Auf ihrer Frühjahrskonferenz in Mülheim, vom 31. 3. – 2.4. 2000 hat die Anti-Atom-Bewegung deutlich gemacht, daß die Ausstiegsversprechungen der rotgrünen Bundesregierung keinen Pfifferling wert sind. Das eigentlich Bemerkenswerte aber ist, daß es sich bei dem sogenannten Ausstieg in Wirklichkeit um eine Modernisierung der Atomindustrie handelt.
Einige Fakten sprechen hier eine deutliche Sprache: Wichtige Anlagen mit einer Schlüsselfunktion für die Atomindustrie, wie der Forschungsreaktor in Garching, die Brennelementefabrik in Lingen oder die Urananreicherungsanlage (UAA) in Gronau sind definitiv nicht Bestandteil der Konsensgespräche. Eine erneute Kapazitätserweiterung der Anlage in Gronau ist geplant. Die Pilotkonditionierungsanlage in Gorleben nennt sich jetzt im rotgrünen Jargon „Castorservicecenter“ und soll in Betrieb genommen werden. Das Thema Restlaufzeiten kann eh nur noch als schlechter Witz bezeichnet werden. Weltweit lief noch nie ein AKW 30 Jahre lang! Rotgrün macht’s möglich.
Bei dem von Rotgrün angestrebten Konzept geht es nicht um einen allzu zögerlichen Atomausstieg, sondern darum, eines der zentralen gesellschaftlichen Konfliktfelder der Bundesrepublik in den letzten 30 Jahren, die Auseinandersetzung um die Atomenergie, zu befrieden. Inzwischen haben viele Menschen erkannt, daß Umweltminister Trittin für die Atommafia eine wichtigere Aufgabe erfüllen kann als seine Vorgängerin. Mit der Idee von Zwischenlagern an den AKW-Standorten hat er der Bewegung eines ihrer wichtigsten Instrumente in der jüngeren Vergangenheit, der Mobilisierung zu den Castortransporten, scheinbar aus der Hand genommen. Die Verstopfungsstrategie (s. GWR 237) greift nicht mehr. Die Idee die Atomkraftwerke einzeln vom Netz zu blockieren droht ins Leere zu laufen. Der grüne Umweltminister kennt die Strategien seiner ehemaligen MitkämpferInnen in der Bewegung eben besser als Angela Merkel, und genau das macht ihm zum bestmöglichen Handlanger der Atomwirtschaft. Wenn die Abklingbecken drohen überzulaufen, wird mal schnell ein Castortransport beantragt. Die Brennelemente dürfen nun in den Castorbehältern außerhalb des Reaktors, aber auf dem AKW-Gelände lagern. Kommt kein Castortransport, weil politisch schwer durchsetzbar, bleibt der ganze Dreck solange stehen, bis dann eine der bereits an vielen Standorten beantragten Zwischenlagerhallen drum herum gebaut werden. Geschickter hätte das die alte Regierung nicht hingekriegt.
Es wurden auf der Konferenz in Mülheim wichtige Weichen für die Zukunft gestellt. Die UAA in Gronau, ein Herzstück der Brennstoffspirale der Atomwirtschaft, soll zunehmend in den Blickpunkt der Bewegung rücken. Der Widerstand vor Ort ist zwar schon über 20 Jahre alt, aber doch immer noch sehr klein und zu wenig in der Bevölkerung verankert. Dieses Problem darf bei der Mobilisierung nicht übersehen werden. Daß es dennoch möglich ist, hier effektiv den atomaren Normalzustand zu behindern ist in der Vergangenheit durch verschiedene Störaktionen an der UAA oder durch die Blockierung von Uranhexafluoridtransporten gezeigt worden. Nun muß versucht werden verstärkt zu mobilisieren. Die Sonntagsspaziergänge an der UAA finden an jedem ersten Sonntag im Monat um 14 Uhr statt. Am 15. April fand in Münster eine Urankonferenz statt und an der UAA gab es am gleichen Tag einen Aktionstag. Ein Anfang ist gemacht!
Für diejenigen, denen der Bruch mit den Grünen noch nicht deutlich genug aufgezeigt worden ist, gibt es die Möglichkeit, dies Mitte Juni auf dem grünen Parteitag in Münster zu zeigen. Allerdings sollte die Bewegung langsam doch etwas weniger emotional mit dieser Partei umzugehen lernen. Die ständige Abarbeitung an dieser stinknormalen Partei kann auch lähmen.
Es bleibt zu hoffen, daß die Anti-Atom-Bewegung in ihrer Gesamtheit weiterhin auf ihre außerparlamentarische Kraft setzt, mit all ihren unterschiedlichen Aktionsformen und sich ein für alle mal von dem Glauben verabschiedet über Parteien den Atomausstieg zu erreichen.