häuserkampf

Bewährungsprobe für Hakim Bey

Veränderte Bedingungen der Kämpfe für selbstverwaltete Räume am Beispiel AZ Heidelberg

| Harold the Barrel

Party macht Laune – das denkt sich nicht nur der Party-Anarchist Hakim Bey. Das dachten sich auch die AktivistInnen des Heidelberger Autonomen Zentrums (AZ), als ihr Nutzungsvertrag mit der Stadt Heidelberg am 1.2.99 auszulaufen drohte und etwas unternommen werden mußte, um weiter selbstverwaltete Räume in Heidelberg zu haben. Eine Strategie war, das in letzter Zeit an Zahl zunehmende Partypublikum in direkte Aktionen für ein neues Autonomes Zentrum einzubeziehen. „Test your AZ“ hieß das und war der Versuch, eine massenhaft besuchte Samstagabend-Party im alten Autonomen Zentrum um Mitternacht abzubrechen und als Event einer symbolischen Besetzung an einem anderen Ort bzw. in anderen Gebäuden fortzuführen. Obwohl von den AktivistInnen wohl nur wenige das Konzept der „Temporären Autonomen Zonen“ von Hakim Bey (vgl. die Vorstellung des Konzepts in GWR 234, S.15) kennen, war dieses Aktionskonzept doch auf eine ganz praktische Weise die Umsetzung der schönsten Träume von Hakim Bey.

Das Heidelberger Autonome Zentrum bestand seit siebeneinhalb Jahren in einer alten Fabrik. In ihr hatten Konzertgruppen Proberäume, es gab eine Frauen/Lesben-Etage, in den vier Jahren seiner Existenz traf sich dort das örtliche Antirassistische Notruftelefon, zudem traf man/frau dort eine Fahrradwerkstatt, einen Infoladen und ein Café mit „Volxküche“ an. Ein Zentrum nur für „autonome Gruppen“ war das Heidelberger AZ eigentlich nie, und als sich vor einigen Jahren einige Gruppen kritisch über Umgangsformen und Außenwirkung des AZ äußerten, wurde sogar der Versuch gemacht, die TrägerInnenschaft durch Einbeziehung anderer Gruppen auf breitere Füße zu stellen. Damals waren auch die dem Graswurzelspektrum nahestehende örtliche „Gewaltfreie Aktionsgruppe“ und die „Castor-Gruppe“ bereit, sich an der Selbstverwaltung des AZ zu beteiligen. Mit den auf diese Weise ständig im Austausch mit autonomen Gruppen stehenden Gewaltfreien gab es dann zwar immer mal wieder die üblichen Gewaltdiskussionen, doch man/frau respektierte die jeweilige politische Arbeit der anderen im großen und ganzen und arbeitete auch immer mal wieder zusammen.

So auch bei den bereits seit einigen Jahren immer wiederkehrenden Versuchen, der Stadt in Form der Vorzeigebürgermeisterin Weber (erste SPD-Bürgermeisterin in Baden-Württemberg) immer noch mal ein Jährchen Nutzung der Räume abzutrotzen, was bis zum 1.2.99 auch gelang. Nun aber wollte die Weber-Administration partout den Baubeginn einer neuen städtischen Konsummeile einläuten und die Politik der Duldung eines AZ in der Stadt ändern. Wie eine Art Versuchsballon zur veränderten Kommunalpolitik wurde bereits im Vorjahr der örtlichen Wagenburg nach mehrfachen Duldungen, Verhandlungen und verschobenen Terminen trotz phantasievoller Gegenaktionen der Garaus gemacht – und zwar auf eine schäbige, verlogene Art und Weise. Es steht zu befürchten, daß sich diese Strategie im Falle des AZ zu wiederholen droht, denn den vollmundigen Versprechungen der Bürgermeisterin in der Zeit vor der Schlüsselübergabe am 1.2. steht bisher überhaupt kein Ergebnis gegenüber – von zahlreichen Spekulationen über ein Ersatzobjekt einmal abgesehen.

Was also tun? In den Wochen vor dem 1.2.99 fanden mehrere „temporäre autonome Zonen“ unter Einbeziehung des Partypublikums statt, das sich allsamstäglich zur Disco im AZ einfindet und einfach auf nichtkommerzielle, möglichst billige Weise abtanzen will! Daß die nichtkommerzielle Nische bedroht war, wurde ihnen bei den Discos immer wieder vermittelt und so an ihr über die Party hinausgehendes politisches Interesse appelliert. Zunächst schien Hakim Bey seine Bewährungsprobe in Heidelberg bestanden zu haben: die erste Fete mit mehreren Hundert BesucherInnen wurde an einer Samstagmitternacht plötzlich im seit Jahren leerstehenden städtischen Jugendstilhallenbad fortgesetzt, für dessen Renovierung der Stadt schon lange die finanziellen Mittel fehlen. Sehr viel Spaß machte auch eine Freiluftdisco auf dem größten Kreisverkehr der Stadt, die an einer anderen Samstagmitternacht durchgeführt wurde. Gute Laune wurde ebenfalls bei einer alternativen Techno-Parade „Love-your-AZ-Parade“ verbreitet, die allerdings zur Abwechslung mal tagsüber stattfand. Und der Höhepunkt war die samstagnächtliche Besetzung des bereits zum neuen AZ ausgeguckten, ebenfalls leerstehenden Bahnbetriebswerk, kurz vor dem 1.2., als sich ca. 1000 Partygäste nahezu vollständig an der Verlegung der Disco vom alten AZ zu einer Party-Besetzung beteiligten. Hier war in der Tat frei nach Hakim Bey die Anarchie nicht die Vision einer fernen Zukunftsgesellschaft, sondern Anarchie als Massenbesetzungsaktion, als „temporäre autonome Zone“ im Hier und Jetzt!

