bücher

Nicht nur für Eltern, nicht nur für Kinder

Tahar Ben Jellouns "Papa, was ist ein Fremder? Gespräche mit meiner Tochter"

| Joseph Steinbeiß

Tahar Ben Jelloun "Papa, was ist ein Fremder? Gespräche mit meiner Tochter", gebunden bei der Büchergilde Gutenberg, 1999, 29,80 DM; erscheint als Rowohlt-Taschenbuchausgabe voraussichtlich im Mai 2000, 12,90 DM

„Es ist schon so: die Fragen sind es,
aus denen das, was bleibt, entsteht.
Denkt an die Frage jenes Kindes:
Was tut der Wind, wenn er nicht weht?“

Erich Kästner

Tahar Ben Jelloun ist kein unbekannter Schriftsteller. Ein gutes Dutzend Bücher, Erzählungen, Aufsätze und Romane, sind mittlerweile in Frankreich von ihm erschienen (und z.T. auch ins Deutsche übersetzt worden). 1987 erhielt er für seinen Roman „La nuit sacrée“ den renomierten französischen Literaturpreis Prix Goncourt. Er gilt als „der bekannstste maghrebinische Schriftsteller französischer Sprache“.

Seit Januar 1998 liegt bei Edition Seuil (einem der drei „Giganten“ des weitlich monopolisierten französischen Verlagswesens) ein weiteres Buch vor, kaum einhundert Seiten stark, ein wirkliches Taschen-Buch.

Für dieses Buch wird Jelloun ganz sicher keinen Literaturpreis bekommen. Aber eine andere Auszeichnung ist ihm sicher, jetzt schon, da das Buch überarbeitet und mit einem umfangreichen Anhang in zweiter Auflage (in Frankreich) erschienen und auch auf deutsch mittlerweile zu haben ist: den „armseligen Stern der Hoffnung über dem Herzen“ (Bachmann) soll er bekommen, er und seine kleine Tochter, für ein Buch, das nicht nur in Frankreich längst überfällig war: „le racisme expliqué à ma fille“ (Deutscher Titel:„Papa, was ist ein Fremder?“).

„Es war auf dem Weg zu einer Demonstration gegen das Debré-Gesetz (la loi Debré) über Einreise und Aufenthalt von Fremden in Frankreich, am 22. Februar 1997, daß mir die Idee zu diesem Buch kam“ schreibt Jelloun. „Meine Tochter, damals zehn Jahre alt, hat mir viele Fragen gestellt. Sie wollte wissen, warum wir demonstrieren, was bestimmte Parolen bedeuten, ob es irgendetwas nütze, auf den Straßen herumzulaufen und zu protestieren etc. Und so endeten wir schließlich damit, uns über den Rassismus zu unterhalten (…) Ein Kind ist neugierig. Es stellt viele Fragen und es erwartet präzise und überzeugende Antworten. Man mogelt nicht mit den Fragen eines Kindes (…) Dieses Buch, das versucht, auf die Fragen meiner Tochter zu antworten, richtet sich an Kinder, die noch keine Vorurteile haben und begreifen wollen. Was die Erwachsenen angeht, die es lesen, so hoffe ich, daß es ihnen helfen wird, die Fragen ihrer eigenen Kinder, oft verstörender, als man glaubt, zu beantworten“.

Es ist hier nicht der Ort, mit Tahar Ben Jelloun zu rechten: ihm etwa sein allzu großes Vertrauen in die Möglichkeiten der Erziehung und die Gutwilligkeit der staatlichen Bildungsanstalten vorzuhalten; sich zu verwundern, daß er mal den Rassismus als „Krankheit“ bezeichnet, dann seine Tochter, als sie wissen will, ob ein Rassist „gesund werden“ könne, aber verwundert fragt, ob sie den „Rassismus für eine Krankheit“ halte (Im Anhang wird von mehreren Kindern genau diese Kritik geäußert!). Und schon gar nicht sollte sich eine blasierte Linke aufblasen und mockieren, einige Erklärungen Jellouns seien nun doch allzu simpel. Wieviel von dem prachtvollen Gebäude unserer theoretischen Weltsicht,- und Erkenntnis würde wohl zusammenfallen wie ein Kartenhaus bei der ersten Frage eines Kindes? Nicht vermittelbares Wissen, so fürchte ich, ist wertlos.

