stoppt den krieg!

Warum gerade Jugoslawien/Kosovo?

Die Suche nach den wirklichen Kriegsmotiven der NATO

| Harold the Barrel

Das humanitäre Gefasel kanns ja nicht sein. Nach den Lageberichten des BRD- Außenministeriums war für abgeschobene Kosovo-AlbanerInnen noch im März 99 in Jugoslawien nichts zu befürchten. Das Schicksal der vertriebenen und massakrierten KurdInnen in der Türkei oder Tutsi in Ruanda hat sie ja auch nicht "angerührt". Was also sind die wirklichen Motive für den Krieg der NATO? (Red.-HD)

Daß die Motivlage nicht so eindeutig ist und platte monokausale Ursachenerklärungen nicht greifen, beweist schon die Vielfalt der Erklärungsansätze, die in der Diskussion sind. Auch die Tatsache, daß wohl alle, auch viele KriegsgegnerInnen, die so tun, als hätten sie längst davon gewußt, davon überrascht waren, daß die NATO für den Kosovo bereit ist, alles auf’s Spiel zu setzen, deutet auf die Unklarheiten der Motivlage hin. Schließlich hat Ex-NATO-Oberbefehlshaber Schmückle wiederholt darauf hingewiesen, daß sich die weltweiten militärischen Interessen der NATO hauptsächlich um ökonomische Motive drehen, vor allem um’s Öl (1). Im Kosovo gibt es aber kein Öl. Mit Ausnahme von Rugova, bei dem sicherlich der Nationalstolz mit durchklingt, hat auch noch niemand davon gesprochen, daß der Kosovo reich an weltwirtschaftlich interessanten Bodenschätzen wäre. Im Gegenteil: der Kosovo gilt als das Armenhaus Jugoslawiens. Warum also wird Jugoslawien angegriffen? Warum soll der Kosovo abgetrennt werden und in die Einflußsphäre des Westens geraten?

Zunächst muß das Interesse der kriegführenden Staaten differenziert betrachtet werden. Dann muß klar sein, daß es nicht nur um den Kosovo geht, sondern um die Beugung von ganz Jugoslawien. Wenn Jugoslawien hier nachgibt, hat es auch in anderen Regionen des Landes nichts mehr zu melden. Deswegen ist die Haltung der Milosevic-Regierung auch so unnachgiebig. Was also will die NATO mit einem botmäßigen Jugoslawien, das doch selbst schon lange nahezu die Hälfte seines ehemaligen Territoriums verloren hat? Worin liegt die weltpolitische Bedeutung dieser nicht einmal mit dem Irak vergleichbaren abgestiegenen Mittelmacht? Ich werde die sich in der Diskussion befindlichen Thesen der Reihe nach darstellen.

1. These: Bestrafung des IWF-Schuldners

Diese ökonomistische Erklärungsthese kommt aus dem parteikommunistischen und antiimperialistischen Spektrum und wird oft mit Verschwörungstheorien gepaart, die NATO habe von langer Hand geplant, Jugoslawien zu zerschlagen. Der rationale Kern ökonomischer Erklärungsansätze liegt darin, daß Jugoslawien im Kalten Krieg zwar Blockfreienmacht war, trotzdem aber vom Westen mit Währungsfonds-Krediten unterstützt wurde, um eine Wiederverannäherung an den damaligen Hauptfeind Sowjetunion zu verhindern.

Bereits in den 50er Jahren erhielt Jugoslawien die ersten US-Kredite. Die ökonomische Dreigliederung von in Ansätzen selbstverwalteten Betrieben, trotzdem beibehaltenen parteibürokratischen gesamtwirtschaftlichen Planungsdirektiven und der Ausweitung marktwirtschaftlicher Mechanismen klappte nicht. Als Tito 1980 stirbt, hat Jugoslawien bereits 20 Mrd. US-Dollar Schulden (2).

