Nein, sie ist nicht "einfach von uns gegangen", auch nicht "friedlich entschlafen", sie ist weder "heimgekehrt", noch hat sie "ein tragisches Schicksal für immer von uns fortgerissen."
In ihrer Erzählung „Selbstmord“ hat sie geschrieben: „Heute morgen habe ich mich wieder umgebracht. Keine hat’s bemerkt.“ Ihr Leben lang hat sie geschrieben, getextet, gesungen, gelesen, Kabarett – Makabarett – gemacht: Über das Überleben von sexualisierter Gewalt, über Leben und Tod, um Leben und Tod.
„Ich bin dem Tod begegnet und habe von ihm die Neugier auf’s Leben gelernt.“, hatte sie geschrieben und sich diese Worte ins Zimmer gehängt. Sie hat das gewagt und getan, was andere für unmöglich gehalten haben und sich niemals trauen konnten. Sie hat gelebt, immer wieder versucht zu leben, nachdem sie als Kind erlebt hat, wie Gewalt tötet. In ihrem ersten veröffentlichten Buch, dem Kinderbuch „Wen, Do und der Dieb“ irrt die Prinzessin durch die Welt. Ihr ist die Seele gestohlen worden. Sie trifft eine Freundin und gemeinsam machen sie sich auf die Suche. Der Vater und König hat die Seele gestohlen. Die Mädchen verjagen den König und entreißen ihm die Seele. Er muß fliehen – und Wen und Do können endlich beginnen zu leben.
Im Kindermärchen ist das Ende gut. In der Wirklichkeit mußten Väter und Ehemänner und Könige niemals fliehen. Sie sind an ihrem Platz geblieben, als Honoratioren, anständige Bürger, Männer, die ihren Mann stehen, Recht sprechen und die Öffentlichkeit vor Fakten stellen. Keiner der Männer, die Gita vergewaltigt haben, seit sie sich erinnern konnte, hat jemals Folgen von dem spüren müssen, was er getan hat. Nichts. Sie mußte dagegen ein Leben lang mit den Folgen kämpfen.
In diesem Kampf war sie nicht die Einzige, aber oft allein. In ihrem Gedicht „Mißbraucht“ schreibt sie
Mißbraucht
Unscheinbar bin ich, ihr seht mich nicht.
Unter Euch steh ich, aber ihr seht mich nicht.
Zu Tausenden bin ich unter Euch
tausendmal unbemerkt.
Niemand erkennt mich.
Ich habe gelernt, den Schein zu wahren.
Funktionieren muß ich, sonst leidet ihr mich nicht.
Leid mich ja selbst nicht. Muß mich festhalten an Euch.Tausendmal lebe ich unter Euch, unbemerkt.
Tausendmal sterbe ich unter Euch, unbemerkt.Alles, was von mir bleibt
ist nur eine Zahl
in der falschen StatistikAuch die Täter sind unter Euch, tausendfach.
Angesehene Menschen, doch ihr wollt sie nicht sehen.
Ein Stückchen davon in jedem von Euch.
Blutsbrüderschaft
und kein Mitleid den Opfern?Wer mir nicht hilft, macht sich schuldig an mir.
Sie mußte kämpfen. Um ihre Erinnerungen, ihr Fühlen, ihr Leben, und ganz einfach auch um die platte ökonomische Existenz. In ihrem letzten Interview in der Berliner Lesbenzeitung UKZ sagte sie über ihren Beruf Kreativfeministin: „Meine Berufung ist Feministin. Kreativ muß ich sein, um mit diesem Beruf eine Existenzform zu finden.“ Der Prospekt, den sie verschickte, um ihr Konzert- und Lesungsprogramm bekannt zu machen, trägt den Titel: „Genuß auf eigene Gefahr.“
Sie ist mit ihren Erfahrungen, die so viele teilen, aber verstecken, verstecken müssen, nach außen gegangen. Sie hat nach und mit dem Leben geforscht. In ihrer Kunst und ihrem Schreiben ging es um sexualisierte Gewalt – und gleichzeitig um lustvolle Sexualität, um Lachen, um Liebe, um Miteinanderleben. Der Untertitel ihres Buches, „die FreiSchwimmerin“, das ihr erster großer Erfolg war, und mit dem sie auf Lesungen durch ganz Deutschland reiste, heißt: „Lust und Grau(s)zonen lesbischer Sexualität.“
Lust und Graus. Mit diesem Buch hat sie viel gewagt, Gefährliches versucht, das viel Mut fordert, den Mut, von sich selbst zu schreiben.
