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Marie Equi (1872-1952)

Anarchistin, Frauenrechtlerin, Ärztin, Abtreibungsbefürworterin, Kriegsgegnerin und ihr Leben lang offen lebende Lesbe

| Irene Kober

Marie Equi war mit vielen amerikanischen AnarchistInnen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts persönlich befreundet und wurde immer wieder in der Zeit vor und während des Ersten Weltkriegs als Kriegs- und Systemgegnerin verhaftet. Vor kurzem stellte sich heraus, daß ihr außergewöhnliches Leben auch das einer offen lebenden Lesbe war. Das Schweigen um ihre Neigung endete im Jahr 1983, als die Historikerin Nancy Krieger Dokumente im Nationalarchiv entdeckte, die eine berühmte Liebesaffäre mit Harriet Speckart enthüllten.

Marie Diana Equi wurde am 7. April 1872 in New Bedford/ Massachusetts als Tochter italienisch-irischer Eltern geboren.

1893 zog sie nach The Dalles in Oregon zu Bess Holcomb, mit der sie eine lebenslange Freundinnenschaft verband. Die zwei Freundinnen lebten in aller Stille eine sogenannte „Boston-marriage“ (1).

1893 machte Equi mit 21 Jahren als „Miss Aqua“ Schlagzeilen in der Presse, weil sie den Arbeitgeber ihrer Freundin auf offener Straße wegen deren Unterbezahlung mit einer Reitpeitsche vor einer sympatisierenden Menge verdrosch.

1903 schloß Equi ihr Medizinstudium als eine der ersten studierenden Frauen ab und arbeitete fortan als Ärztin.

In dieser Zeit begegnete sie der jungen Harriet Speckart, ihrer damaligen medizinischen Assistentin, und begann mit ihr eine Beziehung, die 20 Jahre währte. Trotz großer Einschüchterungsversuche seitens der Industriellenfamilie Harriets – Einsatz von Privatdedektiven gegen sie und Enterbungsdrohungen – hielten die zwei Frauen zueinander.

1915 adoptierte das Paar ein Kind, ein Mädchen, welches – emanzipiert aufgewachsen – später als junge Frau und als jüngste Pilotin den Nordwestpazifik überflog.

Equi war eine der wenigen Ärztinnen in Portland, die Abtreibungen durchführte. Dieses Engagement führte später zu der Ruth- Barrett-Abtreibungsklinik, die erst 1950, in der McCarthy Ära, wieder geschlossen wurde.

In besonderem Maße nahm sich Equi, zusammen mit ihren befreundeten Ärztinnen und medizinischen Assistentinnen, der Probleme von Arbeiterfrauen ein.

1913 geriet sie auf einem Frauenstreik der Firma Oregon Packing Co. zum ersten Mal in Haft und erfuhr solch eine Brutalität der Polizei, daß sie sich von da an offen für Anarchismus und die Zerstörung des Kapitals einsetzte. Bald trat sie den Industrial Workers of the World (IWW – The Wobblies) bei, einer anarchosyndikalistischen Arbeiterorganisation in den USA.

Während ihrer politischen Arbeit wurde ihr Privatleben immer wieder vom U.S. Dept of Justice, dem späteren F.B.I., ausspioniert, und es finden sich heute Dokumente über ihre Affären zu verschiedenen Frauen.

1916 wurde sie erneut verhaftet und lernte im Gefängnis die Geburtenkontrollbefürworterin Margaret Sanger kennen, schätzen und lieben.

1918 wurde sie als eine von vielen Kriegsgegnerinnen wegen Aufwiegelung angezeigt und zu 3 Jahren Haft verurteilt. 1928, ein Jahr nach Harriets Tod, begegnete sie der I.W.W.-Anhängerin und Kommunistin Elizabeth Gurley Flynn, als diese auf ihrer Rundreise in Aktion gegen den Justizmord an den Anarchisten Saccho and Vanzetti erkrankte. Equi kurierte sie als Ärztin und lebte fortan mit ihr zusammen. 1952 starb Equi im Alter von 80 Jahren im Portland’s Fairlawn Hospital und hinterließ einiges an Aktienkapital.

(1) Unter Boston-marriage wird das Zusammenleben von Frauenpaaren verstanden, von denen angenommen wird, das die Partnerinnenschaft asexuell sei.

Literatur

Esther D. Rothblum, Boston Marriages, Massachusett 1993

Mehr Infos

Nancy Krieger, Queen of the Bolsheviks: The Hidden History of Dr. Marie Equi, Radikal America, Vol. 17:5

Gay and Lesbian Archive of the Pacific Northwest
www.teleport.com/~glapn/ar04007.html