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Atomausstieg rot-grün: Castorhalle bauen, Urananreicherungshalle vergrößern

| die touristische Bande

Lingen 25.9.99 & Gronau 3.10.99

„Atomausstieg rot-grüne Art: Wir bauen eine neue Castorhalle und vergrößern die Urananreicherungshalle.“

So oder ähnlich könnte mensch die Machenschaften der Bundesregierung und nachgeordneter Behörden umschreiben. Eventuell noch vorhandene Hoffnungen auf einen schnellen Atomausstieg durch die rot-grüne Bundesregierung hatten wir schon eher aufgegeben. Bisheriger Stand der „Konsensgepräche” von Bundesregierung und Atomindustrie ist nämlich, daß jedes bestehende deutsche AKW so lange laufen darf, wie die Atomindustrie möchte, nämlich 35 Betriebsjahre (Wobei Ausfallzeiten durch Wartung, Störfälle etc. nicht mitgerechnet werden.)

Kleiner Schönheitsfehler: Der noch von der CDU-Umweltministerin Angela Merkel im Mai 1998 erlassene Stop aller Atommülltransporte, nachdem an mehreren Castorbehältern verstrahlte Außenflächen festgestellt worden waren. Weil die Lieferungen von frischen Brennstäben und des Rohstoffes Uran davon nicht betroffen waren, konnten sämtliche AKWs bis heute weiterbetrieben werden. Einige BetreiberInnen (z.B. in Lingen, Neckarwestheim und Stade) wissen bald nicht mehr, wohin mit ihrem Müll, wenn sie ihn nicht abtransportieren dürfen. Die Bundesregierung hilft den AtombonzInnen gern aus der Patsche: Nicht genug damit, daß Ende des Jahres der Transportstop aufgehoben werden soll. Die VEW (Vereinigte Elektrizitäts Werke), Betreiberin des AKW Lingen II, (70 km nördlich von Ahaus) sollen das erste bundesdeutsche Zwischenlager auf einem AKW-Gelände bekommen.

Das Genehmigungsverfahren wird vom Bundesamt für Strahlenschutz im Schnellverfahren durchgezogen. Mit nur zwei Monaten Auslegungszeit der Unterlagen (bis 1. Oktober 1999, nur während der Öffnungszeiten des Amtes, wobei das Sicherheitsgutachten des TÜV fehlt und copieren der vorhandenen Papiere verboten ist) und dem gesetzlich frühestmöglichen Erörterungstermin (2. November) wurden die Pläne soweit wie möglich vor der Öffentlichkeit verborgen.

Nicht ohne Grund, denn es sollen nicht weniger als 130 Castorstellplätze genehmigt werden. Damit könnte das AKW Lingen in den nächsten 50 Jahren seinen Atommüll bequem loswerden, bzw. anderen AKW- Betreibern den Weiterbetrieb ermöglichen. Das hat nichts mehr mit Atomausstieg zu tun!

Damit nicht genug: Für die schon im März 1999 beantragte Baugenehmigung nach Baurecht ist die Stadt Lingen zuständig, die schon seit den 50er Jahren den Atomstandort Lingen nach Kräften unterstützt und ausgebaut. Die Lingener AKW-GegnerInnen befürchten deshalb einen Baubeginn noch vor Erteilung der atomrechtlichen Genehmigung.

Um auch überregional deutlich zu machen, daß hier in jeder Hinsicht Mist gebaut wird, gab es am 25.9. einen Aktionstag in Lingen. In der Innenstadt und vor dem Haupttor des AKW konnte mensch sich nicht nur über die Bedeutung des geplanten Zwischenlagers informieren, sondern auch schon mal Körper und Geist auf zukünftige Aktionen einstimmen.

Zahlreiche PassantInnen von der „ohne Atomstrom gehen die Lichter aus“-Fraktion boten die Gelegenheit, umfassend zu den Themen „Rest“risiko, Strommarkt, alternative Energien, Arbeitsplätze und nachfolgende Generationen zu argumentieren.

Gleichzeitig wurde mit einem etwa 20 Meter langen Transparent dafür gesorgt, daß die lingener BürgerInnen nicht nur von der Atommafia eingewickelt werden.

Vier als AKWs verkleidete AktivistInnen vom BUND spielten sich einen großen Ball mit Schröder- Portrait zu, im Hintergrund ein Spruchband mit der Aufschrift: „Schröder-Spielball der Atomindustrie“. Einige Jugendliche fanden es unverantwortlich, das Thema Atomausstieg einem handverlesenen Personenkreis zu überlassen und brachten sich aktiv ins Spiel ein. Da hatten die AtombonzInnen plötzlich nix mehr zu spielen, Schröder mußte dorthin rollen, wo das Volk ihn haben wollte: Hinaus aus dem Dunstkreis der Atomindustrie. Als dann auch noch ein vier Meter langer Castorbehälter samt weißgekleideten AKW-Arbeitern heranrollte, die vor einem „harmlosen Störfall“ warnten, wurde diese Karawane sofort blockiert. Wir meinen: Weiter so!

