antimilitarismus

Der „Siegfrieden“ der NATO

Interview mit Christian Sigrist

| Interview: Bernd Drücke

(GWR-Münster) Christian Sigrist (*1935) ist Soziologieprofessor an der Uni Münster und Regimekritiker. Sein Hauptwerk "Regulierte Anarchie" (Frankfurt/M. 1967, Hamburg 1979 und 1994) gilt als "ein Meilenstein der Rekonstruktion antistaatlicher Formen gesellschaftlichen Zusammenlebens" (Schwarzer Faden Nr. 60, Grafenau 1997). Wie erklärt er sich die Entwicklungen in Jugoslawien und in Deutschland? Welche Perspektiven sieht er?

Graswurzelrevolution: Christian, Du beschäftigst Dich seit langem auch mit der Situation der Menschen in Jugoslawien. Wo siehst Du die Ursachen für das Wiedererstarken nationalistischer Bewegungen in Jugoslawien? Wo siehst Du die Gründe für den Kosovo-Konflikt?

Sigrist:Ich beschäftige mich seit 1956 mit Jugoslawien. Das Buch von Wolfgang Leonhard hat damals Furore gemacht: „Die Revolution entläßt ihre Kinder“. Er ist nach Jugoslawien geflüchtet, das gerade von Stalin aus der kommunistischen Internationale, der KomInform, verstoßen worden war. Da war das Interesse da. 1957 habe ich ein Referat im SDS gehalten, die Bedeutung des antifaschistischen Kampfes betont und welche entscheidende Rolle das im 2. Weltkrieg gespielt hat. Ich habe darauf hingewiesen, daß das „föderative Prinzip“ zwar gut klingt, die „Selbstverwaltung“ war damals ein neues Wort, daß aber in der Praxis Bürokratisierung, de facto Zentralismus und Korruption das Ganze fragwürdig werden ließen. Ich habe gesagt: „Der Titoismus kann ein 3. Weg sein unter Bedingung einer stärker werdenden Demokratisierung.“ Ich glaube, das war goldrichtig gesehen.

Du hast nach den Menschen gefragt: mich hat am stärksten berührt in den letzten Wochen, als ein deutscher Staatsbürger serbischer Herkunft gesagt hat: „Wie könnt ihr sowas machen? Wir haben euch die Straßen und die Brücken gebaut. Und jetzt schmeißt ihr unsere kaputt.“

In Jugoslawien gibt es im Prinzip eine segmentäre Struktur, die zentralistisch überformt ist. Ich glaube es war eine große Leistung von Tito, daß er diesen Mehrvölkerstaat geschaffen hat. Vorher war es reine serbische Ethnokratie. Er selbst war weitgehend Kroate der Herkunft nach. Er hat das aber zurückgestellt. Es gab am Anfang eine Idee, das war Widerstand gegen Nazideutschland, das war Kommunismus und schließlich der Widerstand gegen den Stalinismus, gegen die sowjetische Übermacht und Hegemonie. Der serbische Nationalismus ist älter. Er hat den 1. Weltkrieg mitherbeigeführt. Wie man das erklären kann? Völker, die Durchmarschgebiete sind, gehen entweder auf in den größeren Reichen oder sie entwickeln eine Identität im Widerstand. Die Leute lassen sich nicht auf Dauer unterdrücken und integrieren, sie wollen ihre eigene Identität. Da muß man ganz weit zurückgehen. Und – jetzt geht es nicht um Rechtfertigung – „schließlich haben nicht die Serben die Turkvölker überfallen, sondern es war umgekehrt“ und dieses kollektive Gedächtnis, das irrational überhöht ist, das spielt eine Rolle.

Tito hat einen Fehler gemacht: Es war verboten über die inneren Widersprüche zu sprechen. Ethnizismus ist ein Problem und sollte nicht das Wichtigste im Leben von Menschen sein. Aber man umgeht ihn nicht, indem man nicht drüber redet. Deswegen sage ich: Interethnischer Diskurs. Und je weniger man einen zentralistischen Staat hat, um so geringer ist der Anreiz über ethnische Zugehörigkeit andere zu unterdrücken.

