Wer in Chumbawamba die VerräterInnen an der guten, selbstorganisierten Sache sehen will, kann das tun: vor gar nicht allzu langer Zeit wechselte die britische Pop-Band mit der HausbesetzerInnen-Vergangenheit vom kleinen, unabhängigen Label One Little Indian zum schon von den Sex Pistols gehaßten Major EMI. Ein solcher Wechsel ist in Punk- und Indie-Kreisen von einem Großteil der Fans, insbesondere der Politfraktion, mit Verachtung gestraft worden seit es Punk gibt. Wer in Chumbawamba den gelungenen und einzigartigen Versuch sehen will, nach Jahrzehnten der öffentlichen Marginalität mal wieder ein Massenpublikum mit anarchistischen Inhalten versorgt zu haben, kann das ebenfalls tun: Mit dem Charterfolg der vorletzten Platte „Tubthumper“ wurden erstmals wieder anarchistische Hymnen auf offener Straße und in geschlossenen Lokalen als Ohrwürmer gesummt. WYSIWYG – „What you see is what you get“ heißt die aktuelle LP-Veröffentlichung und sie spielt mit diesem Titel u.a. genau auf diese Frage des Blickwinkels an, in gesellschaftlichen respektive Popphänomenen immer das sehen zu können, was mensch sehen will. Deutlicher als anderswo wird hier: nicht allein der Text, sondern der Kontext macht die Musik.
In den Interviews zur Platte betonen die Bandmitglieder, daß sie selten so unbeobachtet und unbeschwert arbeiten
konnten, wie unter dem Banner des Megaelektronikkonzerns. Auffällig an den vielen Interviews in Stadt- und Musikmagazinen war immer, daß diese nicht umhin kamen, sich irgendwie und sogar meist positiv auf die Inhalte zu beziehen, die von Chumbawamba vorgegeben wurden. In solch nicht-denunzierender Wertung ist das Wort Anarchie in den letzten Jahren an diesen Orten jedenfalls selten geschrieben worden. Nach der vernichtenden Kritik an Tony Blairs New Labour antwortet ein Bandmitglied auf die Frage, was er denn im Falle der politischen Machtbefugnis tun würde: Alle Regierungen abschaffen, damit die Leute wieder Raum haben, sich selbst zu organisieren und selbst zu verwalten!
Im vergangenen April spielten Chumbawamba im kollektiv betriebenen Leipziger Szene-Club „Ilses Erika“. Sehen läßt sich in dem unplugged-Kellerauftritt sicherlich auch die gelebte Treue zu den Idealen und der „Basis“. Oder einfach nur ein gelungener Abend bester Popmusik in anheimelnder peer-group-Atmosphäre.
Im Popzirkus wird es die neue Platte schwerer haben als die Mitgrölsongs von „Tubthumper“. Zu seicht sind die sanften Gesänge in die Spuren montiert. Aber gerade durch diesen gewollten Schwerpunkt kann sich der vielen Chumba-Liedern so eigene grandiose Zynismus erst richtig, nämlich aufrüttelnd, entfalten. Leicht dahingeträllert werden gesellschaftliche Mißstände ihrer vorgeblichen Harmlosigkeit entkleidet. So auch mit „Smart Bomb“. Der Song preist den Ideenreichtum von Regierung und Industrie beim Müllrecycling. Sind doch viele der im zweiten Golfkrieg und im Kosovo-Krieg von den USA und Großbritannien abgeworfenen Sprengköpfe in radioaktiven Müll, sprich Uranium getaucht worden. Viele der Kleinkinder im Irak weisen ähnliche Krankheitssymptome auf wie Kinder in Japan nach dem Atombombenabwurf auf Hiroshima. Welch eine Lebensperspektive für die rückkehrenden Flüchtlinge im Kosovo/a… Der Bezug zur deutschen Debatte um den Kosovo-Krieg der NATO ist – wenn man so will – bereits im Titel gegeben. In rechtfertigender Absicht sprach der taz-Kommentator Eberhard Seidel seinerzeit von einer „behutsamen Bombardierung“ durch die NATO in Jugoslawien. „Smart Bomb“.
SMART BOMB
RAIN ON ME O FRIENDLY FIRE ME N‘ AUDREY GONNA SING IT FOR YA A HEADACHE PILL TO DIE FOR ALL PARTICIPATING STORES SMART BOMB! SHINE ON ME O BENIGN VIRUS URANIUM FROM ARMS-R-US HERE’S SOMETHING FOR YOUR FIRST-BORN GEORGE BUSH JUNIOR SING ALONG… SMART BOMB!