Ein Versuch über die visionären Implikationen der "Schlampagne", die sich keineswegs nur auf 'private' Beziehungsfragen beschränkt, sondern - Das Private ist immer auch politisch! - den Ansatz echter Selbstbestimmung von Frauen konsequent weiterdenkt.
[Sexualität]
Wenn die Welt voller Schlampen ist, wird Prostitution zu einem Fremdwort. Weil die Liebe einer Schlampe nicht käuflich ist. Weil keine Frau sich mehr aus materieller Abhängigkeit an einen Mann verkaufen muß – weder im wörtlichen, noch im übertragenen Sinne. Auch die bürgerliche Doppelmoral der sexuell besessenen und eingeschränkten ‚treuen Ehefrau‘, bzw. Lebensabschnittsgefährtin, und des sexuell unbeschränkten Mannes wird es nicht mehr geben. Weil jede Frau ihre Lust verschenkt, wann immer es für sie stimmig ist. Ohne Rücksicht auf die Ketten überholter Konventionen.
Natürlich wird auch Abtreibung größtenteils überflüssig, weil alle Frauen uneingeschränkten Zugang zu dem nötigen Wissen und den Mitteln haben, um ihre Gebärfähigkeit selbst kontrollieren zu können. Es wird keine Vergewaltigungs-, Selbstaufwertungs-, Ersatzlebenszweck- und Pflichtkinder mehr geben. Nur noch erwünschte und geliebte. Das wird der Menschheit verdammt gut tun.
[Sinnlichkeit]
Schlampen leben im Schlaraffenland: sie schlemmen und schlampampen gern, sind lustvoll dick und genießen die Fülle aller denkbaren Sinnenfreuden ohne Schuldgefühle. Schlampen schlafen, so viel sie wollen und brauchen. Kein Wecker und keine gleitzeitlosen Erwerbsarbeitsplätze zwingen sie dazu, ein Leben lang ihren Biorhythmus zu vergewaltigen. Sie achten darauf, sich nicht bis zur völligen Selbstaufgabe ohne jedes Maß für andere aufzuopfern, sondern pflegen sich selbst genauso sorgsam wie ihre Lieben.
[Parlamentarismus]
Schlampen lassen sich nicht beHERRschen. Den Anweisungen aufgeplusterter Autoritäten und Uniformträger begegnen sie mit Lachsalven und Schenkelschlagen. Nie geben sie ihre Stimme ab. Sie wissen darum, daß Verantwortung die Schwester der Macht ist und handeln sorgsam und auf das Wohl Aller bedacht. Sie organisieren sich unterschiedlich, je nach dem zu lösenden Problem. Strukturen, Normen und Wertesysteme, die sie schaffen, sind nicht festbetoniert auf Ewigkeit, sondern beweglich und flexibel. Sie passen sich den wechselnden Erfordernissen des Lebens immer wieder neu an. Entscheidungen werden von den davon Betroffenen gefällt. Selbstverständlich per Konsens und so, daß sich wirklich alle einbringen können. Keine Schlampe hat es nötig, sich an Machtpositionen festzuklammern als Ersatzbefriedigung für fehlende Lebendigkeit.
[Kapitalismus]
Weil Schlampen sich nicht ausbeuten lassen – weder als unbezahlt reproduzierende Hausfrau, Mutter und Pflegerin, noch als Konsumentin oder Billigarbeitssklavin – werden sie den weltumspannenden Wahnsinn eines auf krebsartig wucherndem Endlos-Kamikaze-Wachstum basierenden Wirtschaftens, das auf der Ausbeutung und letztlich der Zerstörung der Erde und all ihrer Lebewesen beruht, beenden. Sie bescheiden sich mit dem Lebensnotwendigen, leiden keinen Mangel, teilen ihren Besitz, achten darauf, daß genug für alle da ist, daß alles gerecht verteilt wird, und sind unendlich reich an Sinnlichkeit und Lebenslust. (In ‚armen‘ Ländern tun das die Frauen seit Jahrhunderten. Nur in den materiell ‚reichen‘ Ländern haben Frauen verlernt zu teilen und geben stattdessen Almosen, die die Menschenwürde beleidigen. Aber auch diese Frauen fangen an zu verstehen, daß das Anhäufen von Besitz die Seele korrumpiert…)
[Soziale Bezüge]
Statt in der Isolation anonymer Wohnsilos und vereinsamter Kleinstfamilien, eifersüchtig überwacht vom sie besitzenden Ehemann, Freund oder Vater, oder aber verzweifelt in der Armut und Überforderung einer Alleinerziehenden, leben Schlampen in einem Netz wohltuender, verbindlicher Freundinschaften. Erziehungsgemeinschaften, Nachbarschaftshilfe, Tauschhandel und Solidarität untereinander machen ihnen das Leben leicht.