„Meine Geschichte. Nein, ich bin keine ‚Sexpertin‘. Wenn ich überhaupt von etwas eine Ahnung habe, dann von den Dingen, die jede Lust vergraulen und Spaß an Sex im Keim ersticken. Fast jeden denkbaren Mist habe ich erlebt: Sexuelle und psychische Folter durch den Vater von klein auf, eine Mutter, die – noch nicht volljährig – von ihren Eltern verheiratet wurde (…); isoliertes und einsames Aufwachsen in einer miefigen Kleinstadt in Niederbayern; die Verlogenheit einer ‚Heilen Mittelschichtswelt‘; eine christliche Klosterschule (…), einen vergewaltigenden Ehemann; psychosomatische Schmerzen beim Sex; Flashbacks und Panikattacken…
Wie komme also ausgerechnet ich dazu, ein Buch über Lust zu schreiben? (…) Da muß der Göttin wohl ein Schuß zuviel Granatapfelsaft in den Sud geraten sein, als sie mich in ihrem großen Kessel zusammengebraut hat. Oder so (…) Na, jedenfalls hat sich mein Wille zu echten Sinnenfreuden durch all den Müll und Mist hindurchgebuddelt, den alle möglichen Scheißkerle über mir ausgeschüttet haben; wieder und immer wieder; so wie ein zubetonierter Grashalm, der trotz allem ans Licht drängt. Meine Neugierde und Sehnsucht ruhen und rasten nicht, bis sie herausgefunden haben, was hinter dem Horizont liegt. Meine Lust ist eine Delphinin. Sie sucht das Weite Meer.
(Freischwimmerin S.254f)
Herausfinden, was hinter dem Horizont liegt. Mit Neugier und Sehnsucht ruhe- und rastlos suchen nach dem Andersleben und Überleben. „Ich bin der Mensch, der von allen, die ich kenne, am allermeisten versucht, nach ihren Idealen zu leben“, hat sie einmal zu mir gesagt. Utopien hat sie gedichtet, geschrieben, gelebt.
„Träumereien? Vielleicht. Aber mit einem Traum beginnt die Wirklichkeit. (Das ist altes Hexenwissen. Auch das holen wir uns zurück!) Und welche genauer hinsieht, entdeckt: diese Wirklichkeit hat schon ein Stück begonnen. Oder auch: nie aufgehört.“, steht in der Schlampagnen-Zeitung, die Gita mit herausgegeben hat.
Anders hat sie gelebt, als Kreativfeministin, als selbständige Künstlerin in einem Hexenhäuschen im Labertal, vor Felsen am Fluß, hat sie Gemüse angebaut, mit dem Regensburger Tauschring Alternativen zur Geldwirtschaft entwickelt, mit das Regensburger Frauenzentrum aufgebaut. Holz gesammelt und gehackt, und den Raum mit der HightechComputeranlage für ihre Texte und Lieder damit beheizt. Ja, Computerlinguistin war sie obendrein.
Künstlerin
Wenn ich mal raus bin
aus dieser Schule
arbeitslos
und sich die Frage stellt: Was nun?Dann
werd ich
ÜberlebenskünstlerinNicht so wie
Heyerdal und Messmer
auf einsamen Ozeanen
in atemberaubenden Höhen
oder tückischem DschungelIch habs nicht nötig
wie die Macker
in irgendeine Wildnis zu ziehenIch bleibe einfach
wo ich bin
und überlebe
im atemberaubenden Großstadtsmog
die menschliche Polarkälte hier
die Einsamkeit überfüllter FußgängerInnenzonen
die existentzielle Gefahr
eine Frau zu seinIch
überlebe.
Hört!
