Gita Tosts Anspruch ist es „ein möglichst realistisches Bild lesbischer Sexualität zu beschreiben, so wie sie tatsächlich in meinen, deinen, unseren sexuellen Begegnungen ihren Ausdruck findet. Keine Medienklischees sollen es sein, keine reißerischen Modeerscheinungen und kein erhobener Zeigefinger, sondern eine durchlebte (nicht nur durchdachte!) Analyse der Hintergründe unserer alltäglichen Probleme, die Hand und Fuß hat und die eher weiterhilft, als unter Druck zu setzen. „Über Sex zu reden und dabei Gewaltfolgen auszublenden, ergibt ein verzerrtes Bild von weiblicher / lesbischer Sexualität.“ Vieles davon gilt für weibliche Sexualität insgesamt, anderes wiederum kann mit Hetera-, Schwulen- oder sonstigen Verhältnissen nicht verglichen werden. Ausdrücklich schreibt sie als Lesbe für Lesben.
Tost zeichnet Sexualität als weite, offene Landschaft, in der jede ihr Lieblingsplätzchen finden kann, in der es aber auch die unwirtlichen schmerzhaften Gegenden die sogenannten Grau(s)zonen gibt. Als Überlebende sexualisierter Gewalt in einer von Gewaltstrukturen durchzogenen patriarchalen Gesellschaft, weiß sie besonders gut um die Auseinandersetzungen mit diesen Grau(s)zonen. Flashbacks, Depressionen, Selbsthaß, die aus Traumata resultieren. Traumata, die aus einer unmittelbaren Bedrohung von Leib und Leben rühren, denen Betroffene hilflos ausgesetzt sind. Traumata, die denen aus Katastrophen, Kriegserfahrungen, Folter und KZ-Inhaftierungen ähnlich sind. Das Wissen um diesen Zusammenhang kann LesbenFrauen helfen, Flashbacks, Depressionen und psychosomatische Erkrankungen als das einzuordnen, was sie sind. Nämlich als Folgen von (patriarchalen) Gewalterfahrungen (mitverursacht durch kollektive Strukturen) und nicht als individuelle ‚Verrücktheit‘. ‚Sexualisierte Gewalt ist deshalb so graviered, da sie auf das Brechen der gesamten Persönlichkeit zielt und den intimsten und verletzlichsten Teil der menschlichen Würde angreift‘.
FrauenLesben, die sich persönlich, sexuell und politisch auf andere FrauenLesben beziehen, geraten früher oder später mit diesen Zusammenhängen sexualisierter Gewalt in besonderem Maße in Kontakt. Nicht nur, daß jede tagtäglich den Auswirkungen patriarchaler Strukturen ausgesetzt ist, sondern sie bezieht sich auch liebend auf LesbenFrauen, die ihrerseits darum wissen. Weder Ignoranz noch starre Fixierung auf gesamtgesellschaftliche und verinnerlichte Gewaltstrukturen und deren Auswirkungen helfen hier weiter. Angemessene Auseinandersetzung und das Aufspüren neuer Lust- und Freiheitsräume verhindern ein Stehenbleiben bei bloßem Frust und Analyse. Und genau dieses Aufspüren neuer Lust- und Freiheitsräume speist die vielfache Stärke des Buches „FreiSchwimmerin. Lust und Grau(s)zonen lesbischer Sexualität“ Tost zeigt einerseits nüchtern patriarchale Gewaltzusammenhänge, vergleicht am Rande mit herkömmlichen Abhandlungen zu lesbischen Sexualitäten und überlegt und entwirft andrerseits neue Wege. Wege, die gewaltvolle Erfahrungen von LesbenFrauen ernstnehmen und die hinführen zu den Zonen der Lust. Die erogenen Zonen lesbischer Lust in einem komplexen Lebenskontext einer weiten, offenen Landschaft.
Ernsthaft, lustig, humorvoll leitet die Kreativfeministin (wie sie sich selbst nennt) Gita Tost die Leserin durch die Ratgeberin der anderen Art. Im Kapitel „Das Schwimmbecken vergessener Begegnungen“, das ihr Bild für die Gesamtheit und die Wechselwirkungen von eigenen sexuellen Erlebnissen ist, frägt sie in einem Unterkapitel „Können Theorien schwimmen?“. Tost entwickelt aus Theorien, die eben manchmal schwimmen können und sich manchmal als untauglich erweisen, und aus selbst durchlebten Erfahrungen eigene Theorien, die nicht festlegen. Vielmehr regen sie zu Diskussionen an. Lassen sich an eigene Überlegungen und Erfahrungen anknüpfen. Sie machen Lust, verantwortungsvoll mit anderen auf Entdeckungsreisen zu gehen.
Zum Abschluß ihres Buches, das das Potential hat, der Anfang eines neuen Stranges lustvoller feministischer LesbenFrauenPower zu sein, kommt Gita Tost nicht umhin, doch ein paar „Techniktips in Sachen Sex“ zu geben: Kommunikation, Humor, die Ebenen vertöchtern …
Gita Tost: FreiSchwimmerin. Lust und Grau(s)zonen lesbischer Sexualität. Ulrike Helmer Verlag, Königstein / Taunus 1999, 276 S., 38 DM.