aktuelles

„Wir lehnen die Beteiligung an Kriegen ab“

Zwei Deserteure berichten über ihre Flucht aus Jugoslawien

| Zoran und Milan

Die Stadt Münster hat im November 1999 einen schon betagten Ratsbeschluss in die Tat umgesetzt und zwei Deserteuren aus dem Kriegsgebiet Jugoslawien Asyl gewährt. Milan O. und Zoran P. aus Serbien können sich nun legal in Deutschland aufhalten. Die beiden Deserteure haben uns berichtet, was sie durchgemacht haben. (GWR-MS)

Nach einem fünfwöchigen Bombardement sind wir aus unserem Heimatland geflohen, da wir den schrecklichen Druck nicht mehr aushalten konnten. Tödlich erschrocken durch die militärischen Autoritäten, die überall nach neuen Soldaten suchten, realisierten wir, dass dies der einzige Ausweg war. Wir taten dies auf dem einzig möglichen Weg – illegal. Unser Grund für die Verweigerung basierte auf unserem Politikverständnis, jegliche Art der Beteiligung an diesem Konflikt abzulehnen.

Anfang Mai 1999 hatten wir es geschafft, ein kleines Dorf in der Nähe der bosnischen Grenze zu erreichen, in dem Verwandte von Milan lebten. Sie halfen uns, Menschen zu finden, die Waren über den Fluß Drina schmuggelten. Wenige Tage später war es uns möglich, die Grenze zu überqueren. Wir zahlten dafür jeweils 150 DM, was zu dieser Zeit als sehr billig gelten kann. Preise für einen illegalen Grenzübertritt nach Ungarn beliefen sich auf bis zu 1000 DM.

Wie auch immer, am 4. Mai erreichten wir Bosnien-Herzegovina und reisten weiter nach Sarajevo. Da unsere „Freunde“ aus Belgrad, die zu dieser Zeit in Sarajevo lebten, sich weigerten, uns zu helfen, klopften wir bei der Nichtregierungs- Organisation „Frauen für Frauen“ an und beschrieben unsere schwierige Situation. Selma Hadzihalilovic, die Frau, die uns die Tür geöffnet hatte, war in der folgenden Woche unsere Gastgeberin. Wir planten, nach Israel zu gehen, da ein dort lebender Freund uns nach Tel Aviv eingeladen hatte. Unglücklicherweise gibt es in Sarajevo keine israelische Botschaft und die nächste befindet sich in Budapest. Dorthin mußten wir fliegen, denn für die Durchreise durch Kroatien hätten wir Visa gebraucht. Die Prozedur zur Erlangung der Visa hätte einen Monat gedauert.

Mitte Mai erreichten wir Budapest. Die Grenzpolizei am Flughafen behandelte uns wie Verbrecher. Ohne die Bescheinigung, in Israel einreisen zu dürfen, mußten wir eine Nacht auf dem Flughafen bleiben. Nach dreistündiger Befragung und Demütigung wurden wir endlich in das Land gelassen. Die ersten zwei Wochen waren sehr hart für uns. Wir beantragten Touristenvisa in der israelischen Botschaft und mußten einen Monat auf diese warten. Fast jede Nacht schliefen wir in einer anderen Wohnung und haben es nur durch die Hilfe unserer Freunde geschafft, in Budapest zu überleben.

Letztendlich ergriff unser Freund Bojan Aleksov die Initiative und startete das Projekt „Safe House“ mit der Hilfe von Rudi Friedrich („Connection e.V.“-Netzwerk aus Offenbach). Zwei von uns arbeiteten hier als Koordinatoren. Wir mieteten eine Vierzimmer-Wohnung und machten daraus eine Unterkunft. Unser Job war es, die Wohnung in Ordnung zu halten und die Deserteure und Totalverweigerer, die meist illegal aus Jugoslawien nach Ungarn kamen, zu betreuen. Wir halfen ihnen so gut wir konnten – bei der Anmeldung, durch die Zurverfügungstellung eines Telefons, Ratschläge und moralischen Beistand. Zu dieser Zeit begann unser schriftlicher Kontakt zu Stefan R. aus Münster.

Ende Juli bekamen wir endlich unsere israelischen Visa, die jedoch nur einen Monat gültig waren. Mit Hilfe des Büros des „American Friends Service Commitee“ in Budapest und Geld, das wir durch unsere Arbeit beim „Safe House“-Projekt verdient hatten, kauften wir uns die Tickets, um nach Israel zu reisen. Unsere ungarischen Visa waren kurz vor dem Ablaufen, so mußten wir das Land also in jedem Fall verlassen. Da wir uns bewußt waren, in Ungarn keine Chance auf einen legalen Status zu haben, beschlossen wir, es in Israel zu versuchen.

Am 4. Juli kamen wir nach Tel Aviv. Während der Zeit, die wir dort verbrachten, bekamen wir viel Hilfe von den Nichtregierungs-Organisationen „Frauen in Schwarz“ (vgl. GWR 238, 239 u.a.) und „Physitains for Human Rights“ aus Tel Aviv, insbesondere von Edna Yamm, Arabia Monsuri, Micki Fisher und Ramy Adut.

Obwohl interessant und voller Möglichkleiten, war Tel Aviv keine Stadt für ein leichtes Leben. Wir mußten arbeiten, obwohl wir wußten, daß wir ohne Arbeitserlaubnis sofort des Landes verwiesen werden konnten und im Gefängnis gelandet wären. Aviva Lori, Journalist der wöchentlich erscheinenden „Haretz“, schaffte es, Autoritäten dazu zu überreden, uns eine Aufenthaltserlaubnis für weitere zwei Monate zu geben, aber ohne Arbeitserlaubnis und langfristige Sicherheit war es uns unmöglich, dort zu bleiben.

Wir kehrten Mitte August nach Budapest zurück. Zum Ende dieses Monats erreichten uns erste Nachrichten aus Münster. Mitte September bekamen wir eine Bestätigung der Aufenthaltserlaubnis in Deutschland und beantragten deutsche Visa, nachdem wir tagelang vor der deutschen Botschaft in Budapest warten mußten.

Ist es schwer zu erraten, wie jugoslawische Bürger dort behandelt werden? Nichtsdestotrotz, einen Monat später bekamen wir die deutschen Visa und begaben uns wieder auf die Reise.

Am 13. November erreichten wir Münster und wurden herzlich willkommen geheißen. Anna L. und das VIS (Verfahrensinformationsstelle für Flüchtlinge)-Team halfen uns, mit der Verwaltung zu verhandeln, einen legalen Status zu bekommen und uns hier einzurichten. Immer noch ist dies keine endgültige Lösung, aber nach einer siebenmonatigen Odyssee auf der Suche nach einem Bleibeort ist es eine sehr erleichternde Situation.

Zurückschauend auf die letzten Monate können wir sagen, daß wir zu den Glücklicheren gehören. Tausende sind noch in Ungarn, leben dort unter extrem schwierigen Bedingungen und kämpfen für einen Ausweg. Die Camps in Debrecin und Bekescaba sind schreckliche Orte und die ungarischen Autoritäten machen nichts, um die Lebenssituation zu verbessern. Diese Leute, wie auch viele andere in Budapest, brauchen dringend Hilfe.