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„Das Projektil sind wir.“

Zur Kritik kurdischer Selbstverbrennungsaktionen als Teil autoritärer und bewaffneter Ideologie

| Harold the Barrel

Es fällt schwer, angesichts der gegenwärtigen Situation in der Türkei, in Kurdistan und auch in der BRD, klaren Kopf zu behalten und sich nicht von emotionalen Tendenzen hinreißen zu lassen. Der nationalistische Triumph der türkischen Politik und Presse über die Öcalan- Kidnappings-Aktion ist widerlich. Das Verfahren, die öffentliche Schikanierung der AnwältInnen bis hin zur Morddrohung, die Bedrohung durch Folter und Todesstrafe des Gefangenen Öcalan sind es auch. Der kurdische Widerstand wird pauschal als gewaltsam diffamiert. Doch die Diffamierung enthebt uns nicht einer eigenständig libertären und gewaltfreien Kritik an bestimmten Aktionsformen, insbesondere der Selbstverbrennungsaktionen kurdischer NationalistInnen. (Red.)

Die Türkei nutzt ihre neu gewonnene diplomatische Stärke zum nächsten Militärfeldzug ins kurdische Gebirge, um auch die letzten Reste von Widerstand auszumerzen. Auch die bundesdeutsche Politik und die öffentliche Berichterstattung sind bezeichnend: anstatt über die Mafiamethoden der Geheimdienste und internationales Kidnapping im Regierungsauftrag zu berichten oder auf die Kontinuität bundesdeutscher Waffenexporte in die Türkei hinzuweisen, die vom grünen Außenministerium ebenso wie unter Kinkel bestritten werden (taz, 3.3.99), wird über angebliche „Kurdenkrawalle“ hergezogen. Kurdische Menschen werden über einen Leisten geschlagen, kollektiv der PKK zugeordnet und die Regierung sucht nur noch nach Methoden, sie trotz der Bedrohung durch Folter in die Türkei abschieben zu können.

Dagegen wehren sich KurdInnen mit Recht. Und scheinbar stellt sich angesichts des wahrnehmbaren Widerstands einer minoritären MigrantInnengruppe in der BRD lediglich die Frage, warum sie bis auf wenige Ausnahmen allein bleibt, warum hier keine bundesdeutsche Solidaritätsbewegung engagiert an ihre Seite tritt. So berechtigt diese Frage ist und schlichtweg auf die Schwäche antirassistischer Initiativen in der BRD verweist, sollte sich jede/r AktivistIn, die diese Solidarität aufbringen will und sie die letzten Jahre über bei den Demos und Polizeirepressionen zu den Newroz-Festen auch schon aufgebracht hat, dabei doch einige Fragen zu den Bedingungen der Solidarität stellen. Ob unter diesen Bedingungen und dem Willen, sie innerhalb der Proteste durch kritische Diskussion einzufordern, sich dann beteiligt wird, oder ob diese Bedingungen momentan eine Beteiligung verunmöglichen, ist dann erst die nächste Frage, um die es mir hier gar nicht geht.

Die Beliebigkeit der Angriffsobjekte des kurdischen Widerstands

Aber ist die Rede von „Bedingungen“ aus einer privilegierten europäischen Situation heraus nicht selbst schon rassistisch, eine Zumutung an KämpferInnen innerhalb einer brutalen Situation in der „Dritten Welt“ und ihrer metropolitanen Exilszenerie? So nahe dieser Gedanke manchmal liegt, so falsch ist er doch. Wirklicher Universalismus fordert eine gleichberechtigte Diskussion ein, Kritik und Gegenkritik. Während der herrschende Rassismus alle KurdInnen pauschal verdammt und negativ beurteilt, ist das Aufgeben jeder eigenen Position aus bedingungsloser Solidarität dazu nur seine Kehrseite, ein negativer Rassismus, der alles in den Himmel lobt und unhinterfragt akzeptiert, wenn es nur von KurdInnen gesagt und getan wird. Wir kennen die Zusammengehörigkeit der scheinbaren Gegensätze von Antisemitismus und Philosemitismus aus der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte im Verhältnis zu Israel vor und nach 1967 – im Verhältnis zu jedem Befreiungsnationalismus ist das prinzipiell nicht anders. Die Qualität nichtrassistischer Diskussion macht gerade aus, der eigenen Position nicht aus falsch verstandener bedingungsloser Solidarität abzuschwören, sondern sie in die Diskussion einzubringen. Wer in der Lage ist, etwas genauer hinzusehen, weiß ja, daß weder Parteistruktur noch Ideologie der PKK noch die Geschichte des Marxismusstudiums Öcalans im Vorfeld der Partei auch nur irgendetwas originär „Kurdisches“ sind, sondern von Europa exportierte Ideologien und Konzepte. Es wäre absurd, dies heute aus „Solidarität mit Kurdistan“ als EuropäerIn nicht kritisieren zu dürfen. Im Gegenzug sind die von uns befürworteten Kampfformen der gewaltfreien Aktion und des zivilen Widerstands nicht ausschließlich in der privilegierten Situation demokratischer Verhältnisse in Europa entstanden, sondern massenhaft auf die bisher umfassendste Weise im indischen Unabhängigkeitskampf gerade gegen die europäischen Kolonialmächte zur Anwendung gebracht worden. Vor diesem Hintergrund wäre die Befürwortung gewaltfreier Kampfformen keineswegs gleichzusetzen mit einer Bevormundung der kurdischen KämpferInnen, die sich für gewaltsame Aktionen entschieden haben.

