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Siebzehn und vier

Der Stand der Prozesse und Verfahren gegen GWR und AntimilitaristInnen

(GWR-MS) Während das Ermittlungsverfahren nach § 111 StGB (öffentliche Aufforderung zu Straftaten) wegen Aufruf zur Desertion gegen Graswurzelmitarbeiter Andreas Speck aus Oldenburg jetzt eingestellt wurde, laufen die Ermittlungen u.a. gegen den GWR-Autor Tobias Pflüger (Informationsstelle Militarisierung/IMI Tübingen) und gegen den Münsteraner Graswurzelredakteur Bernd Drücke weiter. Das Verfahren gegen Drücke unterscheidet sich von den anderen dadurch, dass es sich hier auch um einen angeblichen Verstoß gegen das Presserecht handelt. Ihm wird vorgeworfen, als presserechtlich verantwortlicher GWR-Redakteur mit der mit einer Auflage von 30.000 Exemplaren bundesweit verbreiteten „Nein zu Bomben, Krieg, Vertreibung! Stoppt den Krieg! GWR-Aktionszeitung Nr. 2/99 / Beilage zur GWR Nr. 239 Mai 99“ öffentlich zu Straftaten aufgerufen zu haben. Dort wird zu „Direkten gewaltfreien Aktionen gegen den Krieg!“, zu Blockaden in Bonn und Calw (Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr) aufgerufen.

Im beanstandeten Text heißt es u.a.: „In Verbindung mit unseren direkten gewaltfreien Aktionen rufen wir alle Soldaten zur Verweigerung jeglicher Form von Kriegsdienst auf.“

Eine absurde Posse

Das §111 StGB-Ermittlungsverfahren wurde zunächst nicht gegen den presserechtlich Verantwortlichen der seit 1972 erscheinenden anarchistischen Monatszeitung Graswurzelrevolution, sondern gegen zwei Männer in Berlin eingeleitet. Die beiden antimilitaristischen Aktivisten hatten im Stil der Weißen Rose während einer – laut Polizeibericht – „unfriedlichen Demonstration“ am 30. April 1999 die o.g. vierseitigen GWR-Aktionszeitungen und diverse Anti-Kriegs-Flugblätter von einem Dach in die Menschenmenge geworfen. Daraufhin stürmten fünf Zivilpolizisten auf das Dach. Die beiden Antimilitaristen ergriffen die Flucht, als sie die Beamten bemerkten.

In der Strafanzeige gegen die beiden heißt es: „Beide Beschuldigten konnten mittels körperlicher Gewalt festgenommen werden. (…) Besch. 1 erlitt leichte Schürfwunden am rechten Ellenbogen. Besch. 2 erlitt leichte Schürfwunden an der Stirn, am rechten Knie und am rechten Ellenbogen.“ Die beiden GWR-Verteiler wurden verhaftet und erkennungsdienstlich misshandelt. Gegen beide wurde ein §111 StGB-Verfahren wegen „gemeinschaftlicher Aufforderung zu Straftaten“ und – da sie nach Meinung der Beamten „keine Berechtigung hatten, auf das Dach des Gebäudes zu gelangen“ – wegen „gemeinschaftlichen Hausfriedensbruch“ eingeleitet. Da bei dem angeblichen „Hausfriedensbruchs“ kein Sachschaden entstanden war und die Hausbesitzer keinen Strafantrag stellen wollten, kam es nicht zur Anklage.

Dezentrale Graswurzelbewegung verwirrt Behörden

Erst am 9. September forderte die Berliner Staatsanwaltschaft die Staatsanwaltschaft in Heidelberg auf, das §111 StGB- Verfahren gegen den in Heidelberg eingetragenen Verlag Graswurzelrevolution e.V. einzuleiten. Zwei Wochen vergingen, bis die Heidelberger Staatsanwaltschaft ihren Berliner KollegInnen mitteilte, dass der Verlagssitz und ein GWR-Büro zwar in Heidelberg zu finden seien, die GWR-Redaktionen, die die GWR 239 erstellt hätten, aber in Münster und München zu suchen seien. Am 15. Oktober stellte die Berliner Staatsanwaltschaft – vermutlich durch Lesen des GWR 239-Impressums – fest, dass sich der presserechtlich verantwortliche Redakteur und der Erscheinungsort der GWR 239 in Münster befinden. Am 28. Oktober leitete daraufhin die Münsteraner Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren gegen Bernd Drücke ein. Am 2. November teilte ihm die politische Polizei Münster telefonisch mit, dass er, als Verantwortlicher im Sinne des Pressegesetzes, im Verdacht stehe, „durch die Veröffentlichung der Publikation ‚graswurzelrevolution Nr. 239 Mai 1999‘ i.S.d. § 111 StGB öffentlich zu Straftaten aufgefordert zu haben. Ferner wurde ihm eröffnet, dass er im vorliegenden Ermittlungsverfahren der StA Münster den Status eines Beschuldigten hat. Nach der Belehrung über seine diesbezüglichen Rechte entschied sich Herr Drücke, sich nicht polizeilich zur Sache vernehmen zu lassen. Ferner äußerte er, dass er über seinen Rechtsanwalt Akteneinsicht verlangen werde.“

Da die inkriminierte GWR-Aktionszeitung bereits am 26. April ausgeliefert, das Verfahren gegen Drücke aber erst am 28. Oktober, also 6 Monate und zwei Tage später eingeleitet wurde, ist es nicht unwahrscheinlich, dass es eingestellt werden muss, wenn es hier nur um das Presserecht gehen sollte. Die Verjährungsfrist bei Verstößen gegen das Presserecht liegt bei sechs Monaten.

Warten wir’s ab.

Sehr erfreulich sind auf jeden Fall die vielen Solidaritätserklärungen und Unterschriftenlisten in deutscher, spanischer und englischer Sprache (ca. 400 Unterschriften), die den GWR-Redakteur u.a. aus Chile, USA, Finnland, Österreich, Frankreich, Spanien, Rußland und Deutschland erreicht haben.

Einen ständig aktualisierten Überblick über die zahlreichen Ermittlungsverfahren und Prozesse bietet das „Komittee für Grundrechte und Demokratie“ (s. GWR 244) und die „Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär“.