Viel wird derzeit in den bürgerlichen Medien über die Lage der Flüchtlinge aus dem Kosovo berichtet, die Spendenbereitschaft ist hoch wie nie. Zu kurz kommt allerdings die Lage der Opposition in Serbien, die seit den Angriffen der NATO noch weiter an den Rand gedrängt wurde und sich kaum noch äußern kann. Wir wollen versuchen, einen antimilitaristischen Blick auf die Situation in Serbien zu wagen. (Red.)
Seit Beginn der NATO-Bombardierungen haben sich die Bedingungen für die serbische Opposition massiv verschlechtert. „Die NATO-Militärintervention hat alles, was wir erreicht haben, untergraben, und gefährdet das bloße Überleben des zivilen Sektors in Serbien“, so eine Erklärung 17 serbischer NGOs vom 6. April, in der unter anderem der sofortige Stopp der Bombardierungen und aller bewaffneter Aktionen gefordert wird. Die NATO-Bombenangriffe sind „ein letzter Schlag gegen die Möglichkeiten einer Demokratisierung in Serbien“ resümiert ein derzeit in Budapest lebender serbischer Kriegsgegner in einem email vom 8. April.
Nationalistische Mobilisierung
„Wenn man nach den Fernsehspots des Regimes geht, sind Singen und Schießen die wesentlichen Entspannungen junger Menschen, insbesondere der Männer in Serbien.“ So beginnt ein Bericht einer Antikriegsgruppe aus Belgrad vom 19. März, also noch kurz vor Beginn des Krieges. „Die patriotische Propaganda hat ein derartiges Niveau erreicht, daß sie bis vor kurzem vollkommen widersinnig erschien. Stellungnahmen von Menschen in den unabhängigen Zeitungen und Medien im Februar ’99 haben eine ‚verblüffende Gleichgültigkeit‘ gezeigt. Fast niemand dachte, daß die Drohung mit Bombardierungen verwirklicht würde. Die Menschen auf der Straße waren gleichgültig. … Es sah so aus, als ob der Fernsehsender des Regimes die Menschen nicht entsprechend vorbereitet hatte, ‚als ob ihnen noch nicht erzählt worden war, was sie denken sollen‘.“
Über die militärische Mobilisierung wurde ebenfalls äußerst selten berichtet. Dennoch stieg seit Februar gerade im Süden Serbiens – den an das Kosovo angrenzenden Regionen – die Angst, was durch die Mobilisierung von Reserveeinheiten der jugoslawischen Armee noch gesteigert wurde. Vor allem Mitglieder der Luftabwehr wurden zunächst eingezogen.
„Die Mobilisierung begann irgendwann nach Ende der ersten Runde der Verhandlungen in Rambouillet. Wie schon früher, schlägt die Mobilisierung in den Regionen außerhalb Belgrads viel härter zu, als in der Hauptstadt. Schon vor dem Februar begannen sich junge Männer in vielen Städten in Serbien zu verstecken, wie von ’91 bis ’99.“
Noch im März kamen nur wenige den Mobilisierungen nach. Mitte März wurde daher die Militärdienst für die noch dienenden Soldaten verlängert. Es kam auch zu Protesten. So demonstrierten noch am 17. März in Leskovac (im Süden Serbiens, nahe dem Kosovo) 100 Reservisten: „Laßt diejenigen, die uns in einen Krieg führen wollen, in den Krieg ziehen, wir werden nicht gehen.“
Die Rekrutierungsmethoden wurden immer härter. Autos werden angehalten und die Papiere der Insassen kontrolliert. Wer sich nicht ausweisen kann oder einberufen wurde, wird mitgenommen. Eine Zuhörerin von Radio B92 bezeugte: „Sie nehmen Leute mit, schnappen sie während der Nacht, weil sie nicht freiwillig kommen.“
Die Entwicklung seit dem Beginn der Bombardierungen
Seit dem Beginn des NATO-Angriffs hat sich die Situation weiter verschärft. „Der Umfang der Mobilisierung in Serbien ist ohne Beispiel und viele meiner Freunde waren unter denjenigen, die kürzlich einberufen wurden“, heißt es am 6. April aus Budapest. „Es scheint keinen Ausweg zu geben. Jeder Einberufungsbefehl gilt als zugestellt, ob die Person zu Hause ist oder nicht. Für diejenigen, die der Einberufung nicht nachkommen, werden Militärgerichte eingerichtet. Alle Strafandrohungen wurden erhöht und einige Quellen berichten, daß die Todesstrafe wieder eingeführt wurde. Die meisten Leute kommen den Einberufungen nach, was man verstehen kann, wenn man die Umstände des totalen Krieges betrachtet, den die NATO im Moment gegen Serbien, nicht Milosevic, führt.“ Flucht wird immer schwieriger, da zum einen die Grenze nach Ungarn für alle Männer zwischen 18 und 60 Jahren geschlossen wurde, zum anderen alle Brücken nach Kroatien mittlerweile zerstört sind, das gleiche gilt für die Brücken nach Montenegro, wo es derzeit noch etwas sicherer ist als in Serbien selbst – wie lange noch ist allerdings offen.