Eine weitere Kritik betrifft die Ungenauigkeit der Angriffsobjekte des kurdischen Widerstands. Für eine Solidarisierung mit bundesdeutschen AktivistInnen würden sich Ziele von Aktionen wie Rüstungsfirmen, Militär- und Ausbildungsstätten anbieten, die im Zentrum der deutsch- türkischen Militärzusammenarbeit stehen, zum Beispiel die Saarlandbrigade der Bundeswehr. Ich habe mich mehrfach gefragt, was denn der Sinn einer Besetzung und Zerstörung des Materials in einer griechischen Botschaft oder einem griechischen Konsulat für einen kurdischen Widerstand sein könnte. Und mir ist außer einem vermutlichen Akt der Verzweiflung und der öffentlichen Kritik des Verrats durch den griechischen Staat zu einem Zeitpunkt, als es dafür bereits zu spät war, keine vernünftige Antwort eingefallen. Dagegen würde der Sinn der Blockade, Besetzung oder Sabotage an Gütern einer Firma in der BRD, die gerade einen türkischen Rüstungsauftrag bearbeitet oder in der Vergangenheit geliefert hat, unmittelbar einleuchten und wäre viel weniger durch die bürgerliche Presse diffamierbar. Der Waffenhandel mit der Türkei und die beteiligten Firmen und Institutionen – Eurocopter (Kampfhubschrauber), Howaldt- Deutsche Werft/Thyssen (U-Boote), Bundesregierung (NVA-Restbestände: 350.000 Kalashnikows, 300 Panzer BRT, 30 Flugzeuge, 100.000 Panzerfäuste, 440 Mio. Stück Munition), Rheinmetall & Heckler-Koch (Maschinengewehre), Krauss-Maffai (Leopard-Kampfpanzer), Eurometall (Artilleriegranaten), Dasa/Daimler-Benz (Abwehrraketen), Lürssen-Werft Bremen (Schnellboote) usw. usf. – ist inzwischen vielfach dokumentiert, Informationen sind leicht zu beschaffen.

Auch wenn der Aufruf zum Widerstand von der PKK kam, müssen selbst die deutschen StaatsanwältInnen, die bestimmt liebend gern die Anklage der PKK von einer „kriminellen“ zu einer „terroristischen Vereinigung“ verschärfen würden, zugeben, daß es keine zentrale Steuerung der Proteste gab, sondern daß es durchaus Freiheiten für die AktivistInnen zur Bestimmung dessen gab, welche Objekte angegriffen werden.