Die Entscheidung: zu schreiben
einsame Kammer statt
GroßraumbüroFünftausend brutto und mehr
bedeutet nichtsDie Wölfe draußen beißen, die
nicht mitheultIch liebe meine Kammer die
Einsamkeit des
SchreibensHier am Tisch
Ziehe ich euch das Fell
Über die Ohren
Pack.
In der Einsamkeit hat sie geschrieben. Gleichzeitig war sie in den letzten Jahren in ganz Deutschland für Lesungen, Vorträge und Konzerte unterwegs. Sie ist in der ganzen Szene bekannt nun. Jahre hat sie dafür gearbeitet.
Sie hat versucht, lieben, leben und arbeiten miteinander zu verbinden. Probiert hat sie mit ihrem Leben, wie tragfähig Utopien sein können, weil Träume ohne Verwirklichung und Verwirklichungsversuche nie wirklich werden. Für ein Stipendium hat sie sich beworben – für ihr Forschungsprojekt „Ganztags leben statt halbtags arbeiten“. Und an Themen, die der Utopie immer wieder im Wege standen, hat sie sich gewagt. Wir haben oft davon geredet, endlich mehr über Gewalt zwischen Frauen nachzudenken und zu schreiben.
Dem Leben standen für sie Beziehungszwänge, Gewalt und Konventionen entgegen. Im Zuge der Debatte um die Ehe für Homosexuelle hat sie die Schlampagne mit ins Leben gerufen, die sich für die Gleichstellung aller Lebensweisen und die Abschaffung aller Eheprivilegien einsetzt:
„Trotz aller Schwierigkeiten, trotz des deprimierenden Zusammenbruchs meines ersten Netzes und der langen, manchmal schwierigen Arbeit an meinem heutigen, würde ich mich wieder und immer wieder für das Schlampenleben entscheiden. Aus Natur und Neigung, aus Idealismus, als Widerstand gegen des Patriarchat, wegen des Abenteuers Neuland und wegen der wahnsinnig beeindruckenden und bereichernden Erfahrung viele zu lieben und von vielen geliebt zu werden. Um mit Ellen Halpern zu schließen: „If love is so wonderful, what’s so scary about MORE?“ Wenn die Liebe so wundervoll ist, warum jagt uns MEHR davon solche Angst ein? Oder noch besser: Die Liebe ist so wunderbar, darum gönne ich mir mehr davon, und immer mehr…“
Mit diesen Worten endet der Text „Lesbische L(i)ebensweisen. Von Risiken und Nebenwirkungen der Zweierkiste und real-utopischen Alternativen.“, den sie Mitte Januar fertig geschrieben hatte und noch an ihre Freundinnen gemailt hat. Zwei Tage später hat sie sich ein Essen aus Knollenblätterpilzen gekocht. Und einen halben Tag darauf Spaziergänger im Wald gebeten, den Notarzt zu holen.
„Heute morgen habe ich mich wieder umgebracht. Keine hat’s bemerkt.“
Gita Tost hat sich im Januar umgebracht. Keine hat’s bemerkt?
Schöne unschöne Worte werden gemacht. Sich umgebracht? Die Familie soll geschont werden, meint eine Vertreterin der lokalen Presse. Familie und Ehe, Vergewaltigung, sexualisierte Gewalt, Lügen und Schweigen, seit Gita denken und fühlen konnte. Sie ist nicht verschont worden.
Es war kein tragischer Unfall, kein unglücklicher Zufall und erst recht kein Schnupfen, durch den Gita gestorben ist. „Gesänge für Überlebende“ ist der Untertitel ihrer CD „Bittersüß“. Sie hat überlebt, für ihr Überleben gekämpft – und für das Überleben anderer. Und nicht nur für das Überleben, sie hat gelebt und gezeigt und geschrieben und verzweifelt gehofft, daß Leben mehr ist als Überleben – 34 Jahre lang.
Sagt Selbstmord etwas über das Leben? Über Selbstmord wird geschwiegen, aber auch viele Worte werden gemacht: „Sie ist letztlich doch gescheitert auf ihrem Weg!“ „Sie hat es am Ende nicht geschafft.“ Nein. Der Tod macht nicht das Leben vorher nichtig. Und überhaupt ist Leben eine Leistung? Eine Frage von „Schaffen“ oder „Scheitern“? Schlimm genug, wenn Überleben Leistung, ungeheure Leistung, Kraft und Mut fordern muß, Tag für Tag. Mut, mit dem frau auch allerleichtestens auf den Himalaya steigen oder zu den Sternen fliegen könnte, hätte sie nicht Gewalt erlebt und müßte sie nicht gegen die Gewalt leben.
