antimilitarismus

Nein zu Bomben, Krieg, Vertreibung!

Redebeitrag zur Antikriegsdemo, gehalten am 15. Mai 1999 am Rathaus Münster

| Dr. Bernd Drücke (Soziologe/Graswurzelredakteur)

Ich beginne mit einem Zitat von Kurt Tucholsky:
Nichts ist schwerer
und nichts erfordert mehr Charakter,
als sich in offenem Gegensatz
zu seiner Zeit zu befinden
und laut zu sagen:
Nein

Das wilhelminische Deutschland hat 1914 Serbien angegriffen, die deutschen Nationalsozialisten haben Belgrad 1941 bombardiert und nun beteiligt sich eine deutsche Armee zum dritten Mal in diesem Jahrhundert an einem Angriffskrieg gegen Jugoslawien!

Seit dem Ende des Ost-Westkonflikts und verstärkt durch den Golfkrieg der USA gegen den Irak hat sich eine „Neue Weltordnung“ etabliert. Der globalisierte Kapitalismus hat viele Menschen so verändert, daß es mir schwer fällt, sie wiederzuerkennen. Viele ehemalige GenossInnen, die früher aktive AntimilitaristInnen waren, die Aktionen und Demonstrationen gegen jede Form von Kriegstreiberei gemacht haben, sind nun der herrschenden Kriegspropaganda aufgesessen. Viele Menschen plappern nach, was sie von Schröder, Fischer, Scharping und Co. gehört haben. Weitgehend kritiklos glauben sie der Medienpolitik der NATO. Die Angriffe auf die Medienzentren in Belgrad wurden von der internationalen Journalistenvereinigung und Medienvertretern aller Länder verurteilt. Die NATO rechtfertigt die Angriffe mit der serbischen Propaganda. Macht die NATO keine Propaganda? Ist das Gleichsetzen Milosevics mit Hitler, das Gleichsetzen der „Serben“ mit der SS, der serbischen Vertreibungspolitik mit der Vernichtungspolitik der nationalsozialistischen Deutschen keine Propaganda? Ist das nicht eine Verharmlosung des Holocaust?

Dient dieser Krieg nicht auch bestimmten Machtinteressen? Dient er nicht den Wirtschaftsinteressen z.B. der Rüstungsindustrie?

Bringt er CNN und anderen kommerziellen Fernsehsendern nicht auch höhere Einschaltquoten und damit höhere Werbespot-Preise?

Wo sind die Berichte über die unzähligen Toten, die den 20.000 Bombenangriffen der NATO zum Opfer gefallen sind? Es sind weit mehr, als wir erfahren. Weder das jugoslawische Regime noch die NATO hat ein Interesse daran, die tatsächliche Zahl bekannt zu geben. Denn die Wahrheit könnte einerseits die regimefreundliche Stimmung in der Bevölkerung Jugoslawiens kippen und andererseits das orwellsche Reden von „Luftschlägen“ und „chirurgischen Operationen“ als verharmlosende Propaganda entlarven. Aber diese Art der Medienpolitik kennen wir ja schon aus dem Golfkrieg. Oder ist das schon vergessen?

Der NATO geht es nicht um Menschenrechte. Wo sind denn die Menschenrechte für die Millionen Kurden, die der NATO-Staat Türkei vertrieben hat? Wo sind die Menschenrechte für die vielen Flüchtlinge, die auch von der neuen rot-grünen Bundesregierung in Kriegsgebiete wie z.B. Kurdistan oder bis vor kurzem auch das Kosovo, abgeschoben werden?

Es scheint ein Ziel der NATO zu sein, die UNO zu entmachten und sich zum Herrscher der Welt zu machen. Dieses Ziel hat sie durch die Beseitigung des Völkerrechts, durch den Angriffskrieg gegen Jugoslawien erreicht.