Schließlich muß ich auch die Auswahl eines israelischen Konsulats als Zielobjekt kritisieren, obwohl ich den dort herrschenden Schießbefehl und den Mord an vier kurdischen Menschen einfach nur als brutal bezeichnen kann. Es zeugt aber von einem bornierten kurdischen Nationalismus der AktivistInnen, wenn sie sich über die Brisanz einer Besetzung israelischer Einrichtungen in der bundesdeutschen innenpolitischen Situation nicht im klaren sind. Daß jüdische und israelische Institutionen in der BRD angesichts der spezifischen Geschichte des Holocaust ebenso wie angesichts aktueller neonazistischer Bedrohungen besonders geschützt werden und dort die Waffe besonders locker sitzen kann, muß man/frau einfach wissen, wenn sie Zielobjekt von Protestaktionen werden. Gerade hier ist besondere Sensibilität vonnöten, auch angesichts der Tatsache, daß AktivistInnen aus der BRD gegenüber israelischen Einrichtungen einen anderen Zugang vor dem Hintergrund ihrer eigenen Geschichte haben müssen als KurdInnen. Eine Mindestbedingung an kurdisch-deutsche Zusammenarbeit im Protest wäre es, solche Zielobjekte – wenn überhaupt – nur aufgrund absolut gesicherter Informationen auszuwählen und gerade hier auf die Gewaltfreiheit in der Aktion besonders zu achten. Doch die Beteiligung des israelischen Geheimdienstes an der Verschleppung Öcalans war zwar ein nicht unwahrscheinliches Gerücht, doch zum Zeitpunkt der Aktion keineswegs bewiesen und es ist immer fragwürdig, Behauptungen im für alle sowieso undurchschaubaren Gestrüpp der Geheimdienste zur legitimatorischen Grundlage einer Aktion zu machen. Es darf die kurdischen WiderständlerInnen einfach nicht wundern, daß sich mit solchen Aktionen keine deutschen AktivistInnen solidarisieren können – sogar angesichts der brutalen Morde durch die israelischen Beamten.

Die Unmöglichkeit, Bilder von brennenden Menschen zu betrachten: Kritik der Verzweiflung über den Führerverlust als Ausweis autoritärer Hörigkeit

Bestimmte Seiten aus den Presseberichten über die Öcalan-Festnahme und die folgenden KurdInnen-Proteste habe ich nicht lesen können, den Spiegel-Artikel in Nr. 8/99, S.22/23, nicht (Foto einer kurdischen Selbstverbrennung in Nikosia) und auch nicht die taz-Themenseite vom 17.2. nicht (Foto einer kurdischen Selbstverbrennung in Athen). Ich kann solche Seiten nicht lesen, weil der Blick immer wieder auf diese mir ganz brutal erscheinenden Bilder gelenkt wird.

Was drücken diese Aktionen aus? Im Spiegel 8/99 wird an anderer Stelle über die Kurdin Fatma Saka aus Hechingen berichtet, die sich mit Zitronenparfüm übergoß, dann anzündete und tagelang in der Unfallklinik Tübingen mit dem Tode rang. Es ist bezeichnend, daß die bürgerlichen Medien diese Aktionen gar nicht meinten, als sie die kurdischen Proteste als „gewaltsam“ oder „terroristisch“ diffamierten. So drückte auch der Hechinger Bürgermeister Weber zur Selbstverbrennungsaktion von Fatma eher Unverständnis denn Diffamierung aus: „Ich kann das nicht verstehen.“ Ich hingegen finde eine Botschaftsbesetzung nicht per se gewaltsam, wenngleich in vielen Fällen das Abstellen von Benzinkanistern, die Versuche zur Geiselnahme oder die Ausrüstung mit Knüppeln usw. jeden gewaltfreien Charakter zunichte machten. Den deutlichsten Hinweis auf die gewaltsame Strategie der Protestaktionen geben mir diese Selbstverbrennungsaktionen.

Sie sind zunächst eine Verzweiflungstat. Sie sind nicht unmittelbar Ausfluß einer Anordnung der PKK von oben, sondern Teil einer freiwilligen Knechtschaft des kurdisch-nationalistischen Bewußtseins. Es ist eine geistige Abhängigkeit von der Führungsperson Öcalan, der symbolisch für die ganze Nation steht. Die Auswirkungen des Personenkults autoritär strukturierter Parteien lassen sich nie rein rational fassen: Fatma Saka hat weder einen Auftrag bekommen, sich selbst zu verbrennen, noch ihre Eltern vorbereitet oder vorgewarnt. Sie wurde in ihrer Berufsschule als „stilles Mädchen“ und von ihrem Vater – das ist gar nicht unwichtig – als „züchtig und folgsam“ beschrieben. Ihr ganzer Lebensalltag spielte sich innerhalb ihrer beengt (neun Personen in vier Zimmern) lebenden Familie ab, in welcher permanent Med-TV läuft. Der Vater und ein Onkel waren Opfer türkischer Folter bzw. verwundet als PKK-Kämpfer. Der Personenkult wirkte nun im Bewußtsein von Fatma so, daß nach der Festnahme des Führers keine Perspektive auf Zukunft mehr bestand: also mußte der erste Schritt zum Widerstand – noch dazu angesichts der unklaren Zielobjekte von Aktionen – eine Selbstzerstörung sein. Hätte ihr jemand rational darzustellen vermocht, daß ja ein anderer Kämpfer Öcalans Stelle einnehmen könnte oder wäre auch die Entscheidungsstruktur der PKK auf mehrere Schultern verteilt, hätte dieser irrationale Eindruck vom absoluten Ende aller Hoffnung auf Unabhängigkeit nicht oder sehr viel schwieriger entstehen können. Öcalans Position in der Struktur der PKK verstärkte also die Irrationalität, die zu einer Verzweiflungstat solchen Ausmaßes nötig ist. Es ist eine Form der freiwilligen Knechtschaft und Ergebnis nationalistischer Autoritätshörigkeit. Der, für den alles eigene Leben zu opfern wäre, ist nicht mehr da, er ist gefangen, entwürdigt. Also hat auch das eigene Leben keinen Sinn mehr.

