radikalgraswurzelfeministisch

Eine Welt ohne Gita Tost, in eine Anderswelt mit Gita

| Gitta Schürck, 28.02.2000

"Heute morgen habe ich mich wieder umgebracht. Keine hat's bemerkt." (Erzählung "Selbstmord")

"Ich bin dem Tod begegnet und habe von ihm die Neugier aufs Leben gelernt." (Wandspruch)

"Meine Berufung ist Femministin. Kreativ muss ich sein, um mit diesem Beruf eine Existenzform zu finden." (Interview Berliner Lesbenzeitschrift UKZ)

"Ich bin der Mensch, der von allen, die ich kenne, am allermeisten versucht, nach ihren Idealen zu leben."(Zitat)

"Fast jeden erdenkbaren Mist hab ich erlebt: Sexuelle und psychische Folter durch den Vater von klein auf, eine Mutter, die - noch nicht volljährig - von ihren Eltern verheiratet wurde (...), einen vergewaltigenden Ehemann, psychosomatische Schmerzen beim Sex, Flashbacks und Panikattacken... (...) Meine Neugierde und Sehnsucht ruhen und rasten nicht, bis sie herausgefunden haben, was hinter dem Horizont liegt.(Freischwimmerin S.254f)

"Träumereien? Vielleicht. Aber mit einem Traum beginnt die Wirklichkeit. (Das ist altes Hexenwissen. Auch das holen wir und zurück!) Und welche genauer hinsieht, entdeckt: diese Wirklichkeit hat schon ein Stück begonnen. Oder auch: nie aufgehört." (Schlampagnen-Zeitung)

"Ganztags leben statt halbtags arbeiten" (Titel ihres Forschungsprojektes)

"Von einer Frau geboren
von Männern zu Tode gehasst
Durch Frauen auferstanden und endlich in vollen Zügen gelebt" (Gedicht Grabspruch)

"Wenn du es nicht schaffst, einfach da zu sein, dann geh'. Es ist dein gutes Recht. Glaube nicht, dass du dadurch ihren Schmerz verschlimmerst. Glaube nicht, dass du dadurch ihren Schmerz nicht verschlimmerst, Du bist nicht für die Überlebende verantwortlich. Wenn sie sich wirklich umbringen will, wird sie Wege finden, so oder so. Es ist nicht deine Aufgabe, sie um jeden Preis daran zu hindern." (Freischwimmerin S.197)

"Nur tote Dichterinnen haben Aussicht auf Erfolg." (Testamentausschnitt)

"Sicher ist nur dieser Augenblick und der goldene Schimmer deiner Haut" (Lied Rauhnacht, Schall & Rauch Duo)

"Könnte ich die Freiheit fangen
diese flüchtige Idee
Würd ich mich in Federn kleiden
Ließe mich auf Winden treiben
Sänge zarte Poesie

Könnte ich die Schönheit fangen
Die aller Beschreibung trotzt
Ließe ich dies hilflos Stammeln
Würde Freudentränen sammeln
Spräche deinen Namen bloß

Könnte ich die Liebe fangen
Dieses wunderferne Land
Ließe ich die Worte schweigen
Würde meine Seele zeigen
Hätt' ich einmal sie gekannt"

(Gedicht Irrealis aus Die Trau!mfrau)

Als wir uns kennenlernten, hätte ich niemals damit gerechnet, hier zu sitzen und ein paar Worte über deinen Tod oder sogar über dein Leben zu schreiben.

Ich habe dich nicht lange gekannt und trotzdem hast du mir dein Vertrauen gegeben, ich hab es erst in deinem Tod getan. Ich hab dich als andersartig kennengelernt als eine, die sich nicht um die zahlreich vorhandenen (patriachalen) einengenden Tabus kümmert, eine die sich trotzdem immer wieder daran stösst, in ihrer Widderinnen-Art dagegen anrennt und sich dabei oft genug eine blutige Nase geholt hat.

Die Nacht vom 12.01. zum 13.01 war die Nacht in der du nicht mehr anrennen wolltest gegen die zahllosen Grenzen bei den Menschen, die du liebst und gegen deine eigenen Grenzen. „Wenn die Nacht am tiefsten ist, ist der Tod am nächsten…“ hast du in dein Tagebuch in jener Nacht geschrieben. Wie auch anders hättest du diesen Schritt tuen können als mit der Magie des Waldes, die dich schon immer angezogen hat, sei es als wohlschmeckendes, sinnliches Essvergnügen oder als die „Alte“ Überbringerin des Todes mit denen im vorherigen Sommer eigenhändig gesammelten Knollenbätterpilzen. Bestimmt kein leichter Weg des Überganges, genau so einen Weg durch den Tod gewählt wie der Weg deines Lebens war, Zeit zum Hinspüren, auch wenn es unbarmherzig weh tut. Aber welcher Schmerz davon, welche Eigenfolter war von dir und welche von deinen Missbrauchern? Ich weiss es nicht; wie oft hast du gesagt, dass du diese Flaschbacks nicht mehr erträgst, diese körperlichen Qualen, die Suche nach der eigenen Identität, die Gefühle von nonverbaler Einsamkeit. Ein Teil der Verantwortung für deinen Tod liegt bei den Missbrauchern, hattest du Ihnen die Verantwortung zurückgeben können? Im Tagebuch hast du Ihnen die Mitschuld an deinem Tod zugesprochen.