„Aber das mit der sexualisierten Gewalt muß doch irgendwann vorbei und vergessen sein.“, viele, die keine sexualisierte Gewalt erleben mußten, zeigen ihr Erstaunen, wenn sie von Gitas Tod erfahren. Unddie, die niemals im Leben dem Tod und der Gewalt nahe waren, sagen: „Also ich versteh‘ das nicht so ganz. Also ich würde ja keine Knollenblätterpilze essen.“ Reden, um zu verstehen – oder reden, um mit dem Verstehen nicht beginnen zu müssen?
Verstehen? Es stimmt nicht, daß „das mit der Gewalt doch irgendwann einmal vorbei sein muß“. Und genausowenig stimmt das Gegenteil, „daß es einfach so kommen mußte, weil frau mit diesen Erfahrungen letztlich doch nicht überleben kann.“
WARUM?, fragen mich die Leute am Telefon, als ich ihnen sage, daß Gita sich umgebracht hat. Was wollen sie hören? Und was willst Du jetzt gerne lesen? „Aus diesem und jenem Grund.“ „Erstens deshalb und zweitens darum und dann kam noch dazu…“ „Schuld ist nur…“ Und zum Schluß meiner Ursachenanalyse soll ich dann aussprechen: „Ich weiß es wirklich nicht, aber ich kann nur eines sagen: An Dir liegt es ganz bestimmt nicht!“
Am Anfang haben wir noch antworten können, „weißt Du, die Tagebücher, der Abschiedsbrief, das ist noch alles bei der Kripo. Wir wissen es noch nicht.“ Jetzt, zwei Wochen nach ihrem Tod sind die Tagebücher da. Weiß jetzt jemand, warum? Und was hieße es, es zu wissen, WARUM?
Schuld ist die Gesellschaft, schuld ist die zerstörerisch mörderische Gewalt gegen Frauen.
„von Männern zu Tode gehaßt“ heißt es in dem Gedicht „Grabspruch“ – aber auch „Durch Frauen auferstanden und endlich in vollen Zügen gelebt“.
Aber was sagen wir leise zueinander, wenn wir das immer wieder herausgesagt haben, was wieder und wieder gesagt werden muß? Wenn wir von der Gewalt und dem tödlichen Haß gesprochen haben, über die immer wieder gesprochen werden muß? Worte, die oft schneller vergessen, verdrängt und verspottet werden, als sie gesagt sind.
Und gleichzeitig bleibt doch noch mehr zu sagen. Oder nicht einmal mehr zu sagen. Welche Worte für das, was es noch nicht gibt?, hat Gita oft gefragt.
„Ihr dürft Euch auf keinen Fall Schuldgefühle machen.“ „Sie hat es so gewollt!“ „Darüber nachdenken, was man anders machen hätte können, bringt nichts.“
Sicher. Und gleichzeitig nicht richtig.
Die, die da bleiben, machen es sich meist einfacher, zu einfach. Einfacher als Gita.
Ihre Extherapeutin meint am Telefon: „macht euch ja keine Vorwürfe. Ihr hättet es nicht verhindern können.“
Niemand hat den Tod von Gita verhindern können. Das stimmt. Sicher. Das sehe ich auch. Sonst würde sie ja leben. Und doch will und will ich den Tod verhindern und verhindern, was ich nur verhindern kann. Nicht weniger.
Gita hat darüber geschrieben: „Wenn du es nicht schaffst, einfach da zu sein, dann geh‘. Es ist dein gutes Recht. Glaube nicht, daß du dadurch ihren Schmerz verschlimmerst. Glaube nicht, daß du dadurch ihren Schmerz nicht verschlimmerst. Du bist nicht für die Überlebende verantwortlich. Wenn sie sich wirklich umbringen will, wird sie Wege finden, so oder so. Es ist nicht deine Aufgabe, sie um jeden Preis daran zu hindern.“ (Freischwimmerin, S.197). Und solange wir leben, können wir rätseln und probieren und leben, was sie damit wohl gemeint hat.