Unter seinen Nachfolgern bis hin zum letzten Präsidenten vor Milosevic, Markovic, wird in den 80er Jahren nach Plänen des Internationalen Währungsfonds ein wirtschaftsliberalistischer Kurs gefahren. Zwischen 1985 und 1991 erhielt Jugoslawien weitere Kredite in Höhe von 7 Mrd. Dollar, im selben Zeitraum flossen aber 23 Mrd. Dollar ab, an Zinsen und anderen Rückzahlungen. IWF und Weltbank setzten mit Markovic 1989 eine völlige Öffnung der Märkte und eine Antiinflationspolitik durch. EG-Billigprodukte kamen ins Land. Der Agrarsektor konnte nichts mehr exportieren, die Industrieproduktion sank 1990 um 30 Prozent und 1991 um 21 Prozent. Die Arbeitslosen bildeten das Potential der Milizen im kommdenden Bürgerkrieg – auch ein Zusammenhang, der nicht übersehen werden sollte.

Slowenien hatte zu Beginn der 90er Jahre ein Prokopfeinkommen pro Jahr von 5500 Dollar, Kroatien 3400 Dollar, Serbien 2200 Dollar, Kosovo 730 Dollar. Serbien hatte 30 Prozent Arbeitslose, der Kosovo bis zu 60 Prozent. Als Slowenien Ende 1990 als ersten Schritt zum eigenen Nationalstaat seine Zolleinnahmen nicht mehr an den Bundesstaat Jugoslawien abführte, hat die serbische Landesregierung unter Milosevic (seit 1987 Landespräsident) eigenmächtig und gegen Gesamtjugoslawien-Präsident Markovic die Notenpresse angeworfen, also einfach mehr Geld produziert, um Löhne auszahlen zu können. Damit unterlief Milosevic die gesamte Antiinflationspolitik des IWF. Das nun wiederum zeige den Willen zum Primat des Politischen über ökonomische Prozesse in Jugoslawien – der Westen habe das nicht vergessen und räche sich nun an Milosevic, so die These (3).

Dagegen, daß gegen eine Regierung, die nicht alle IWF-Auflagen erfüllt, Krieg geführt werden muß, spicht vieles: Mexico hat sich einfach bankrott erklärt und wurde umgeschuldet, anstatt bekriegt. Milosevic hat auch prokapitalistische Verdienste. Er hat 1986 den „Bund der Kommunisten Jugoslawiens“ übernommen und ihn aufgrund seines serbischen Nationalismus praktisch aufgelöst. 1990 ging daraus die von ihm geführte „Sozialistische Partei Serbiens“ hervor, wirtschaftlich eher sozialdemokratisch, antititoistisch und gegen Plansozialismus à la Komintern gerichtet, in welcher Milosevic den Ausgangspunkt serbischer Unterdrückung sieht. Milosevic war Banker bevor er KP-Chef wurde (4). Mit sozialistischem Widerstand gegen das „Weltkapital“ hat seine Politik nichts zu tun, mit nationalistischem Widerstand gegen den „Ausverkauf an ausländische Konzerne“ schon mehr. Aber reicht das als Kriegsmotiv für die NATO? Die Strafe für das übelgenommene Anwerfen der Notenpresse kommt entweder 9 Jahre zu spät, oder aber Milosevic wurde doch durch den Kriegsverlauf in den 90er Jahren längst bestraft!? Im Rambouillet-Vertrag, politischer Teil, steht auch drin, im Kosovo gehe es um die „Einführung der freien Marktwirtschaft“ – auch so ein neues „Menschenrecht“ der NATO (5). Das ist Stoff für antiimperialistische Verschwörungstheorien. Das Dumme ist nur: seit Beginn der 80er Jahre ist die freie Marktwirtschaft im Kosovo längst Realität!