Das, was früher innerhalb der Linken Konsens war, ist heute eine Minderheitenposition. Der allmorgendliche Blick in die taz dreht mir den Magen um: wir AntimilitaristInnen werden als „nützliche Idioten“, als „Unterstützer des serbischen Regimes“ diffamiert. Der eindimensionale Mensch feiert den Krieg als gerechten Feldzug der guten NATO gegen den bösen faschistischen Diktator. Daß die nationalistischen Fanatiker aller Seiten durch den NATO-Krieg gestärkt werden, daß bei den barbarischen NATO-Bombardements Tausende Menschen sterben, daß der barbarische NATO-Krieg die barbarische Vertreibungspolitik der serbischen Nationalisten verschärft hat, das wird verdrängt oder in Kauf genommen. Wer die Rolle der NATO und Bundeswehr analysiert und die Soldaten aller Armeen zur Desertion aufruft, wird eingeschüchtert. Aktuelle Beispiele: Am 21. April wurde das Tübinger Büro der Informationsstelle Militarisierung (IMI) von Polizeibeamten heimgesucht. Dem Graswurzel-Autor Tobias Pflüger wurde ein Schreiben mit einer polizeilichen Vorladung wegen der Aufforderung zu einer Straftat (§ 111 StGB) überreicht. Gegen Tobias wird wegen einer Ostermarschrede in München und wegen einer Rede in Tübingen (am 29. März) ermittelt. Tobias hat bei diesen Reden das gesagt, was er in der Graswurzelrevolution geschrieben hat, z.B. dies: „Die Kriegsmaschine läuft, Bundeswehrsoldaten sind höchstwahrscheinlich zu Mördern geworden.“

Auch gegen die Antimilitaristin Katja Polnik wird wegen einer Rede ermittelt, die sie am 10. April in Tübingen gehalten hatte. Begründet werden die Verfahren mit dem Aufruf zur Fahnenflucht: „Fahnenflucht ist eine strafbare Handlung. Also darf auch niemand dazu aufrufen“, so der Tübinger Staatsanwalt Ellinger.

Damit es nicht zur Kriminalisierung einzelner kommt, müssen sich viele Menschen gegen den Krieg stellen und ebenfalls die Soldaten aller Kriegsparteien zur Desertion auffordern.

Grüne, SPD und PDS aus libertärer Sicht

„basisdemokratisch – gewaltfrei – ökologisch -sozial“, das war in den achtziger Jahren das Motto der Grünen. Heute könnte dies auf den Bomben stehen, mit denen auch deutsche Tornados Jugoslawien bombardieren und Tod und Schrecken verbreiten.

Das pazifistische, humanitäre Image der Grünen trug zur Legitimation des Krieges bei. Angesichts der „humanitären“ Ermordung unzähliger Menschen, angesichts der „humanitären“ NATO-Bomben auf Personenbusse, Flüchtlingskonvois, Krankenhäuser, Brücken, Wohnhäuser, Chemiefabriken, Raffinerien und Kraftwerke, und angesichts der Tatsache, daß die NATO radioaktive DU-Munition zur Vernichtung von jugoslawischen Panzern verschießt, erscheint das Eintreten der Grünen für Menschenrechte und Ökologie als bittere Realsatire.

Die Richtigkeit libertärer Parlamentarismus- und Herrschaftskritik wird z.B. durch die Metamorphose Joseph Fischers deutlich. Er hat sich vom einstmals libertär und antiimperialistisch beeinflußten Sponti zum grünen Machtpolitiker und nun zum Kriegsbefürworter, zu einem für Bombardierung und staatlichen Mord mitverantwortlichen Außenminister gewandelt. Welch bittere Karriere!

Ohne die Kriegspropaganda von Fischer, Angelika Beer und Co. wäre der Krieg innenpolitisch nur schwer durchzusetzen gewesen.

„Parteien sind zum Schlafen da und zum schrecklichen Erwachen“, das schrieb die anarchistische Zeitung agit 883 schon 1968. Heute vertrauen viele Menschen auf „ihre Partei“, anstatt sich außerparlamentarisch zu engagieren, anstatt gegen die Parteiführer und deren Kriegspolitik zu demonstrieren.

Es ist gut, daß es innerhalb der Bündnisgrünen eine „Antikriegsinitiative“ gibt, der sich auch die Mehrheit der Grünen in Münster angeschlossen hat. Auch daß es innerhalb der SPD KriegsgegnerInnen gibt, ist erfreulich.

