concert for anarchy

Daddy Longleg: „middle toe“

Punk ist dogmatisch. Kann er zumindest sein. Und er sollte es zuweilen auch.

Die leisen Gitarrenanklänge zu Stückbeginn sind vielleicht etwas ruhiger als auf der Vorgängerscheibe „Nada“. Aber dann, aber dann, dann geht es unbedingt ruppig ab. Die neue 10inch der Münsteraner hc/Punk-Band Daddy Longleg heißt „unrest“ und ist gut. Mit zwei geknüppelten Songs deutlich härter als Pennywise, klingen Daddy Longleg nach wie vor nach Kalifornien. Mit einer deutlichen Akzentverschiebung im Gegensatz zur letzten Platte: weniger NOFX, mehr Subtle Plague. Aber natürlich immer noch mehr No Use For A Name als Rockmusik. Irgendwie traditionell im Schlagzeug-Gitarren-Gemisch, kraftvoll im Gesang und flexibel in der außermusikalischen Geste: Mittelzeh statt Mittelfinger! Alles in allem melodischer Hardcore vom Feinsten.

Warum sollte gute Musik zuweilen auch dogmatisch rüberkommen? Oder sind am Dogma nur die surroundings tätig, und gar nicht die Musik selbst? Ich denke, bei Punk verschwimmen diese Fragen. Zumindest in der Punk-Tradition, die außer ihrem lifestyle auch noch Inhalte rüberbringen will. Solche politischer Art zum Beispiel. Es ist ja nicht selbstverständlich, entweder aus der Polit-Szene auf die Bühne zu finden, oder von den bedeutenden Brettern aus die Welt neu zu deuten. Ja, und? Die eingespielte zapatistische Stimme, die „Viva la revolución“ ruft, erinnert zumindest an eine Möglichkeit. Und die ist in diesem Falle weniger auf die Musik bezogen. Seit die kids nicht mehr all right sind, wie Poptheoretiker Diederichsen festgestellt hatte, weil sie auch mit Malcolm X-Baseballkappen Brandsätze auf AsylbewerberInnenheime schmeißen (Rostock 1992), weil „Jugendkultur“ also nicht per se emanzipatorisch gedacht werden kann, ist es vielleicht auch wieder notwendiger, ein bißchen von Freiheit und gegen Unterdrückung zu brüllen. Ich find’s jedenfalls angemessen, nach wie vor. Als „Postmodern Protestsong“-Text formuliert: „the biggest lie they ever spread claims we were free“ (Daddy Longleg). Punk scheut natürlich den Klartext nicht, und so gibt’s vom Politflügel auch auf „unrest“ eingängiges Wortwerk gegen die bösen Verhältnisse.

Darüberhinaus ist es kein Zufall, daß statt eines majors gleich drei Do-It-Yourself-labels die Platte rausbringen (Twisted Records, Pfinztal; Falling Down Records, Münster und !Ya Basta! Recordings, Bocholt). Das ist der Dogmatismus, den ich meine. In Wort und Tat – falls wir da noch unterscheiden wollen – engagiert und ehrlich bei der Sache. Und zu Punk & Politik noch eins: Antipop-Szenechronist Martin Büsser bringt gegen die Wirkung von Punk- Ästhetik vor, daß es nie von der Anzahl von veröffentlichten Punk-Platten abhängt, wieviel junge Leute zur Antifa gehen, sondern immer davon, wieviel Faschismus es gibt. Da hat er recht. Dennoch ist der überdimensionierte Lautsprecherwagen der anarchistischen Milizen aus der Spanischen Revolution, der vom „unrest“-Cover prankt, eine – wie sag ich’s meinen Punkerfreunden? – wohltuende visuelle Positionierung.

middle toe

do you know?
your shirts are made of pain
bauxite factories still pollute latin america
in western germany there are more cars than in africa
in the southern countries workers
have no right to organize

boycotts are right but that can't be enough
we shall not look through their bloody business
the structures are wrong and the actors are despotic
the names are known, we can try to fight back

you tell you you don't see
any relations between
our lives and the so-called
less developed states

you're too lazy to inform yourself
too ignorant to change our life

revolution starts at home
t-shirts, coffee, cans of beer, oranges,
computers, guitars, footballs, stereos

columbus hasn't died!

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