2. These: Sicherung des „Erdbebengürtels“

Diese These nimmt die neue NATO-Strategie zum Ausgangspunkt strategischer Überlegungen und beschäftigt die bürgerliche Wissenschaft und vielleicht noch ein paar FriedensforscherInnen. Was schon im Irak begann, am 24.3.99 mit dem Angriff auf Jugoslawien fortgesetzt wurde, wurde am 24./25.4. beim Washingtoner NATO-Gipfel festgeschrieben: die NATO erklärt sich nicht mehr als ein Verteidigungsbündnis – was es real sowieso nie war -, sondern das revidierte „strategische Konzept“ beinhaltet explizit die Bereitschaft, auf bewußt vage gehaltene „Herausforderungen und Risiken“ oder „regionale und ethnische Konflikte jenseits des Bündnisgebietes“ zu reagieren (6).

In den think-tanks der US-Regierung kursiert das Schlagwort vom politischen „Erdbebengürtel“, der vom Balkan über den Kaukasus bis nach China reiche. Sexistischer wird auch vom „weichen Unterleib“ der früheren Sowjetunion mit seinen Rohstoffen gesprochen. Diese ganze Region soll mit der neuen NATO-Strategie „stabilisiert“ werden. Dahin zielen die NATO-Osterweiterung, bei der bereits Bulgarien und Rumänien an die Türe anklopfen, oder auch Angebote eines Marshall-Plans für Ex-Jugoslawien unter der Bedingung, daß die gesamte Region in das liberale Welthandelssystem integriert werden kann. Dahin zielen auch Anstrengungen zur Ruhigstellung Rußlands, damit das Kaukasus-Öl von US- und anderen Westkonzernen ohne Probleme über die Türkei ausgebeutet werden kann.

In dieser Sicht wirke die serbisch-nationalistische Politik wie ein Unsicherheitsfaktor. Festgemacht wird das an der Donauschiffahrt. Serbien, so heißt der Vorwurf, verriegele die Transitwege der Donau zum griechischen Hafen Saloniki. Gegen diese Kontrolle sei schon 1992 der kalifornisch-serbische Industrielle Panic vergeblich gegen Milosevic ins Rennen als Präsidentschaftskandidat geschickt worden. 1996 gründete die USA „Seci“, eine südosteuropäische Initiative zur Integration aller Donauanrainer in die Marktwirtschaft zur Vertrauensbildung und Stabilität. Serbien jedoch wurde schnell von der Seci ausgeschlossen. Für Rußland ist die Donau wichtig, weil sie die Linzer Stahlwerke in Österreich mit Eisenerz versorgt. Ungarn exportiert Getreide über die Donau in die Türkei (7).

Aber reicht das als Kriegsgrund? Wie wichtig ist die Donauschiffahrt trotz Rhein-Main-Donau-Kanal wirklich? Haben sich die Ökonomen nicht schon beim Bau des Kanals verschätzt? Ist nicht die Mittelmeerroute wichtiger denn je? Und: wenn es denn um Stabilität ginge, warum dann der Krieg? Er hat ja bereits jetzt schon 20-25 Prozent der Donauschiffahrt lahmgelegt – mehr als die serbische Regierung je konnte! Rußland wird ja durch solch einen Krieg erkennbar nicht ruhiggestellt. Die industrielle Kapazität Jugoslawiens wird durch die Bombardierung zerstört, aber selbst der britische Regierungsberater Jonathan Eyal sagt zu den Auswirkungen auf das Kriegsziel „Stabilität“: „Ein wirtschaftlicher und militärischer Zusammenbruch Jugoslawiens wäre das schlechteste Ergebnis für den Westen, weil er mitten auf dem Balkan ein strategisches Vakuum hinterließe.“ (8)

3. These: Patriarchaler Allmachtswahn als Grund für das „Hineinschlittern“

Dieses Dilemma führt zu der Vermutung, daß die Kriegsherren vielleicht gar nicht so sehr durchblicken, was sie da anrichten. Die neue Qualität dieses Krieges auch im Unterschied zum Golfkrieg 1991 liegt darin, daß während des Krieges eine Diskussion um die Kriegsziele entbrannt ist. Mann führt Krieg und weiß gar nicht, mit welchem Ziel, bzw. das Ziel ändert sich je nach Kriegsverlauf. Dieses Paradox kann nur unberechenbaren Folgen geschuldet sein, zu denen wohl auch die Vertreibung und die dadurch aufgeworfenen Probleme gehören.