Kritik der Selbstzerstörung als Teil des bewaffneten Kampfes

Die Verzweiflung ist aber nur die eine Seite der „Aktion“ und spielt sich im subjektiven Bewußtsein der „Aktivistin“ ab. Gleichzeitig ist die Tat eine nationalistische Widerstandsaktion, so auch im Bewußtsein der Verwandten. Der Vater wollte zwar nicht, daß Fatma dies tue, jetzt aber ist er nicht etwa bestürzt ob ihrer Unfolgsamkeit – nachdem sie bisher so folgsam war -, sondern „solz“ auf seine Tochter. Und der Onkel, der Ex-PKK-Guerillero „deutet an, auch er werde sich vielleicht eines Tages vielleicht noch verbrennen.“ (nach Spiegel 8/99, S.28)

Daß auch der Onkel mit all seiner Erfahrung im bewaffneten Kampf daran denkt, ist interessant. Bei ihm – wie wohl auch schon bei Fatma – geht die Aktion ganz sicher nicht im Verzweiflungsakt auf. Er würde sie eher als Fortsetzung des bewaffneten Kampfes verstehen.

Und hier haben die Selbstverbrennungsaktionen ihren strategischen Ort und sind gleichzeitig sinnfälligstes Beispiel für das ganze Verhaftetsein der PKK in der Tradition des bewaffneten Kampfes. Selbstverbrennungsaktionen werden verstanden als bewaffnete Aktion in Zeiten größter militärischer Defensive. Ein anderer PKK-Aktivist in Hechingen sagte: „Für die Freiheit tun wir alles. Wer eine Waffe hat, nimmt seine Waffe.“ (Spiegel) Doch erstens ist die PKK in der Türkei in der militärischen Defensive, zweitens haben die AktivistInnen hier in der BRD aufgrund des gesetzlichen Verbots nicht immer eine Waffe. Wer also keine Waffe hat, kann immer noch – in Zeiten der totalen Defensive – seinen/ihren eigenen Körper zur Waffe machen.

Um den Stellenwert der körperlichen Selbstzerstörung in Zeiten absoluter militärischer Defensive zu verdeutlichen, möchte ich eine Parallele zur Geschichte der Rote Armee Fraktion (RAF) aufzeigen. Als 1977 die Flugzeugentführung gescheitert und die Geiseln frei waren, befand sich auch die RAF unmittelbar in einer Situation der militärischen Defensive. Daß die Gefangenen in Stammheim (Baader, Ensslin u.a.) über die zur Selbsttötung nötigen Waffen verfügten, ist heute zweifelsfrei erwiesen, daß sie sie nicht zum Ausbruchsversuch nutzten ebenso. Wenn von der Wahrscheinlichkeit der Mordthese an den damals getöteten RAF-Gefangenen, die heute nur noch Irmgard Moeller behauptet, abgerückt wird, wie Karl-Heinz Dellwo das in einer Aufarbeitung in der taz vom 27.6.98 gemacht hat, dann rückt die Selbstzerstörung als Teil des bewaffneten Kampfes in den Mittelpunkt der Betrachtung:

„Wir hatten eine bestimmte Art von Kampfmoral und haben es als emanzipatorisches Ziel gesehen, über uns selbst vollständig zu verfügen. Von Andreas Baader stammt der Satz, der zusammenfaßte, was wir gedacht haben: ‚Das Projektil sind wir‘. Das war unsere Mentalität. Du machst dich selber zum Projektil gegen die Macht, die du zerstören willst. Im Mordgeschrei wird so getan, als hätten wir nie so gedacht.“ (taz-mag, 27.6.98)