Trotzdem sind die Gefängnisse voll. Schätzungen sprechen von 50.000 Verweigerern und Deserteuren, so ein Bericht der Frankfurter Rundschau vom 23. April 1999, darunter vor allem Menschen aus Montenegro und Angehörige der rumänischen und ungarischen Minderheit in der Vojvodina. Geschnappte Verweigerer werden vor die Wahl zwischen Gefängnis und Militär gestellt – die meisten wählen letzteres.
Demokratie in Serbien?
Die Folgen für eine demokratische Zukunft Serbiens sind fatal. „Mit der Verstärkung der NATO- Bombardements verschwindet jede Hoffnung auf eine Lösung des Kosovo-Problems, für die Demokratisierung in Serbien, für Stabilität und Wohlstand auf dem Balkan“ heißt es aus Budapest. Und weiter: „Es ist kein Wunder, daß sich in dieser Situation viele ehemalige Oppositionelle zu Milosevic und seiner Regierung wenden. Die gleichen Menschen, die vor nur wenigen Jahren geschlagen und inhaftiert wurden, weil sie amerikanische Flaggen getragen hatten, verbrennen diese nun.“
Die Frauen in Schwarz, eine der couragiertesten pazifistisch-feministischen Gruppen in Serbien, berichten von einer zunehmenden nationalistischen Aufheizung, die sich u.a. in den täglichen Konzerten auf dem Platz der Republik zeigt. Dies wirkt sich auch auf an dere Minderheiten in Serbien aus: „Wir sahen eine Gruppe von Roma, die ihre Loyalität zum Staat vor der US-Botschaft demonstrierten, und andere mit Slogans wie ‚wir werden unser Leben geben, doch Kosovo nicht aufgeben‘; ‚Kosovo ist Serbien‘, und mit Klagen über die AlbanerInnen des Kosovoa. Hier ist die Logik der Unterdrückten offensichtlich – sei mit den Starken. Es ist schrecklich.“ Auch dies ein Unterschied zu früher, wie von einem Kriegsgegner aus Budapest berichtet wird: „Es gibt Geschichten von spontaner Gewalt und Angriffen auf albanische Geschäfte, Intoleranz gegenüber Roma usw. Die Homogenisierung, Fremdenfeindlichkeit und das nationalistische Denken sind überall präsent. Für diejenigen von Euch, die sich erinnern: das war während des Krieges in Kroatien und Bosnien nicht der Fall.“
Am 11. April wurde der prominente regimekritische Publizist Slavko Curuvija auf offener Straße in der Belgrader Innenstadt von zwei schwarz gekleideten Männern erschossen. Dieser Mord hat die Situation der KriegsgegnerInnen weiter verschärft. Der Mord ist eine makabre Erinnerung an die Drohungen des serbischen Vizepräsidenten Seselj vom September letzten Jahres. Damals drohte er explizit der Opposition innerhalb Serbiens für den Fall eines NATO-Angriffs mit Lynchjustiz und nannte namentlich u.a. das Helsinki-Komitee für Menschenrechte, den Belgrader Kreis und die Frauen in Schwarz. Die Gefährdung des „bloßen Überlebens des zivilen Sektorss mit Lynchjustiz und nannte namentlich u.a. das Helsinki-Komitee für Menschenrechte, den Belgrader Kreis und die Frauen in Schwarz. Die Gefährdung des „bloßen Überlebens des zivilen Sektors“, die die serbischen NGOs in ihrer Erklärung betonen, ist somit äußerst real, auch wenn noch „keine Berichte über direkte Schikanen und Druck auf einzelne Oppositionelle des Regimes bekannt (sind), abgesehen davon, daß einige Leute von der Polizei vorgeladen wurden“ – und von der Erschießung Curuvijas.
Noch einmal die Frauen in Schwarz: „Die Sache wird permanent schlimmer, die ‚zweite Phase‘ hat begonnen, kein Kommentar! Ihr habt mehr Informationen als wir hier, doch wir wissen, daß diese Verschwörung des Militarismus – global und lokal – unseren Freiraum gefährlich reduziert, und bald wird es diesen Raum nicht mehr geben. (Wie den globalen Militarismus denunzieren, ohne den lokalen zu denunzieren? Wie die Bombardierungen verurteilen, ohne die Massaker, die Unterdrückung zu verurteilen!) Mit dem Horror, den die Menschen des Kosova durch die NATO-Intervention durchleben, zahlen sie sogar einen höheren Preis als vorher. Die NATO am Himmel, Milosevic am Boden. Im Moment funktioniert unser menschliches Ghetto gut, mittels gegenseitiger Unterstützung. Eure Unterstützung stärkt uns, sie bedeutet uns wirklich viel. Ich umarme Euch in tiefster Freundschaft und Zärtlichkeit.“