Während der Sommerpause ging der Redaktion ein Bekennerschreiben zu einer Ernteaktion auf einem gentechnischen Versuchsfeld bei Braunschweig zu. Dieses Schreiben wurde von der Redaktion als Presseerklärung weiterverbreitet, woraufhin sich die Kripo meldete. Das war Anlaß für eine Beschäftigung mit einer möglichen politischen Kampagne gegen gentechnische Versuchsfelder, bei der Ziviler Ungehorsam eine zentrale Rolle spielt. (Red.)
Die öffentliche Stimmung für die Gentechnik ist nicht gut. Dies zeigen z.B. die Erfolge der in Niedersachsen und Bayern gestarteten Volksbegehren für die Kennzeichnung gentechnikfreier Nahrung, die allerdings durch den Bundestagsbeschluß zur Kennzeichnungspflicht von Gentech-Produkten obsolet geworden sind. Doch trotz dieser positiven öffentlichen Stimmung gelingt den Gentech-Konzernen von Jahr zu Jahr eine Ausweitung der Versuchsfelder, und in kurzer Zeit wird es wohl auch zum kommerziellen Anbau von Gentech-Pflanzen in der BRD kommen. Die Konzentration auf die Kennzeichnungspflicht ist dabei auch als Zeichen dafür zu werten, daß der Kampf gegen Versuche und kommerziellen Anbau bereits als verloren betrachtet wird und durch die Kennzeichnungspflicht darauf gesetzt werden soll, daß sich gentechnische Produkte „am Markt“ nicht durchsetzen. Ob dies aber gelingen kann, erscheint zumindest zweifelhaft.
Der Widerstand gegen Gentechnik scheint also in einer Sackgasse zu stecken. Zwar kommt es an einzelnen Orten zu Feldbesetzungen, durch die einzelne Standorte (z.B. Oberboyen) verhindert werden können, doch im ganzen gibt es wenig öffentliche Resonanz. Das gen-ethische Netzwerk bilanziert für 1997, daß vier Standorte durch Besetzungen verhindert werden konnten. Bei insgesamt 161 Versuchen an 74 Standorten erscheint das wie ein Kampf gegen Windmühlen. Auch die insgesamt sieben Feldzerstörungen in 1997 führten zwar vielfach zu „klammheimlicher Freude“ (der Rundbrief des gen-ethischen Netzwerkes listet immer wieder zahlreiche Feldzerstörungen auf), nicht aber zu einer öffentlichen Diskussion. Und es ist wohl ebenfalls naiv zu glauben, alle Versuchsfelder ließen sich zerstören und gentechnische Versuche könnten somit allein durch direkte Aktion verhindert werden.
Ziel dieses Artikels ist es, einen Kampagnenvorschlag zu diskutieren, der vielleicht im nächsten Jahr einen Ausweg aus der Sackgasse bieten könnte. Dabei ist klar, daß viele Fragen noch offen sind. Es ist auch klar, daß eine solche Kampagne nicht allein den Erfolg bringen kann, sondern auch die derzeitigen Aktivitäten der vielen lokalen Gruppen weiterhin wichtig bleiben werden. Vielleicht ist dieser Vorschlag aber der Anfang einer Perspektivdiskussion, die nach innen zu einem Gefühl von Bewegungsidentität, nach außen zu größerer Wahrnehmbarkeit und einer konkreten Aktionsorientierung der Bewegung führen könnte.
Die Idee: öffentliche Ernteaktionen
Die eigentliche Idee ist einfach: die bisher meist nachts und anonym stattfindenden Ernteaktion werden in die Öffentlichkeit verlegt und vorher angekündigt. Ähnlich wie z.B. die „Ausrangiert“-Aktionen gegen Castor-Transporte wird öffentlich mit zahlreichen Unterschriften und Selbstverpflichtungen zu einer konkreten Ernteaktionen auf einem bestimmten Gentechnik-Feld aufgerufen. Es wäre zu diskutieren, wie viele UnterstützerInnen und Selbstverpflichtungen notwendig und sinnvoll sind, um einer solchen Aktion politisches Gewicht zu verleihen.
Die Aktion selbst findet ebenfalls öffentlich statt. Sie kann verbunden werden mit einer Kundgebung vor der Aktion, mit Frühstück und Happening, um vielen, die selbst nicht ernten gehen wollen, eine Beteiligung zu ermöglichen. Wichtig wäre es, für eine solche öffentliche Ernteaktion einen Ort auszusuchen, an dem lokale Unterstützung vorhanden ist und lokale Gentechnik-Initiativen durch diese Aktionsform nicht verschreckt werden. Hier wäre Überzeugungsarbeit zu leisten, die es der örtlichen Bevölkerung ermöglicht, sich zumindest am Rahmenprogramm zu beteiligen und gegebenfalls auch den Schritt zur praktischen „Ernte“ zu tun. Eine von außen herangetragene Aktion, die lokal zu Distanzierungen führt, wäre möglicherweise kontraproduktiv und könnte einen Keil in die Anti-Gentechnik-Bewegung treiben.
