Die Geißel des ausgehenden Jahrhunderts und eine wichtige Ursache des Kosovo- Krieges bzw. des Krieges gegen Jugoslawien ist der Nationalismus. Die bewaffneten Kämpfe um neue Nationalstaaten, "ethnisch" reine Territorien oder auch - im deutschen Fall - um neue Einflußgebiete sind ohne Nationalismus undenkbar. (Red. HD)
Wer die Triebkräfte dieses Nationalismus auf deutscher, serbischer und albanischer Seite einschätzen will, muß sich über die unterschiedlichen Voraussetzungen und Strukturen des Nationalismus klar sein.
Moderne und zwei Formen des Nationalismus
Im folgenden soll Modernisierung im Anschluß an die Theorieansätze der Nürnberger Krisis-Gruppe (Robert Kurz, Ernst Lohoff usw.) als historischer Übergang von einer agrarisch strukturierten, auf Schatten- und Subsistenzwirtschaft basierenden Produktionsstruktur zu einer industriellen, waren- und geldförmigen, auf ausgedehnter Lohnarbeit basierenden, sozialstaatlich-bürokratischen Produktionsstruktur charakterisiert werden. Wahlweise könnte auch auf das Theorem der Durchkapitalisierung, Regulation und Produktion für den Massenkonsum (Joachim Hirsch, Roland Roth und ihr Fordismus-Theorem) zurückgegriffen werden. Die zugrundeliegende Theorie ist nicht so wichtig, bedeutend ist, ob eine staatlich verfaßte Gesellschaft den „take off“ zu einer industriellen Dienstleistungsgesellschaft geschafft hat oder nicht. Daß solch ein „take off“ nicht ohne Gewalt und Ausbeutung vonstatten geht, versteht sich von selbst.
In dieser Hinsicht kann gesagt werden, daß Deutschland diesen Übergang schon im ausgehenden letzten Jahrhundert vollzogen hat – und vielleicht war das autoritär verfaßte Bismarckreich eine Bedingung dafür -, während der Staat Jugoslawien in seinen zwei Spielarten Königreich (1918-41) und Titoismus (1945-1991) diesen Übergang im Grunde nie wirklich vollzogen hat.
Um letztere Behauptung anhand der fallspezifischen Untersuchung von Ernst Lohoff für Jugoslawien (1) zu erläutern: Lohoff sieht in den osteuropäischen Staatskapitalismen nur alternative Modernisierungsversuche im Vergleich zu den westeuropäischen Kapitalismen. Im Falle des titoistischen Modernisierungsversuches mußte der „take off“ nach Lohoff sehr früh scheitern, weil Tito angesichts der kleinparzelligen Agrarstruktur Jugoslawiens auf großräumige Zwangskollektivierungen nach sowjetischem Muster im wesentlichen verzichtete. Damit sei einerseits auf einen ungeheuren Gewaltakt verzichtet worden, für eine programmatische Industrialisierung Jugoslawiens seien allerdings auch keine ländlichen Arbeitskräfte freigesetzt worden. Die zweite Ursache des Scheiterns einer Modernisierung in Jugoslawien sieht Lohoff in der sich gegenseitig schwächenden Dreierkonstellation einer Ökonomie der Selbstverwaltung, der Parteiherrschaft und planwirtschaftlichen Rahmensetzung und einer zunehmenden Zulassung kapitalistischer Marktmechanismen. Weil sich in dieser von gesamtgesellschaftlichen Entscheidungskompetenzen abgekoppelten „Selbstverwaltung“ ein reiner Betriebsegoismus breitmachte, sind die betrieblichen Gewinne und zugeteilten Kredite eher vor Ort konsumiert worden, als daß Betriebsgewinne abgeführt worden wären und die Investitionsmasse für die Industrialisierung gebildet hätten. Ergebnis waren eine Staatsverschuldung, die durch frühe Inanspruchnahme westlicher Kredite mühsam bis zum Tode Titos (1980) kaschiert werden konnte, und die Verstärkung der bereits seit Habsburger Zeiten vorhandenen regionalen Diskrepanzen zwischen relativ industrialisierten Republiken im Norden (Slowenien, Kroatien) und armen, ländlichen Republiken und Gebieten im Süden (Serbien, Kosovo, Montenegro, Mazedonien). Die in den 80er Jahren entstehenden Nationalismen innerhalb Jugoslawiens erklärt Lohoff damit, daß die nördlichen Republiken angesichts inflationärer Tendenzen nicht mehr willens waren, die Investitionsruinen Serbiens, des Kosovo usw. zu finanzieren, während Serbien – mit Blick auf die Verfassung von 1974, die den Republiken mehr Macht gab – darin eine Entmachtung und Unterdrückung der Stellung Serbiens innerhalb Jugoslawiens erblickte. Die Aufhebung der Autonomie des Kosovo 1989 brachte Serbien Stimmen im Republikrat und sollte diese Entmachtung geraderücken. So trieben sich die Nationalismen gegenseitig zur inneren Zerstörung Jugoslawiens, zu neuen Nationalstaaten und in den Krieg.
