Kürzlich besuchte ich eine spannende Veranstaltung, die ich ohne große Erwartungen betrat (da ich glaubte, über das Thema bereits einiges zu wissen), und tief geschockt - ob einer ganzen Flut unerwarteter Selbsterkenntnis - wieder verließ. Im Rahmen der Veranstaltungsreihe Gegen das Vergessen - Frauen und Lesben im Nationalsozialismus des Frauenzentrums Regensburg ging es an um das "Frauenbild im Nationalsozialismus" und um die "Diskriminierung von Lesben".
Die Referentin Uta Keppler stellte heraus, wie die Propaganda das Frauenideal im Dritten Reich den jeweiligen gesellschaftlichen Erfordernissen anpaßte: von der treusorgenden Hausfrau und Mutter – Quell einer neuen germanischen Überrasse – wurde sie zur Soldatengebärmaschine, schließlich zur Waffenschmiedin und, in Vertretung der Männer, ganz allgemein zur Berufstätigen. Die Brüche und Widersprüche in diesem Frauenbild bereiteten anscheinend weder den Frauen noch der Propaganda Probleme.
Die Diskriminierung von Lesben, so erfuhren wir, fand im Gegensatz zur Schwulenverfolgen (§175!) viel indirekter statt. Die offizielle Begründung, warum ein Strafgesetzparagraph für Lesben unnötig sei, war: erstens sei lesbische Betätigung nicht eindeutig feststellbar, da Frauen mehr Körperkontakt pflegten; und zweitens seien Lesben gesamtgesellschaftlich nicht so schädlich wie Schwule, da ihre Fortpflanzungsfähigkeit weiterhin zu Verfügung stehe (will heißen: sie können vergewaltigt werden) und sie nicht öffentlich sichtbar sind. Folglich könnten sie kein verderbliches Beispiel geben. Eine zweifelhafte Ehre, mit solchen Begründungen noch einmal davongekommen zu sein! Zumal die indirekte Diskriminierung durch strukturelle Gewalt (Zwang zur Eheschließung, bzw. Vorenthalten von Privilegien) Lesben damals genauso traf wie auch heute noch. Außerdem wissen wir inzwischen, daß Lesben ebenso aktiv verfolgt wurden wie Schwule, nur daß dies häufig unter dem Deckmantel der Asozialenverfolgung geschah (siehe hierzu z.B. die Forschungen von Claudia Schoppmann).
Im Anschluß an den Vortrag war ein Diskussionsteil vorgesehen, in dem es um die Frage gehen sollte, inwieweit nationalsozialistische Ideologie in das Frauenbild heutiger Zeit fortwirkt. Mit einer Art kollektivem brain storming (Metaplantechnik) schaffte es die Referentin, alle anwesenden Zuhörerinnen zur Mitarbeit zu motivieren. „Wie sieht das traditionelle Frauenbild heute aus?“ und „Wie sieht das moderne Frauenbild heute aus?“ waren die beiden Ausgangspunkte, zu denen wir Stichworte sammeln sollten. Spontan fügten wir noch eine dritte Gruppe hinzu: „Wie ist mein persönliches Frauenbild, bzw. -ideal?“ Und genau diese Frage führte zum bereits erwähnten Erkenntnisschock. Dabei wären die ersten beiden Fragestellungen schon schlimm genug gewesen.
Wie sieht das traditionelle Frauenbild heute aus?
Unsere Stichwörter zum Thema „traditionelles Frauenbild“ zeigten große Einigkeit und lassen sich am besten unter das bekannte „Kinder, Küche, Kirche“ zusammenfassen. Die Hausfrau und Mutter zeichnet sich unseren (Vor?-)Urteilen nach durch aufopfernde, selbstlose Liebe, ehrenamtliches soziales Engagement, Ausbeutbarkeit und willige Unterwerfung aus. Oder, wie eine der Teilnehmerinnen die Sache auf den Punkt brachte: „trägt Trachtenrock“.
Sämtliche Nennungen zur „traditionelle“ Frau:
Zwei Kinder / Mutter und Ehefrau / Ehefrau und Mutter / treue Ehefrau / sorgt sich um Kinder, Mann und Haushalt / kümmert sich rund um die Uhr um Mann, Kinder und Heim / spätestens wenn Kind kommt: heim an den Herd / Haushalt / Frau gehört in die Familie (Kinder, Haushalt, Ehefrau) / Kinder, Küche, Kirche / treffen sich im katholischen Frauenbund / In Unterordnung „willig“ aufgehend / emotional gebend, eher zurückhaltend / emotional, sensibel / mütterlich, versorgend, liebend, etc. / asexuell (aber hetero) / sanft, anpassungsfähig, hingebungsvoll, anlehnungsbedürftig => schwach / selbstlos / hysterisch / untergeordnet, dienend, Stütze der Gesellschaft / Stütze der Männer (Gewaltopfer) / als ehrenamtliche Helferinnen gern gesehen (v.a. Kirche!) /Dienerin, Ehrenamt /pflegt Großeltern /es gibt bestimmte Frauenberufe / von Natur aus anders / Faltenrock, Trachtenkostüm
Wie sieht das fortschrittliche Frauenbild heute aus?
