concert for anarchy

Erich Mühsam: Der Revoluzzer

Die Zeiten, in denen ein Spottlied auf die Sozialdemokratie „Der Revoluzzer“ heißen konnte, scheinen vorbei. Gegenwärtig müßte eine Parodie auf diejenigen, die „einiges besser“ machen wollen, eher „Der Reformerich“ heißen, sollte der Angriff nicht bereits an der Wahl falscher Maßstäbe scheitern. Pragmatik, Effizienz und Steuerungskraft wären gewiß auch eines Spottliedes würdig, doch daran arbeitet sich bereits die bürgerliche Presse zur genüge ab. Die Revolution haben die SozialdemokratInnen jedenfalls längst von der Tagesordnung abgesetzt. Doch das war früher einmal anders.

Mühsam schrieb das Lied 1907 sicher unter dem Eindruck der russischen Revolution von 1905 und der daraufhin von der Sozialdemokratie geführten Massenstreikdebatte (1905/06), die mit der Ablehnung spontaner außerparlamentarischer Aktionen endete. Eine Auseinandersetzung, die den aktuellen Streikbewegungen zusetzte, von denen Mühsam „Crimmitschau 1903, Bergarbeiter 1897 und 1905, Berliner Metallarbeiter 1906 und so weiter“ in Briefen erwähnte. An ihnen kritisierte er das „…Vereinsmeiertum der zentralisierten Gewerkschaften, denen jeder große Streik verloren geht“. Die Sozialdemokratie bejahte auf ihrem Parteitag in Jena die Massenstreiks zunächst unter dem Eindruck der Ereignisse in Rußland, aber übernahm ein Jahr später in Mannheim die ablehnende Haltung der Zentralverbände. Sie begab sich damit in die Startlöcher für den Reichstagswahlkampf im Januar und Februar 1907, den Mühsam zu Agitationsreden in sozialdemokratischen Versammlungen nutzte. Außerdem geben Mühsams Briefe Hinweise auf seine Auseinandersetzung mit dem aktuellen Phänomen „Politischer Terror“. Er war der Ansicht, für anarchistische Gewaltakte ergebe sich die Rechtfertigung von selbst, aufgrund einer psychologischen Begründung. Seine gefährliche strategische Zielsetzung schlägt er Karl Kraus im April 1907 als Artikelprojekt vor: „Wenn es irgend angeht, möchte ich die Sache in eine natürlich psychologisch kaschierte Aufreizung an die preußischen Polen ausklingen lassen mit Brandstiftungen, Abschreckungsmorden usw. gegen die Verpreußungspolitik zu arbeiten“ (Mühsam 1984, 95). Kraus lehnte ab, ein Artikel erschien später, im September, unter anderem in „Der freie Arbeiter“.

Aufschlußreich an dem Revoluzzer ist, daß Mühsam all diese aktuellen Bezüge im Lied nicht erwähnt, sondern die sozialdemokratische Parteipraxis angreift, indem er die Geschichte des Lampenputzers erzählt. Die Interpreten tragen den Revoluzzer meist als Moritat vor, die sich bei den vorwärtsschreitenden Revoluzzern zu einem Marsch beschleunigt. Ob es diesen Revoluzzer tatsächlich als Person gegeben hatte, ist nicht überliefert. Für den Erfolg ist es unerheblich. Wichtig ist, daß Mühsam ein stimmiges Bild vom sozialdemokratischen Revolutionär und seinem Umgang mit den spontanen Massenerhebungen und Revolutionen zeichnete, daß noch heute als durch die Ereignisse von 1918/19 als belegt gilt. Er konnte dabei auf die Ordnungsfunktion der Lampenputzer wie auch die faszinierende aber zugleich disziplinierende Wirkung der Straßenbeleuchtung anspielen. Im preußischen Deutschland ist exemplarisch zu sehen, wie die Durchsetzung der Straßenbeleuchtung ein umstrittener technisch-politischer Vorgang war. An dessen Beginn weigerten sich StadtbürgerInnen Berlins Öllampen wegen der damit verbundenen Kosten freiwillig aufzustellen. Der König mußte sie 1680 auf eigene Rechnung errichten lassen und durch „Lampenversorger“ in Betrieb halten. Deren Auftrag war sehr viel weiter gefaßt als nur Lampen zu putzen, denn in Öllaternen mußte ständig das Öl genau dosiert werden und ihre Dochte bedurften sorgfältiger Pflege. In Preußen regelte die Aufgaben ein minuziöses königliches Reglement. 1803 erweiterte sich der bereits angelegte obrigkeitliche Charakter zur hilfspolizeilichen Ordnungsfunktion, um die häufige Entwendung und Beschädigung von Straßenlaternen zu verhindern. 1826 wurde als Schutztruppe sogar eine Erleuchtungsinvaliden-Kompanie aus 60 Kriegsversehrten rekrutiert. Während dieser Zeit erhielt Berlin die erste Gasbeleuchtung, die durch sehr viel mehr Helligkeit beeindruckte, aber auch bedrohte. Das Licht brachte Helligkeit in die Nächte der Großstädte. Es ermöglichte und erleichterte wirksame Eingriffe der ordnenden Obrigkeit, was die Beleuchtung vielfach umstritten machte. Die Gasbeleuchtung trat in Europa ihren Siegeszug an, während sich mehrere Revolutionen 1830 und 1848 ereigneten. Die Gaslaternen wurden dabei häufig zerstört, sicher, weil sie sich sehr gut für den Bau von Barrikaden eigneten, wie es der Revoluzzer erfuhr.