Die KriegsgegnerInnen in SPD und Grünen haben aber auf ihre Parteien wenig Einfluß. Sie dienen als fortschrittliche Aushängeschilder für zwei Kriegsparteien. Das zeigt auch der grüne Parteitag vom 13. Mai in Bielefeld. Ich fordere die Kriegsgegnerinnen und Kriegsgegner bei den Grünen und der SPD auf: Verlasst die Partei! Stellt Euch gemeinsam mit uns quer gegen den Krieg! Stellt Euch quer auch gegen die bald wieder rollenden, jetzt rot-grün angestrichenen Castortransporter!

Wer gegen den Krieg ist, muß auch gegen diese Regierung sein. Gegen den Krieg und für die rot- grüne Regierung zu sein, das ist absurd.

Die PDS erlebt durch ihre Kritik am Kriegskurs der Bundesregierung einen Aufschwung. Es gibt in der PDS eine Antikriegsarbeit, aber es gibt auch einen Populismus, der auf das Antikriegsthema setzt, weil das WählerInnenstimmen einbringt. Wäre die PDS an der Regierung, würde sie vermutlich ähnlich populistisch wie die jetzigen Regierungsparteien in Deutschland oder wie ihre am Krieg als Regierungspartei beteiligte französische Schwesterpartei agieren. Und ihre Vergangenheit als autoritäre DDR-Staatspartei ist nun wirklich alles andere als basisdemokratisch oder antimilitaristisch.

Bei vielen Menschen nimmt die Distanz zum politischen System zu. Diese Menschen gilt es zu erreichen. Gemeinsam mit diesen Menschen müssen wir eine ausserparlamentarische Bewegung gegen den Krieg bilden.

Was können wir als ausserparlamentarische Antikriegsbewegung tun?

Wir haben unsere Aktivitäten bisher auf Demonstrationen und Protestkundgebungen beschränkt. Aus Protest kann Widerstand werden. Einige Aktionsideen sind zum Beispiel in den aktuellen Antikriegsausgaben der Graswurzelrevolution (Nr. 238 / April und Nr. 239 / Mai 1999) vorgeschlagen. Die Antikriegsbewegung hat viele Möglichkeiten. Sinnvoll sind Briefe an Verantwortliche, Unterschriftensammlungen, inhaltliche Aufklärung durch Veranstaltungen, Mahnwachen, Demonstrationen, Unterstützung von Flüchtlingen, symbolische und direkte Aktionen. Diese Aktivitäten ergänzen sich. Die Mordmaschinerie der NATO und der jugoslawischen Armee muß sofort gestoppt werden. Dies ist nicht möglich durch Wählen, dies ist aber vielleicht möglich durch den Druck einer wachsenden Antikriegsbewegung, durch die Unterstützung der Deserteure aller Armeen und durch Unterstützung der außerparlamentarischen Antikriegsbewegung in Jugoslawien und hier.

Das wird von den hiesigen Medien verschwiegen: Es gibt antimilitaristische Gruppen in Jugoslawien. Sie engagieren sich seit Jahren gegen die Verbrechen des serbischen Regimes und nun auch gegen die NATO-Bombardements. In der aktuellen Ausgabe der Monatszeitung Graswurzelrevolution kommen solche Gruppen zu Wort, zum Beispiel die Frauen in Schwarz. Diesen Gruppen gehört unsere Solidarität und nicht den Kriegsparteien Milosevics, der UCK oder der NATO.

Wir müssen die Stimmung in Deutschland Richtung Antikriegsstimmung bringen! Durch Gegenöffentlichkeit sollten wir Licht ins Dunkel der Kriegspropaganda werfen. Verteilt die Antikriegspublikationen! Verteilt die Massenzeitungen vom Netzwerk Friedenskooperative und der Graswurzelrevolution. Offene Grenzen für alle! Für eine gewaltfreie und herrschaftslose Gesellschaft! Streut Sand ins Getriebe der Kriegsmaschinerie!