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Geldstrafen und Gefängnis

Zur Lage der Menschenrechte in Serbien

| Andreas Speck

„Ein Gericht im zentralserbischen Valjevo hat am Montag den Regimegegner Bogoljub Arsenijevic zu drei Jahren Gefängnis verurteilt, meldete die Agentur Beta. Arsenijevic hatte am 12. Juli zu einer oppositionellen Kundgebung aufgerufen, bei der es zu Gewalttätigkeiten gekommen war.“ (1)

„Ein serbisches Gericht hat eine politische Aktivistin der Kosovo-Albaner, Flora Brovina, zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Das Gericht in Nis verurteilte sie wegen ‚feindlicher Aktivitäten verbunden mit Terrorismus‘.“ (2)

Zwei kurze dpa-Meldungen in einer deutschen Tageszeitung. Mehr ist selten zu lesen über den Umgang der serbischen Justiz mit der Opposition. Menschenrechte in Serbien scheinen für die hiesigen Medien kaum ein Thema zu sein, wenn sie nicht ins politische Kalkül passen. Der Krieg ist vorbei, die NATO hat einen Sieg davon getragen, und die EU bemüht sich in symbolischer Politik ein bisschen Öl an von den Oppositionsparteien regierte Städte zu schicken und lässt sich dabei von Milosevic an der Nase herumführen. Reale Unterstützung für oppositionelle Basisinitiativen und von Knast bedrohte oder bereits im Knast sitzende AktivistInnen ist dagegen kein Thema.

Hintergründe: Bogoljub Arsenijevic und Flora Brovina

Die oben zitierten dpa-Meldungen sind typisch für ihren Mangel an Information. Worum es in beiden Fällen eigentlich geht, wird aus den Meldungen nicht klar. Bogoljub Arsenijevic, genannt ‘Makija’, ein Maler aus Valjevo und Organisator des dortigen zivilen Widerstandes, wurde am 17. August 1999 beim Verlassen des Gebäudes der Bewegung für Demokratie in Serbien in Belgrad brutal zusammengeschlagen. Es gibt starke Anzeichen dafür, dass die Schläger zur Polizei gehörten und im Auftrag des Regimes handelten. Durch den Angriff wurde Arsenijevic’s Kiefer gebrochen und er erlitt ebenfalls weitere ernsthafte Verletzungen. Nach seiner Untersuchung im Notfallzentrum eines Krankenhauses wurde Arsenijevic ins Untersuchungsgefängnis gebracht und von dort einige Tage später ins Gefängnishospital verlegt. Arsenijevic protestierte gegen seine Verhaftung und seine Behandlung im Gefängnis mit einem Hungerstreik.

Der Prozess gegen Bogoljub Arsenijevic wird von den Frauen in Schwarz in Belgrad als Farce eingeschätzt. Trotz widersprüchlicher ZeugInnenaussagen soll er verurteilt werden, da er während einer Demonstration vor dem Stadtparlament in Valjevo einen Polizisten angegriffen haben soll. (3)

Die Meldung zur Verurteilung von Flora Brovina wird der Bedeutung ihres Falles schon gar nicht gerecht. Flora Brovina war die Gründerin und Vorsitzende der Lidhja e Gruas Shqiptare (Liga der albanischen Frauen) im Kosovo/a. Sie wurde am 20. April – während der NATO-Bombardierungen – vor ihrer Wohnung in Pristina im Kosovo/a von serbischen Polizisten in zivil verhaftet. Ihr wird die Unterstützung der UÇK vorgeworfen, da sie Kleidung und Lebensmittel auch an Mitglieder der UÇK verteilt haben soll. Flora Brovina war ursprünglich im Gefängnis von Lipljan im Kosovo/a inhaftiert, ein Gefängnis, von dem Human Rights Watch berichtet, dass Gefangene regelmässig geschlagen wurden. Am 10. Juni, zwei Tage nach dem Einmarsch der KFOR-Truppen im Kosovo/a, wurde sie zusammen mit hunderten anderen kosovarischen Gefangenen nach Serbien verlegt. Seitdem wird sie im Gefängnis in Pozarevac festgehalten. (4)

Als Kinderärztin hatte Flora Brovina in Pristina eine Praxis und verteilte während des Krieges Medikamente und humanitäre Hilfe an Menschen – vor allem Frauen und Kinder -, die in Pristina geblieben waren. Während des ersten Prozesses am 11. November wurde sie vom Gericht ausführlich zu diesen Aktivitäten befragt. Ihr wurde vorgeworfen, Gesundheitsministerin der ‚Regierung des Kosova‘ gewesen zu sein und durch ihre Unterstützung der UÇK sich feindlicher Akte gegen den Staat Jugoslawien angeschlossen zu haben.

