transnationales

Kulturkampf um Film über Witwenkommune

Fundamentalistische Pogrome gegen feministische Filmemacherin in Indien

| G. Hogweed (Mann)

Ein neuer Typus geistert durch die offizielle Presse: der "Computer-Inder". Während die deutsche High-Tech-Industrie Nachwuchssorgen hat und sie mit einer restriktiv-rassistischen Green-Card für indische ComputerexpertInnen beheben will, dringen die soziale Realität und die vielfältigen gesellschaftlichen Diskussionen und Auseinandersetzungen in Indien kaum an die medienpolitische Oberfläche. Dabei sind sie in jeder Hinsicht spannend und werden zukünftig wohl noch bedeutender. Im Mai überspringt Indien die Milliardengrenze und stellt damit ein Sechstel der Weltbevölkerung. In den nächsten Ausgaben wollen wir in der GWR regelmäßiger über wichtige Diskussionen und soziale Bewegungen in Indien berichten, über die man/frau in der hiesigen Presse sonst kaum etwas erfährt. Den Anfang macht ein Bericht über die indo-kanadische Regisseurin Deepa Mehta, die zu Beginn des Jahres im Zentrum eines bundesweiten Pogroms hindu-nationalistischer Gruppen stand. (Red.)

Deepa Mehta und ihr Filmteam wollten am historischen Ort der heiligen Stadt Varanasi (früher: Benares), am Ufer des heiligen Flusses Ganges, einen Film mit dem Titel „Wasser“ drehen. Ausschreitungen der Hindu- NationalistInnen und die Verhinderung der Dreharbeiten in Varanasi waren die Folge. Derzeit versucht Mehta, im reformistisch-kommunistisch regierten Bundesstaat West-Bengalen, in Calcutta, die Dreharbeiten nachzuholen.

Die Witwenkommune der dreißiger Jahre

Es sollte ein historischer Film sein, angesiedelt im Varanasi der dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts. Mehta interessiert sich für das Schicksal damaliger Hindu-Witwen, die, nachdem sie oft viel zu jung verheiratet wurden, gesellschaftlich geächtet leben mußten, wenn ihre viel älteren Ehemänner verfrüht starben. In den dreißiger Jahren blieb diesen Witwen oft nichts anderes übrig, als nach Varanasi zu ziehen, wo sie zusammen mit anderen Witwen auf ihren Tod warteten, denn das Sterben am Ufer des Ganges gilt im Hinduismus als Eintrittskarte für ein besseres nächstes Leben, wie schlimm und schuldbeladen auch das gegenwärtige gewesen sein mag. Deepa Mehtas Film über das Schicksal dieser Witwen ist jedoch durchaus mutmachend, denn im Mittelpunkt steht das „Haus der Witwen“, das damals an einem Ghat (einer Treppe hinunter zum Fluß, wie es sie in Varanasi sehr zahlreich gibt) entstand. Dort lebten die zum Sterben bereiten Witwen unter ihresgleichen, doch anstatt depressiv auf den Tod zu warten, entstand durch die Gemeinschaftserfahrung der Witwenkommune eine neue Kraft zum Leben. Das Gefühl, die gleichen patriarchalen Diskriminierungen, das gleiche soziale Schicksal zu teilen, sowie die gegenseitige Freundinnenschaft und Wärme, die sich die Witwen gegenseitig gaben, ermutigte sie zu neuer Lebensfreude. Zwar wurden auch sie sexuell ausgebeutet, doch zum Teil führten sie materiell kein schlechtes Leben: viele von ihnen verdingten sich als Kurtisanen in Häusern der Reichen, was zum relativen Wohlstand der Witwenkommune beitrug. Die Hauptprotagonistin in Deepa Mehtas Film, Shakuntala, übergibt – nach einigen harten Realitätsschilderungen wie etwa beim gewaltsamen Schicksal einer 8-jährigen Kinderwitwe – ihr Kind am Ende einer Gruppe revolutionärer GandhianerInnen, die mit den Vorurteilen gegenüber Witwen gebrochen haben. Ein angeblich wertloses Leben hat so einen neuen Sinn gefunden. Soweit in Kürze das eher ermutigende Filmskript. Und bis heute hat sich die soziale Realität ja auch verbessert: das Heiratsalter für Mädchen ist stark angestiegen, Kinderwitwen gibt es kaum noch, der Strom der nach Varanasi zum Sterben ziehenden Witwen ist versiegt. Der Film ist gleichwohl wichtig, ist doch die Diskriminierung von Witwen im heutigen Indien keineswegs verschwunden, in manch ländlichen Gegenden sogar noch sehr real.

