transnationales / antimilitarismus

Mehmetler konuşuyor

In "Mehmets Buch" sprechen zum ersten Mal Soldaten gegen Krieg in Kurdistan

| Übersetzung: Gülseren Bearbeitung: Irene Kober

Das Buch von Nadire Mater "Mehmets Buch. Soldaten, die im Südosten gekämpft haben, erzählen" kam 1998 heraus und ist im Juni 1999 vom türkischen Staatssicherheitsgericht wegen "Beleidigung des Militärs" wie so viele tausende von Büchern vorher verboten worden.

Zwei der letzten Exemplare hat mir meine Freundin, eine Istanbuler Feministin, geschenkt. Das Buch ist meiner Freundin sehr wichtig. Durch die Lektüre dieses Buches ist ihrer Tante erst klar geworden, was ihr Sohn eigentlich erlebte, nachdem er einberufen und im Krieg ermordet wurde. So wie der Tante erging und ergeht es vielen, sagte meine Freundin. Außer der täglichen glorifizierenden kitschigen Kriegspropaganda ist der Krieg im Südosten bisher immer noch tabu. Nur wenn Betroffene erzählen, wird etwas erfahrbar. Meist herrscht jedoch Schweigen vor, da die Gesellschaft die Traumata des Krieges nicht wahrhaben will. Die Betroffenen sollen nach den Kriegseinsätzen aber den „zivilen“ Alltag wieder aufnehmen.

Keine Chance der Aufarbeitung

In der Nachkriegszeit tritt das typische Vietnam-Syndrom auf (Agressivität, Angst, Alpträume, Gewalttätigkeit), ohne daß man sich organisieren und darüber sprechen kann. Nadire Mater versucht zum ersten Mal ehemalige Soldaten öffentlich sprechen zu lassen: Sie sammelte über 40 namenlose Interviews mit Männern, die in den letzten Jahren von 1984 bis 98 Kriegsdienst absolvieren mußten oder es auch freiwillig taten. Sie gab ihnen alle Möglichkeiten des Sprechens und auch des Nicht-Sprechen-Wollens, um möglichst nah ihre psychosziale Befindlichkeit zu ermitteln. Sie fragte jeden Interview- Partner nach der Situation vor der Einberufung, nach der Zeit während des Krieges und wie es ihm nachher erging. Dabei kommt die grausame Realität des Krieges und die Hilflosigkeit der oft blind ins Geschehen geworfenen Soldaten zum Ausdruck.

Es ist aber auch eine Sprache der Täter, die Propaganda verinnerlicht haben.

Mehmet wird der einfache Soldat genannt, der den „Kampf gegen den Terrorismus“ führen soll, und als toter Soldat zum „sehit“ („Helden“) avanciert. Der türkische Staat hat seit 15 Jahren 2.5 Millionen Soldaten im Südosten im Einsatz. Für die, die nicht die vergangenen Jahre im Südosten der Türkei erlebt haben, vermittelt das Buch endlich eine faßbare Realität: Was ging in diesen Männern vor, als sie den Einsatzbefehl in den Südosten erhielten? Was haben sie erlebt in der Grundausbildung und dann im Einsatz gegen die KurdInnen? Was hat der Krieg aus ihnen gemacht?

Die ehemaligen Soldaten erzählen von der Absurdität des Krieges, daß der Staat kein Interesse an einem Ende dieses Krieges hat und daß die reichen Söhne nicht im Südosten eingesetzt werden. Außerdem berichten sie von den grausamen Methoden der Sonderkommandos und der „Schändung“ von Leichen getöteter PKK-KämpferInnen. Sie bestätigen die Existenz von JITEM (spezielle Sonderkommandos), die mit großer Willkür morden und nehmen Anteil an dem endlosen Leid der kurdischen Bevölkerung, die zwischen den Fronten aufgerieben wird.

Das Buch ist deshalb sowohl für die türkische als auch für die europäische und westliche Gesellschaft von Bedeutung. Es wird hoffentlich bald ins Deutsche übersetzt. Im Folgenden drucken wir erste Auszüge in Original und Übersetzung ab.