Nachrufe schreiben. Ihr nachrufen, und sie kann doch nicht mehr antworten, widersprechen, bissig sein, zustimmen oder den Kopf schütteln. In vielen Nachrufen, vor allem in denen feministischer Kämpferinnen steht: „Dein Tod soll nicht umsonst sein.“ Und ich glaube doch, Dein Tod war umsonst. Denn mit Toten kannst Du alles tun. Tote lassen sich sofort und schweigend vereinnahmen, auch die Widerspenstigste von allen. Dir hätte es nicht gefallen, das Leben als Tote – als am Totenbett alles verzeihende Tochter in der Einbildung deiner Mutter, als endlich Heimkehrende, als allerallerbeste Freundin, als immer nur Geliebte, als Idol, als TraumFRAU, als durch und durch Gute mit guter Mine zum bösen Spiel, und die Heldin, die es „geschafft“ hat, sich umzubringen, als Symbol, als Anklage gegen sexuelle Gewalt, und immer als totes Beispiel für jedwedes Argument derer, die leben und schreiben. Mit Bewunderung und Harmonie kann man sich auch jemanden vom Hals halten.
„Nur tote Dichterinnen haben Aussicht auf Erfolg.“, hat Gita realistisch ironisch in ihr Testament geschrieben. Aber müssen tote berühmte Dichterinnen zu Idolen werden – vor allem eine Dichterin, die keine Idole wollte und immer wieder aufgefordert hat, selbst zu schauen, zu denken und zu fühlen?
Lösung
häng
ihr bild
abweiße
wändelöse
bänderleere
händebinde
winde
von den
wändenlos
Als Lebende warst Du unbequem, widerständig, kratzbürstig und ungeheuer lebendig provokativ Ich habe nicht immer gerne gehört, was Du mir zu sagen hattest. Und viel mochte ich überhaupt nicht hören und habe es dann auch nicht gehört, vor allem Deine Gedanken an den Tod, den ich nicht haben und wahr haben wollte. Ich konnte wegschauen und hab’s getan.
Was den Lebenden so alles durch den Kopf geht – und was sie so alles unwidersprochen schreiben können, am liebsten würde ich Dir als Grabspruch das Gedicht eines Mackers schenken. Du hast nie Männer zitiert. Mir gefällt das Zitat so gut, soll ich Dir verheimlichen, daß es von einem Mann ist?
„Schreiben Sie, daß ich unbequem war
und es auch nach meinem Tod zu bleiben gedenke.
Es gibt auch dann noch gewisse Möglichkeiten.“Bert Brecht
Daß Du unbequem bleibst, das was Du geschrieben, getan und gelebt hast, unbequem bleibt – ja mehr als unbequem für die Gewalt und den Tod!
Das wünsch ich Dir – oder wünsch ich es mir?
Die Lebenden müssen sich trösten, sie müssen ihr Schuldgefühl wegreden, sie müssen viel mit vielen Worten unter den Teppich kehren, müssen Sinn finden, in dem, was nicht zu begreifen ist, und Gründe, für das, was nicht zu begründen ist. Und weiter machen. Und meistens machen sie mit der Tagesordnung weiter. Schöne Worte, Trost und Sinn, Selbstvergewisserung für die Lebenden:„Sie hat sich freigeschwommen.“ „Liebe Gita, Du bist ja jetzt überall.“ und dann geht es weiter, weil und wie es eben weitergehen muß?
Und darum hab ich Dich geliebt, daß Du nicht einfach weiter gemacht hast, sondern gefühlt, probiert, versucht, riskiert, geträumt hast. Ich bin oft von Dir gekommen und habe mir gesagt, mehr Mut, die Gita hat ihn auch. Und doch hätte ich mir gewünscht, daß Du einfach weiter machen hättest können, ein Auge zugedrückt hättest, statt die Augen für immer zu schließen – aber welche Bilder hast Du gesehen, wenn Du „einfach“ die Augen zugedrückt hast?