Die Gründe für den Kosovo-Konflikt: Kosovo ist nicht Bosnien. Zu glauben, daß die serbische Regierung und die Mehrheit der Serben – es geht nicht um Milosevic – wie 1996 wegen einiger „Luftschläge“ einknickt, das war eine Illusion. Das Kosovo kann man nicht mit Bosnien-Herzegowina vergleichen. Es hat einen emotionalen Wert: „Die Schlacht auf dem Amselfeld“ (im Jahre 1389, Red.). Das kann man kritisieren. Man hätte von vornherein wissen können, daß das nicht mit ein paar Terrorangriffen getan ist. Der Ausdruck „Terrorangriff“ ist richtig. Die Erfahrung, die damit gemacht wurde, war, daß das die Bevölkerung zusammenschweißt, egal welches Regime, auch in Vietnam. Diese „Luftschläge“ haben es nicht gebracht. Da ist unabhängig von der Wertung ein gewaltiger Denkfehler gemacht worden. Und dann scheint mir das Problem zu sein, daß Kosovaren und Albaner im Augenblick keine Perspektive haben, was jetzt nicht ihr Fehler ist. Man hätte ganz andere Dinge machen müssen. Der Westen hat schadenfroh, seelenruhig zugeschaut, wie Albanien runtergekommen ist. Hätte man erstmal Albanien saniert und dann mit allen Beteiligten gesprochen „wir bauen hier was auf und das kann Vorbild sein. Wie wär’s?“ Da hätte man auch mit der serbischen Regierung verhandeln müssen: „Die Sache mit der Autonomieaufhebung war ein Fehler. Aber wir sind bereit dafür zu zahlen, daß das rückgängig gemacht wird.“ Mit Geld kann man auf dem Balkan viel machen. Im Übrigen sage ich das nicht hinterher. Ich habe 1993 im „Parlament“ einen Artikel über die Autonomie geschrieben. Es war ein schwerwiegender Fehler, die Auflösung Jugoslawiens voranzutreiben ohne Garantien. Dem Genscher kam es darauf an, daß in jeder größeren kroatischen Stadt ein Café Genscher entstanden ist. Das ist gekommen. Also: persönliche Eitelkeit.

Es sind 200.000 Serben aus Ostslawonien vertrieben worden. Selbst im französischen Fernsehen erfährt man davon; in Deutschland nichts.

Milosevic ist ein Opportunist, der gemerkt hat, „hier ist eine nationalistische Strömung“. Nach der Auflösung der Inhalte sah er „was haben wir jetzt? Jetzt bleibt vielleicht nur noch das?“

Es gibt die Panik in der Situation des Verlusts der geopolitischen Rente. Jugoslawien wurde vorher gefördert, weil es eine Art Glacis gegen die Sowjetunion war. Das entfiel.

Ein Problem ist, daß in diesen Raum ständig von außen hineingewirkt worden ist und es dann diese Verwerfungen gibt. Das heißt nicht, daß man nichts tun kann, aber nicht mit Krieg.

Durch den Angriffskrieg und Völkerrechtsbruch der NATO verändert sich die Weltlage. Die UNO ist entmachtet, eine deutsche Armee führt (diesmal als Teil der NATO) zum dritten Mal in diesem Jahrhundert einen Angriffskrieg gegen Jugoslawien. Beginnt nun, nach dem Ende des Ost-West-Konflikts, ein Zeitalter, in dem die NATO sich zum Kriegs-Herren der Welt macht? Welche Interessen verfolgt die NATO mit der Bombardierung Jugoslawiens?

Sicher wird ein Ersatzziel gesucht nach dem Ende des Kalten Krieges.

Die Bundesrepublik spielt eine subalterne Rolle. Ihre 14 Tornadobomber, pro Nacht sind vier im Einsatz, das könnte man vergessen. Sie beteiligt sich symbolisch.

Aber die Bundesrepublik ist durch diesen Krieg zu einem „souveränen“ Teil der Alliierten geworden. Die Nachkriegszeit ist vorbei. Die Bundeswehr streift ihre Rolle als „Verteidigungsarmee“ ab und wird zum Teil eines imperialistischen Angriffsbündnisses.

Ja. Die Bundesrepublik ist aber eine amerikanische Militärkolonie auf freiwilliger Grundlage. Auch wenn das jetzt unmittelbar von Italien ausgeht, die Logistik beruht nach wie vor auf der Bundesrepublik und die hat nichts zu melden, inwieweit sie benutzt werden darf.