Auf diesem Weg kommt man/frau zur oft etwas geringschätzig gehandelten, nicht ganz ernstgenommenen These des „Hineinschlitterns“, die aber sehr gut antisexistisch und antimilitaristisch gewendet und dadurch radikalisiert werden kann. Symbolhaft für diese These ist die „verirrte“ Rakete nach Sofia: eine peinliche Entblößung für diejenigen, die immer behaupteten, „chirurgische Schläge“ genauestens durchführen und „Kollateralschäden“ unter Kontrolle halten zu können. Sie können gar nichts, sie behaupten es bloß. So wie Männer in ihren Allmachtsphantasien oft nur behaupten, sie könnten dies und das, in Wahrheit aber die Folgen nicht überblicken können und sich dann die Ausführung oft als Offenbarungseid ihrer abstrakten Prahlerei erweist, so können auch die NATO-StrategInnen (Albright inbegriffen) interpretiert werden.

Sie haben die Lage falsch beurteilt, nicht gemerkt, daß der Kosovo für Serbien, nationalistisch über ein Jahrzehnt aufgeladen, eine ganz andere Bedeutung hat wie etwa Bosnien oder Kroatien. Sie haben geglaubt, das Dayton- Abkommen mit Milosevic, durchgesetzt mit militärischen Drohungen, würde sich in Rambouillet wiederholen lassen – deswegen auch das unsensible Verknüpfen des politischen mit dem militärischen Teil, deswegen auch der Annex B, das wie selbstverständlich erstmal hineingeschriebene Besatzungsstatut für ganz Jugoslawien. Weit gefehlt! Dann haben sie geglaubt, ein, zwei Tage Bombenwerfen würde genügen. Ebenfalls weit gefehlt! Die Liste der Fehlkalkulationen ließe sich noch in die weitere Kriegsführung hinein fortsetzen. Auch die Exporte ethnisch-nationalistischer Konflikte nach Macedonien, Montenegro, Albanien hatten sie nicht vorausgesehen (9). Es kann sogar sein, daß dieses praktische Desaster militärischer Drohgebärden mit dem absoluten Vertrauen auf die Abschreckungsdoktrin zusammenhängt, mit der die NATO den Kalten Krieg gewonnen hat, die jedoch nun, bei konventionellen Kriegen, fürchterlich versagt (10).

Das Erschreckende der Weltmachtpolitik ist, daß die PolitikerInnen tatsächlich ein so fürchterliches Chaos auf der Welt anrichten! Jede, aber wirklich jede Form von Anarchie wäre weniger chaotisch! Aber so ist es mit allen Militarismen. Sie glauben an die Doktrin, der Krieg sei eine Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Sie halten den Krieg für berechenbar, überblickbar. Das aber ist er nicht. Der Krieg hat seine eigene Dynamik und ganz unvorhersehbare Folgen, immer! Das wiederum vermischt sich mit der militärischen ebenso wie patriarchalen Doktrin, daß mann – einmal angefangen – nicht verlieren darf. Krieg endet nur mit Vernichtung oder Unterwerfung des Gegners, wie der Zweikampf zweier Männer im Ring. Diese Doktrin verlängert den Krieg und verhindert strukturell jede Wahrnehmung möglicher Kompromisse, die zum vorzeitigen Ende des Krieges führen könnten.