Allerdings: ist die Party aus, geht die/der Partygast nach Haus‘! Die Besetzungsaktionen kamen schon deshalb über ihren Symbolcharakter nicht hinaus, weil spätestens am frühen Morgen selbst die erprobtesten Partyfans nach Hause gingen und sich nicht weiter darum kümmerten, daß damit einer Besetzungsaktion ihr entschlossener Charakter genommen und sie zur rein symbolischen Aktion reduziert wurde. So war denn die Polizei zwar immer auch schnell an Ort und Stelle, hielt sich aber in der Regel zurück, als ihr deutlich wurde, daß mit dem Party-Aus auch das Besetzungs-Aus verbunden war.

Noch beim erfolgreichen Kampf für die Verlängerung des AZ ein Jahr früher war es möglich, aus dem AktivistInnenfundus des AZ eine ausreichend zahlreiche Gruppe zu bilden, die eine Hausbesetzung durchführte – damals jedoch mit der Absicht, das besetzte Haus nicht freiwillig zu räumen, bis die Stadt irgendwelche Zugeständnisse machte, was sie damals tatsächlich noch am ersten Tag der Besetzung persönlich durch Frau Weber auch tat.

Es scheint, als würden sich die Bedingungen für Verteidigungsstrategien selbstverwalteter Räume ändern: die politischen AktivistInnen werden weniger an der Zahl und versuchen ihr Glück durch eine strategische Ausweitung auf’s Partypublikum. Auf ein Partypublikum darf man/frau sich im Ernstfall aber auf gar keinen Fall verlassen: es macht, was es will, vor allem wenn die Party vorbei ist. Dann ist eben auch Hakim Bey’s temporäre autonome Zone vorbei. Ja, sie war dann eben nur allzu temporär! Für selbstverwaltete Projekte braucht es aber eine Mindestanzahl von politischen AktivistInnen, die sich für ihr Projekt auch verantwortlich fühlen und über eine gewisse Zeit hinweg einsetzen – und nicht nur an jenen Tagen, an denen es unheimlich Spaß macht. Es ist zu fürchten, daß es heute eher weniger als mehr solcher AktivistInnen gibt. Das bedroht die soziale Machtbasis eines Projekts wie des Autonomen Zentrums Heidelberg.

Zu fürchten ist zudem, daß bei einer Weiterverfolgung dieser Strategie gemäß den Forderungen von Hakim Bey auch gesellschaftliche Zielvorstellungen über Bord gehen: das örtliche Käseblatt Heidelbergs, die Rhein-Neckar-Zeitung, kommentierte und berichtete über die Party- Besetzungsaktionen äußerst wohlwollend und bewegte sich auf eine Linie hin zur Tendenz, das AZ sei in Wirklichkeit ja ein ganz apolitisches Jugendzentrum lauter netter junger Leute – und sowas könne in Heidelberg schon geduldet werden. Auch wird in manchen Presseinterviews von einem Sprecher des AZ plötzlich der Begriff der Gewaltlosigkeit für die ganzen Aktionen des AZ in einem harmlosen apolitischen Sinn gebraucht, der gut zum Scheinbild eines braven Jugendzentrums paßt. Als Ziel der Strategie bleibt letztlich nichts anderes übrig als der Appell an die Stadtadministration, und das letztlich aus einer Position der Alternativlosigkeit und Abhängigkeit heraus, aus einer Position der Schwäche.

Die Stadt dagegen zeigte Stärke: als die AktivistInnen des AZ auf eine Einbunkerung oder Blockade am Tag des Auslaufens des Nutzungsvertrags verzichteten und symbolisch den Schlüssel übergaben, rückten ohne Zeitnot am selben Tag riesige Polizeikräfte und Abrißbagger an, um demonstrativ noch am selben Tag das alte AZ abzureißen. Und auch als in einigen Stadtteilgemeindeverwaltungen anderntags die Türen mit Sekundenkleber verklebt waren und einige Baufirmen Schaufensterschäden vermeldeten, wandte sich Frau Weber über die Presse an die AktivistInnen und forderte eine öffentliche Erklärung, daß solche Sachschäden in Zukunft unterblieben, oder sie führe gar keine Verhandlungen über ein Ersatzobjekt mehr – eine Frechheit angesichts der nie eingelösten Zusagen der Stadt.

Die AktivistInnen sind zur Zeit also auf die Einhaltung der Versprechen der Stadt angewiesen. Real hat daher das Vertrauen auf eine Strategie der temporärer autonomen Zonen recht wenig erbracht. Es stellt sich die Frage, ob nicht die alte kämpferische Strategie mit einer entschlossenen Hausbesetzung besser gewesen wäre. Und auch die Gewaltfreiheit ist ihres kämpferischen Charakters beraubt worden, indem sie sowohl in der bürgerlichen Presse wie auch vom AZ-Sprecher mit der Jugendzentrumsperspektive verknüpft wurde. Es sieht so aus, als müsse erst wieder bewiesen werden, daß selbstverwaltete Räume mittels der direkten gewaltfreien Aktion erkämpft werden müssen. Hakim Bey hat seine Bewährungsprobe in Heidelberg vorerst nicht bestanden.