Anders Deutschland im 20. Jahrhundert: der Übergang zur Moderne, zur Industriegesellschaft war bereits vollzogen. Die Gesellschaft verkehrte warenförmig, war durchkapitalisiert. Die staatliche Bürokratie erfaßte die letzte Ecke des Landes. Der darauf basierende moderne deutsche Nationalismus im 20. Jahrhundert war ein Mobilisierungsnationalismus nach innen und ein imperialistischer Nationalismus mit Weltmachtansprüchen nach außen – beides zusammen so verheerend wie nichts, was dieses Jahrhundert sonst hervorgebracht hat. Jedenfalls konnte der moderne deutsche Nationalismus die ganze Gesellschaft für den Krieg mobilisieren, die Wehrpflicht wurde vollständig durchgesetzt. Die verlorenen Kriege haben der Modernität Deutschlands nicht wirklich geschadet. Das moderne Deutschland konnte sich noch jedes Mal neu berappeln. Die Teilung nach 1945 war jedoch eine reale Machtbeschneidung.
Postmoderner Nationalismus versus vormoderner Nationalismus
In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts setzte nun eine widersprüchliche Entwicklung ein: das moderne Deutschland schlitterte einerseits ab Ende der 70er Jahre mit in die strukturelle, ökologische und sozialstaatliche Krise des globalen Kapitalismus. Hirsch/Roth machen zu dieser Zeit den Übergang von Fordismus (Massenkonsum, Sozialstaat) zu Postfordismus (Marginalisierung, Sozialstaatabbau) fest. Es begann die bis heute zunehmende Phobie deutscher WohlstandsbürgerInnen, Armut und ungeschützte Beschäftigung wie in der sogenannten „Dritten Welt“ kämen langsam wieder in die Metropolen zurück. Andererseits fiel nur 10 Jahre später via Sturz des Staatskapitalismus die DDR-Konkursmasse an die BRD und setzte Deutschland erneut in den Stand einer ökonomischen Weltmacht. Die 90er Jahre wurden damit verbracht, dieser Weltmacht eine Bundeswehr an die Hand zu geben, die ohne inneren Widerstand wieder weltweit einsatzfähig wird. Außenpolitisch wurde mit der Anerkennungspolitik für Kroatien und Slowenien bereits gezeigt, daß mit der neuen Weltmachtrolle auch ökonomische Einflußsphären verfolgt werden. Die deutsche Ökonomie ist nach wie vor expansiv: Auch in Bosnien und in Serbien 1994 wurde bei Währungsreformen die Landeswährung an die Parallelwährung D-Mark gekoppelt.