4. These: Die kriegstreiberische Internationale der Sozialdemokratie

Eine klassisch libertäre Herangehensweise wäre wiederum, sich bei der Ursachenanalyse die politische Klasse, die Krieg führt, einmal genauer anzusehen. Das macht ja niemand ernsthaft, und noch weniger ist man/frau geneigt, daraus Schlüsse für Kriegsursachen zu ziehen. Trotzdem schwirrt in manch historischen Analysen der Allgemeinplatz herum, linke Regierungen würden tendenziell öfters Krieg führen als rechte.

Wie dem auch sei, auffällig ist doch die Absolutheit der Sozialdemokratie an der Macht, die sich in dieser Kriegskonstellation offenbart: Clinton, Schröder, Blair sind geradezu klassisch-moderne Sozialdemokraten. Und auch Milosevic muß – wenn schon – am ehesten sozialdemokratisch eingeordnet werden. Daß an der Sozialdemokratie Blut klebt, wissen wir seit den Kriegskrediten von 1914, seit der Niederschlagung der Räterepubliken 1918/1919. Und daß Sozialdemokraten oft die schärfsten Nationalisten sind, sollte, wenn es denn unter Schumacher noch unter den Teppich gekehrt wurde, spätestens seit dem „Modell Deutschland“- Wahn der sozialliberalen Regierung der siebziger Jahre in der BRD bekannt geworden sein. Das gilt übrigens nicht nur für Milosevic, sondern ganz besonders auch für Blair. Durch das Mehrheitswahlrecht mit einer absoluten Machtfülle ausgestattet, kann Blair gegenwärtig als der deutlichste Kriegstreiber innerhalb der NATO benannt werden. Die Boulevardpresse und selbst konservative Kreise in Großbritannien bewundern ihn dafür. Sein Kalkül ist es, mit diesem Kriegskurs tief in konservative WählerInnenschichten einzubrechen und damit seine Macht wahlstrategisch auf Jahre hinaus zu sichern.

Auch in der BRD hat der Kriegskurs von Rot-Grün paradoxerweise ja eher zur Konsolidierung der Regierung beigetragen, nachdem sie von der Boulevardpresse und konservativen Blättern schnell zerpflückt und auch nach Umfragewerten bereits arg in den Keller gerutscht war. Die Grünen streiten noch ein wenig, aber die Grundsätzlichkeit des Streits wird stark überschätzt und die Beharrungskräfte, wegen einem Krieg die Macht nicht in Frage zu stellen, sind ungeheuer stark. Schon eher kann die Vermutung angestellt werden, daß Linke an der Macht tendenziell noch kriegerischer, noch gewaltsamer vorgehen als die Konservativen, weil sie ja alle wissen, daß sie ihre ursprünglichen Prinzipien verraten haben und sich nun als die besseren Einsichtigen vor den Konservativen beweisen müssen. Auch solche Mechanismen kommen dem Parlamentarismus und seiner Funktionsfähigkeit mit gerade linken Regierungen im Krieg sehr entgegen.

In allen Ländern, den USA, Großbritannien und der BRD sind die Antikriegsbewegungen schwächer, als sie noch beim Golfkrieg waren, weil SozialdemokratInnen an der Macht oder sozialdemokratisch geführte Regierungen immer auch bestimmte Oppositionspotentiale, aus denen Protest erwachsen könnte, einbinden. Die ArbeiterInnenbürokratie ist in all diesen Ländern ganz fest eingebunden, das zeigten auch die deprimierenden Gewerkschaftskundgebungen am 1. Mai. Die Potentiale des Protests aus Resten der sozialen Bewegungen in der BRD werden durch die Ströbele-Fraktion und auch die PDS im parlamentarischen Rahmen gehalten oder auf Parteien hin orientiert. Die PDS saugt auf, was den Grünen verloren geht. Die Einsicht, daß sogenannte linke Parteien an der Macht gnadenlos kriegstreiberisch sind, und daß die Alternative sein muß, die Dinge wieder selbst in die Hand zu nehmen, Frieden selbst durchzusetzen, geht im Vertrauen auf die Parteienalternative PDS verloren.

