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Putin auf dem Weg zum everybody’s darling

| Christian Axnick

Der Krieg in Tschetschenien ist nicht nur der helle Wahnsinn, sondern gleichzeitig ein Beispiel für die Ratio staatlicher Politik, deren Orientierungsvermögen im selbsterzeugten Chaos man nicht unterschätzen sollte. Mit Vladimir Putin ist ein Vertreter der Neuen Mitte endlich auch in Moskau an die Macht gekommen, den von seinen Kollegen Clinton, Schröder und Blair das Pech unterscheidet, daß der Laden, den er auf Vordermann bringen soll, bankrott ist. Er steht vor der Aufgabe, eine zentrale Staatsgewalt zu restituieren und die Macht der verschiedenen oligarchischen Gruppen im Land einzudämmen, die sich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in die Plünderung der Ressourcen geteilt haben. Daß er anscheinend tatsächlich gewillt ist, diese Aufgabe anzugehen, erklärt das verhaltene Wohlwollen, welches ihm die Clinton, Schröder & Blair GmbH & Co. KG entgegenbringt, ebenso wie die Ruppigkeit seiner Methoden. Putin brauchte den Tschetschenienkrieg, um den Nationalismus zu schüren, mit dessen Hilfe er vom unpopulären Jelzin-Ersatz zur großen Hoffnung Rußlands und zum Präsidenten werden konnte.

Bis hierhin ist die Rechnung aufgegangen, zumindest teilweise. Der Krieg konnte nicht zuletzt dank der Übereinstimmung mit diversen tschetschenischen Feldkommandeuren entfacht werden, die ebenfalls ein nicht zu unterdrückendes Interesse an ihm hatten. Was allerdings die Kriegführung angeht, so scheint gegenwärtig eher die tschetschenische Taktik Erfolg zu haben. Die russischen Truppen wurden in einen Guerillakrieg gezogen, den sie nicht gewinnen können; die Fronten verlaufen im Jahr 2000 ziemlich genau da, wo sie auch 1995 verliefen, und der markanteste Unterschied dürfte sein, daß Groznyi endgültig in Schutt und Asche liegt. Ein kleiner Krieg, ein kleiner Sieg – das war wohl nichts. Den tschetschenischen Bandenführern kann der Krieg gar nicht lange genug dauern: das ist schließlich ihr Job und einziger Lebensunterhalt. Irgendeine Perspektive haben sie der tschetschenischen Bevölkerung in diesem Leben ohnehin nicht zu bieten. Und eine Perspektive innerhalb der Russischen Föderation zu suchen, dürfte nach allem, was geschehen ist, kaum möglich sein.

Putin könnte ein allzu langer Krieg gefährlich werden. Schließlich könnte die Stimmung in der russischen Bevölkerung umschlagen, wenn sich an der wirtschaftlichen Misere nichts ändert – und wie sollte es – oder die Opferzahlen des Krieges zu hoch werden. Von der internationalen Gemeinschaft, ppa. Herr J. Fischer, Berlin, hat er zunächst nichts zu befürchten. Die Nato-Staaten würden sich nur dann belästigt fühlen, wenn sie ihr Interesse an Stabilität in der Region eher durch die Länge oder Art des Krieges oder seine Folgen geschädigt sehen, als durch eine Förderung des Separatismus oder des Islamismus. Noch aber treffen sich westliche und russische Interessen an der Wiedererrichtung einer funktionierenden russischen Staatsmacht (damit etwa das letztens von der Duma ratifizierte START-II-Abkommen auch zuverlässig umgesetzt wird), noch können wir also in der taz lesen, wie „VertreterInnen von ‚Human Rights Watch‘, amnesty international und anderen Menschenrechtsorganisationen“ betroffen aus der Wäsche gucken, weil die EU bislang darauf verzichtet hat, „eine Resolution vorzuschlagen, die Rußland verurteilen würde.“ Es gehört zum normalen Irrsinn parlamentarischer Politik zu glauben, daß mit einer Resolution den Leuten, deren Menschenrecht auf Leben bereits nachhaltig verletzt worden ist, in irgendeiner Weise geholfen wäre; aber daß MenschenrechtlerInnen sich vor allem als Hilfstruppen ihrer bürgerlich-demokratischen Regierungen verstehen, denen sie ab und an auf die Sprünge helfen wollen, weil das in den Spielregeln der Demokratie nun mal so festgelegt ist, ist ja nicht neu. Ebensowenig wie die Einsicht, daß auf die Art aus den Menschenrechten niemals mehr werden wird, als ein nettes Aushängeschild vorm häßlichen Laden der parlamentarischen Politikvortäuschung.

Brandneu ist allerdings ein Manöver der antideutschen Linken. Die verbal radikalsten Kritiker der deutschen Gesellschaft stimmen mit der Regierung, die die sich gewählt hat, in einem Punkt überein: es gelte, „die Staatsbürgernationen gegen den Ansturm der Stämme zu verteidigen. Eine Meinung, die ihren bisher schönsten Ausdruck in einem Flugblatt gefunden hat, mit dem zum antiimperialistischen Block in einer Demo anlässlich des Jahrestages des Kosovokriegs aufgerufen wurde. Dort heißt es kurz und knackig: „Schnauze halten zu den inneren Angelegenheiten osteuropäischer Staaten!“ Und wenn einem an eigenständiger Politik rein gar nichts mehr einfallen mag, dann ist es zweifellos ebenso hilfreich, sich an einen starken Partner anzulehnen, wie einfach still zu sein.