mit den einstigen Siegern eine Verringerung der Mannschaftsstärke der deutschen Armee verlangte und weil ja kein Feind mehr zu sehen war. Mit dem neuen „Verteidigungsauftrag“ erfuhr nun die ‚Neue Bundeswehr‘ – auch einige ehemalige NVA-Soldaten hatten inzwischen ihren Arbeitsplatz in die neue Firma gewechselt – immense Aufwertung. Klein, aber Killer für weltweite Brauchbarkeit. Das erforderte andere Struktur und andere Technik.

Da wurde plötzlich der einstige russische TÜP östlich Wittstocks interessant, obwohl er mit der NVA und deshalb mit dem Einigungsvertrag gar nichts tun tun hatte. 142 km2 in fast 17 km Längserstreckung, das hatten die Russen gut vorbereitet für Schießübungen deutscher Jagdbomber, die dann wieder in alle Himmelsrichtungen einsatzbereit sind, natürlich auch wieder nach Osten. Wenn die BASF und andere Goldgräber ihren Willen durchsetzen konnten, die Bundeswehr kann das erst recht. Die Bundeswehr will Wittstock haben. Was Treuhand und Förderprogramme der Bundesregierung in privaten Reichtum ihrer wesentlich westdeutschen Klientel zu lenken verstanden, mußte doch auch im Interesse der staatstragenden Militärs möglich sein. Right or wrong, our army! Mit ‚Gerechtigkeit‘ im Panier kippt Rühe die gesetzlichen Vorgaben seines Staates auf den Müll. Wie leicht das geht, hat selbst das Verfassungsgericht bei der Aufgabendefinition der Bundeswehr als Welt-Krieger gezeigt.

Zweifel daran sät die Bürgerinitiative FREIe HEIDe. Ob ihre Saat aufgeht, hängt von dauerhafterer und umfassenderer Solidarisierung als 1993 mit Bischofferode ab. Wie damals nur Arbeit, Rechtslage und allenfalls Ökologie diskutiert wurden, die Machtkartelle der Großkonzerne aber außen vor blieben, so geschieht Ähnliches hier. Die MeinungsmacherInnen lassen auf zwei Ebenen diskutieren: vor allem über Arbeitsplätze, jede/r Dritte ist hier schließlich arbeitslos, und über die Rechtslage, möglichst in der Regierungsvariante. Die Grundfrage nach Staat und Krieg ruht auf festem Vorurteil. Wollen Sie die Bundeswehr? fragt öffentlich und dreist der Platzkommandant, selbst einstiger NVA-Offizier, dann müssen Sie ihr auch Übungsmöglichkeit geben. Wer lehnt schon die Bundeswehr ab, und das öffentlich! Stolz auf ein starkes Deutschland mit starker Armee ist in den Anschlußländern mindestens so verbreitet wie im alten Westen. Unsicherheit und Angst der Individuen, veranlaßt durch dazu geeignete Lebensbedingungen, sucht Sicherheit in der Masse unter dem Dach einer großen ‚Nation‘. Der wendige Kommandant ist inzwischen mit dem ‚Ehrenkreuz der Bundeswehr in Bronze‘ ausgezeichnet, wohl weil er ebenso geschickt mit der lokalen Öffentlichkeit umgeht wie mit seinen Lebensgrundsätzen.

Die BI kann sich der Definitionsmacht der Herrschenden nur schwer entziehen. Sie beschreibt deshalb das Zig-fache an möglichen „Arbeitsplätzen“, die längerfristig durch zivile Entwicklung entstünden, als die Bundeswehr verspricht. Die BI arbeitet mit dem Urteil der ersten Instanz, des Verwaltungsgerichts Potsdam, wonach der TÜP mit dem Abzug der Russen als entwidmet anzusehen sei, also kein TÜP mehr ist. Der Rechtsanspruch Rühes auf „Nachnutzung“, begründet mit „unveränderter Raumwirksamkeit“, wurde ebenso abgewiesen wie Ansprüche aus dem sogenannten Einigungsvertrag, der damals noch von Besatzern genutzte Bereiche nicht betreffen durfte. Allerdings ging das Gericht nicht auf das Leben in diesem Raum ein, auf den die Kriegsübungen ‚einwirken‘. Im Gegenteil, es lehnte alle diesbezügliche Klagepunkte ab. Der Übungsbedarf der Bundeswehr sei von ihm nicht zu prüfen, und gesundheitliche wie sachliche Beeinträchtigung sei in Schadenersatzklagen zu regeln, hieß es. Auch ganz formal verwies es den Bund auf das Landbeschaffungsgesetz vom Februar 1958. Das im Kalten Krieg geschaffene Gesetz für die damals neue Bundeswehr gilt ja nun für die Sieger auch hier. Es bedeutete für die Bundeswehr jedoch die formale Einhaltung aller vorgeschriebenen Planungs- und Beteiligungsschritte, sowie eine Entschädigung der VorbesitzerInnen. Der Bund hat aber noch anderen Besitz aus Alliiertennachlaß, will deshalb lieber das außerdem kürzere Verfahren der „Nachnutzung“ und ging in Berufung. Eine höhere Instanz, ehrgeizigere RichterInnen und näher an der Herrschaft, mal sehen wie nahe den Verfassungsrichtern die urteilen.

Die BI glaubt das mitmachen und die klagenden Gemeinden und Personen bei einem Kostenrahmen von weiteren 100 000 DM unterstützen zu müssen, sammelt also Spenden dafür.