Nach Lohoff ist der industrielle take off nie gelungen, Serbien wie auch der Kosovo sind heute sogenannte „Modernisierungsruinen“ und fallen in die Vormoderne zurück. Die Realeinkommen gingen in den 80er Jahren und ganz besonders nach Kriegsbeginn 1991 drastisch zurück, der Schuldendienst fraß alle Devisen, das Überleben konnte durch Lohnarbeit nicht mehr gesichert werden. Es folgte der Rückgriff auf alle Arten von Schattenwirtschaft, Subsistenzökonomie, Schmuggelwirtschaft (Drogen, Zigaretten usw.). Die jugoslawische Armee veröffentlichte schon Ende der 80er Jahre, daß 40 % des benötigten Gemüses für die Soldaten aus kaserneninternem Gartenanbau bestritten würde. Leider blieb es nicht bei diesen idyllischen Formen der Subsistenz: die freigesetzten Arbeitslosen gingen massenhaft in die Milizen, weil das Sozialsystem zusammengebrochen war. Im Krieg entstand eine von Lohoff sogenannte „Plünderungswirtschaft“ oder „Raubökonomie“. Diese bedingt eine spezielle Form der Kriegsführung: es gibt keine geregelte Front und kein schnelles Erreichen militärischer Ziele. Vielmehr werden Dörfer oder Städte lange umstellt, um beim Durchlassen von Personen oder Hilfsgütern Steuern oder Naturalien zu erheben. Nach der nach nationalistischen Kriterien durchgeführten Vertreibung wird die Offensive nicht selten gestoppt, um den Ort zunächst zu plündern: Kühlschränke, Hifi-Anlagen usw. werden auf LKWs geräumt, um die Plünderungswaren an miliznahe Zwischenhändler zu bringen, die sie gewinnbringend verhökern. Entweder fließt das Geld zurück an die Soldaten und erzeugt eine hohe Bindung zwischen Kriegsgewinnlern und Milizsoldaten, wobei enorme Brutalität dann von oben geschützt wird (so etwa bei den Arkan-Milizen Serbiens) oder es gibt Kriegsgewinnler bei den Zwischenhändlern, die anstatt durch Steuern und Abgaben ihre Soldaten mit geringen Spenden bei Stange halten wollen (so etwa viele Parlamentsabgeordnete der serbischen Republik Bosniens, was 1993 zur Soldatenmeuterei von Banja Luka und 1995 zu Desertionen und Zwangsrekrutierungen führte). Nur durch die Plünderungsökonomie ist das lange Hinziehen und der chaotische Verlauf, sind die wechselnden Loyalitäten etwa im bosnisch-kroatischen Kriegsverlauf zu erklären. Vorteile im plünderungsökonomischen Kriegsverlauf hat immer die militärisch offensive Miliz oder Armee. Die anfänglich weitgehend aus mafiosen Milizen entstehende bosnische Armee „verteidigte“ Sarajewo anfänglich auch durch Plünderungen in den eigenen Stadtvierteln oder durch Schutzgelderpressungen. Sogar nationalistische Loyalitäten können aus plünderungsökonomischen Gründen geändert werden: In Westbosnien, in der lange von serbischen Milizen umstellten Enklave Bihac wechselte die Loyalität des Milizchefs Fikret Abdic zwischen serbischen und kroatischen Milizen. Abdic unterhielt mit „Agrokomerc“ einen Konzern und machte Geschäfte sowohl mit Kroatien als auch mit bosnischen Serben. Als die bosnisch-muslimische Armee durch US-Hilfe zu Militäroffensiven fähig war, wurde zuerst Bihac erobert – gegen den Widerstand Abdic’s. Überhaupt ist der Kriegsverlauf im Bosnien-Krieg uneinheitlich und hat die bosnische Armee serbische Gebiete dort zuerst angegriffen, wo noch keine Plünderungen stattgefunden hatten (2).
Wer auf die Erfahrungen der bisherigen Kriege blickt, weiß leider nur zu gut, daß Aussagen flüchtiger Kosovo-AlbanerInnen, wonach ihnen bei jeder Flucht, bei jedem Kontrollposten Geld abgeknöpft wird und die Strafe für Nichtbezahlung oft Vergewaltigung oder Mord ist, keineswegs erfunden sind, sondern zum plünderungsökonomischen Alltag im Krieg gehören. Das bedeutet übrigens nicht, daß die UÇK im Falle eigener militärischer Offensiven auch nur irgendwie anders vorgehen würde.