Ziel einer solchen Aktion wäre vor allem, durch die Bereitschaft zum Zivilen Ungehorsam die blockierte Diskussion über gentechnische Versuchsfelder wieder in Gang zu bringen und auch ganz konkret einzelne Felder „abzuernten“. Der Erfolg liegt jedoch nicht in der Zahl der abgeernteten Pflanzen, sondern viel mehr darin, daß die Unverantwortlichkeit solcher Versuche (und erst recht eines kommerziellen Anbaus) öffentlich wieder diskutiert wird und somit die Gentechnik-Bewegung von der Defensive wieder in die Offensive kommt. Dafür sind die öffentliche Bereitschaft zum Zivilen Ungehorsam und auch die folgende juristische Auseinandersetzung um die Rechtfertigung dieses Zivilen Ungehorsam von besonderer Bedeutung. Hierdurch können die ethische Unverantwortbarkeit von Gentechnik, die nach Versagen der herkömmlichen politischen Mittel das „selbst Hand anlegen“ rechtfertigt, deutlich gemacht und hoffentlich die Diskussion wieder vorangebracht werden.
Probleme
Die Probleme einer solchen Kampagne liegen weniger auf der strafrechtlichen Ebene – natürlich handelt es sich um Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung -, und auch nicht auf der Rechtfertigungsebene für Zivilen Ungehorsam. Sowohl politisch als auch juristisch scheint mir Ziviler Ungehorsam relativ leicht zu begründen, und mit der Strafjustiz umzugehen ist in der Regel nicht so schwierig. Es wäre aus meiner Sicht eine noch offene Diskussion, ob es nicht sogar sinnvoll sein könnte, die Zahlung von Geldstrafen zu verweigern und in das Gefängnis zu gehen. Dies könnte, bei entsprechender politischer Vorbereitung und Begleitung, die Diskussion weiter voranbringen.
Problematisch scheint mir vor allem die zivilrechtliche Seite. Das vorzeigte Ernten der Versuchspflanzen führt zu einer Nichtverwertbarkeit des Versuches, und somit zu einem erheblichen Sachschaden. Es ist wohl realistischerweise davon auszugehen, daß die Gentech-Konzerne versuchen werden, diesen Sachschaden von den „ErntearbeiterInnen“ auf zivilrechtlichem Wege einzutreiben. Die Summen könnten leicht in die Hundertausende gehen, und es wäre wohl nicht sinnvoll, von einzelnen zu erwarten, sich für ihr ganzen Leben durch eine Aktion wirtschaftlich zu ruinieren. Ich halte es auch für unverantwortlich, ein solches Risiko im Aktionsablauf anzulegen und einzelne der Gefahr auszusetzen. Es bleibt keine andere Lösung, als mit diesem Risiko politisch im Kampagnenkonzept umzugehen.
Im wesentlichen scheint es mir zwei Möglichkeiten zu geben, diesem Problem zu begegnen:
- durch die Masse;
- durch Beschränkung auf Symbolik.
Eine Massenaktion (mit 200, 500 oder 1000 Menschen) hat den Vorteil der größeren öffentlichen Aufmerksamkeit. Sie birgt in weit geringerem Maße das Risiko, elitär zu erscheinen, und ermöglicht (hoffentlich) vielen Menschen den Schritt, sich selbst am Zivilen Ungehorsam zu beteiligen. Ein positives Beispiel für eine solche Massenaktion sind die „Ausrangiert“-Aktionen am Dannenberger Verladekran im Vorfeld des zweiten Castor-Transportes. Nur durch eine Massenaktion scheint es möglich, ein Feld auch wirklich „abzuernten“.
Eine symbolische Aktion läßt sich dagegen mit wesentlich weniger Menschen durchführen. Die Symbolik läge darin, daß einzelne (vielleicht insgesamt 10, 20 oder 50) Menschen jeweils nur 10 oder 20 Pflanzen im Rahmen einer öffentlichen Aktion abernten, womit der Schaden für den/die Einzelne begrenzt und kalkulierbar bleibt. Die Öffentlichkeit der Aktion führt jedoch dennoch zu einer öffentlichen Diskussion über die Rechtfertigung der Aktionsform und des individuellen Zivilen Ungehorsams.