Irene Kober


Vorwort

Nirgends auf der Welt findet ein Krieg so statt, wie es im Fernsehen oder in den Medien zu sehen ist. Kugeln zerfetzen und töten. Dort als Soldat inmitten des Feuergefechts zu sein, kann man Außenstehenden nicht beschreiben.
Wie auch immer die Namen sind, wir kennen den Soldat nur als Mehmed, obwohl die Soldaten, wie wir auch Kinder irgendwelcher Eltern, Brüder, Geliebte und Väter, Menschen mit Namen sind.
Mehmets Buch wurde von 42 solcher Personen geschrieben.
Diese haben ihren Militärdienst zwischen 1984-1998 in der Südosttürkei, wo der Ausnahmezustand herrscht, absolviert. Sie wollten das Erlebte mit Euch teilen, deshalb haben sie den Mut gehabt, dieses Buch zu schreiben.

„Der Tod ist nur zwei Zentimeter über dir“, sagt Ahmet schmerzvoll, „wenn du deinen Kopf nur zwei cm aus der Deckung hochhebst, kriegst du den Schuss zwischen die Augenbrauen.“
Dies erzählt ein Offizier, der seinen Dienst im Südosten der Türkei absolviert hat.

1964 in Serik geboren, hat Abitur gemacht. Der Vater ist Kaufmann. Er führt den Laden vom Vater. Militärdienst zwischen 1983-1984 absolviert:

Ich bin zurückgekehrt ohne den Feind gesehen zu haben
Unser Gruppenkommandant fuhr mit dem Offizier in einem Jeep hoch. Die Terroristen schießen von oben, der Kommandant stirbt sofort. Der Offizier stürzt mit zwei Soldaten in ein Tal und ist eingeschlossen. Ein LKW-Fahrer sieht sie und macht Meldung an uns. Unsere Gruppe hatten Bereitschaft: wir fuhren sofort zum Tatort. Später kam auch der Kurier vom Kommandanten um.
Die Terroristen konnten wir leider nicht fassen. Wir haben bis zum Morgen geschossen ohne ein Ergebnis.
Später hörten wir, daß sie in den Irak wollten. Um dies zu verhindern, brachte man uns mit dem Helikopter an die Grenze. Wir haben geschossen; dann erfuhren wir, daß wir auf die Packesel von Schmugglern geschossen hatten. In einem Ort, der Catulga heißt, blieben wir einen Monat. Es war drei Uhr morgens, als wir geweckt wurden und es hieß: „Die Terroristen kommen!“ Wir fingen sofort an zu schießen. Morgens wollten wir nachsehen, wieviele Terroristen wir umgebracht hatten. Wir hatten Packesel erwischt.

In einem Ort der Catulga heißt blieben wir einen Monat. Es war drei Uhr morgens als wir geweckt wurden und es hieß: „die Terroristen kommen!“ Wir fingen sofort an zu schießen. Morgens wollten wir nachsehen, wieviele Terroristen wir umgebracht hatten. Wir hatten Packesel erwischt.

Es gibt keine Möglichkeit für die Menschen, ihren Lebensunterhalt zu verdienen, kein Sozialleben, keine Bildung. Die einzige Geldquelle ist die Schmugglerei. Tagsüber sieht man nur Frauen auf den Straßen. Wenn man fragt, wo ihre Männer seien, heißt es: „er ist nach Istanbul gegangen“ das Militär wird dort gehaßt, ich kann nicht verstehen warum. Wenn man in die Region investiert hätte, wäre dies alles nicht passiert, denke ich.

Die Gesellschaft interessiert sich nicht für den Südosten. Nur die, deren Kinder dort Militärdienst leisten oder die in dem Alter sind. Die Medien propagieren den Militärdienst. Bevor man die Kinder dorthin schickt, interessiert es keinen Menschen. Wenn ich nicht dort gewesen wäre, wüßte ich nicht wo Semdinli ist.
(November 1998, Serik, Antalya)


1966 in Cankiri geboren hat Volksschule besucht und seinen Militärdienst in Tunceli 1986 absolviert:

Natürlich hat man eine Wut wenn man einem Terroristen begegnet. Wir faßten sie und lieferten sie bei der nächsten Gendarmerie ab. Dort wurden sie verhört. Du darfst ihnen nichts tun, es ist verboten. Wenn du mit ihnen redest, geben sie dir als Antwort das Freiheitszeichen. Die Gendarmerie bekam normale Meldungen, wir bekamen definitive. Wir fuhren hin und liquidierten sie, z.B wenn wir hörten: „Da sind 9 Terroristen.“, dann sind dort auch welche. Wir kamen viel herum. Die Dorfbewohner glaubten, wir wären Terroristen. Wenn denunziert wird, gingen wir als Terroristen in das Dorf und sagten: „Unsere Freunde wollten hierher kommen, in welche Richtung sind sie gegangen?“ Wir wußten nicht, was uns erwartet, deshalb machten wir vorher unsere rituelle Waschung und gingen zum Einsatz. Es kam vor, daß wir einen Monat lang unsere Stiefel nicht auszogen. Manchmal funktionierte unser Funkgerät nicht, weil der Akku nicht aufgeladen werden konnte. Das bedeutet kein Wagen, kein Lebensmittel. In der Regel wurden wir sehr gut verpflegt.

Das Südostproblem, Kurdenproblem gibt es nicht. Es ist eine Person, die Probleme verursacht. Es gibt nicht das Problem Türke, Kurde. Wenn Öcalan nicht wäre, gäbe es das Problem nicht. Er wird von mächtigen Ländern unterstützt. Z.B. Türkes – Gott sei ihm gnädig – sagte: „Gebt mir drei Monate, und ich bringe seinen Kopf“. Warum hat man ihm das nicht erlaubt? Ich weiß es nicht. Ich verfolge die Nachrichten. Da wo wir im Einsatz waren wird weitergemacht, es hat sich nichts geändert. Die Gegenseite agiert auch wie eine Armee. Die besten Soldaten des Militärs befinden sich dort. Ich weiß nicht, warum es solange dauert. Z.B. der Bauer ist tagsüber ein normaler Bürger, in der Nacht erscheint er als Terrorist, deshalb sagte man: „Es ist hier überall so, so lange man diese Region nicht vernichtet, kann man das Problem nicht lösen. Den Osten muss man vernichten“, sagt man. Ich bin resigniert, es wird weitergehen. Wer kann das beenden nur einer wie Atatürk, anders wird es nicht gehen.
(August 1998, Cankiri)


Sayilar… Zahlen…

Auf einer Pressekonferenz im Jahr 1998 teilte der Präsident Süleyman Demirel mit, daß seit dem Beginn der Terroranschläge vom 15. August 1984 bis Anfang Dezember 1998 insgesamt 32.853 Einsätze gab. Dabei sind 5.555 Sicherheitskräfte umgekommen, desweiteren gab es 11.168 Verletzte.

Hundert Prozent des Erdöls der Türkei wird im Südosten gefördert. Dies beträgt im Jahr ca. 200 Trillionen Türkische Lira (TL).. .30% des Wassergebiets besteht aus Euphrat und Tigris. Aus dem hieraus erstandenen Energiezins beträgt das Einkommen 250 Trillionen TL… Sogar unter den jetzigen Umständen wird zu 100% Phosphat, 95% Pistazien, 10 % Weizen, 14% Baumwolle, 75% Linsen, 15% Roggen im Südosten produziert. Vom Staudammprojekt GAP wird in Zukunft 1.7 Hektar Land bewässert, was dann das vierfache an Ertrag erzielen kann. (Dozent Dr. Ahmet Özer, Universität Mersin)

In den letzten sieben Jahren ist die Bevölkerung von Diyarbakir von 380.000 auf 1.5 Millionen gestiegen. (Dasselbe gilt auch für die anderen Städte)… Nach UN Kriterien braucht ein Mensch zum Überleben 254 Kalorien, für die man im Jahr 385 Dolar brauchen würde. Dies ist gleichzeitig die Armutsgrenze. Nach den Untersuchungen liegen 85% der Bevölkerung von Diyarbakir unter diesem Wert. Dies ist bei der eingewanderten Bevölkerung höher. (Dozent Dr. Ahmet Özer, Universität Mersin)

In der Printausgabe haben wir die Auszüge aus dem Buch sowohl im Original - in Türkisch - als auch in der Übersetzung abgedruckt. Aufgrund der Unzulänglichkeiten von HTML war es leider nicht möglich, die türkischen Passagen im Internet zugänglich zu machen. Sorry. - webmaster