Was sich in diesem Krieg in Form des deutschen (und US-) Nationalismus und des serbischen (vice versa des kosovo- albanischen) Nationalismus gegenübersteht, ist ein postmoderner und ein vormoderner Nationalismus. Die Ergebnisse sind konvergent, nur die Mittel sind qualitativ verschieden: die deutsche Bombenkriegsführung mittels High-Tech-Flugzeugen und nationalistisch-rassistischer Überhöhung der eigenen Soldaten, die im Krieg nicht getötet werden sollen, ist klares Kennzeichen einer Kriegsführung der Moderne bzw. Nachmoderne (jedenfalls auf der Basis moderner Möglichkeiten); die serbisch/kosovo-albanische Kriegsführung mittels vormoderner Brutalität und beiderseitiger Bereitschaft zu hohem „Blutzoll“, wie das genannt wird, ist Kennzeichen vormoderner Kriegsführung.
Daß weder der deutsche noch der serbische bzw. kosovo-albanische Nationalismus zu genuin „moderner“ Kriegsführung greifen, beweist zweierlei: weder im einen noch im anderen Fall wird die ganze Gesellschaft für den Krieg mobilisiert, wie das für die moderne Kriegsführung der vom deutschen modernen Nationalismus angezettelten Kriege im 20. Jahrhundert typisch war. Die deutsche Kriegsführung gegen Jugoslawien basiert auf der Aufteilung der neuen Bundeswehr in Wehrpflichtigen-Verteidigungskräfte und Berufssoldaten- Eingreiftruppen. Das „Hinterland“, die bundesrepublikanische Gesellschaft im Innern, wird keineswegs vollständig in den Krieg eingebunden, sondern soll geradezu „zivilgesellschaftlich“ – als wenn nichts geschehen wäre – weiter funktionieren. Das steht im Gegensatz zur modernen Kriegsführung und ist typisch für postmoderne Formen des Krieges, mit denen KriegsgegnerInnen in Zukunft immer wieder konfrontiert werden. Hierzu gehört, daß Aufrufe zur Desertion so lange scheitern werden wie sie die postmoderne Wandlung zum Berufsheer und die Überflüssigkeit der Wehrpflichtigen für die Kriegsführung nicht reflektieren. Aber auch in Serbien wird keineswegs die ganze Gesellschaft für den Krieg mobilisiert. Nach Lohoff ist die plünderungsökonomische Grundlage viel zu prekär dazu: wo gute Bezahlung und sozialstaatliche Absicherung und Versorgung der Familien von regulären Soldaten kaum gewährleistet werden können, wie heute in der jugoslawischen Armee, ist weder die Motivation in der Armee durchgängig vorhanden, noch ist die flächendeckende Rekrutierung im ganzen Land ohne Probleme möglich. Nationale Minderheiten wie die Muslime oder die Ungarn verweigern kollektiv, Soldatenmütter rufen ihre Söhne heim – auch weil sie sie für ihre Subsistenzwirtschaft brauchen. Der Krieg ist deswegen nicht weniger brutal, denn tendenziell bestimmen Milizen und nicht disziplinierte, reguläre, moderne Armeen den Kriegsverlauf. Die Chancen, daß Desertionen trotzdem zum sozialen Machtfaktor im Krieg werden, sind hier jedoch ungleich größer als in der postmodernen Kriegsführung: wenn Milizsoldaten das Gefühl haben, sie bekommen vom Kuchen nichts ab und werden von Kriegsgewinnlern um ihr Raubgut gebracht, ist die Motivlage für Meuterei und Desertion da. Auch sinkt die Kriegsmotivation bei militärischen Pattsituationen oder der Aussicht, daß sich der Rahmen für den Plünderungskrieg nicht mehr weiter ausdehnen läßt. Im Gegenzug ergibt sich – wie schon am Ende des Bosnien-Krieges 1995 bei der durch den Westen aufgerüsteten kroatischen Armee – in solchen Situation die Gefahr eines Rachefeldzuges etwa der dann ebenfalls vom Westen aufgerüsteten UÇK.