Pogrome durch die Hindu-NationalistInnen

Es gehört ebenfalls zur Realität des heutigen Indien, daß solche Filme nicht ohne Kritik konservativer und vor allem hindu-nationalistischer Kräfte gedreht und gezeigt werden können. Zur Zeit wird Indien von einer 22- Parteien-Koalition (National Democratic Alliance, NDA) regiert, deren führende Partei die hindu- nationalistische BJP (Bharatiya Janata Party, Indische Volkspartei) ist. Die BJP basiert auf einer Ideologie der Hindu-Suprematie (genannt „Hindutva“), die sie mit militant-religiösen Kulturorganisationen teilt, von denen es eine Vielzahl gibt, zum Teil mit Massenbasis (RSS, VHP, Shiv Sena, KSRSS; die Namen sind austauschbar, letztere Gruppe war für die Pogrome in Varanasi verantwortlich). Es gibt Doppelmitgliedschaften und auch sonst vielfältige Überschneidungen zwischen der BJP und diesen Organisationen. Gemeinsam ist ihnen auch das Programm, auf dem Grund der von Hindu-NationalistInnen Anfang der neunziger Jahre zerstörten Moschee in Ayodhya einen Hindu-Tempel zu bauen – ein Vorhaben, das die brutalen indienweiten Pogrome zwischen Hindus und MuslimInnen von 1992/93 höchstwahrscheinlich wiederholen würde.

Obwohl die BJP die Regierungskoalition anführt, ist dieses Programm derzeit durch die anderen Koalitionsparteien auf Eis gelegt. Die BJP kann den Hindu-Tempel erst bauen, wenn sie selbst eine Mehrheit der Stimmen hat und allein regieren kann (derzeit kommt sie auf ca. 21% bei Wahlen). Derweil konzentriert sich die politisch noch – wie lange noch? – domestizierte hindu-nationalistische Partei auf Kulturkämpfe. In der Kulturpolitik sollen die Fundamente für die zukünftige Alleinregierung gelegt werden: so ist in einzelnen BJP- regierten Bundesstaaten wie Gujarat und Uttar Pradesh die Erlaubnis erteilt worden, daß Verwaltungs- und Regierungsangestellte, Polizeibeamte usw. auch Mitglied des RSS werden können – noch vor Jahren war das undenkbar, kam doch aus den Reihen der RSS der Mörder Mahatma Gandhis. Mißliebige HistorikerInnen werden aus staatlich geförderten Institutionen entlassen; und kürzlich wurde eine von namhaften HistorikerInnen fertig gestellte zweibändige Studie über die indische Unabhängigkeitsbewegung kurz vor Veröffentlichung aus dem Verkehr gezogen, weil die hindu-nationalistischen Organisationen wie RSS und VHP, deren Geschichte bis in die zwanziger Jahre zurückreicht, dort in schlechtem Licht erscheinen. Aber es ist nun mal eine historische Tatsache, daß sie sich am antikolonialen Kampf nicht beteiligten und sogar mit der britischen Kolonialregierung kungelten, um eine antimuslimische Kolonialpolitik zu erreichen.