Ich glaube aber, daß die Bundesrepublik da ein Interesse hat. Sie will ein gleichberechtigtes Mitglied der NATO sein und ihre historische Verantwortung für die nationalsozialistischen Verbrechen in den Hintergrund drängen oder relativieren. Deshalb auch die „neue Auschwitzlüge“, die ungeheuerliche Gleichsetzung der serbischen Vertreibungspolitik mit Auschwitz. Der deutsche Staat will diesmal zu den „Siegermächten“ gehören, nicht mehr nur als Wirtschaftsmacht, sondern auch als wiedererwachte Militärmacht. Der Bundesregierung geht es auch um die Vergrößerung ihres eigenen Machtspielraumes.

Ja. Es gibt auch den Horror Vacui der Militärs. Der besteht darin, daß du, wenn du jahrelang keinen Krieg gemacht hast, Angst hast es nicht zu können. Und für die Bundeswehr gilt das. Da gibt es praktisch niemanden mehr, der die aktive Kriegserfahrung hat. Ich bin der Ansicht, daß die Bodentruppen der Bundeswehr nicht viel taugen. Die können Zelte aufschlagen. Kampfkraft würde ich denen nicht groß zutrauen. Die Panzer funktionieren nicht. Die Bundeswehr ist kein großes Machtmittel. Und deswegen ist der Punkt, stärker als jetzt gleichberechtigt zu sein, Bündnistreue. Und Bündnistreue ist ein vornehmer Ausdruck für den Amerikanern in den Hintern kriechen.

Manche denken, Amerika sei liberal bis sogar libertär, aber wenn man das auf ein Schlagwort bringen kann, dann sind die Amerikaner eine Cowboydemokratie. Und Cowboys, das sind nicht nur Cowboystiefel, Reiten, Freiheit und Abenteuer, sondern das ist der Schlachthof von Chicago, diese Bereitschaft zu einer irrsinnigen Zerstörungswut, die rauszulassen und eben Vernichtung von Leben. McDonalds ist das Symbol der amerikanischen Kultur. McDonalds und Hiroshima, das gehört zusammen. Japan war bereits am Boden und verhandlungsbereit. Es ging bei Hiroshima und Nagasaki um den Showeffekt bei der Potsdamer Konferenz. Es kommt hinzu, daß es nicht nur Chicago gibt, sondern auch Hollywood. Das beste Buch ist meines Erachtens Krippendorfs „Die amerikanische Strategie“. Da wird dieses Sendungsbewußtsein stark dargestellt, obwohl es im Vietnamkrieg geschrieben wurde.

Jetzt haben wir eine Ausnahmesituation. Jeder Analytiker sagt: „Die NATO ist der zweite Sieger. Sie hat jetzt schon verloren. Selbst wenn sie es schafft, den Milosevic wegzuputzen.“ Das ist so katastrophal, darauf läßt sich keine Hegemonie begründen. Sie versuchen es, aber sie riskieren den 3. Weltkrieg aus Versehen.

Das ist nicht der erste out of area-Einsatz der NATO. Der Krieg Portugals gegen die antikolonialen Befreiungsbewegungen in Afrika war ein verdeckter NATO-Krieg. Den haben die USA und die Bundesrepublik finanziert und militärisch ausgerüstet. Die Portugiesen hätten den Krieg gar nicht so lange führen können. 15.000 Unimogs kamen da zum Einsatz. Die Portugiesen bekamen FIAT-Jäger und so weiter von der Bundesrepublik.

Out of area heißt südlich des Wendekreises des Krebses – so ist nämlich eigentlich das NATO-Gebiet begrenzt. Damit waren die portugiesischen Kolonien ausgeschlossen als NATO-Operationsgebiet. De facto hat die NATO dort Krieg geführt und diesen verloren.

Es ist auch diesmal nicht sicher, daß die NATO gestärkt wird. Natürlich besteht die Gefahr und es ist der Versuch. Die größte Gefahr sehe ich aber nicht in der NATO-Hegemonie, sondern in einem in dieser Form nicht gewünschten 3. Weltkrieg, durch die Entgrenzung, dadurch daß sie sich Beschäftigungsfelder sucht. Solange sie begrenzt war, konnte man noch sagen „sie hat für Stabilität gesorgt“, aber indem sie sich nun die Aufgaben beliebig sucht und definiert, ist es wirklich gefährlich.

