Connell, Robert W.: Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten; Opladen 1999 (Leske+Budrich). Übersetzt von Christian Stahl. 300 S., 39,80 DM.
„Männer sind Schweine“. Popsongs, zumal wenn sie sich als Sommerhits außer in den Charts in Kneipen und mitgegrölt in öffentlichen Verkehrsmitteln plazieren, haben immer das Zeug zur penetranten Nervigkeit. Aber Popsongs wären keine Popsongs, würden sie nicht ganz verschiedene Leute auf ganz unterschiedliche Weise ansprechen. Geschlechterforschende Soziologiestudenten konnten sich hier ebenso angemacht fühlen wie der antiakademische Macho von nebenan. So gesehen haben Die Ärzte mit ihrer schlichten Weisheit im letzten Jahr einen performativen Widerspruch ersten Ranges inszeniert. Denn während der Songtitel ein Kollektivsubjekt besingt, eben die Männer, weisen die verschiedenen Gründe, warum so etwas auf den Keks geht, gerade daraufhin, daß es die Männer eben nicht gibt.
Männlichkeit ist keine essentielle, überhistorische Größe. Sie ist nicht als Verhaltensdurchschnitt, Charakterzug oder Norm zu definieren, sondern eine Position im Geschlechterverhältnis. Der australische Soziologe Robert W. Connell jedenfalls vertritt diesen Standpunkt. Damit stellt er sich nicht nur gegen gängige Ansichten aus Populär- und Alltagskultur. Männlichkeiten als von Grund auf historische, politisch konstituierte Konfigurationen von Praxis zu betrachten, ist auch in der akademischen Welt nicht selbstverständlich. Die bekannteren Männerforscher in Deutschland beispielsweise, wie Walter Hollstein oder Wilfried Wieck, haben sich längst eher dem Nachweis verschrieben, daß der Ärzte-Slogan falsch und Männer gar nicht böse sondern selber leidend sind.
Mit Connells Buch ist endlich der erste systematische Versuch auf deutsch erschienen, eine Theorie von Männlichkeiten zu schreiben. Mit „Der gemachte Mann“ ist im deutschen ein Titel gewählt, der fast treffender den Inhalt beschreibt, als das englische Original („Masculinities“). Denn sowohl die Genese des Gegenstands, daß der Mann gemacht, also gesellschaftlich konstituiert ist, als auch dessen politische Komponente kommen darin vor: ein gemachter Mann ist auch einer, der besser und mächtiger ist, als andere. Daß eine bestimmte Form von Männlichkeit sich immer in Relation zu anderen Männlichkeiten und zum Geschlechterverhältnis als Ganzem entwickelt, ist ebenfalls Connells These. Er beschreibt zwei Typen von Relationen als Untersuchungsrahmen für spezifische Formen von Männlichkeiten: Erstens ein Verhältnis von Hegemonie, Dominanz/ Unterordnung und Komplizenschaft und zweitens das Verhältnis von Marginalisierung und Ermächtigung. Unter Hegemonie faßt Connell in Anwendung von Gramscis Hegemonie-Begriff eine historisch bewegliche Relation. Hegemoniale Männlichkeit ist dann „jene Konfiguration geschlechtsbezogener Praxis (…), welche die momentan akzeptierte Antwort auf das Legitimitätsproblem des Patriarchats verkörpert und die Dominanz der Männer sowie die Unterordnung der Frauen gewährleistet (oder gewährleisten soll)“. Damit stellt er nebenbei ein von Illustrierten bis zur universitären Postmoderne-Debatte verbreitetes Mißverständnis klar: Nicht Männlichkeit und damit Strukturen und Institutionen des Patriarchats sind gegenwärtig in der Krise und drohen in sich zusammenzustürzen, sondern ihre Legitimationen.
Neben hegemoniale macht Connell mit untergeordnete, komplizenhafte und marginalisierte drei weitere Männlichkeitsformen aus. Untergeordnete Männlichkeit beinhaltet alles, was mit Hilfe der patriarchalen Ideologie aus der hegemonialen Männlichkeit – „von einem anspruchsvollen innenarchitektonischen Geschmack bis zu lustvoll- passiver analer Sexualität“ – ausgeschlossen wird. Untergeordnete sind in den heutigen westlichen Gesellschaften vor allem homosexuelle Männlichkeiten.