Der „Revoluzzer“ wurde eines von Mühsams erfolgreichen Liedern. Es verbreitete sich unter KabarettistInnen und gehörte zum festen Repertoire der Münchener „Elf Scharfrichter“ oder des dadaistischen Cabaret Voltaire von Hugo Ball. Es hinterläßt Spuren bei Ringelnatz und Klabund oder wird von AnarchistInnen z.B. von Oskar Maria Graf und in der Boheme aufgegriffen. Wirklich populär in der Arbeiterbewegung wird es in der Interpretation von Ernst Busch sowie durch die Aufnahme in die Liederbücher der Linken der zwanziger Jahre (Kauffeldt 1983, 164ff.). Es diente dabei immer den „radikaleren“ die „zaghaften“ zu kritisieren, was in der Novemberrevolution eine wichtige Konfliktlinie in der sozialen Bewegung darstellte. Vor allem in Phasen der sich bewegenden Massen scheint es das wichtigste Problem zu sein. Aber gerade im Rückblick auf die „gelungenen“ doch heute durchweg gescheiterten Revolutionen ist zu fragen, ob andere Probleme nicht wichtiger gewesen sein könnten?

Mühsam wußte nicht nur, was ein „Revoluzzer“ ist, sondern auch was die aktuellen Aufgaben eines wirklichen Revolutionärs waren. Mühsam verstand sich, wie er in einem Brief des gleichen Jahres an den liberalen Publizisten Maximilian Harden darlegte, seit reichlich sechs Jahren als Anarchist und sei agitatorisch tätig. Er bechreibt seine Zielsetzung und Aktivitäten folgendermaßen: „Mein Kampf richtet sich also prinzipiell gegen den Staat und seine Ausdrucksformen (Kapitalismus, Militarismus, Justiz). Die einzig mögliche Grundlage zu anarchistischer Freiheit (das heißt: zur Durchsetzung der Persönlichkeit gegenüber der Gesellschaft) erblicke ich in der Wirtschaftsform Sozialismus. Hervorragend interessiert an der grundsätzlichen Umgestaltung der bestehenden Verhältnisse erscheinen mir Alle, deren Schaffen im Hinblick auf die gesellschaftliche und kulturelle Nutzleistung nicht richtig bewertet wird, also besonders Künstler und Arbeiter. Die natürliche Taktik zur Durchkämpfung meiner revolutionären Ideen sehe ich im konsequenten Klassenkampf, also in der bedingungslosen, in jeder Maßnahme betonten Gegnerschaft der Besitzlosen gegen die Besitzenden. Daher glaube ich, daß jede von den genannten Gruppen geübte Beteiligung an der Verwaltung der gültigen Herrschaftsorgane im Widerspruch zur Methode des Klassenkampfes steht, daß sie notgedrungen zu Konzessionen führt, daß sie reformierend (das heißt: festigend) auf die bekämpften Zustände einwirkt. Ein wichtiges Verwaltungsorgan des herrschenden Staates ist das Parlament; deshalb dünkt mich die Beteiligung am parlamentarischen Leben unvereinbar mit dem sozialistischen System des Klassenkampfes, dessen Machtmittel allein in der Möglichkeit liegt dem Feind wirtschaftlich zu schwächen. Das geschieht am wirksamsten durch den Streik: durch die direkte Erzwingung wirtschaftlicher Förderung des Arbeiters.