Albanien, die UÇK und deutsche Interessen
Kurz möchte ich auf zwei Thesen über das deutsche Interesse und die deutsche Strategie innerhalb der NATO beim Jugoslawien/Kosovo-Krieg eingehen. Von antiimperialistischen Kreisen, aber auch vom „Konkret“-Autor Jürgen Elsässer wird die These vertreten, die deutsche Regierung habe das Interesse, über seinen Geheimdienst BND und albanische Verbindungsstellen um die frühere Berisha-Regierung (1992-1997) die UÇK zu finanzieren und mit Waffen zu versorgen, um Jugoslawien zu destabilisieren. Strategisches Ziel der BRD sei dabei, daß Bonn bzw. Berlin in Übereinstimmung mit den früheren Kriegszielen der Nazis „seinen ‚Lebensraum‘ auf den Balkan“ ausdehnen wolle, zumindest wirtschaftlich. Daß die mit der BRD befreundeten Länder von Kroatien bis Albanien dieselben sind wie damals bei den Nazis, und daß Serbien ebenso heute wie damals der Feind ist, könne kein Zufall sein. Unter italienisch-faschistischer und ab 1943 deutscher Besatzung war damals Albanien mit dem Kosovo zusammengeschlossen worden. Mit Bezug auf die Organisation „Geopolitical Drug Watch“ sollen sowohl die BRD als auch die USA auch heute auf die Schaffung eines Großalbanien hinsteuern (3).
Nach dieser These ist es kein Zufall, daß die Guerilla UÇK in den deutschen Medien seit zwei Jahren so positiv dargestellt wird. 75 % des nach Westeuropa gelangenden Heroins kommt aus der Türkei, wovon ein Großteil durch den Balkan transportiert werde. Des weiteren machen die kosovo-albanischen Flüchtlinge nach BKA-Angaben inzwischen die stärkste Gruppe beim Vertrieb von Heroin in westeuropäischen Ländern aus. Die Gewinne aus dem albanischen Drogenhandel würden entweder direkt über Banken oder mit der Mafia in Verbindung stehende Finanzinstitutionen „gewaschen“ und wandern über Entwicklungsinvestitionen nach Albanien oder direkt zur Finanzierung von Waffenkäufen der UÇK. 1992-1997 hat die Berisha-Regierung in Albanien für ihren ultraliberalen Privatisierungskurs viele Investitionen von deutschen und italienischen Geldgebern, angeblich auch aus der italienischen Drogenmafia, erhalten. Damit habe Berisha seine „Pyramidenfirmen“ (Investmentfonds zum Öl-, Drogen-, Waffen- und Prositutionshandel) geschaffen, die zudem vom bis 1996 dauernden Embargo gegen Jugoslawien und vom ökonomischen Kollaps im Kosovo 1990 (mit bis zu 60% Arbeitslosen) profitierten. Aus Deutschland hatten Adenauer-Stifung und Preussag in Albanien investiert, Ölgesellschaften wie Shell und BP spekulierten auf unerforschte albanische Ölvorräte. Nach Angaben der englischen Wochenzeitung „The European“ vom Sept. 1998 (dokumentiert auch in einer ARD-Monitor-Sendung vom gleichen Monat) arbeitete der BND über den albanischen Geheimdienst sehr früh bei Ausbildung, Ausrüstung und Bewaffnung der UÇK zusammen. Darüber sei es sogar zu Differenzen mit dem CIA gekommen. Gegen die größte Berisha-Pyramide VEFA wurde 1997 in Italien ein Verfahren wegen Verbindungen zur italienischen Mafia geführt (4).
Auch liberale Albanien-Autoren wie Peter Schubert sprechen von offizieller BRD-Entwicklungshilfe für Berisha in Höhe von 300 Mio. DM seit 1990, mehr als jedes osteuropäische Land in dieser Zeit an Bonner Mitteln erhalten habe. Noch 1996 sei ein 87-Mio.-Projekt zur technischen Aufrüstung des Flughafens Tirana unterzeichnet worden. Hinzu kommt die Eingliederung einer Gruppe von 40 albanischen Militärs in das deutsche IFOR- Kontingent als Beginn enger Militärkooperation (5).