Flora Brovina erwiderte darauf, dass sie als Präsidentin der Liga der albanischen Frauen vor allem gegen die patriarchalen Strukturen im Kosovo/a gearbeitet habe, und in dieser Arbeit habe sie eng mit serbischen Frauengruppen in Belgrad kooperiert (u.a. mit den Frauen in Schwarz). Im März 1998 organisierte sie Frauendemonstrationen gegen die Polizeibrutalität im Kosovo/a, gleichzeitig organisierte sie Hilfsprojekte für Frauen und Kinder in Kooperation mit der humanitären Organisation Oxfam. Ausserdem verteilte sie humanitäre Hilfe, die über das makedonische rote Kreuz geliefert wurde. Sie betonte ausdrücklich, dass sie die UÇK nicht unterstützt habe, und dass sie sich einer Anfrage, Uniformen für die UÇK in den Hilfsprojekten fertigen zu lassen, verweigerte. (5)

Trotz allem wurde Flora Brovina am 9. Dezember 1999 vom Gericht in Nis zu 12 Jahren Gefängnis verurteilt. (6)

Weitere Beispiele

Es gibt noch wesentlich mehr Fälle, über die kaum berichtet wird. Igbale Jafai, eine 22-jährige kosovo-albanische Frau, befindet sich im Frauengefängnis Zabela in der Nähe von Pozarevac in Haft und wurde zu einem Jahr Gefängnis wegen „Terrorismus“ bzw. „Teilnahme an militärischen Aktionen der UÇK“ verurteilt. Während der NATO-Bombardierungen wurde Igbale Jafai von Mitgliedern der UÇK entführt und von einem dieser UÇK-Militärs vergewaltigt. Sie wurde eine Woche in den Wäldern festgehalten, später aber freigelassen. Nach ihrer Rückkehr in ihr Dorf Mirase ging sie zur Polizei und berichtete dort von ihrer Entführung und der Vergewaltigung. Im Gerichtsverfahren, das von den serbischen Behörden nicht gegen ihre Entführer und ihren Vergewaltiger, sondern gegen sie angestrengt wurde, sagte der Vater ihres Vergewaltigers als Zeuge aus. Aufgrund seiner Aussage, dass Igbale Jafai freiwillig zur UÇK gegangen sei und ein Verhältnis mit seinem Sohn hätte, wurde sie zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. (7) Im Zweifelsfall funktioniert der Männerbund trotz nationalistischer Grenzziehungen immer noch hervorragend zum Nachteil von Frauen.

Insgesamt sollen sich nach verschiedenen Berichten noch knapp 2000 bis zu 5000 kosovarische Gefangene in serbischen Gefängnissen befinden. Die serbischen Behörden geben zu, dass ca. 1900 KosovarInnen noch in Serbien gefangen gehalten werden, vielen von ihnen wird aus ähnlich abenteuerlichen Gründen wie Flora Brovina oder Igbale Jafai der Prozess gemacht. Organisationen der KosovarInnen sprechen von bis zu 5000 Gefangenen, die noch in Serbien sein müssten. Es bleibt weiter unklar, wo sich die fehlenden 3000 Menschen befinden und ob sie noch leben.

Der Prozess gegen Ivan Novkovic

Im Süden Serbiens, in Leskovac, macht der Prozess gegen den Fernsehtechniker Ivan Novkovic von sich reden. Am 5. Juli nutzte Ivan Novkovic eine Übertragungspause während eines Basketballspiels der serbischen Nationalmannschaft, um ein Videoband einzulegen, auf dem er den Distriktgouverneur heftig kritisierte und zu einer Demonstration aufrief. „Es ist nett von Herrn Zivojin Stefanovic, Gouverneur unseres Distriktes zu sein, doch es ist schrecklich, dass er katastrophale Konsequenzen für uns BürgerInnen und Bauern/Bäuerinnen produzierte. Es ist ihm zu verdanken, dass wir unterentwickelt worden sind, doch ich bin mir sicher dass heute die Menschen nur über ihn, den grössten Verlierer des serbischen Südens, lachen. Warum zeigen Sie nicht, dass sie, tief in ihrem Inneren, Sie ein guter Mensch sind und zurücktreten?“ (8)

20000 Menschen folgten Novkovic’s Aufruf zu einer Demonstration. Novkovic selbst versteckte sich für sechs Tage, wurde dann jedoch verhaftet und im Schnellverfahren zu 30 Tagen Gefängis verurteilt.

Damit ist sein „Fall“ jedoch nicht abgeschlossen. Zivojin Stefanovic führt jetzt ein Verleumdungsverfahren gegen Ivan Novkovic, das sich bereits seit Monaten hinzieht. Während meines Aufenthaltes in Serbien beobachtete ich einen der Verhandlungstermine, an dem der Vertreter von Stefanovic eine Geldstrafe in Höhe von 2 Millionen Dinar für Novkovic forderte – nach dem Schwarzmarktkurs sind das 150000 DM. Ein Urteil fiel jedoch nicht an diesem 25. Oktober 1999, der Prozess wurde auf den 23. November vertagt, da die Zeugenaussage von Zivojin Stefanovic noch fehlte. Auch an diesem 23. November kam es nicht zu einem Urteil, der Prozess wurde erneut vertagt – auf den 22. Dezember 1999. (9)