Komplizenhafte Männlichkeit kann als Begriff auf Syndrome, Typen und auch auf die Anzahl von Männern angewandt werden, die mit der hegemonialen Männlichkeit in Verbindung stehen, diese aber nicht verkörpern. Eine Form also, die vom allgemeinen Vorteil, der Männern aus der Unterdrückung der Frauen zukommt, profitieren und damit an der „patriarchalen Dividende“ teilhaben, wie Connell es ausdrückt. Marginalisierte Männlichkeit ist im Gegensatz zu den drei zuvorgenannten keine interne Relation in der Geschlechterordnung. Als marginalisiert werden die Männlichkeiten aus untergeordneten Klassen- oder ethnischen Verhältnissen bezeichnet. Hier kommt dann die Interaktion des sozialen Geschlechts mit anderen Strukturen wie Klasse und „Rasse“ zum Tragen. Connell bestimmt die Geschlechterverhältnisse somit immer auch in Beziehung zu anderen gesellschaftlichen Herrschaftsmechanismen wie Kapitalismus und Rassismus.
Im letzten Teil seines Buches umreißt er die Geschichte von Männlichkeiten im Zusammenhang mit anderen gesellschaftlichen Entwicklungen. Kulturellen Veränderungen wie Reformation und Gegenreformation schreibt er für die Herstellung von Männlichkeiten ebenso große Bedeutung zu wie der Schaffung der Kolonialreiche, dem Anwachsen der Städte und den europäischen und nordamerikanischen Bürgerkriegen. Auch dabei handelt es sich um relationale Prozesse, die sich gegenseitig beeinflussen und prägen. Deshalb geht er davon aus, daß Männlichkeiten in diesen Entwicklungen nicht nur hergestellt wurden, sondern daß sie aktiv und gestaltend an ihnen beteiligt waren. Hergestellt wird Geschlecht laut Connell durch soziale Interaktion, ist also nichts Vorgegebenes. Seinen Konstruktivismus entwickelt er in Abgrenzung zu biologischen Modellen einerseits, und zu human- und sozialwissenschaftlichen anderereseits. Während die ersten den geschlechtlichen Körper für eine funktionsgesteuerte Maschine halten, verstünden ihn die zweiten Ansätze als Landschaft, als neutrale Oberfläche, auf die ein sozialer Symbolismus eingetragen wird. Anstatt ihn wegzudiskutieren, wie im Gefolge von Judith Butlers Theorie oft geschehen, setzt Connell voll auf den Körper: „der Schweiß kann nicht außer Acht gelassen werden“.
Die Körper lösen sich laut Connell nicht auf in Zeichen, Symbole oder Positionen im Diskurs. Körperliche Aktivitäten wie das Gebären und Großziehen von Kindern, das Jungsein und Altwerden, sexuelles und sportliches Vergnügen oder Arbeit begreift Connell als politische Akte. Verschiedene Versionen von Männlichkeit werden so „prozeßhaft konstituiert als bedeutungsvolle Körper und verkörperte Bedeutungen“. Diese Prozesse nennt er „körperreflexive Praktiken“ und bebildert sie anhand von ausführlichem empirischen Material. Bei all den Beispielen von durch Feminismus oder Arbeitslosigkeit verunsicherten Typen stellt sich allerdings manches Mal die Frage, ob es sich hier wirklich um die diagnostizierten Krisentendenzen in der gegenwärtigen Geschlechterordnung handelt. Oder kann die individuelle Verunsicherung, die von veränderten gesellschaftlichen Verhältnissen ausgeht, nicht den Legitimationsverlust jedes beliebigen Musters sozialen Lebens belegen? Aber mal angenommen, patriarchale Begründungszusammenhänge wären tatsächlich etwas labil geworden. Wie ist dann die Frage zu beantworten, wo das alles hinführen soll? Connell selbst hofft auf eine profeministische Entwicklung und stellt auch sein Buch in deren Dienste. Das ist löblich und, wie gesagt, längst nicht mehr mainstream.
Auch im deutschsprachigen akademischen Raum ist Connell mittlerweile einer der meistzitierten Männerforscher. Das dürfte nicht zuletzt der Gastprofessur in Bochum zu verdanken sein, die er im Sommersemester 1999 inne hatte. In dem Sommer also, als Die Ärzte gegen postmoderne Sozialforschung und Machismus parolierten. Das Erscheinen des Buches läßt insofern vielleicht mehr hoffen, als so manche vom antifeministischen Backlash geprägte Wirklichkeit.