Auch das Aktionstraining vor dem Haupttor des AKW gab Anlaß zur Freude: AktivistInnen aller Altersgruppen schafften es, in der Rekordzeit von zwei Stunden, mit primitivsten Mitteln ein Übungs-Castorgleis durchzusägen. Mit von der Partie: Ein Ingenieur, der zu Beginn der 80er Jahre am Bau des AKW Lingen II beteiligt war und der später zum AKW-Gegner wurde.

Ein Stück weiter konnte mensch sich am Castor-Dosenwerfen, Strommastsägen im Rahmen der Castor-Olympiade und am Bau eines antistrahlinistischen Schutzwalles direkt vor dem Tor beteiligen, angefeuert von mitreißender, garantiert ohne Stromverbrauch gespielter Musik.

Wer sich jetzt noch nicht genügend verausgabt hatte, konnte bei einem Spaziergang rund ums AKW das weiträumig eingezäunte Castorgleis besichtigen und die Haltbarkeit dieser und anderer Zäune testen.

Im Hintergrund brachte ein heftig qualmendes und gegen den Wind ankämpfendes Stoff-AKW die Gefahren der Atomwirtschaft in Erinnerung. Nur durch den kräftezehrenden Einsatz der fünf ErbauerInnen konnte verhindert werden, daß Emissionen und AKW den Umstehenden um die Ohren flogen.

Daß bei einer Atomanlage mit echten radioaktiven Brennelementen auch die aufwendigste Technik und individuelle Selbstmordkommandos von AtomarbeiterInnen Katastrophen nicht verhindern können, wurde nur wenige Tage nach den Aktionen in Lingen wieder einmal deutlich.

Durch die unkontrollierte Kettenreaktion in der Brennelementefabrik von Tokaimura (130 km von Tokio entfernt) wurden mindestens 50 Menschen schwer verstrahlt, die Spätfolgen für die 30.000 AnwohnerInnen sind noch nicht absehbar. Sie wurden nach der Methode „vernebeln und vertuschen“ erst nach 12 Stunden über den Unfall und die „kurzfristig“ um das 15000fache erhöhte Strahlung informiert. Im selben Atemzug betonte die japanische Regierung, sie habe alles im Griff und wollte weitere Atomanlagen bauen lassen. So ähnlich hieß es auch kurz nach den schweren Atomunfällen in Harrisburg/USA und Tschernobyl…

Und hier?

Trittin räumt ein, daß „menschliches Versagen nie 100%ig auszuschließen“ sei. Zwar sei die einzeige deutsche Brennelementefabrik, die Firma ANF in Lingen, von ähnlichem Bautyp wie die Anlage in Tokaimura, aber in Lingen werde, im Gegensatz zu Japan, „nur“ schwach angereichertes, nicht waffenfähiges Uran verarbeitet.

Das ist anscheinend so harmlos, daß die rot-grüne Landesregierung von Niedersachsen trotz unvollständiger Unterlagen und illegaler Urantransporte Weiterbetrieb und Ausbau der ANF im Mai 1990 genehmigte. Trotz anhängiger Klage gegen eine Erweiterung der Anlage durften die BetreiberInnen mit rot-grüner Billigung schon mal mit dem Bau beginnen. Unseres Wissens hat die rot-grüne Bundesregierung hier bisher auch nichts unternommen.

Immerhin will Trittin jetzt „bis Jahresende ein verbindliches Ausstiegsszenario“ präsentieren.

Da sind wir aber gespannt!

Nach den bisherigen Ereignissen sieht es eher so aus: Ein grüner Präsident des Bundesamtes für Strahlenschutz genehmigt den nächsten Castortransport, ein grüner Umweltminister ordnet ihn an und ein grüner Polizeipräsident knüppelt ihn durch.

Aktionstag verpaßt? Den „Tag der deutschen Atomeinheit“ am 3.10. in Gronau auch? Macht nichts, es gibt noch weitere empfehlenswerte Termine:

Am 8.11.99um 20.00 Uhr informiert der Kölner Gegenstrom in der ESG (Bachemer Str. 27 in Köln) zum Thema: Bunter Strom, gelber Strom, grüner Strom – zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt – oder den Kölner Gegenstrom. Außerdem zeigen wir den Weg des Atomstromes von der australischen Uranmine zum deutschen Endlager und was dabei alles auf der Strecke bleibt.

Am 13.11.gibt es jede Menge Stunk für die Atombonzen und ihre HelferInnen: Unter dem Motto „Gerhard, wir kommen“ (siehe auch Seite 20) rollen Trecker in die neue Bundeshauptstadt. 1979 gab es den Treck der Trecker nach Hannover. Als sie dort ankamen, demonstrierten dort 100.000 Menschen. Und der damalige Regierungschef von Niedersachsen, Ernst Albrecht, erklärte eine Wiederaufbereitungsanlage für Brennelemente im Wendland für „politisch nicht durchsetzbar“.