Die Projektile sind damals losgegangen, haben den Mordmythos geschaffen und damit die Zeit des bewaffneten Kampfes der RAF um ca. 15 Jahre verlängert. Nur ist diese Kampfmoral weder emanzipatorisch noch RAF-spezifisch, sondern Bestandteil jeder militärischen Strategie in extremer Defensive. Die militärische Defensive, die unmittelbare Erfahrung einer voraufgehenden militärischen Niederlage, wäre in Wirklichkeit jedoch gerade eine Chance, sich vielleicht anderen Kampfformen zuzuwenden, etwa einer neuen Bündniskonstellation – im Falle der PKK mit Teilen der türkischen Linken oder auch der deutschen Linken in der BRD zum Beispiel – oder gar der gewaltfreien Aktion bzw. dem zivilen Ungehorsam, der früher bei den Newroz-Festen massenhaft und nicht ohne Erfolg bereits praktiziert worden ist. Die Selbstzerstörung als militärische Strategie in der totalen Defensive verhindert aber gerade solche Aufbrüche in einer offensichtlichen Situation des Scheiterns der Gegengewalt und hält alle Bewußtseinskapazitäten in den Kategorien und Denkformen des bewaffneten Kampfes fest. Deshalb stehen heute mit der PKK und dem türkischen Militär immer noch zwei bewaffnete Formationen einander gegenüber, von denen die eine lediglich in der absoluten militärischen Defensive steckt. Wenn die bewaffnete Strategie aber nicht wirklich hinterfragt wird, was diese Selbstverbrennungsaktionen wie sonst kaum eine andere Aktion bezeugen, wird eine Solidarisierung gewaltfreier und anderer Bewegungen aus der BRD schwierig bis unmöglich.

Die hier analysierte Kritik der Selbstzerstörung schließt übrigens auch jene „Aktionen“ ein, die bewußt nicht im Kontext einer bewaffneten Strategie stattgefunden haben, etwa die Selbstverbrennungen der buddhistischen Mönche in Vietnam oder der Oppositionellen in Prag und der BRD (Hartmut Gründler). Auch ihre Aktionen kann ich beim besten Willen nicht als gewaltfrei bezeichnen, was ausführlicher zu begründen wäre, hier aber aus Platzmangel unterbleiben muß.

Klaus Theweleit hat übrigens kürzlich in seinem neuen Buch „Ghosts“ die Dellwo-Aufarbeitung einer interessanten Gewaltkritik unterzogen: „Ein Heldentod also, selbstgegeben.“ (Ghosts, Frankfurt/M. 1998, S. 94) Der Zweck der militärischen Übung ist die Schaffung von Märtyrern. Das Opfer, so auch Vater Saka, das seine Fatma in Hechingen gegeben habe, müsse er respektieren, es sei ein Opfer, das wichtiger als ein Mensch sei – und sei es nun eben seine Tochter! Daher ist der Patriarch auch stolz auf seine Tochter, die Märtyrerin hat sich für die neue Nation geopfert. Für solch hehre Ziele kann das Leben der eigenen Tochter schon mal hingegeben werden – mit Emanzipation hat dieser patriarchal- nationalistische Besitzanspruch am Leben einer Frau aber auch gar nichts zu tun.

Theweleit weiter:

„Der Satz mit dem Projektil war mir schon (einmal, d.A.) aufgefallen. Am Rand des Buchs habe ich seinen Autor vermerkt, nicht Andreas Baader, sondern Ernst Jünger. Dies ist einer der Sätze, in denen Ernst Jünger die ‚Mentalität‘ des deutschen Sturmtruppsoldaten von WK I festzuhalten suchte. Von Dellwo im Juni 98 als ‚Beweis‘ gegen die These vom ‚Mord an den Stammheimern‘ vorgebracht.“ (ebenda, S. 94)

Der Sturmangriff in den Schützengräben des 1. Weltkriegs war eine Form der militärischen Defensive, reine Verzweiflungstat angesichts des im Stellungskrieg festgefahrenen Krieges. Zugleich war er aber auch Selbsttötung, sprichwörtliche Selbstmordaktion der beteiligten Soldaten, weshalb am Kriegsende ca. 80.000 französische Soldaten aus den Gräben desertierten.

Auch im Falle der Kampfstrategien der PKK wie auch der autoritärshörigen KurdInnen muß die kollektive Desertion erst noch stattfinden.