[Nationalismus]
Selbstverständlich bewegen sich Schlampen frei, wohin sie wollen, lassen sich nieder, wo es ihnen gefällt, lieben alle, die sie mögen, überall auf der Welt, und schütteln verständnislos den Kopf über so antiquierte und sinnlose Vorstellungen wie Grenzen, Staaten oder Nationalitäten. Erzählst du ihnen, daß diese sonderbaren Vorstellungen früher als Rechtfertigung für Kriege benutzt wurden, weinen sie wütend und bitterlich über all die Grausamkeit und unerklärliche Selbstzerstörung der Menschheit.
[Heilungsarbeit]
Schlampen schaffen sich Räume und Möglichkeiten, ihre Wunden zu heilen, mit den Folgen von Gewalttraumata leben zu können und all den Wahnsinn angemessen zu betrauern. Sie brechen Tabus und graben auch kollektive Traumata aus. Sie beachten und behandeln die teilweise seit Jahrhunderten verdrängten und immer noch heillos schwärenden Wunden: Hexenverfolgung, Holocaust, Witwenverbrennung, die vielfältigen Verstümmelungen von Frauen in aller Welt durch Schönheitsideale und Traditionen, Zwangssterilisation, Völkermorde, Massenvergewaltigungen…
[Gewalt]
Wo immer Schlampen mit Gewalt konfrontiert sind, wissen sie sich zu wehren, leisten Widerstand, schließen sich zusammen, entwickeln Gegenstrategien, unterhöhlen die Bedingungen der Gewalt und setzen ihr entschiedene, wenn nötig todesmutige Gewaltfreiheit entgegen.
Wo immer Schlampen mit eigener Gewalttätigkeit konfrontiert sind, nehmen sie die Vorwürfe der Verletzten ernst, gehen in sich und lernen, wohltuender, fairer und achtsamer miteinander umzugehen. Sie erfüllen Forderungen nach Wiedergutmachung ohne ihre Verantwortung zu leugnen oder abzuschieben, und ohne das Ausmaß des angerichteten Schadens herunterzuspielen.
[Ahninnen]
Schlampen wissen um ihre Geschichte. Sie gedenken ihrer Ahninnen und halten sie in Ehren: die Hexen und Heilerinnen und weisen Frauen, die Blaustrümpfe und die Frauenbewegten, die Jungfrauen, Beginen und Eheverweigerinnen, die Höhlenmalerinnen von Lascaux und die Erbauerinnen von Catal Hüyük, die Gewerkschafterinnen und Revolutionärinnen, die Poetinnen, Träumerinnen und Idealistinnen, die Forschenden und die Wissenden, die Demonstrantinnen und Friedensmarschiererinnen, die Frauen in Schwarz und die Mütter gegen Atomkraft, all die stolzen und freien Frauen ‚matriarchaler‘ Kulturen, all die Namenlosen und die Bekannten. (Nicht aber Alice Schwarzer oder Margaret Thatcher.)
[Zeit]
Schlampen haben alle Zeit der Welt und zugleich ein feines Gespür für die jeweiligen Erfordernisse der Zeiten. Sie leben nach den zyklischen Rhythmen der Natur innerhalb und außerhalb ihres Körpers. Streß kennen sie nicht.
[Weltbild]
Schlampen leben und denken in Kreisläufen und Spiralen, nicht in einem eindimensional-linearen Weltbild. Sie wissen um die Zusammengehörigkeit von Werden und Vergehen, von Leben und Tod. Sie holen das Sterben aus dem Tabu und machen es wieder zu einem würdevollen Teil des Lebens. Schlampen brauchen keine menschenverachtende High Tech, um dem Leben ins Handwerk zu pfuschen. Sie kennen und achten die Grenzen der Natur und der Menschlichkeit. Schlampen lassen nicht an sich herummanipulieren und tun das auch nicht mit anderen Lebewesen, sei es Pflanze, Tier oder Mensch. Sie sagen NEIN zur Euthanasie, zum Machbarkeitswahn der Medizin und dem verantwortungslosen Wahnsinn der Gentechnik.
Träumereien? Vielleicht. Aber mit einem Traum beginnt die Wirklichkeit. (Das ist altes Hexenwissen. Auch das holen wir uns zurück!) Und welche genauer hinsieht, entdeckt: diese Wirklichkeit hat schon ein Stück weit begonnen. Oder auch: nie aufgehört.
Anmerkungen
Die Schlampagne - Widerständig l(i)ebende Lesben kommen raus! Koordinierungstreffen für Lesben zur Gleichstellung aller Lebensweisen: Das nächste Schlampentreffen für Lesben findet am Wochenende 5./6. Februar 2000 im Frauencafé Heidelberg, Blumenstr. 43 statt und wird von der dortigen Regionalgruppe des Lesbenrings organisiert und finanziert.
Ansprechschlampen
Schlampagne:
Gita Tost
Türkmühle 3
93164 Laaber
Fon & Fax: 09498/3170
gitatost@w4w.net
(Infos und Vermittlung von Referentinnen zu Schlampenthemen)
Lesbenring:
Jule Blum
Rohrbachstr. 14
69115 Heidelberg
Fon: 06221/23807
(Anmeldung zum nächsten Schlampentreffen für Lesben)
FLRedaktion GWR:
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