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Repression hat Konjunktur!

Totalverweigerer im Gericht verhaftet

| Torsten Froese

In den letzten zwei Jahren verurteilten Gerichte Totale Kriegsdienstverweigerer mit immer höher werdenden Strafen. Dies liegt im besonderen Interesse des Kriegsministeriums. Es verlangt in einem Erlaß, zuletzt erneuert am 18.2.1998, Totalverweigerer erst dann aus Bundeswehr und Bundeswehrarrest zu entlassen, nachdem sie ein Zivilgericht mindestens zu sieben Monaten Freiheitsentzug verurteilt hat. Analog sollen zum Zivildienst einberufene Totalverweigerer, zu mindestens 10 Monate Freiheitsentzug verurteilt werden. Auch vor dem ‚Rühe-Erlaß‘ gab es schon den ‚Stoltenberg- und Wörner-Erlaß, die aber beide nicht annähernd von den „unabhängigen“ RichterInnen so gehorsam beachtet wurden wie heute. Im Juli 1998 gab es in Berlin mit 11 Monaten Freiheitsstrafe gegen den Totalverweigerer Christof Haug die höchste Verurteilung seit Wiedereinführung der Wehrpflicht in Berlin. Anfang 1998 verhängte das AG Göttingen eine Haftstrafe von 16 Monaten, die in der Berufungsverhandlung am Landgericht noch auf 10 Monate reduziert werden konnte, sich aber damit nach den Erlassen richtet. 20-25% aller Totalverweigerer werden mittlerweile zu sieben Monaten Freiheitsstrafe verurteilt, orientieren sich also am ‚Rühe-Erlaß‘.

Nicht aber nur die Erlasse gegen Totalverweigerer und das rigorose Vorgehen der Bundeswehr, die in den letzten Jahren Totalverweigerer oftmals über 63 Tage arrestierte und vom 1. bis 4. August 1998 den falschen Jörg Eichler in der Kaserne inhaftierte (vgl. Artikel unten), verdeutlichen die neue Konjunktur der Repression.

Am 23. Juni 1998 wurde ich ohne Urteil für 16 Tage in der JVA Weiterstadt inhaftiert. Die Vorgeschichte ist folgende: 1993 wurde ich vom AG Hanau zu drei Monaten Knast auf Bewährung wegen sogenannter ‚Dienstflucht‘ verurteilt. Das Bundesamt für den Zivildienst (BAZ) berief mich erneut ein, und erhob Strafantrag, weil ich der Einberufung nicht nachkam. Ungewöhnlicherweise wies die Staatsanwaltschaft am LG Frankfurt/M. die Klage wegen dem Verbot der Doppelbestrafung (Artikel 103 Abs. 3 Grundgesetz) ab. Das BAZ legte Beschwerde ein, die von der Generalstaatsanwaltschaft (GenStA) am OLG Frankfurt/M. wegen dem Doppelbestrafungsverbot abgewiesen wurde. Darüber erstaunt und verärgert, daß die Staatsanwaltschaften die Klage gegen einen Totalverweigerer nicht zuließen – der BAZ-Sachbearbeiter schmierte ein „Das darf ja wohl nicht war sein!?!“ auf die Entscheidung der GenStA -, strengte das BAZ ein außergewöhnliches „Klageerzwingungsverfahren“ an. Das OLG Frankfurt/M. ließ die Klage mit der Begründung zu, daß ich 1993 keine Gewissensentscheidung im Sinne der Bundesverfassungsgerichtsentscheidung (BVerfGE) von 1968 getroffen hatte. Nach dieser BVerfGE trifft die „selbe Tat“ im Sinne des Doppelbestrafungsverbots nur zu, wenn „eine ein und für allemal getroffene Gewissensentscheidung“ in der Begründung der ersten Verurteilung nachgewiesen werden kann.

Daß das Doppelbestrafungsverbot auch ohne ein vom Gericht attestiertem Gewissen gilt, und somit das Verfahren gegen mich eingestellt werden muß, wollten meine beiden Wahlverteidiger, Jörg Eichler und Detlev Beutner und ich am 23. Juni 1998 in einem weiteren Prozeß gegen mich am AG Frankfurt/M. nachweisen. Wahlverteidiger heißt, daß die beiden keine Juristen sind, und die Möglichkeit der Verteidigung durch Nichtjuristen, die § 138 Abs. 2 Strafprozeßordnung (StPO) bietet, nutzen wollten, um mir zu helfen. Allerdings wurde Detlev und Jörgs schriftlicher Antrag vom AG sowie LG Frankfurt/M. im Vorfeld der Hauptverhandlung abgelehnt. Richterin Mickerts vom AG schrieb damals in die Begründung: „Die Antragsteller sind dem Gericht unbekannt.“ Daher wollten wir nicht die prozessuale Möglichkeit verpassen, und am 23. Juni in der Hauptverhandlung persönlich den Antrag zu stellen, um nachzuweisen, daß meine Wahlverteidiger sachkompetent sind.

Am Prozeßtag erschienen etwa 45 BesucherInnen, die mit uns über eine Stunde warteten, bis verspätet zu meiner Sache aufgerufen wurde. Vor der Eröffnung der Verhandlung wurde der Richterin Mickerts bekannt, daß Jörg und Detlev den Zulassungsantrag stellen wollen. Sie unternahm sitzungspolizeiliche Maßnahmen, ließ weitere Justizwachtmeister und auch zwei Beamte des Staatsschutzes (K 42) kommen und besetzte Publikumsplätze mit zivilen Justizangestellten. Damit war auch die Öffentlichkeit eingeschränkt, es konnten nämlich nur 26 der ca. 45 BesucherInnen den Sitzungssaal betreten.