Ich fürchte, Dein Tod war umsonst. Ich will keinen tieferen Sinn darin sehen, daß Du nicht mehr da bist. Muß denn alles etwas bringen, muß alles nützen, darf nichts umsonst sein – nicht einmal der Tod?
Du hast es nicht mehr ausgehalten, aushalten können. Es ist kein Trost für mich, daß „sie sich freigeschwommen“ hat, daß „sie es schließlich so wollte“. Weil dann bleibt mir weiter die Frage, warum Du nicht mehr leben wolltest und konntest, wo Du das Leben so verzweifelt geliebt hast. An dem Januarabend wolltest Du sterben, und doch glaube ich, gefühlt zu haben, daß es so viele andere Augenblicke gab, in denen Du leben wolltest. Und daß es noch so viele Augenblicke gegeben hätte, in denen Du gerne gelebt hättest, wenn… Wenn?
Du hast es ausgesprochen „Mörder meiner LebensLust“. Es war kein Selbstmord. Gemordet haben andere und morden tun andere weiter.
War Dein Tod umsonst?
Ganz sicher war Dein Leben nicht umsonst . „Sicher ist nur der Augenblick. Und der goldene Schimmer deiner Haut.“, heißt es in dem Lieblingslied von Schall und Rauch, dem Musikkabarett, an dem Gita zusammen mit Gitta Schürck zuletzt gearbeitet hat. Leben war und ist nie umsonst, kein Augenblick.
Lesen und hören, sich auf Deine Gedanken, Deine Wege, Deine Melodien einlassen. Und dabei traurig bleiben und werden. Erinnerungen an unsere Gespräche. Was Du oft vermißt hast bei Deinen Lesungen, bei Deinen Auftritten, waren Antworten auf Dich und Fragen an Dich. Mauern des Schweigens. Gefriergetrocknete Gesichter. Du warst mutig, und es brauchte viel Mut, Dir auch nur ein Stück zu folgen, Dir nahe zu sein. Du hast so viel geschrieben – und ungeschützt mehr von Dir gezeigt, als irgendeine, die ich kenne. Vorgewagt hast Du Dich ins Niefrausland, wo sich kaum eine hingewagt hat, und Du hattest noch keine Karte dafür – und niemanden bei dir, hat deine Freundin Uta gemeint. Grenzen hast Du überschritten, Begrenzungen, Gefängnistore hinter Dir gelassen, aber auch über Grenzen anderer bist Du hinweggegangen – und über Deine eigenen. Gibt es Grenzen beim Überschreiten von Grenzen? Oder kann frau überhaupt Grenzen überschreiten, wenn sie gleichzeitig immer schon Grenzen im Sinn hat?
Einsam hast Du Dich oft gefühlt. Du wolltest und mußtest so vieles allein tun. Wie oft haben wir gestritten. Ich hab‘ zu Dir gemeint – Autonomie, Selbstbestimmung, „Dein Holz nur mit Deiner Hände Kraft alleine hacken“, das ist doch kein Wert. Und Du hast gemeint, was ist mir schon geblieben, ich mußte meine Autonomie hochhalten, ich mußte das schreiben, als mich alle Freundinnen alleine gelassen haben. Was blieb mir schon? Jetzt kann ich Dir überhaupt nicht mehr widersprechen – weder mit Worten noch mit meinen Händen und meinem Dasein. Du hast alle verlassen. Und ich hoff nur, daß du nicht mehr allein bist.
Was wird uns mit ihr fehlen? Was haben wir ihr zu verdanken? Was hatten wir an ihr? Was werden wir sie vermissen!