Tahar Ben Jelloun führt keinen fiktiven Dialog mit seinem schriftstellerischen alter ego. In seinem Buch, das ist seine große und wichtigste Stärke, sprechen zwei wirkliche Menschen miteinander: die eine will wissen, verstehen, fragt immer und immer wieder nach, läßt sich Begriffe erklären, die sie nicht versteht. Und werden die Antworten einmal zu verwickelt, ruft sie ihr Gegenüber zur Ordnung:„Papa, Du drehst Dich im Kreis!“. Der andere muß antworten, sich klar und verständlich ausdrücken, eine Sprache finden, in der schwierige und gelegentlich abstrakte Probleme Gestalt annehmen können für die doch überaus körperliche Wirklichkeit eines Kindes.Die Sprache des Buches ist einfach, nie schlicht; kindgerecht, nicht kindlich (Wer des Französischen mächtig ist, wäre gut beraten, sich an das Original zu halten – es ist nicht schwierig und sehr schön!). Tahar Ben Jelloun versucht, im wahrsten Sinne des Wortes, den Rassismus für seine Tochter „begreifbar“ zu machen.

Daß er sich dabei ganz und gar seinem Gegenstand unterordnet, ist für einen Schriftsteller dieses Formats keineswegs selbstverständlich und beweist, daß es ihm ernst ist mit seinem pädagogischen Ansinnen: „Ich bin von dem Prinzip ausgegangen, daß der Kampf gegen den Rassismus mit der Erziehung beginnt. Kinder kann man erziehen. Erwachsene nicht“. Fünfzehnmal, so Jelloun, habe er das Buch umschreiben müssen. „Als erstes haben wir (meine Tochter und ich) es gemeinsam gelesen. Ich mußte es danach fast vollständig neu schreiben. Ich mußte schwierige Begriffe ändern und komplizierte Zusammenhänge erklären. Ein anderes mal lasen wir es mit zwei ihrer Freundinnen zusammen. Ihre Reaktionen waren sehr interessant. Ich habe ihnen Rechnung getragen in den Versionen, die ich nachher erarbeitet habe“.

Fettgedruckt durchziehen das Buch die Kernbegriffe, mit deren Hilfe Jelloun versucht, seiner Tochter den Rassismus zu erklären:„Xenophobie“, „Vorurteile“, „Angst“, „soziokulturelle Unterschiede“, „Sündenbock“, „Ghetto“, „Genozid“, „Hass“ (u.a.) – zu jedem dieser Themen wird er „gelöchert“, solange, bis er eine fassbare Erläuterung liefert.

„-Was ist das, soziokulturelle Unterschiede?
– Soziokulturelle Unterschiede unterscheiden eine Gruppe von Menschen von der anderen dadurch, wie sich die Menschen in der Gesellschaft organisieren (Vergiß nicht : jede menschliche Gruppe hat ihre Traditionen und ihre Sitten und Gebräuche) und was für kulturelle Dinge sie schaffen (Die afrikanische Musik ist anders als die europäische). Die Kultur der einen ist anders als die der anderen Gruppe.(…)
– Und der Rassist fühlt sich bedroht?
– Ja, weil er Angst hat vor allem, was ihm nicht ähnelt. Der Rassist leidet entweder an einem Minderwertigkeitskomplex oder er hält sich für überlegen. Das kommt auf’s gleiche ‚raus, denn sein Verhalten wird im einen wie im anderen Falle voller Verachtung sein“ (S.10/23)

Wie in einem wirklichen Gespräch schweifen Jelloun und seine Tochter gelegentlich ab. Sie fragt nach einem (von ihm allzu lässig hingeworfenen) Sartre-Zitat, er erläutert ihr, was es mit dem Cloning auf sich habe. Jelloun ist klug genug, diese „Umwege“ im Text zu belassen (ohne sich freilich damit vom Thema zu entfernen, viel mehr im Gegenteil!). Er erhält damit die Lebendigkeit des Buches bis zum Schluß:

“ – Ich will nicht lernen, mit Céline zusammenzuleben, sie ist böse, verlogen, und sie klaut.
– Du übertreibst, das ist ein bißchen viel für ein Mädchen in deinem Alter!
– Sie war gemein zu Abdou. Sie will sich in der Klasse nicht neben ihn setzen, und sie hat hässliche Sachen gesagt über die
Schwarzen.
– (…) Aber man muß nicht mit ihr umgehen wie sie mit Abdou umgeht. Man muß mit ihr reden, ihr erklären, warum sie
unrecht hat.
-Alleine schaff’ich das nicht“ (S.53)