Als meine Verteidiger und ich in den Saal eintraten und uns auf der Verteidigerbank niederlassen wollten, wurden die beiden sogleich von der Richterin und einem lautstarken Zivilpolizisten aufgefordert, im Publikum Platz zu nehmen. Wir holten einen Beschluß des Gerichts zu diesem Verweis ein, und stellten einen Antrag auf Unterbrechung, um einen Befangenheitsantrag zu stellen. Wir verließen den Sitzungssaal, um im Korridor – wenige Meter vor dem Saal – den Befangenheitsantrag gegen die Richterin zu formulieren.

Einige Male rief die Richterin auf, daß ich den Saal wieder betreten solle. Obwohl sie unterrichtet war, daß ich in wenigen Minuten samt Befangenheitsantrag wieder im Saal sein wollte, veranlaßte sie die Vorführung durch drei Wachtmeister und einen Staatsschutzpolizisten. Mit Schlägen, Würgen und Tritten versuchten sie mich in den Gerichtssaal zu zerren, ließen aber nach einiger Zeit wieder ab, nachdem sie informiert wurden, daß die Richterin einen Vorführhaftbefehl schrieb. Als die Wachtmeister ein zweites Mal kamen, und uns bei unserem Befangenheitsantrag unterbrachen, ging ich ‚freiwillig‘, ohne Gewaltanwendung mit in den Gerichtssaal. Sobald dort eingetroffen, bekam ich unter massiver Gewalt Handschellen angelegt und der Sitzungssaal wurde geräumt. Dabei brach ein übereifriger Wachtmeister Jörg Eichlers rechtes Schlüsselbein. Ich wurde, nachdem die Richterin den Haftbefehl aussprach, über die JVA Frankfurt-Preungesheim zur JVA Weiterstadt gebracht.

Das unverhältnismäßige Vorgehen der Richterin und ihrer Wachtmeister basierte auf einem „Vorführhaftbefehl“ (§ 230 Abs. 2 StPO), den sie rechtswidrig in einen „Wegführhaftbefehl“ in die JVA Weiterstadt umfunktioniert hatte.

In der JVA Weiterstadt sind ca. 850 Menschen inhaftiert, obwohl nur für 500 konzipiert. Jeden Tag sollen nach Aussage eines „Schließers“ zehn weitere dort ankommen. Nach meinen Schätzungen, die sich auf das „Zugangshaus A“ beziehen, sitzen ca. 70 % der Gefangenen wegen angeblichen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) dort ein. Auch „Abschiebehäftlinge“, die auf ihren Haftprüfungstermin warten, sind in Weiterstadt inhaftiert. Die strukturelle Besonderheit in der JVA ist die systematische Desinformation. Von Anbeginn an, werden die Menschen von Zelle zu Zelle gescheucht und bei Anfragen auf „später“ vertröstet. Gerade Leute mit Sprachschwierigkeiten haben es hier besonders schwer. Einigen ergeht es so, daß sie nicht einmal genau wissen, was ihnen vorgeworfen wird, weshalb sie angeklagt sind und was sie erwartet. In der Untersuchungshaftvollzugsordnung (UVollzO) ist eigentlich verankert, daß eine „Hausordnung“ in jeder Zelle aushängen muß. Aber weder das, noch Informationsblätter oder -veranstaltungen für die neuen Gefangenen sind erhältlich. Die Abläufe im Knast sind hauptsächlich über die Mitgefangenen zu erfahren. Die Rechte der Gefangenen werden systematisch mißachtet. So habe ich z.B. zwei Tage auf Schreibpapier warten müssen, drei Tage auf meine Privatkleider, die mir mein Besuch mitbrachte, zehn Tag auf vegetarische Kost. Ich hatte das Glück schon am ersten Tag in der JVA Frankfurt-Preungesheim die UVollzO zu bekommen, konnte mich auf diese berufen, wenn ich „Anliegen“ und Beschwerden schrieb. Nur drei von ca. 30 Solidaritätsbriefen habe ich in den Knast bekommen. Und diese drei, die von der Richterin Mickerts aufgrund der UVollzO gelesen wurden, wurden mir erst eine Woche nach Eingang in der JVA ausgehändigt. Ähnliche Einschränkungen auch bei der Verteidigerpost. Mein Rechtsanwalt hat erst am 24. Juli, also zwei Wochen nach meiner Entlassung, meine Briefe erhalten.

Viel Zeit hatte sich auch Richterin Mickerts bei der Bearbeitung unserer Haftbeschwerde gelassen. Sie lehnte diese zunächst ab, müßte dann aber innerhalb von drei Tagen fristgerecht die Haftbeschwerde an das Landgericht weiterleiten. Erst am 8. Juli bekam der zuständige Richter auf sein Nachfragen beim AG die Haftbeschwerde, der er auch zustimmte, und den rechtswidrigen Haftbefehl somit aufhob.

Als nächste juristische Schritte werden meine VerteidigerInnen und ich einen Befangenheitsantrag gegen die Richterin Mickerts einreichen sowie Strafanträge gegen diese wegen Rechtsbeugung und gegen die Justizwachtmeister und Polizisten wegen Körperverletzung einreichen. Der nächste Prozeßtermin wird voraussichtlich im Oktober ’98 stattfinden. Falls dem Befangenheitsantrag gegen Richterin Mickerts nicht zugestimmt wird, wird die Hauptverhandlung – wie von der Richterin angekündigt – wahrscheinlich im „Hochsicherheitssaal“ des AG in Frankfurt/M. abgehalten werden.