13.01.2000: Irgendein bisher unbekannter „Mann“ findet dich im Wald und fährt dich ins nächste Krankenhaus. Du wirst noch eine Woche lang mit Chemie und Apparaten am körperlichen Leben festgehalten. Auch die Maschinen pressen kraftvoll, unaufhörlich, unerträglich, endlos dauernd gegen deine Grenzen. Ein-Aus, ein-Aus und immer meine eigene Sehnsucht ansprechend: wann hört dieser ungleiche Kampf endlich auf, wann gibt es endlich Frieden und wo bist „du“ bei all diesem nicht mehr zu durchschauenden Mechanismen von Körper, Seele, Geist und Maschine? Wo bist du innerhalb dieses Krankenhaustourismusses, bei dem sich die sorgenden Frauen im 5-Minuten Takt mit der vereinnahmenden Mutter die Klinke in die Hand geben; eine Mutter, welche ein verzeihendes Wort aus deinem entnervtzuckenden Mund gehört haben will, um eine christlich-esoterische Sanktion von dir zu bekommen, um endlich von dir geliebt zu werden, weil sie dir diese Liebe nicht geben konnte. Wo bist du, wenn trauernde „liebste“ Gefährtinnen sich gegenseitig einen Konkurrenzkampf im Trauern vorwerfen, nach dem Motto: „Welche stand oder steht ihr am nächsten?“

So langsam finde ich dich in diesem „Wir lieben uns doch alle – Alles wird gut – Nichts ist in Ordnung – Nieder mit den (Krankenhaus-) Grenzen Spiel“. Ja so hatte ich dich erlebt: Reinpoltern, alles in Frage stellen, einen Scherbenhaufen hinterlassen und verwundert zu fragen welche denn das alles angerichtet hat, wo du doch eine so herzensgute Seele bist; – und – du warst eine krätzgurkige, herzensgute Seele.

19.01.2000: Endlich hast du es geschafft. Der harte Kern der übriggebliebenden Frauen nimmt deine Leiche an einem sonnigen Tag um 11:17 Uhr in Empfang. Deine Mutter war da, in dem Moment als dein kräftiges Herz sich dafür entschied den Blutfluss aus deinen Nasenlöchern, deinem Mund, deinen Augen, deinen Ohren zu stoppen. Rote Zeuginnen deines Lebens, Blutstränen und ein friedliches Lächeln auf deinem Gesicht. Nun begann für mich mit den von dir beauftragten Frauen der Totenfürsorge die schönste Zeit, Frauenzeit. Aufbahren deines verbluteten Körpers in deiner so geliebten Tüklmühle, drei Tage mit Leben und Frauen angefüllt, mit makaberen Scherzen („Du brauchst sie nicht zudecken, alte Sachen sollte man nicht aufwärmen“), bei denen du bestimmt gerne mitgelacht hättest, telefonieren neben deinem Sarg, Reiberdatschis nebenan in der Küche kochen, dramatische Szenen deiner Ex-Geliebten, Trauer, Wut, Gesang, Trommeln, Lesen, Schweigen… Und manchmal kommt mir der Gedanke, ob du nicht genau das mit Frauen leben wolltest, was sich in diesen Tagen hier ereignet hat und du mitten drin, einfach da, ohne Worte, ohne Weglaufen, mit all deinen Werken, deinen Texten, deiner Musik, deinen Blutstränen – und – mit deinem allgegenwärtigen Tod.

Anmerkungen

Damit wir (Uta Keppler und Gitta Schürck) als Erbinnen den kulturellen Nachlass von Gita Tost behalten und verwalten können und vor allem ihr letztes noch nicht veröffentlichtes Gedichtband "Die Trau!mfrau" verlegen können, bitte wir um Spenden von Frauen, die uns mit diesem Anliegen unterstützen wollen.

Kontakt

Brigitta Schürck
Stichwort: Gita Tost Stiftung
Kontonummer: 880 012 224 618
BLZ: 750 500 00 Sparkasse Regensburg