Beim modernen Frauenbild gingen die Meinungen weiter auseinander, ließen sich aber ebenfalls wieder grob in drei Gruppen einsortieren: doppelbelastet (Karriere, Heim, Kind und Mann), schein-emanzipiert (pseudo-gleichberechtigt ohne echte Macht) und dem Körperkult-Diktat unterworfen („fit for fun“). Wir – ein Haufen gemäßigt feministischer bis linksradikaler weißer Frauen und Lesben zwischen 20 und 50 aus verschiedenen sozialen Schichten – wir waren einstimmig der Meinung, daß angesichts dieser erschlagenden Anforderungen an „die moderne Frau“ das traditionelle Frauenbild um einiges erstrebenswerter erscheint. Die Frau im Trachtenkostüm darf wenigstens dick sein und muß sich nicht rund um die Uhr zu Tode schuften.
Sämtliche Nennungen zur „moderne“ Frau:
Kann alles, macht alles / Karrierefrau (stark, Durchsetzungsvermögen) / erfolgreich im Beruf / d.i.n.k. (double income, no kid) / es gibt die sog. Quotenfrauen / hebt das Betriebsklima durch „weibliche“ Fähigkeiten (soziale Kompetenz) / „irgendwie“ Ehefrau & Mutter & beruflich erfolgreich & viele interessante Hobbies & selbstverwirklicht & voll kreativ & ausgeglichen, mit Herz und Verstand, „irgendwie“ anders / trotz Karriere den Männern zur Verfügung stehen / arbeitet und sorgt sich um Kinder, Mann und Haushalt / bringt alles unter einen Hut: Beruf, Familie etc. / moderne Hausfrau und Mutter / „Mittelschichtsmutter“ – erzieht Kinder nach neuer Ideologie (diesmal links, feministisch) / Frauen von heute verbinden Kind und Karriere problemlos / Spagat der Unvereinbarkeiten / doppelbelastet / Wehe, Mutter gibt Kind zum Vater => Rabenmutter / muß für gesellschaftliche Anerkennung immer noch doppelt so gut sein / emanzipiert / emanzipiert, aber keine Emanze / Scheinemanzipation / Frauen sind gleichberechtigt! / wenn unzufrieden: an allem selbst schuld, weil sie hätte ja alle Rechte und Möglichkeiten / ohne Macht / jung, dynamisch, schön, schlank / fit for fun / nicht behindert / schön, schlank, begehrenswert / jung und attraktiv / gutaussehend, selbstbewußt / selbstbewußt und selbständig / selbstbestimmt bis zur Euthanasie und eugenischen Abtreibung / super Draht zur Natur => wird die Welt retten können
Die feministische Idealfrau
Aber es sollte noch dicker kommen! Wie sah es denn mit unserem eigenen Frauenbild oder -ideal aus? Hier rangierte fast einmütig die Selbstbestimmung an oberster Stelle. Selbstbestimmt, selbständig, eigentverantwortlich und unabhängig lebt diese Frau keine Rolle mehr, sondern ihre eigene, individuelle Persönlichkeit. Sie ist lebendig, mächtig, auch gefährlich. Solidarität, Achtung, Ehrlichkeit, Verantwortung und Humor wurden nur als Utopien genannt. Weitere Wünsche: faul sein zu dürfen (nicht mehr 2/3 der Weltarbeit machen müssen); fett, häßlich und gemein sein dürfen.
Auffallend war, daß unsere Idealfrau weder irgendwelche sozialen Beziehungen hat – seien es Kinder, Eltern, Freundin- oder PartnerInnenschaften – noch sich in irgendeiner Weise um ihre materielle Existenz kümmert. Hier zeigt sich deutlich, wie sich der Wandel des Frauenbildes aus der Ablehnung des Bestehenden entwickelt: die Doppelbelastung der modernen Frau ist eine Reaktion auf das Eingesperrtsein und die materielle Abhängigkeit in der traditionellen Frauenrolle. Ebenso ist die freischwebende Selbstbestimmung unseres autonom-feministischen Idealbildes eine Reaktion auf die Ablehnung von Doppelbelastung und Fremdbestimmung, der die machtlose Pseudo-Emanzipierte nach wie vor unterliegt.
