radikalgraswurzelfeministisch

Ähmm…: Von der Wortlosigkeit für Beziehungsgefüge

(Liebes)Beziehungen und Sprache - eine Kritik aus lesbischer Sicht

| Jule/Lesbenring

Sprache spiegelt klar die Relation von gesellschaftlicher Akzeptanz und Nicht-Akzeptanz wider. Wenn wir über Beziehungen sprechen wollen, kann es sehr schnell passieren, daß wir vor allem an die Grenzen stoßen, die Sprache uns setzt.

Die in unserer Gesellschaft normative Beziehungsform zwischen Erwachsenen ist die Zweierbeziehung, das Paar. Sie meint in der Regel eine Liebesbeziehung mit verbindlichem Charakter. Die Partnerinnen bezeichnen sich gegenseitig als „meine Liebste“, meine Freundin“, „meine feste Partnerin“, „meine Frau“ etc. Die Beziehung ist a priori als verbindlich, für immer und monogam definiert, sprachlich meist ausgedrückt als „wir sind zusammen (und werden es auch bleiben)“.

Paarbeziehungen, die dieser Norm nicht entsprechen, müssen wortreich und umständlich umschrieben werden. Zum Beispiel bei:

  • Abweichungen in der Verbindlichkeit: „wir haben beide getrennte Haushalte, Freundinnenkreise, Interessensgebiete usw.“, „wir wohnen aber nicht zusammen“
  • Abweichungen vom „Ewigkeitsprinzip“: „Lebensabschnittsgefährtin“, „aktuelle Lebensliebste auf Zeit“, „serielle Monogamie”, „One-Night-Stand“, …
  • Abweichungen hinsichtlich der monogamen Ausrichtung: „Haupt- und Nebenbeziehung“, „Affäre nebenher“, „Seitensprung“, „heimliches Verhältnis“ etc.

Tolerierte Grauzonen

Beziehungen, die nicht der Norm, d.h. der auf „bis daß der Tod euch scheidet” angelegten monogamen Betonbeziehung oder Zweierkiste entsprechen, sich aber dennoch in der Grauzone der Doppelmoral ansiedeln, sind zwar umständlich, aber immer noch beschreibbar. Mit Grauzone der Doppelmoral meine ich alles, was unter den Begriff „heimliche Affäre” zu fassen wäre. Diese Beziehungskonstellation aus (Ehe)Frau und einer Geliebten wird, sofern sie von Männern gelebt wird, mehr oder weniger augenzwinkernd akzeptiert. Diese Art der „Mehrfachbeziehung” ist nicht gesellschaftsverändernd und somit auch nicht bedrohlich, da sie die grundlegenden Prinzipien, nach denen im Patriarchat Beziehungen organisiert werden (müssen), nicht in Frage stellt. Diese Prinzipien sind Hierarchisierung, und damit die Schaffung und Erhaltung von Abhängigkeiten; die Polarisierung, bzw. die Fixierung von Rollen und Beziehungsmustern sowie die Funktionalisierung von Beziehungen.

Am Beispiel von (Ehe)Frau und heimlicher Geliebter heißt dies:
Hierarchie durch die Einteilung in Haupt- und Nebenbeziehung
Polarität in „Heilige und Hure”
Funktionalisierungals gesellschaftlicher Status und sexuelles Ventil

Ein Ausbrechen an jedem der drei Punkte führt zur Auflösung der Beziehung.

Homoehekisten

Nun wäre es nett zu sagen, lesbische Beziehungen funktionieren anders, aber tun sie das wirklich? Auch als Lesben werden wir in /von dieser Gesellschaft sozialisiert, und die Sprache, mit der wir aufwachsen, bestimmt unser Denken, unsere Moralvorstellungen und Lebensentwürfe. Wir haben somit an verschiedenen Fronten zu kämpfen, denn Sprache macht einerseits sichtbar, denkbar, lebbar, aber ebenso auch in der Umkehrung unsichtbar bis überhaupt gar nicht mehr vorstellbar.

Frauenbeziehungen haben per se in unserer Gesellschaft keinen oder keinen hohen Wert, d.h. auch keine für sie expliziten Bezeichnungen. Alle Begriffe, mit denen wir als Lesben unsere Beziehungen beschreiben, sind „Lehnworte” aus der Heterowelt. Diese Lehnworte treffen solange wenigstens noch ungefähr zu, wie sich die Beziehungsmuster der lesbischen (Paar)Beziehung nicht wesentlich von einer Heterobeziehung unterscheiden. Gänzlich sprachlos wird es da, wo ich versuche, Beziehungen zu beschreiben, die z.B. nicht hierarchisch, nicht funktionalisiert oder nicht nach Sexualität sortiert sein sollen:

  • Beziehungen, die nicht der systemstabilisierend und als patriarchal erlebten Zwangsmonogamie entsprechen sollen, deren wichtigstes Kriterium aber gerade nicht ist, mit wievielen ich im Augenblick das Bett teile oder teilen möchte.
  • Beziehungen, die nicht statisch angelegt sind, deren Wertigkeit und der Raum, den sie brauchen, sich ändern kann; ja, bei denen Entwicklung tatsächlich ein essentielles Kriterium ist.
  • Beziehungen, in denen jede mit allem, was gerade ist, da sein kann, Polarität aufgehoben und die Funktionalisierung vermieden werden soll.

Deutlich ist zu merken, daß mir Sprache, Worte, Begriffe fehlen, sobald die Beziehungen, die ich leben möchte, den eng gesteckten Rahmen der Zweierkiste oder der ausschließlich sexuell motivierten Affäre verlassen. Sogar wohlmeinenden Freundinnen gegenüber fällt es mir schwer, mein Beziehungsgeflecht zu beschreiben, die von mir angestrebte, als für richtig erkannte Lebensweise treffend zu benennen.

Sprachlosigkeit und Wortungetüme in Mehrfachbeziehungen

Denn selbstredend kommen solche Wortungetüme wie „Mehrfachbeziehungsliebende“ oder „in nicht hierarchisch- monogamen Beziehungsnetzen L(i)ebende“ schon mal gar nicht in Frage.

Um diese Sprachlosigkeit zu überwinden und die Lücken zu füllen, hat frau eigentlich nur zwei Möglichkeiten. Zum einen die, ganz neue Worte zu kreieren und einzuführen wie eine Fremdsprache, zum anderen, sich eines bereits vorhandenen Begriffes zu bedienen. Dieser wird dann mit neuer Semantik und Konnotation versehen, sprich einem Bedeutungswandel unterzogen. Wie am Beispiel „Lesbe“ oder „Hexe“ zu sehen, hat diese Vorgehensweise etwas Provokantes, politisch- gesellschaftlich Relevantes (d.h. unter Umständen Meinungsbildendes) und auch Identitätsstiftendes.

Dies waren auch einige der Gründe, warum ich mir als Selbstbezeichnung den Begriff der „Schlampe” gewählt habe. Schlampe zu sein bedeutet schon immer, sich den Vorstellungen und allgemeinen Vorschriften von Ordnung und „Anständigkeit“ zu entziehen. Die Bedeutung, die diese Bezeichnung für mich hat, und von der ich mir wünsche, daß sie transportiert und verbreitet werden möge, ist:

Eine Schlampe ist eine widerständig l(i)ebende Frau, die ihre Beziehung(en) keiner „herr“-schenden Norm anpassen und/oder unterwerfen will!

Eine Bezeichnung für mich und meine Lebensweise zu finden ist ein kleiner Anfang, es heißt, Beziehungen jenseits geforderter und akzeptierter Vorbilder sichtbar, denkbar und lebbar zu machen.