Vor diesem Hintergrund eines hindu-nationalistischen Kulturkampfes – eines Kampfes, der in Wahrheit gegen die Vielfalt der indischen Kultur geführt wird – müssen die Pogrome gegen Deepa Mehtas Dreharbeiten gesehen werden: die Hindu-NationalistInnen werfen der Filmemacherin vor, mit der Kritik an der Witwendiskriminierung religiöse Gefühle der Hindus zu verletzen. Dabei nehmen sie wie selbstverständlich für sich in Anspruch, alle Hindus zu repräsentieren und übergehen souverän die Tatsache, daß sich Deepa Mehta selbst als religiöse Hindu-Frau versteht. Die Hindu-NationalistInnen zerstörten in der Zeit der Dreharbeiten Außenaufbauten des Films; das nahegelegene Kino, in dem der Film später gezeigt werden soll; und sie bedrohten die SchauspielerInnen, so daß die Regisseurin und ihr Team schließlich unter Polizeischutz Varanasi verlassen mußte. Die BJP-geführte Landesregierung von Uttar Pradesh kommentierte die Pogrome zynisch in einen Aufstand des Volkes um und verglich sie gar mit der französischen Revolution. Die Diskussionen überschlugen sich und drifteten zeitweise völlig ins Irrationale: so wurde Deepa Mehta neben angeblichen Textauszügen aus dem Skript sogar der Filmtitel „Wasser“ als religiöse Blasphemie ausgelegt, denn schließlich sei der Ganges ein heiliger Fluß und eben nicht banales „Wasser“ – der Titel verletze somit religiöse Gefühle.

Das Filmteam hatte keine Chance, in Varanasi an historischer Stelle zu drehen, obwohl sich an den Pogromen nur ca. 1000 Hindu-FanatikerInnen beteiligten. Das eigentlich Bedenkliche war die Tatsache, daß eine aktive Unterstützung des Filmteams auf den Straßen ausblieb: eine Initiative aus den Reihen der Benares Hindu University kam zu spät, um noch eingreifen zu können – ansonsten sorgte eine Mischung aus Angst und Passivität unter der Bevölkerung dafür, daß die Hindu-NationalistInnen ergfolgreich ihre Version von religiös verletzten Einheimischen, die sich gegen einen vom Ausland (Kanada; die indische Regisseurin Mehta lebt in Kanada) bezahlten Film zur Verunglimpfung des Hinduismus wehrten, durchsetzen konnten. Enttäuschend war vor allem die – von wenigen Ausnahmen abgesehen – fehlende Solidarität der Hindi-FilmemacherInnen aus Bombay, immerhin der zweitgrößten Filmindustrie der Welt, die allerdings zu großen Teilen selbst mit dem Hindu-Nationalismus liebäugelt. Im Gegensatz dazu bekam Mehta wenigstens publizistische Unterstützung aus der kleineren, vorwiegend sozialkritisch ausgerichteten Filmszene Bengalens. Mrinal Sen und Apnara Sen, zwei indienweit bekannte RegisseurInnen, bekundeten ihre Solidarität mit der verfolgten Deepa Mehta.

Deepa Methas Rolle beim Coming Out von Lesben in Indien

In der indischen Öffentlichkeit wird die Diskussion um die Pogrome vor allem vor dem Hintergrund der in der indischen Verfassung garantierten Meinungsfreiheit geführt. Von daher bekommt die Filmemacherin einige Unterstützung aus dem publizistischen Lager. Allerdings gerät dabei ein wichtiger Inhalt der Filme von Deepa Mehta zu sehr aus dem Blickwinkel: ihr Thema ist die Selbstachtung, die Frauen in Beziehungen zu anderen Frauen gewinnen. „Water“ ist der dritte Film einer Filmtrilogie, die Deepa Mehta mit „Fire“ begann („Earth“ heißt der zweite Film und berichtet über die Zeit der Teilung des Subkontinents aus der Sicht eines Mädchens). „Fire“ hatte zum ersten Mal in einem indienweit gezeigten Kinofilm eine lesbische Beziehung zum Thema. Schon dieser Film hatte bereits Pogrome von Hindu-NationalistInnen hervorgerufen, allerdings erst nach den Dreharbeiten, als der Film in den Kinos gezeigt wurde.