Sämtliche Nennungen zu „Mein Frauenbild / Wunschbild“:
Verantwortung / Anerkennung als Mensch / Respekt vor dem Weiblichen / Utopie Solidarität / Ehrlichkeit / keine „Rolle“, sondern Persönlichkeit / Leben nach eigenmächtigen „Natur“-Gesetzen, nicht nach fremdbestimmten patriarchalen Regeln / stark und selbstbestimmt / unabhängig und selbstbestimmt / (selbst-bewußtes) selbstbestimmtes Leben / selbstbestimmt / selbständig / eigenverantwortlich / starke Mädchen / jede soll „das ihre“ tun und leben, solange es noch was zu leben gibt! / ganztags lebend statt halbtags arbeitend / Frau ist auch Täterin! / mächtig / gefährlich / verletzt / bunt / lebendig / lustiger als heute / öko / kompetent, weise / interessant / fett, häßlich und gemein / ich darf sooo faul sein, mache nicht mehr 2/3 der Weltarbeit
Angesichts dieser maß- und bezugslosen Selbstbestimmung, Selbständigkeit und Unabhängigkeit sprang uns das Fehlen sozialer Beziehungen und ethischer Werte schmerzhaft ins Auge. Sicher ist dies ein verständliches Symptom des allgemeinen Zeitgeistes: Individualisierung, Ellbogengesellschaft und das Zerbröckeln des sozialen Grundkonsens sind natürlich auch an uns Vortragsbesucherinnen nicht spurlos vorübergegangen. Aber frau muß sich doch ernsthaft fragen, ob wir mit dem Entwurf solcher Utopien nicht das Kind mit dem Bade ausschütten? Letzten Endes fanden wir übereinstimmend unsere Idealfrau noch weniger erstrebenswert als die moderne Doppelbelastete. Die hat wenigstens noch menschliche Beziehungen und eine eigenständige Existenzsicherung.
Wieder einmal zeigt sich, daß die reine Ablehnung des Alten noch lange kein sinnvolles oder gar erstrebenswertes Neues hervorbringt!
Ein Plädoyer für neue alte Werte
Ein Szenario: ich versetze mich in eine beliebige linkspolitische, lesbische oder feministische Arbeitsgruppe und stelle mir vor, wie ich mitten in die Diskussion eine Bemerkung über die Liebesfähigkeit von Frauen einwerfe. Oder noch gewagter: Ich fordere, daß ein gesellschaftlicher Rahmen geschaffen werden muß, in dem Frauen mütterlich, versorgend, aufopfernd und liebevoll sein können, ohne dadurch benachteiligt zu werden. Geradezu undenkbar! Schallendes Gelächter und faule Tomaten wären wahrscheinlich noch die glimpflichsten Reaktionen.
Nein. Eine moderne Feministin ist unabhängig, selbstbestimmt, stark, kämpferisch, selbstsicher – alles, nur nicht liebevoll, rücksichtsvoll, sozial bewußt oder gar nährend! Dabei ist es doch eigentlich völlig absurd und nicht begründbar, diese wunderbaren menschlichen Eigenschaften abzulehnen. Vor allem, wenn ich mir meine Freundinnen oder die Frauen, die mit mir diesen Vortrag besuchten, in ihrem Alltag betrachte. Denn was tun sie? Sie kümmern sich umeinander, helfen, versorgen, nähren, pflegen, hören sich zu, sind voneinander abhängig, aufeinander angewiesen, haben Beziehungen zueinander und versuchen tatsächlich zu lieben! Was sollte daran auch falsch sein? Warum dieses Tabu, zu benennen, was doch offensichtlich ist? Und zwar heute genauso wie früher, egal ob mit dem Diskutierbad feministischer Ideologie ausgeschüttet oder nicht.
Ich habe an diesem Vortragsabend viele Scheuklappen verloren. Die traditionelle Frau ist mir näher gekommen. Ich finde manche ihrer Eigenschaften plötzlich kostbar und bewahrenswert, auch in der politischen Diskussion. Vielleicht wird es Zeit, ein neues-altes Feminismusverständnis auszurufen, das der uferlosen Selbstbestimmung (bis hin zur Euthanasie und eugenischen Abtreibung“) die Grenzen der Menschlichkeit wiedergibt. Es lebe der in diesem Sinne der wertekonservative AnarchaFeminismus!