Damals ging es um die Verhinderung EINER Atomanlage, jetzt um den Atomausstieg in diesem unseren Lande – sofort und nicht erst weit im nächsten Jahrtausend! Es wäre schön, wenn auch in Berlin die Trecker wieder von so vielen Menschen (oder von noch mehr?) empfangen würden. Also, kommt in Massen!

Wir drehen den AKWs den Hahn zu

hieß das Motto der Aktion zum „Tag der deutschen Atomeinheit“ am 3.10.99 vor dem Haupttor der Urananreicherungsanlage (UAA) Gronau (20 km nördlich von Ahaus) In dieser Fabrik – der einzigen ihrer Art auf deutschem Boden -wird das hochgiftige und bei Kontakt mit Wasser alle Materialien zerfressende Uranhexafluorid (UF 6) so aufbereitet, daß daraus Brennelemente für AKWs hergestellt werden können.

Eigentlich sollte mensch erwarten,daß eine solche Anlage unter einer Landes- und Bundesregierung, die den Atomausstieg plant, nicht mehr zeitgemäß ist. Seltsamerweise wurde aber schon 1997 von der rot-grünen NRW-Landesregierung eine Erweiterung um fast das doppelte der heutigen Produktionskapazität und der Bau zweier neuer Urantrennhallen 1998 genehmigt. Wie bei einem Rundgang um die UAA deutlich zu sehen war, sind die Bauarbeiten schon in vollem Gang. Und nicht der kleinste staatlich verordnete Baustop in Sicht.

Also machten die Initiativen des Aktionsbündnisses Westmünsterland vor, wie (nicht nur deutsche) AKWs ganz schnell stillgelegt werden können: Am Tor der UAA prangte ein großes Schild aus gelochtem Blech mit der Aufschrift: „Gronau-Atomstadt Nr.1“. Aus jedem Loch kam ein dicker Gummischlauch, der jeweils zu einem der noch am Stromnetz hängenden deutschen AKWs führte – hier dargestellt durch Menschen in weißen Schutzanzügen mit Namensschildern der jeweiligen Standorte. Auch einige AKW-Standorte aus Osteuropa Südamerika und Asien waren vertreten, denn die UAA Gronau und die ebenfalls zur URENCO gehörende Anreicherungsanlage im niederländischen Almelo schicken ihre Urantransporte um die halbe Welt.

Nach einer feierlichen Einleitung schnitt der Abschaltungsmonteur zur Tat und durchtrennte mit dem Seitenschneider einen Schlauch nach dem anderen, worauf ein Standort nach dem anderen sich notgedrungen vor dem UAA-Tor stillegen mußte. (Aufgrund eines peinlichen Störfalles im Fotolabor können wir dies leider nur als Zeichnung dokumentieren.)

Ob dieses Lehrstück als Nachhilfeunterricht in Sachen Atomausstieg ausreicht, muß leider aufgrund der bisherigen Erfahrungen bezweifelt werden. Unsere niederländischen FreundInnen hatten sich ebenfalls darüber gewundert, daß die UAA Almelo eine Ausbreitungsgenehmigung bekommen hat, obwohl das letzte niederländische AKW laut Regierungsbeschluß in drei Jahren abgeschaltet wird.

Also haben sie bei den UAA-Betreibern nachgefragt, wie sich denn der Ausbau ihrer Anlagen unter marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten mit westeuropäischen Atomausstiegsplänen verträgt. Mit ungewohnter Ehrlichkeit antwortete der URENCO-Sprecher, daß der Markt in Westeuropa natürlich zusammenbräche, aber dann war er mit glänzenden Augen auf zukünftige Absatzmärkte in Osteuropa, Asien und Südamerika zu sprechen gekommen.

Na toll: Erst, möglichst unter dem Deckmäntelchen der „Entwicklungshilfe“, anderen Völkern eine lebensgefährliche Technologie aufschwatzen, die hier fast nicht mehr durchsetzbar ist, und dann durch den Import von „billigem“ Atomstrom ein zweites Mal abkassieren!

Wenn Ihr auch dabei mithelfen wollt, den AKWs den Hahn zuzudrehen, und eventuelle Schlupflöcher für die Atombonzen in die „dritte Welt“ zuzumauern, dann fragt doch mal eure StromlieferantInnen, ob bei Euch auch Atomstrom aus der Steckdose kommt. Wenn ja, dann könnt Ihr bei der Stiftung Warentest eine Liste mit Alternativen über Faxabruf anfordern: 01805/887 68-412

Kontakt

die touristische Bande
c/o Graswurzelwerkstatt
Scharnhorststr.6
50733 Köln

Weitere Infos auch über Ergebnisse der Bundeskonferenz der Anti-Atombewegung (22.10.-24.10.) gibt es bei der BI Lüchow-Dannenberg Tel: 05841-4684