In Jugoslawien gibt es auch antimilitaristische Gruppen wie z.B. die Frauen in Schwarz (s. GWR Nr. 238 & 239). Wie beurteilst Du die Entwicklung dieser antinationalistischen, außerparlamentarischen, zum Teil libertären Bewegungen in Jugoslawien? Wie siehst Du die Chancen der dortigen Deserteurs- und Antikriegsbewegung?

Meines Wissens sind die schwach. Man sollte das nicht überschätzen. Man kann die Leute bewundern.

Die NATO-Schläge haben zu einer nationalen Solidarisierung geführt. Es kann sein, daß – wenn der Schaden zu groß wird – es auch zu einer Demoralisierung kommt, aber ich würde sagen, nur vorübergehend. Durch diese Art der Kriegführung hat die Opposition keine Mittel mehr. Die kann nicht einmal mehr telefonieren. Was an Mitteln bleibt, hat die Regierung: Polizei und Armee.

Welche Perspektiven siehst Du für die Menschen und Länder des Balkans?

Föderative Strukturen. Die Staatsgrenzen entsprechen nicht den ethnischen Grenzen und das wird man nie so hinkriegen, daß sich das deckt. Und was bedeutet das? Staatsgrenzen dürfen nicht so wichtig sein. Also eine Entdramatisierung von Staatlichkeit. Abschaffung des Staates, das ist nicht realistisch im Augenblick, außer daß ich sagen würde, daß wir neue Formen der politischen Organisation brauchen.

Wünschenswert ist, daß ein evolutionärer Prozeß eingeleitet wird. Wichtig ist Kommunikation, miteinander reden, all das unterstützen. Man kann materielle Anreize geben, daß das getan wird. Die Staatsgrenzen sind disfunktional und gefährlich und es müssen Wege gefunden werden, daß die Grenzen als solche, daß Staatsgrenzen nicht der Hauptpunkt sind, sondern es müssen Brücken gebaut werden. Das wäre die Frage einer europäischen Friedensordnung, Europa als Friedenszusammenhang.

Man hatte in Rambouillet auf einmal keine Zeit mehr zum Verhandeln. Mit Milosevic verhandeln wollte ich vielleicht auch nicht, da würde mir vielleicht der Geduldsfaden reißen. Aber Politik ist, daß man sich die Zeit nimmt. Jetzt überlegt man den Sicherheitsrat einzuschalten. Das hätte man vorher tun sollen.

Im September 1998 hast Du gemeinsam u.a. mit Pit Budde (Cochise) und Michael Seligmann (Ex-GWR-Autor) einen Aufruf zur Wahl der Grünen unterstützt. Wie beurteilst Du nun die Politik der rot-grünen Regierung?

Ich habe die Grünen immer unterstützt, weil das ein wichtiges Experiment war. Ich hab auch die Gefahren früh erkannt, wo man sehen konnte: den Leuten geht es um den Job, denen geht es ums Mandat. Um Privilegien, schlicht und einfach.

Der grüne Bundestagsabgeordnete Winni Nachtwei hat bei Dir 1975 seine Examensarbeit geschrieben. Wie erklärst Du Dir seinen Wandel vom Mitglied der Friedensbewegung zum Befürworter des NATO-Angriffskrieges gegen Jugoslawien?

Nachtwei hat bei mir ein sehr gutes Examen gemacht, aber mir fiel auf, daß er taktiert hat. Wer in die Politik will, muß taktieren.

Nachtwei hat in Münster jahrelang die Friedens AG der Grünen Alternativen Liste geleitet, und dann sagt so jemand „Keine Alternative“. Das ist Unsinn, Alternativen gibt es, es gibt gute, schlechte, … aber einfach dieses alternativlose Denken von Anfang an, man kann das nicht anders interpretieren, als mit „Regierungsfähigkeit“. Die Gefahr des Zerbrechens der rot-grünen Koalition, raus aus dem Regierungsgeschäft, eventuell Neuwahlen und dann das Mandat weg. Es ist das Kleben an der Macht. MMB – Macht macht blöd. Auf der unteren Stufe heißt es Mandat macht blöd, selbst kluge Leute. So kann man das erklären.

