libertäre buchseiten

„Beharrlich erinnernd gegen das Verblöden“

Helmut Thielens Kritik am postmodernen Zeitgeist

| Ira Kukavica

Helmut Thielen: Warum die Blue Jeans schwarz geworden sind. Nachrufe auf den Zeitgeist der "Postmoderne". Karin Kramer Verlag, Berlin 1998, 158 S., 24,80

„Gegen den ‚postmodernen‘ Zeitgeist der Gleichgültigkeit, der Beliebigkeit, des Skeptizismus und der Resignation“ (S.148) wendet sich Helmut Thielens Sammlung streiflichtartiger Kurztexte, und dies gelingt über weite Strecken, ohne in kitschige Heile-Welt-Beschwörungen, unfundiertes Moralisieren oder von den realen Bedürfnissen abgehobene Wertepropaganda zu verfallen. Vielmehr stützen sich die teils satirisch karikierenden, teils nüchtern beschreibenden Glossen und Analysen konsequent auf eine sorgfältige Kritik der politischen Ökonomie, die der Autor auch ausdrücklich als Grundlage jeder radikalen und tragfähigen Kritik an den Teilgebieten und Auswüchsen des kapitalistischen Systems einfordert.

Mit beißender Schärfe führt er vor, was der Verzicht auf eine solche theoretische Grundlage angerichtet hat, daß nämlich die in weiten Teilen der ehemaligen radikalen Linken um sich greifende Aufgabe des kritischen revolutionären Denkens „zugunsten eines veworrenen Kauderwelschs und eitler Geschwätzigkeit“ (S.41) zu intellektueller Verblödung, zur Verzerrung der Realitätswahrnehmung, zu unvernünftigen und notorisch zu kurz greifenden Einschätzungen politischer Ereignisse und Entwicklungen und zur opportunistischen, selbstentmündigenden Unterwerfung unter den Alternativlosigkeitsanspruch des bestehenden, also des kapitalistischen Systems führen mußte.

Daß die Gesamtheit dieser traurigen Phänomene, auch wenn sie allenthalben unter dem klangvollen Namen „Realpolitik“ gehandelt und gefeiert wird, der komplexen und ihre beschränkten Begriffe allseits sprengenden tatsächlichen Realität der Menschen am allerwenigsten gerecht wird, sich vielmehr konstant im Interesse der Herrschenden an den realen Interessen der Mehrheit vorbeiwerkelt, liegt auf der Hand. Daß der von ihr gestützte Kapitalismus unaufhaltsam, konkurrenzlos und global auf dem Vormarsch ist, ebenso. Aber auf dem Vormarsch wohin? Erst hier, an der langfristigen Perspektivlosigkeit seines auf Zerstörung und Unterwerfung basierenden Siegeszuges – und nicht früher; nicht an etwaiger Abmilderung des schlimmsten von ihm produzierten Elends, nicht an etwelchen ökologischen oder menschenrechtlichen Almosen des Kapitals -, kann die Hoffnung ansetzen: die scheinbar unrealistische, trotzige Weigerung, die „neue Weltordnung“ als ewig unveränderlich hinzunehmen, und das Wagnis, sich – auf der Ebene des Denkens und des praktischen Handelns -, „ganz unzeitgemäß, auf das Scheitern dieser Sieger vorzubereiten“ (S.42).

Die Utopie, die der grassierenden Resignation, dem Gefühl der Ohnmacht und der „Schmach des vereitelten Lebens“ (S.65), kompensiert durch Konsumwahn und Gewaltphantasien, entgegenzusetzen ist, speist sich für Thielen aus den visionärsten Elementen der kommunistischen Idee, des Anarchismus und auch eines revolutionären Christentums. Ziel ist eine in der Gleichheit und der materiellen Gerechtigkeit wurzelnde „konkrete, das heißt: sozialistisch-kommunistisch-anarchistische Freiheit“. Da die globale Perspektive stets durch die Rückbindung an klar umrissene Einzelphänomene und deren konkrete Einordnung und Kritik geerdet bleibt, läuft sie selten Gefahr, ins Verschwommene, selbst wieder beliebig Auslegbare abzudriften.

All dies stellt sich in Thielens ausdrucksstarker, bildhafter Sprache dar, die das Buch zu einem echten Lesegenuß macht, aber leider – und das trübt die sonst fast uneingeschränkte Freude an der Luzidität der Texte – immer wieder ihrer eigenen Faszination und Dynamik zu erliegen droht und dann in inhaltlicher Inkonsequenz endet. So wird im Zuge einer eigentlich stichhaltig begründeten Ablehnung des Golfkrieges das Kind mit dem Bade ausgeschüttet und der Begriff des linken Antisemitismus gleich pauschal als „ideologische Feindbildproduktionsmaschine“ (S.53) abgetan – als ob es nicht genügend reale Fälle gäbe, auf die der Begriff legitimerweise anwendbar war und noch ist. Und wenn vom „verhurten Schoß“ der „kapitalistischen Demokratur“ (S.18) die Rede ist und systemkonforme Soziologen als „Nutten des Kapitals“ (S.21) tituliert werden, dann straft diese unreflektierte Metaphorik das eigentlich zu Sagende – und an anderen Stellen ja so richtig Gesagte – Lügen und nervt gerade deshalb besonders, weil die geneigte Leserin dem Autor durchaus zutraut, die Funktion der Prostitution in der kapitalistisch-sexistischen Gesellschaft gründlicher zu durchdenken, als diese sprachliche Effekthascherei, die eines aufgeregten Spießbürgers oder übers Ohr gehauenen Freiers würdig wäre, annehmen läßt. Und auch sonst wird manchmal übers Ziel hinausgeschossen, zum Beispiel in allzu unbedenklichen Parallelisierungen von Faschismus und postmodernem Kapitalismus.

Dennoch bleibt das Buch um seiner Geistesblitze, seiner überraschenden Einblicke und seiner radikalen, sich den herrschenden wie den gegenkulturellen Dogmatismen widersetzenden Grundhaltung lesenswert – und zum unkritischen Lesen will es ja ohnehin nicht einladen.