Dein Mut, Deine Neugier, Deine Sprache, der Klang der Musik, Dein herber Humor, Deine Radikalität, Deine Schonungslosigkeit (wärst Du doch weniger schonungslos mit Dir gewesen und noch da), Deine Provokation und meine Irritation, Dein Hexenhäuserlreich im Laabertal, die kalten dünnen Wände und die Sonnenstrahlen vor dem Haus, Deine Theoriefeindlichkeit und meine Besserwisserei, Deine Einsamkeit und meine Hilflosigkeit, Deine Worte und Wörter wie mooskrauses Haar, Dein Naturkitsch, Deine Krätzgurkigkeit und mein Ärger, daß Du immer wie ein Lufthauch gesäuselt hast, Deine Konsequenz und meine Schuldgefühle, Deine Marillenmarmelade und Dein Sinn für Dialektik (- das Wort Dialektik würde Dir nie gefallen, Du Biest), Deine so hohen Erwartungen und raumgebenden Utopien, Deine Unnahbarkeit und meine Angst, Dein Reiberdatschi, Dein Grins und Graus, Deine Widerspenstigkeit, Dein Plumpsklo und Deine Liebe zu Widersprüchen und Sprachspielen, Deine Verzweiflung, daß Du nie aufgegeben hast, Dich nie gehen hast lassen (bis auf ein einziges Mal), Dein Reichtum.
reich
Reich an Bestohlen-Worden. „Wer nichts hat…“ freedom’s just another word for… – War das nicht auch von einer Frau? Sie ist jetzt tot, die Frau. Sie hatte doch noch etwas gehabt: zuviel Leben. Ich denken an dich, Janice, und fange an mit: habe nichts zu verlieren.
Mein Körper kennt alle Schändungen. Ihr könnt mich nicht mehr brechen. Weil ihr es bis jetzt nicht geschafft habt, werdet ihr nicht mehr brechen. Weil ihr es bis jetzt nicht geschafft habt, werdet ihr es nie mehr schaffen.
Ihr könnt mich nicht mehr als völlig ausstoßen. Ich bin vogelfrei.
Und euren vergifteten Apfel habe ich ausgespuckt. Euer Zuckerbrot lockt mich nicht mehr. Ich kenne die Tricks.
Ich durchschaue die Tarnung.
Ich bin reich.
Reich an Ertragen-Können. Reich an Närrinnenfreiheit.
Reich an Wahrheit. Und übe den aufrechten Gang.
Reich an Falten. Reich an Narben. Reich an grauen Haaren. Reich an Schmerzen. Reich an Behinderung.
Frauenreichtum.Reich an Unbeugsam. An Einsam. An Gemeinsam.
Reich an Tod und reich an Leben.
Reich mit meiner Geführtin.
Reich an Wissen. Kostbares Wissen. Und wissen, was wir tun. Warum.Reich mir die Hand.
Was ich Dir alles noch gerne gesagt hätte:
Daß ich Dich gerne auf einen Pauschalurlaub nach Gomera geschickt hätte, mit Flug und Vollpensionsbuffet, mochte es nicht mehr ansehen, wie Du einsam waldinnenhaft das harte Holz gehackt hast, das doch nicht deine dünnen Wände gewärmt hat.
Daß ich mich noch gerne jahrzehntelang mit Dir über Deine Theoriefeindlichkeit gestritten hätte. Daß Du alle Theorie nur auf Deinen Komposthaufen geschmissen hast – Theorie ist brutal, kalt, unpersönlich und Herrschaft – und gleichzeitig hast Du ständig mit Deinem Leben theoretisiert. Du hast kein Haar in der Suppe und an Deinem Leben gelassen.
Schreien hätte ich Dich gerne einmal gehört, nicht immer wie ein Lüftlein tüteln und säuseln. „Hihi, tütelditü, ich habe gerade drei Knollenblätterpilzlis im Waldilein gefunden.“ Verdammt! Und ich sage nichts drauf. Nichts. Nicht, daß Du sie ja nicht einfrieren sollst. Und nicht, daß Du Dir ja keinen Auflauf draus kochen sollst. Und dann erst nach 12 Stunden den Arzt holen sollst. Nein. Daran wollte ich nicht denken. Aber daran hast Du gedacht.
Säuseln, singen, hell flöten, leise Wispern – zu sagen: Schrei halt einfach – ist dumm von mir. Du hast selbst drüber geschrieben, Angst vor Aggression, Angst vor bodenloser Aggression, Angst vor der Täterin.
Was ich nicht vergessen werde: Dein Grinsen, als Du aufgebahrt im Sarg lagst. Du hast gelächelt und gelächelt und gelächelt.
Wir hätten alle Zeit der Welt gehabt. Wir hatten alle Zeit der Welt. Und sie war kurz.