Der Schmuggel nach Jugoslawien über die Berisha-Pyramiden und die offiziellen Investitionserwartungen brachen 1997 zusammen, als infolge des Dayton-Abkommens das Embargo gegen Jugoslawien wegfiel und die Importe wieder legal – und damit an Berisha vorbei – abgewickelt werden konnten. Das Pyramiden-System kollabierte, es gab die albanische Revolte 1997. Die Bundeswehr holte in ihrer Finanzierungsruine Flughafen Tirana mit ihrer ersten Militäraktion out-of-area deutsche Botschaftsangehörige raus – wir erinnern uns an diesen dreisten Akt. Doch Berisha konnte sich im Norden Albaniens halten und finanziert dort weiterhin den Aufbau der UÇK – so die Gesamtargumentation dieser, sagen wir mal verkürzt „Drogenthese“.
Unter denjenigen, die dieser Drogenthese anhängen, gibt es unterschiedliche Ausrichtungen: während der Antinationalist Elsässer die Unterstützung der CIA für die UÇK herunterhängt oder gar bestreitet und alle Schuld der BRD gibt, die somit die USA quasi in diesen Krieg hineingezwungen habe, vertreten klassische AntiimperialistInnen im Gegensatz dazu die These, daß die Drogenmafia sehr wohl im Sinne der US- Regierung gearbeitet habe. Dafür sprächen Gelder, die die UÇK direkt von der CIA über das Genfer Kosovo-Büro erhalte. Dafür sprächen auch elektronische Ausrüstungen der UÇK, mit der sie serbische Truppenbewegungen über NATO-Satelliten beobachten könne und umgekehrt Objekte für Luftangriffe bezeichnen könne. Außerdem ist das Diktat von Rambouillet und die Aufwertung der UÇK dort eindeutig von US-Strategen formuliert worden, der deutsche Einfluß darauf war relativ gering.
An dieser Drogenthese ist bestimmt nicht alles falsch. Im Kosovo nach 1990 und in Albanien 1997 sind infolge einer prokapitalistischen Crashkurs-Liberalisierung ganze Ökonomien zusammengebrochen. Im Strudel der ruckartig einsetzenden Massenarbeitslosigkeit gibt es sicher große Sektoren einer Untergrundökonomie, die mafiaähnliche Züge trägt. Im übrigen paßt dieser Ansatz gut ins Bild der binnenkriegerischen, plünderungsökonomischen Strukturen, die sich schon im Bosnien-Krieg zeigten. Andererseits sind bis auf den ARD-Monitor-Beitrag, wonach militärische Ausrüstung im Wert von zwei Mio. DM nach Albanien und von dort an die UÇK gelangt seien, die Quellen für diese These, zumal sie ins Geheimdienstmilieu führen, kaum nachprüfbar und leicht verschwörungstheoretisch interpretierbar. Der These der Berisha-Connection widerspricht auch die Tatsache, daß acht von zwölf Untergrundorganisationen der Kosovo-AlbanerInnen der 90er Jahre, die in der UÇK aufgegangen sind (aktiv ist die UÇK erst ab Mitte ’97), maoistischen Ursprungs sind und damit mit Liberalisierungsgewinnlern wie Berisha sicherlich einige Schwierigkeiten hätten. Es war schließlich Rugovas LDK, die lange Zeit die besten Kontakte zu Berisha hatte. Außerdem muß berücksichtigt werden, daß die Massenunterstützung für die Guerilla erst nach dem Dayton-Abkommen einsetzte, wo bewaffnete Politik belohnt worden war und die kosovo-albanischen Forderungen leer ausgingen, was zum Scheitern der gewaltfreien Strategie Rugovas beitrug. Ohne Massenunterstützung wäre aber die ganze bewaffnete UÇK ein Papiertiger geblieben. Hinzu kommt, daß der Hauptanteil ihrer Bewaffnung sicherlich aus einer Selbstbedienung im Anschluß an die Plünderung der Waffenlager nach dem albanischen Aufstand 1997 herrührt.