Bei Nachtwei ist es der Wandel vom Taktierer zum Opportunisten. Er versucht auch heute noch einerseits dazuzugehören, seine Position im Verteidigungsausschuß, und gleichzeitig will er sich den Rückhalt in der Basis erhalten. Das ist ein ‚rumeiern. Da kommen die absurdesten Argumente, die unter seinem intellektuellen Niveau sind. Ich halte den Mann nicht rückwirkend für dumm, aber dieses Kleben an der Macht. Außerdem: das Leben im Bundestag, das ist eine Art Raumschiff, das ist ein Realitätsverlust.

Hat das Hoffen auf rot-grün nicht auch die außerparlamentarische Bewegung geschwächt? Führt das „humanitäre“ Image der grünen Regierungspartei nicht dazu, daß viele Menschen die Propaganda vom „humanitären“ Krieg akzeptieren, anstatt gegen die Kriegsverbrechen auch der rot-grünen Regierung zu demonstrieren?

Ja, das kann man nicht leugnen.

Die Bundesregierung hat deshalb noch relativ günstige Werte, weil sie gesagt hat „keine Bodentruppen“.

Wir sind in einem De facto-Krieg, auch die Deutschen.

Die Spezialität des US-Imperialismus sind die unerklärten Kriege. Der Vietnamkrieg war offiziell kein Krieg, sondern „ein Lernprozeß“, der für die Nordvietnamesen gedacht war. Die sollten solange „Luftschläge“ kriegen, bis sie kapieren „wir dürfen die Guerilla nicht unterstützen“. Hat nicht geklappt, aber der Krieg war nicht erklärt, deshalb war er auch so schwer zu beenden. Auch dieser Krieg und auch der Golfkrieg waren nicht erklärt.

Ich möchte eine eigene soziale Erfahrung ansprechen: Ich war in einem Internat. Ein Drittel der Jungen waren Bettnässer. Kinder, die verschüttet wurden, werden fast alle Bettnässer. Da wird jetzt eine Generation von Bettnässern entstehen. Mich entsetzt die Brutalität mit der hier vorgegangen wird.

Es geht doch gar nicht darum, daß die Verbrechen des serbischen Regimes geleugnet werden sollen, sondern daß man sich rechtzeitig hätte überlegen müssen, was man tun kann. Den Kosovaren wurde in Deutschland kein Asylrecht gewährt.

Die Luftwaffenindustrie verdient an dem Krieg. Da ist ein riesiger Nachholbedarf, nachdem soviel verschossen wurde.

Was ich hasse, ist der industrialisierte Krieg, diese industrialisierten Schlachtfelder, die Luftkriege, diese schrecklichen Verwüstungen durch die Minen. Wir müssen gegen diese Massentötungsmaschinen sein. Diese Tötungsmaschinen hängen mit der Akkumulation des Kapitals zusammen. Hier ist eine Kopplung von Akkumulation und Massenvernichtung.

Wie können wir hier in Westeuropa eine Antikriegsstimmung schaffen?

Ich gebe eine historische Antwort: Es waren sicher nicht die Bombenanschläge der RAF, die die Niederlage der USA in Vietnam herbeigeführt haben. Aber in Heidelberg und anderswo, da hat etwas stattgefunden: die Deserteurskampagne. Daß man Deserteuren Unterschlupf geboten hat, das hat zur Demoralisierung beigetragen. Ansonsten auch Haschisch und so weiter. Zunächst wurde das von der amerikanischen Heeresführung gern gesehen, weil niemand bei klarem Verstand diese Risiken auf sich nimmt.

Eine unmittelbare Übertragung dieser historischen Reminiszenzen auf die gegenwärtige Situation ist wegen der anders gelagerten Situation nicht adäquat. Ich appelliere aber an die Bomberpiloten und Verantwortlichen gründlich darüber nachzudenken, was sie da eigentlich tun. Es ist wichtig, die Empörung über diese Verbrechen zum Ausdruck zu bringen. Keiner kann leugnen, daß dieser Krieg ein Verbrechen gegen das Völkerrecht ist. Keiner kann leugnen, daß dort Kriegsverbrechen begangen werden. Und das müssen wir wiederholen, oft und ständig. Ich geh nicht einfach zur Tagesordnung über. Was mich bestürzt, ist, mit welcher Lethargie die Leute ihrem Tagesgeschäft nachgehen.