Diese Ansicht, die hier nur im gröbsten Umriß angedeutet ist, vertrete ich mit Vorliebe der Sozialdemokratie gegenüber, deren Geschichte ein stetig vermehrtes Konzessionieren und Paktieren ist. Der geeignetste Moment aber, meine Meinung öffentlich auszusprechen, scheint mir die Zeit zu sein, wo die Sozialdemokratie zu bevorstehenden Parlamentswahlen Stimmen ködert. In solchen Zeiten pflege ich in Versammlungen unter den Arbeitern für den konzessionslosen Klassenkampf Stimmung zu machen. So auch diesmal. Am Abend vor der Hauptwahl zum Reichstag sprach ich in der Diskussion gegen ein Referat des Ritters Georg von Vollmar, bisherigen Reichtstags- und gegenwärtigen bayrischen Landtagsabgeordneten. Ich kritisierte ausführlich das antirevolutionäre Verhalten der Sozialdemokratie, begründete meine Kritik mit dem Hinweis darauf, daß die seit nahezu vierzig Jahren ausgeübte Praxis des Wählens nach dem stets als Ideal gepriesenen deutschen Reichtstagswahlrecht zur Förderung des Sozialismus bisher nichts erreicht habe…“ (Mühsam 1984, 90 ff.). Der Anarchist Mühsam wurde während dieser Auftritte angegriffen und als kriegstreibender „Hottentottenliberaler“ verleumdet. Er konnte jedoch seinen Spott auf die revolüzzende Sozialdemokratie durch die Ereignisse 1919 bestätigt sehen. Der Dramatiker Tankred Dorst machte in den 60er Jahren Mühsam zu einer Figur seines historischen Stücks „Rotmord. I was a German“ über die Räterepublik in München, und läßt Mühsam den Revoluzzer selbst vortragen. Ein Arbeiter erwidert ihm: „Du bist ja selbst ein Lampenputzer und wir müssens ausbaden.“

Das Lied vom Lampenputzer ist, obwohl 1907 verfaßt, durch seine wiederkehrende historische Aktualität bis in unsere Tage vergleichsweise bekannt geblieben. Zum Teil, weil es aus den sechziger und siebziger Jahren als einer der Protestsongs vertraut ist, die eine politisierte Folkszene als Teil sozialer Bewegung wieder entdeckt hatte. Schon damals wurde der „Revoluzzer“ u.a. von Dieter Süverkrüp interpretiert, der es aufgrund seiner Unterstützung der westdeutschen Kommunisten in der DKP allerdings auch in einen politisch zweifelhaften Zusammenhang brachte. Von Süverkrüp stammt eine neuere heute erhältliche Interpretation auf der CD „Ich lade Euch zum Requiem“, die nur Lieder von Mühsam präsentiert, und in deren Begleittext auf die Erich Mühsam Gesellschaft verwiesen wird. Der „Revoluzzer“ ist aber auch von einem ausgewiesen libertären Interpreten erhältlich. Gregor Hause hat 1998 eine CD unter dem Titel „Das Herz in der Hand“ zusammen mit der FAU produziert. Er legt darin etwa 20 Lieder nach Texten von Mühsam vor, die überwiegend andere Lieder als bei Süverkrüp enthält. Das Lied des Reformerich hat meines wissens noch keine/r geschrieben.

Erich Mühsam: Der Revoluzzer
Der deutschen Sozialdemokratie gewidmet

War einmal ein Revoluzzer,
Im Zivilstand Lampenputzer;
Ging im Revoluzzerschritt
Mit den Revoluzzern mit.

Und er schrie: ‚Ich revolüzze!‘
Und die Revoluzzermütze
Schob er auf das linke Ohr,
Kam sich höchst gefährlich vor.

Doch die Revoluzzer schritten
Mitten in der Straßen Mitten,
Wo er sonst unverdrutzt
Alle Gaslaternen putzt.

Sie vom Boden zu entfernen,
Rupft man die Gaslaternen
Aus dem Straßenpflaster aus,
Zwecks des Barrikadenbaus.

Aber unser Revoluzzer Schrie:
‚Ich bin der Lampenputzer
Diesen guten Leuchtelichts.
Bitte, bitte, tut ihm nichts!

Wenn wir ihn‘ das Licht ausdrehen,
Kann kein Bürger nichts mehr sehen,
Laßt die Lampen stehen, ich bitt!
Denn sonst spiel ich nicht mehr mit!‘

Doch die Revoluzzer lachten,
Und die Gaslaternen krachten,
Und der Lampenputzer schlich
Fort und weinte bitterlich.

Dann ist er zu Haus geblieben
Und hat dort ein Buch geschrieben:
Nämlich wie man revoluzzt
Und dabei noch Lampen putzt.

Literatur

Kauffeldt, Rolf 1983, Erich Mühsam. München, Fink, 164-169

Mühsam, Erich 1984, In meiner Posaune muß ein Sandkorn sein. Briefe 1900-1934, Hg. Gerd W. Jungblut, Vaduz, Topos

CDs

Gregor Hause: Das Herz in der Hand. Lieder nach Texten von Erich Mühsam. Die CD kostet 15 DM zzgl. Porto bei:
Gregor Hause
Schönebecker Straße 21 39104 Magedeburg

Erich Mühsam: Ich lade Euch zum Requiem. Interpretiert von Dieter Süverkrüp und Walter Andreas Schwarz. Conträr Musik 1996, z.B. erhältlich bei der Büchergilde Gutenberg.