Im vorletzten Jahr war es die Tour de France, wo die sportliche Inszenierung durch die Enthüllungen aus dem Dopingsumpf vom Rad stürzte. Gegenwärtig zerfällt die politische Inszenierung demokratischer Politik als Fassade hinter der geheime Geldströme unbekannter Herkunft Herrschaftspositionen absichern und etablieren können.
Es ist gespenstisch: 700 Menschen versammeln sich in Hamburgs Handelskammer und feiern unter laufenden Kameras Ex-Bundeskanzler Kohl mit zustimmendem Beifall. Diese Szene ereignete sich nach der Enthüllung der von Kohl organisierten Schwarzgeld Finanzierung seiner Partei und seiner selbstherrlichen Weigerung darüber Auskunft zu geben, die zu seinem Rücktritt als Ehrenvorsitzender der CDU führte. Sie ereignete sich auch nach dem späten Eingeständnis von Parteichef Schäuble selbst eine Spende von Waffenhändler Schreiber entgegengenommen zu haben; nach der „Aufklärung“ von Ex- Innenminister Kanther Millionensummen für die Finanzierung der hessischen CDU in den achtziger Jahren auf Auslandskonten verschoben zu haben und der Aussage des Schatzmeisters Sayn- Wittgenstein systematisch gelogen zu haben, als er jüdische Vermächtnisse als Herkunft für dieses Geld angab, ein Skandal für sich, gegen den die Jüdische Gemeinde Strafanzeige erstattet hat. Wenn es jetzt bisweilen so aussieht als wäre der Druck auf die CDU und ihre Politiker ausreichend groß, um diesem Treiben ein gründliches Ende zu bereiten und es rückhaltlos aufzuklären, dann belegt der Hamburger Auftritt Kohls, dem in Bremen ein weiterer folgte, daß der Hauptbeschuldigte weder ein Unrechtsbewußtsein hat noch mit der kritisierten Praxis ohne eine soziale Basis dastünde. Und in dieser werden die wenigsten aus der Großindustrie kommen, die Vermögenden und auch die Waffenhändler sein für die die Politik CDU viele Jahre von großem Vorteil war. Kohl scheint nach wie vor populär zu sein.
Die Aufklärung des Skandals ist jedenfalls noch lange nicht geschafft. Denn es ist zu vermuten, daß es in der Partei viele NutznießerInnen des Geldes gegeben hat, von denen wir nur sehr zögerlich erfahren, weil sie gerade auch unter jenen zu finden sein dürften, die jetzt das Personal der politischen Aufklärung und eines Neuanfangs stellen sollen. Noch ist kein Ende der Enthüllungen über die Seilschaften absehbar. Weder wissen wir um die Quellen des Geldes – warum sollten es eigentlich keine Drogengelder sein – noch um die tatsächlichen Ausmaße der Geldtransfers bzw. ihre EmpfängerInnen. Die vorliegenden Mosaiksteine des Bildes deuten auf ein monumentales Geschehen im Hintergrund der politischen Bühne, das sich sowohl auf die Bundespolitik, als auch die Landespolitik ausgewirkt hat. In Bayern flossen die Summen des Waffenhändlers Schreiber auch an CSU-Wahlkreise. Die anfängliche Rede von einem „System Kohl“ als einer auf seine Person bezogenen Struktur sollte natürlich die Rolle der Partei verharmlosen, was allem Anschein nach kaum aufrecht zu erhalten ist.
Die Sozialdemokraten dienen sich nun, voller Hoffnung auf eine Trendwende ihrer Wahlniederlagen, als die bessere Partei in den anstehenden Wahlen im Februar in Schleswig-Holstein und im Mai in Nordrhein-Westfalen an. Obgleich es mit ihrer weißen Weste nicht weit her ist, wie die Flüge auf Kosten der WestLB in Nordrhein-Westfalen, der Rücktritt des ehemaligen SPD-Oberbürgermeister von Köln mitten im Wahlkampf und der Sturz des Ministerpräsidenten Glogowski in Niedersachsen deutlich gezeigt hatten. Die Liste der Parteiskandale kann hier nicht geschrieben werden, sie müßte den großen Beitrag der CSU in Bayern würdigen bei der unlängst die Millionenverluste eines staatlichen Unternehmens zum Rücktritt eines Ministers führten, das Verschwinden der Leuna-Akten im Bundeskanzleramt, auf europäischer Ebene wäre der Wechsel des FDP-Politikers Bangemann in die Telekommunikationsbranche zu nennen usw.
Bei allen Fällen spielt persönlicher Machtmißbrauch mit schwer kontrollierbaren, weil innerparteilich verselbständigten Parteistrukturen oder abgehobenen Regierungsposten zusammen. In diesen Positionen liegt es nahe auf die verlockenden Angebote der wirtschaftlich Besitzenden einzugehen oder sie sogar aktiv einzufordern. Je länger ein Amt genossen wird, um so leichter wird es möglich, daß sich daraus dauerhafte Seilschaften entwickeln. Da die Parteien sich alle in dieser Situation bewegen, ist von ihnen keine wirksame Kontrolle oder gar eine Veränderung der strukturellen Grundlagen zu erwarten. Die Medien suchen nur die Sensationen, eine Kontrolle kann von ihnen nicht kommen. Gegenkräfte können wie so häufig am ehesten von außen kommen, zum einen durch das Abwenden der WählerInnen, dazu ist in einigen Bundesländern und auf örtlicher Ebene schon bald Gelegenheit. Die NichtwählerIn hat das Wort. Zum anderen wären organisierte Gruppen wichtig, im besten Falle soziale Bewegungen, die sich als alternative Formen der Interessenvertretung verstehen, wovon wir gegenwärtig jedoch sehr weit entfernt sind.