Außerdem sind kosovo-albanische Flüchtlinge in der BRD von BKA und offizieller Seite noch bis 1998 als illegale Drogendealer rassistisch diskriminiert und zur Abschiebung vorbereitet und abgeurteilt worden, wie etwa auch illegale Flüchtlinge aus z.B. afrikanischen Ländern. Die Drogenthese nimmt nicht nur die BKA-Berichte diffamierend für bare Münze, sondern reproduziert diese Rassismen noch.
Für noch immer plausibler als die These handfester deutscher ökonomischer Interessen angesichts des gescheiterten Berisha-Imperiums halte ich die These, daß es der BRD nicht platt um neuen „Lebensraum“ auf dem Balkan geht, sondern zunächst um eine Etablierung als ordnungspolitische Macht in dieser Region. Zur ordnungspolitischen Funktion eines BRD-Interesses zählt vor allem die Verhinderung neuer Flüchtlingsströme in die BRD. Nachdem trotz des gewaltlosen Widerstands der LDK um Rugova in den 90er Jahren ca. 200.000 kosovo-albanische Flüchtlinge in die BRD gekommen sind, können die Aufrüstung der UÇK und die BRD-Beteiligung an den Bombardements auf Jugoslawien als Versuche gedeutet werden, neue Flüchtlingswellen zu verhindern. Daß genau das Gegenteil eingetreten ist, zählt wiederum zu den unvorhergesehenen Folgen auch der deutschen Allmachtsvisionen in der Weltpolitik.
Somit ergibt sich eine weitere Konvergenz des deutschen postmodernen Nationalismus mit dem serbisch vormodernen Nationalismus: das Ziel ist die rassistische Schaffung „ethnisch“-sauberer Gebiete. Nur die Mittel sind unterschiedlich: brutale Vertreibung mittels vormoderner Kriegsführung auf serbisch-nationalistischer Seite, modern-polizeiliche Abschiebepolitik in Verbindung mit modernster Kriegsführung zur Eroberung von Territorien für die Wiederansiedlung vertriebener Flüchtlinge und zur Verhinderung neuer Flüchtlingswellen in die BRD auf Seiten des deutschen Nationalismus. Zynisch und brutal ist der eine wie der andere Nationalismus.
(1) vgl. dazu: Ernst Lohoff: Der Dritte Weg in den Bürgerkrieg. Jugoslawien und das Ende der nachholenden Modernisierung. Horlemann Verlag, Bad Honneff 1996. Ebenfalls mit viel Material dazu: David Schuster: Das Ende Jugoslawiens und der Beginn nationalistischer BürgerInnenkriege, Beilage in GWR 168, S.9-12. Der hier verwendete Begriff von Moderne deckt sich auch in etwa mit der Definition, die Zygmunt Bauman in seinen Büchern verwendet hat.
(2) vgl. zur plünderungsökonomischen Dynamik des Krieges vor allem Lohoff, ebenda, S. 162-176. Und: Xavier Bougarel: Zur Ökonomie des Bosnien-Konflikts: zwischen Raub und Produktion. In: Francois Jean & Jean-Christophe Rufin (Hg.): Ökonomie der Bürgerkriege. Hamburg 1999, S.191-218.
(3) vgl. Michel Chossudovsky: UÇK vom organisierten Verbrechen finanziert. E-mail-text aus Kanada mit von mir vorwiegend nicht-nachprüfbaren angloamerikanischen Quellenbelegen, S.3.
(4) vgl. Jürgen Elsässer: Drogen und Deutschmark, in Konkret 3/99, S.35. Ebenso: ders: Die Falle von Rambouillet, in Konkret 5/99, S.52ff.
(5) vgl. Peter Schubert: Zündstoff im Konfliktbereich des Balkan: Die albanische Frage. Nomos Verlag, Baden-Baden 1997, besonders S. 50f. und 57.