Wie immer in Indien haben diese indienweit diskutierten Auseinandersetzungen nicht nur negative Folgen: Obwohl Deepa Mehta selbst keinen direkten Kontakt zur indischen Frauenbewegung hat, hat der Film „Fire“ zu einer Reihe von öffentlichen Coming Outs unter indischen Lesben geführt. Erstmals bekannten sich lesbische Gruppen, meist in den Zentren der Millionenstädte, zu ihrer Orientierung in der Öffentlichkeit und nicht mehr nur hinter vorgehaltener Hand oder im Verborgenen. In der englischsprachigen Frauenzeitung „Manushi“ – einer pionierartigen Zeitung der indischen Frauenbewegung – wurde monatelang kontrovers über „Fire“ diskutiert. Madhu Kishwar, eine bekannte Theoretikerin der indischen Hetera-Frauenbewegung, hatte zunächst die Filmemacherin gegen die Pogrome unterstützt, um danach allerdings mit ihrer feministischen Kritik an „Fire“ anzusetzen (vgl. Manushi, Nr. 109, S.3-14): der Film sei eher pornographisch, lesbische Beziehungen habe es in Indien schon immer gegeben und es sei sogar viel weniger zu Verfolgungen von Homosexuellen gekommen wie in Europa. Wenn Deepa Mehta in ihrer Kritik der indischen Tradition nur das keusche, asexuelle Frauenbild hervorhebe, werde sie der vielfältigen Rollen, die Frauen in der indischen Geschichte innehatten (vgl. die aggressiven Göttinnen Kali, Durga usw.) nicht gerecht und verbreite eher Stereotypen. Doch Leserinnen aus der feministischen Internet-Seite „Sawnet“ (South Asian Women’s Network) verteidigten in den darauffolgenden Manushi-Ausgaben auch Deepa Mehtas Film, ebenso wie Sympathisantinnen der „Kampagne für die Rechte von Lesben“ in Delhi, die sich gerade für eine Entkriminalisierung von Homosexualität in Indien einsetzen und die positive Geschichtseinschätzung von Kishwar doch stark bestreiten. Und immer mehr AktivistInnen der Hetera- Frauenbewegung, die sich mit anderen Themen wie dörfliche Frauenarmut, Brautpreis/Mitgift, Organisierung von Frauen in Gewerkschaften, Gewalt gegen Frauen beschäftigen, erkennen lesbische Existenz als ein eigenständiges, ernstzunehmendes Thema an. Was für ein Wandel zu noch vor ein paar Jahren, in denen doch die Meinung überwog, daß das ein von der euroamerikanischen weißen Frauenbewegung kommendes, ihnen aufoktroyiertes Thema sei, das mit der indischen Realität nichts zu tun habe. Wenn diese Wirkungen betrachtet werden, dann sind Deepa Mehtas Filme und das Durchstehen der Pogrome doch nicht umsonst gewesen. Auch thematisch greifen indische Filmemacherinnen ihre Themen auf. So hat Apnara Sen in ihrem jüngsten bengalischen Film „Ein Tag im Leben Paromitas“ auf sehr sensitive Weise die zärtliche Beziehung einer jungen Frau zu ihrer Schwiegermutter geschildert – und das, ohne daß der Film von hindu-nationalistischen Pogromen begleitet worden wäre.

Es gibt also Hoffnung, und die ist auch nötig, denn Ende des Jahres soll im indischen Bundesstaat Orissa ein internationales Seminar der War Resisters’ International (WRI) stattfinden, unter dem Titel „Nonviolence and Empowerment“. Bei dem Treffen sollen auch schwule und lesbische Gruppen über ihre Form des Empowerment berichten. Die ausrichtende WRI-Mitgliedsgruppe „Swadhina“ aus Calcutta, hat derzeit Angst um die Thematik der Konferenz, treibt doch in Orissa ebenfalls die hindu-nationalistische RSS ihr Unwesen. Es wird sehr vom Ausgang der Auseinandersetzungen um Deepa Mehtas Film abhängen, ob das Seminar wie geplant ohne pogromartige Störungen durchgeführt werden kann.