Welcher Weg der sinnvollere ist, wage ich derzeit nicht zu beurteilen. Vielleicht ist es auch möglich, beide Aktionsformen zu kombinieren, da eine Massenaktion wohl nicht mehr als ein- bis zweimal im Jahr durchgeführt werden kann, während symbolische Aktionen in mehreren Orten gleichzeitig oder zu verschiedenen Zeiten möglich sind. Vielleicht sind symbolische Aktionen auch notwendig, um die Diskussion voranzubringen und eine Akzeptanz für öffentliche Ernteaktionen größeren Ausmaßes langfristig zu schaffen.
In England wird derzeit ebenfalls eine „öffentliche Erntekampagne“ unter dem Titel „genetiX snowball“ diskutiert. Diese Kampagne lehnt sich an die „Snowball-Kampagne“ der 80er Jahre gegen Nuklearraketen an. Dabei schnitten hunderte Menschen Teile aus den Umzäunungen der Nuklearbasen in England, und lösten somit eine Diskussion um die Rechtfertigung von Zivilen Ungehorsam und Sachbeschädigungen als gewaltfreie Aktion aus. Die erste Aktion im Rahmen von genetiX snowball fand am 4. Juli statt. Fünf Menschen ernteten 200 Pflanzen eines genetischen Testfeldes in Watlington/Oxfordshire. Weitere Aktionen sollen in naher Zukunft folgen.
Wie weiter?
Eine Kampagne Zivilen Ungehorsams gegen Gentechnik sollte gut vorbereitet sein. Daher schlage ich vor, den Herbst und Winter 98 für Diskussionen um die offenen Fragen zu nutzen, und erst im Winter 98/99 bzw. Frühjahr 1999 mit der konkreten Vorbereitung für Aktionen Zivilen Ungehorsams zu beginnen. Es wäre fatal, durch schlecht vorbereitete Aktionen die Aktionsform zu diskreditieren und die wichtige lokale Unterstützung an den Versuchsstandorten zu verspielen. Die Stärke einer solchen Kampagne liegt in der – hoffentlich möglichen – lokalen Verankerung, nicht in der (Schein-)Radikalität der Aktion.
Notwendig ist außerdem, sich gerade auf eine erste Aktion mit Trainings intensiv vorzubereiten. Eine Konfrontation mit Polizei und privaten Wachdiensten ist wohl sehr wahrscheinlich. Diese Konfrontation darf nicht so ablaufen, daß die lokale Bevölkerung dadurch auf alle Zeit verschreckt wird. Nicht alles, was im Wendland und in der Auseinandersetzung um Castor-Transporte möglich ist, läßt sich dabei umstandslos auf gentechnische Versuchsfelder in irgendwelchen ländlichen Regionen übertragen. Fingerspitzengefühl und intensive Diskussionen sind hier unbedingt erforderlich. Auch das spricht für eine längere Vorbereitungszeit und die sorgfältige Auswahl des Aktionsortes.
Ist all dies gewährleistet, so gibt es natürlich dennoch keine Erfolgsgarantie. Allerdings stellt sich auch die Frage, was als Erfolg anzusehen ist. Ich halte es für unwahrscheinlich, daß durch Zerstörungs- und Besetzungsaktionen allein gentechnische Versuche verhindert werden können. Bei mittlerweile nahezu 100 Versuchsstandorten erscheint dies schon allein praktisch nicht möglich. Genausowenig wie sich der Erfolg der Anti- Castor-Bewegung jedoch allein an den Stunden der Transportverzögerung oder den Millionen an Polizeikosten messen läßt, sondern vielmehr in den politischen Kosten für Staat und Atomindustrie liegt, die beim jetzigen Castor-Skandal einen Transportstopp erforderlich machten, um die Öffentlichkeit zu beruhigen, genauso kann eine öffentliche Erntekampagne vielleicht eine gesellschaftliche Situation erzeugen, die den politischen Preis für weitere Versuche so weit in die Höhe schraubt, daß er für die Gentechnik-Industrie und den Staat nicht mehr tragbar ist. Dahin ist es noch ein langer Weg. Mir scheint es jedoch möglich, so der Bewegung neuen Schwung und eine konkrete Aktionsperspektive zu geben, die einen Erfolg möglich machen. Es liegt an uns…
Diskussionsbeiträge zu diesem Kampagnenvorschlag sind gerne erwünscht. Ebenso ein Nachdruck in zahlreichen Bewegungsmedien (gegen Quellenangabe).
Kontakt
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