Über 35 Jahre Trommelfeuer von Panzern, Artillerie, Raketen und Bombern mit entsprechendem die Dörfer durchrollendem Gerät, das durfte z.Zt. nicht als „unveränderte Raumwirksamkeit“ befürchtet werden, um die Abwehr der geplagten Menschen nicht anzustacheln. Rühe läßt also abwiegeln, die Flieger simulieren nur, allerdings tief fliegend, Panzer und Geschütze gäbe es da gar nicht. Aber 1000 Soldaten sollen her, als Stütze der Wirtschaft. Die üben dann wohl mit Streichhölzern.

Neben der juristischen Definitionsmacht hat die staatliche Obrigkeit das schöne Instrument eines neuen Gesetzes. Den Ländern im Anschlußgebiet dauerte es zu lange, all die schönen und teuren Liegenschaften aus DDR-Besitz verkaufen und nutzen zu können. Grundbuchämter und Notare hatten mit der Klärung von ‚berechtigten‘ Ansprüchen viel Arbeit, auch Bund und Länder stritten um Anteile vom Kuchen. Da half einfach ein neues Gesetz, das „Verfahrensbeschleunigungsgesetz zum Vermögenszuordnungsgesetz“. Dadurch wurde eine Rückgabe an die VorbesitzerInnen ausgeschlossen, wenn die Sache zu einem bestimmten Termin bereits für Zwecke zu allgemeinem Nutzen diente. War das Rühes Geschoß? Es gab sicher noch viele andere InteressentInnen in Neu Fünfland.

Jedenfalls ist der Bund auf diese Weise auch formal rechtlich zum Eigentümer von ca. 70 % der ehemaligen Schießplatzfläche geworden. Der Finanzminister hat den Platz ‚vorzeitig‘ an den Verteidigungsminister übergeben, Rühe hat die Nutzungsgenehmigung für den Platz etwas früher erteilt, so daß wenige Tage vor dem Stichtag des neuen Gesetzes schon über dem Platz geflogen wurde. Damit waren die selbstgemachten Bedingungen des selbstgemachten Gesetzes erfüllt. Natürlich hat die sogenannte Repräsentative, die der WählerInnen wie die der Bundesländer, dem Verfahren zugestimmt. Es ist alles gut rechtsstaatlich zugegangen.

Auch Brandenburg hat „nach Abwägung“, wie es im Regierungsbericht an den Landtag heißt, dem Gesetz zugestimmt und damit freiwillig auf diese 70 % des Areals zugunsten des Bundes verzichtet. Der Landtag hatte noch im Jahr zuvor einen gegenteiligen Auftrag an die Landesregierung erteilt. Diese aber zögerte den Bericht über die Behandlung des Landtagsauftrages bis nach der Landtagswahl hinaus, und dann hatte die SPD die absolute Mehrheit. Andernfalls wären die handelnden Personen nur ausgewechselt worden, ohne jede faktische Konsequenz. – Horno läßt grüßen! Der Bericht erregte selbst bei der müden Opposition (PDS) keinen Anstoß.! Vielleicht glauben Stolpe & Co wirklich, sie könnten weiter, und nicht nur verbal, zivile Nutzung der Region planen und dem Bund die Nutzungsgenehmigung als TÜP verweigern. Auch ein Wahlsieger Schröder wird sich NATO-Bedarf gewiß nicht verschließen, und sei er nur behauptet. Schließlich ist Militär auch seine größere oder kleinere Machtbasis nach außen und gegebenenfalls nach innen.

Im Herbst wird das Oberverwaltungsgericht über die Berufung entscheiden, nach den Bundestagswahlen. Justitia ist nicht blind, wie gern behauptet wird, rechts schielt sie nach oben, und nur links ist sie blind und tritt gern mal daneben.

Der Druck von allen Seiten, der wirtschaftlichen, der politischen, der gerichtlichen, soll Resignation schaffen: Die machen doch, was sie wollen. Eine Gemeinde ist schon aus der Klägerfront ausgeschieden, aus Angst vor der Kostenlawine. Ob die Menschen dort andere Formen von Widerstand meiden werden, ist noch offen. Die Wut ist inzwischen groß, aber der Widerstand noch symbolisch. Tatkraft, Zielsicherheit und fester Glaube sind Voraussetzungen für eine Gegenmacht von unten. Eine Tendenzwende der Politik ist aus den Etagen der etablierten Macht nicht zu erwarten, sie muß von unten erstritten werden, erstritten gegen staatliche Gewalt.

Aber wenn wir zur Wahl gehen, um denselben Staat in Gang zu halten, haben wir die egoistische Hoffnung, ein „Politikwechsel“ entstünde mit dem Personalwechsel, und wir sehen darin (unlogisch aber verstehbar) wenigstens die Chance einer neuen Entscheidung über den Luft-Boden-Schießplatz Wittstock, die wir bei Kohl und Rühe erfahrungsgemäß nicht haben.

Die lokalen Ziele zeigen sich in verschiedenen praktischen Ansätzen einer „Unternehmerinitiative“, die Kauf- und Nutzungsbereitschaft für Teile des Platzes organisiert, in einer Finanzierungsgesellschaft für einen „Windkraft-Park“, in einem Beschluß des Kreistages zu Planung und Wiederherstellung einer Straße über den Platz, wie auch in einem Verein zur ökologischen Land- und Dorfentwicklung. Wenn die Wut über staatliche Willkür in dauerhafte und belastbare Tatkraft umschlägt, ist es möglich, daß hier ein fester Glaube, weithin ansteckend, entsteht, hier und anderswo die Entwicklung einer Großmacht Deutschland (auch innerhalb des Europavereins) zu stoppen. Es ist genug der Entmündigung, Beraubung und Fremdbestimmung! Aber das ist kein regional lösbares Ziel, es bedarf aller Menschen, denen Freiheit und Selbstbestimmung mehr sind als Worte.

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