Nach Erscheinen des Buches besuchte Jelloun von Januar bis Mai 1998 etwa 15 Schulen und stellte sich den Fragen der SchülerInnen. Diese Fragen, im Anhang der zweiten Auflage versammelt, sind vielleicht das Beklemmendste und Beunruhigendste des Buches. Sie bieten Einblick in die ganz alltägliche Konfrontation der Kinder mit einem Rassismus, der in Frankreich noch präsenter ist als anderswo – im Freundeskreis, in der Gesellschaft oder in der eigenen Familie:„Zahra, 12 Jahre, mit großen, schwarzen Augen (…) in einer Schule in Montpellier: ‚Was denken Sie über arabische Eltern, die ihr Kind von der Schule nehmen, weil es da zuviele Araber gibt?‘. Ich bitte sie, die Frage zu wiederholen und vergewissere mich, daß es sich wirklich um arabische Eltern handelt. ‚Absolut‘ sagt sie. Ich verheimliche ihr nicht meine Verblüffung. Und sage mir:’Wie soll ich einem Kind den Selbsthass erklären?‘. Ich versuche es nicht und rede lieber über das sehr starke Bedürfnis, sich zu integrieren (…) ‚Aber das Kind wollte die Schule gar nicht verlassen! Seine Eltern sind rassistisch!‘. Der Klassenlehrer, ebenfalls bei dem Treffen anwesend, unterbricht: ‚Sie spricht von ihrem eigenen Fall; sie hat darunter gelitten‘.

Fast wie nebenbei lernt mensch beim Lesen das „Herkunftsland“ (Die Jellouns leben allerdings seit über 20 Jahren in Frankreich) der beiden kennen, Marokko:

„- Und in Marokko, gibt es da Juden? Ich weiß, daß es Berber gibt, denn Mama ist Berberin.
– In Marokko haben Juden und Muselmanen fast acht Jahrhunderte lang zusammengelebt. Die Juden hatten ihre eigenen Viertel, die nannte man mellah. Sie vermischten sich nicht mit den Muslimen, aber sie stritten sich auch nicht mit ihnen. (…) Als Frankreich von den Deutschen besetzt wurde, hat sich Mohammad V, der König von Marokko, geweigert, die Juden an Maréchal Pétain auszuliefern, der sie forderte, um sie in die Konzentrationslager der Nazis und damit in die Hölle zu schicken. Er hat sie beschützt. Der König hat Pétain geantwortet: ‚Dies sind meine Untertanen, es sind marokkanische Bürger. Hier sind sie zuhause, sie sind in Sicherheit. Ich kümmere mich um ihren Schutz‘. Die über die ganze Welt verstreuten Juden haben ihn sehr gemocht“ (S.44)

Daß dieses Buch keine „endgültige“ Darstellung und (Er-) Klärung des Rassismus sein kann, weiß Jelloun genauso gut wie seine LeserInnen. Es ist ein Versuch, ein nötiger, ein schöner, wichtiger und gelungener Versuch der praktischen Einflußnahme, eine Annäherung. Ein warmes, rundes und im besten Sinne menschliches Buch ist dabei herausgekommen, unprätentiös und hochpolitisch zugleich. Nur im Schlußwort, an seine Tochter gerichtet, zeigt sich der Sprachkünstler Jelloun: „Wenn Du wieder zur Schule gehst, sieh Dir alle SchülerInnen an und bemerke, daß sie alle unterschiedlich sind, daß diese Vielheit etwas Schönes ist. Sie ist ein Glück für die Menschheit. (…) Wisse schließlich, daß jedes Gesicht ein Wunder ist. Du wirst nie zwei völlig identische Gesichter entdecken können. Wer schert sich um Schönheit oder Hässlichkeit. Das sind relative Dinge. Jedes Gesicht ist ein Symbol des Lebens. Jedes Leben verdient Respekt. Niemand hat das Recht, eine andere Person zu erniedrigen. Jeder hat ein Recht auf seine Würde. (…) Man bezeugt die Achtung vor sich selber, indem man die anderen würdig behandelt“.

Es findet sich noch ein anderes Fazit. Eines, das mir ob seiner trockenen, lebendigen Wirklichkeit fast noch lieber ist. Es heißt:

„- Papa, ich werde jetzt ein Schimpfwort sagen: der Rassist ist ein Arschloch!“.

In diesem Sinne, lieber Gruß