5. These: Der militärisch-industrielle Komplex der USA und die US-EU-Konkurrenz

Die von mir am ehesten favorisierte These hat jedoch mit Jugoslawien und dem Kosovo gar nicht mehr so viel zu tun. Symbolisiert wird sie durch die öffentlich kommentarlos zur Kenntnis genommenen Tatsache, daß der Washingtoner NATO-Gipfel von einem US-Rüstungskonzern bezahlt wurde. Die Verflechtungen zwischen Staat und Rüstungsindustrie, zwischen dem weltweit am höchsten verschuldeten Staatshaushalt und immer neuen Aufträgen an Rüstungskonzerne sind in den USA so eng, daß hier wohl ein innenpolitisches Hauptmotiv für die kriegstreiberischen Tendenzen der NATO zu suchen ist. In den 80er Jahren nannte man/frau diese Ursachenvariante den „militärisch-industriellen Komplex“, die enge Verzahnung zwischen Staat und Militär, verbunden durch intensive Lobbyarbeit der Rüstungskonzerne.

In dieser Hinsicht hat der Friedensforscher und intime Kenner der US-Militärpolitik Peter Lock im Zusammenhang mit einer Medienanalyse die These aufgeworfen, daß die von den Militärs durchgesetzte Bildlosigkeit (von einigen Flugzeugvideos ausgenommen) in einer auf Bilder angewiesenen Medienwelt während des Krieges durch Werbevideos von Rüstungsfirmen ersetzt werden, noch dazu gehandelt als Information und befreit von Werbekosten:

„Eine mächtige Lobby aus Militär, Rüstungsindustrie, den großen(militärischen) Forschungslabors, der Pentagon-Bürokratie und Abgeordneten, deren Wahlbezirke vom 300-Mrd.-US-$- Rüstungshaushalt profitieren, treibt unter dem Stichwort Revolution der militärischen Angelegenheiten (RMA = revolution of military affairs) eine auf Hochtechnologie beruhende Strategie voran, die auf ein automatisiertes Schlachtfeld zielt, das von entfernten Schaltzentralen gesteuert wird. (…) Nach der PR-Schau für die neuen zielgenauen, ferngesteuerten Waffen im Golfkrieg bedurfte es weiterer verbesserter Demonstrationen dieser neuen Doktrin, denn dem Kongreß war nicht entgangen, daß im Golfkrieg über 90 % der eingesetzten Bomben konventionelle Fallbomben ohne Zielsteuerung waren.“ (11)

Lock macht auch eine Rivalität der Waffengattungen in der US-Armee aus. Die Luftwaffe ist für die neuen High-Tech-Waffen die wichtigste Adresse. Nun sehen Heer (zum Heer gehören z.B. die Apache-Hubschrauber und dafür zuständige Truppen) und Marine mit Vergügen, wie sich gegenwärtig die Luftwaffe blamiert und drängt auf den eigenen Einsatz.

Diese Mechanismen wirken im militärisch-industriellen Komplex zusammen und in ihrer ganzen Verbindung ungeheuer explosiv. Sie sind die innenpolitische Triebkraft des Krieges. Wichtiger als das Ziel ist ihren Planstäben, daß die vorhandenen Waffengenerationen alle sechs, sieben Jahre einmal irgendwo auf der Welt großräumig zum Abschuß kommen. Nachrichten, wonach im Jugoslawien-Krieg die Marschflugkörper bereits knapp werden, lassen die US-Rüstungslobby jubeln. Die Firma Boeing etwa baut die Cruise Missiles der US-Luftwaffe von atomarer auf konventionelle Bewaffnung um – langfristig ein einträgliches Programm. Die Aktienkurse des US-Rüstungsriesenkonzerns Raytheon etwa steigen derzeit, weil er Hauptlieferant für die Tomahawk-Marschflugkörper ist. Die Firma beziffert ihren Sonderumsatz aus dem Kosovo-Krieg auf 400 Mio. Dollar. Lokheed und Boeing bauen bereits jetzt den Kampfjet für die Jahre nach 2008. Und auch die werden schließlich zum Einsatz kommen müssen. Dafür sorgt dann auch die Lobby. Die Kosten für das verschossene Material und auch die Kosten für den Wiederaufbau des – wie zufällig – betroffenen Landes soll dann diejenige Macht übernehmen, der „geholfen“ wurde, also die EU in diesem Fall (12).