Weitere Prozesse in Leskovac

Die Protestaktionen in Leskovac haben noch zu weiteren Verhaftungen und Prozessen geführt. Miodrag Mitic wurde zu 60 Tagen Gefängnis verurteilt, Bratislav Stamenkovic verbachte 25 Tage im Gefängnis (10). Weitere acht Menschen wurden am 7. Juli verhaftet und verbrachten zwei Monate im Gefängnis. Zwar wurden alle nach diesen zwei Monaten zunächst freigelassen, doch fünf von ihnen wurden erneut angeklagt und zu acht Monaten Gefängnis verurteilt, da sie am 4. Tag der Proteste in Leskovac das Haus des Leiters der lokalen Verwaltung zerstört haben sollen. Während des Prozesses konnte kein Zeuge mit Sicherheit sagen, dass die fünf später Verurteilten wirklich in der Menge derjenigen war, die das Gebäude zerstörten. Insgesamt demonstrierten an diesem 4. Tag der Proteste 3000 Menschen vor dem Gebäude.

Die Verurteilungen lassen sich kaum noch bekämpfen – die Urteile sind rechtskräftig. Zusätzlich zur Gefängnisstrafe müssen die fünf jedoch 74000 Dinar (ca. 5000 DM) Geldstrafe bezahlen. Das BürgerInnenparlament von Leskovac versucht über Spenden, diesen Betrag aufzubringen. (11)

Unsichtbare Menschenrechtsverletzungen: Gewalt gegen Frauen

Werden die Prozesse gegen OppositionsaktivistInnen zumindest zum Teil noch von internationalen Menschenrechtsgruppen verfolgt, so bleibt ein anderer Aspekt noch viel mehr im Dunkeln. Als Folge des Krieges hat die Gewalt von Männern gegenüber Frauen in Serbien noch stärker zugenommen. Während die Regierungspropaganda während der Bombardierungen die Trottel für die Werte der Familie rührte und davon sprach, dass die „NATO- Aggression“ die serbischen Familien vereint hätte, sprechen die Aufzeichnungen des Belgrader Beratungszentrums gegen Gewalt in der Familie eine andere Sprache. Während der Bombardierungen nahmen die Anrufe von Frauen und Kindern, die Opfer von familiärer Gewalt geworden waren, um 5 % zu. (12) Bereits während des Krieges in Bosnien hatten feministische Gruppen in Serbien angeklagt, dass der Krieg zu einem Anstieg der Männergewalt gegen Frauen führen würde – ein Mechanismus, der sich durch die NATO-Bombardierungen wiederholte.

Die Verschlechterung der Menschenrechtssituation in Serbien ist eine Folge der NATO-Bombardierungen, hat allerdings auch mit der zunehmenden Abwendung der Menschen in Serbien vom Regime Milosevic zu tun. Die Verurteilungen, z.B. in Leskovac oder Valjevo, sollen bewusst abschrecken, um so die Opposition zu lähmen. Die Proteste im Süden waren allein schon deswegen für die serbische Regime von Bedeutung, da sie sich in Städten organisierten, die nicht zu den Hochburgen der Opposition zählten, und auch nicht von den Oppositionsparteien ausgingen, sondern eigenständig von unten gewachsen waren. Bisher scheint die Strategie der Regierung aufzugehen. Während für die Opposition die sich ausbreitende Apathie der Bevölkerung fatal ist, sichert sie der Regierung das Überleben. Wenn sie schon den Rückhalt in der Bevölkerung verloren hat, so muss sie sie zumindest vom Widerstand abhalten. Hierbei spielen die Prozesse gegen OppositionsaktivistInnen eine wichtige Rolle.

(1) Frankfurter Rundschau, 16. November 1999

(2) Frankfurter Rundschau, 10. Dezember 1999

(3) Frauen in Schwarz, "Appeal for Release of Bogoljub Arsenijevica, "Makija", verabschiedet in Ulcinj, 10. Oktober 1999

(4) Human Rights Watch, 8. November 1999

(5) Jelena Santic, Gruppe 484: Trial to Dr Flora Brovina in Nis, www.freeb92.net/nvo/eng/index.shtml, 12. November 1999

(6) Digital Freedom Network, 9. Dezember 1999, www.dfn.org/Voices/Europe/yugo/ floraconvict.htm

(7) Frauen in Schwarz, "Appeal for Release of Igbale Jafai, verabschiedet in Ulcinj, 10. Oktober 1999

(8) übersetzt nach: Jelena Grujic, "Leskovac Counts Ivan Novkovic’s Prison Days. Fear Spreads Through The Town." Vreme, Belgrad, 17. Juli 1999

(9) Frauen in Schwarz, email an den Autor vom 4. Dezember 1999

(10) Jelena Grujic, siehe Anmerkung (8)

(11) email des Narodni Parlament an den Autor, 12. November 1999. Kontakt: Narodni Parlament, Bratislav Stamenkovic, Bore Piksle 52, 16000 Leskovac, Jugoslawien, tel.: +381-16-212166, fax: +381-16-244803, email: parla@bankerinter.net

(12) Francesca Vitale: Als Freiwillige in Belgrad, Arbeitsstelle für Friedensfragen der Bildungs- und Begegnungsstätte für gewaltfreie Aktion, Informationsblatt für den Frieden - Stimmen aus dem Balkan, Nr. VII, 5. November 1999