Das gefällt den EU-Ländern gar nicht. Weil es im Krieg – und durch den weit fortgeschrittenen militärischen Apparat der USA im Vergleich etwa zur BRD – hauptsächlich die US-Rüstungslobby ist, die profitiert, sinkt der Euro und steigt im Verhältnis dazu der Dollar. Daraus ergibt sich auch das Interesse der USA, den Krieg voll durchzuziehen und das Friedensangebot Fischers leicht albern zu finden. Die deutsche Rüstungslobby wird sich langfristig mit diesem Zustand nicht abfinden und Konkurrenz werden wollen. Momentan gewinnt sie gar nichts. Selbst die Bundeswehr-Drohnen, für die bereits weltweit viel geworben wurde, werden von einer kanadischen Firma hergestellt. Der Konkurrenzkampf wird härter werden und die BRD-Rüstungslobby wird darauf drängen, eigene Markenartikel zu verballern, je länger der Krieg dauert. Oder sie wird beim nächsten Krieg schneller auf Beteiligung an weiteren Waffengattungen drängen. Scharping hat bereits versprochen, den nächsten Rüstungshaushalt drastisch zu erhöhen und die Modernisierung der Bundeswehr beschleunigt voranzutreiben.

Ich glaube, daß alle hier vorgestellten Thesen für die Motive des NATO-Krieges einen wahren Kern enthalten, mal mehr, mal weniger. Die wirklichen Motive werden sich in einer Kombination dieser und anderer Thesen finden lassen, wobei der Anteil der inneren Antriebe durch den militärisch-industriellen Komplex sicherlich hoch anzusiedeln ist.

(1) vgl. taz, 24.4., S.12, Kommentar von Dieter Prokop

(2) vgl. Catherine Samary: Die Zerstörung Jugoslawiens. Ein europäischer Krieg. Köln 1995, S.151.

(3) so ausgeführt z.B. bei Hannes Hofbauer: Wie Jugoslawien zerstört wurde, in: Marxistische Blätter Spezial: NATO-Krieg und Kosovo-Konflikt, S.5-10.

(4) vgl. Samary, a.a.O., S.81f und 144.

(5) vgl. Freitag, 23.4.99, S.1.

(6) vgl. FR, 27.4., S.5: Die NATO-Strategen lassen Raum für Interpretationen.

(7) alle Informationen: Pierre Simonitsch: Der Balkan als Teil eines politischen Erdbebengürtels, in FR, 27.4., S.5.

(8) vgl. Interview im "Spiegel", 26.4.99, S.159.

(9) vgl. dazu: August Pradetto: Die sieben klassischen Fehler der westlichen Politik in Kosovo, FR, 23.4.99, S.6.

(10) vgl. Erich Chauvistré: Atombombe im Kopf, in FR, 22.4.99, S.5.

(11) vgl. Peter Lock: Das Drehbuch eines Krieges auf dem Balkan, in: FR, 20.4.99, S.8.

(12) vgl. taz, 27.4.99, S.4: Der Gewinn durch den Krieg hält sich in Grenzen. Dieser Artikel enthält Zahlen, die m.E. der Intention des Artikels, den Gewinn kleinzureden, widersprechen.