Drei öffentliche Verweigerungen beenden eine mehrjährige Phase, in der die aktiven Gruppen keine Verweigerer mehr öffentlich erklärten (vgl. GWR 244, 248 u.a.). Anlass für die Erklärungen war der 15. Mai, internationaler Tag der Kriegsdienstverweigerer, zu dem die Istanbul Antimilitarist Inisiyatif (IAMI) in den „Hochzeitssaal“ in Besiktas zu einem Festival mit Diskussion und Musik eingeladen hatten. Dort erklärten Ugur Yorulmaz, Timusin Kizilay und Hasan Simen ihre Verweigerungen. Ihre Erklärungen wurden vom Publikum mit Begeisterung aufgenommen und mit stehenden Ovationen begrüßt. Die Polizei schritt nicht ein.
„Warum ich kein Soldat sein kann!“
Unter der Überschrift „Warum ich kein Soldat sein kann!“ erklärten Ugur Yorulmaz und Timucin Kizilay in ähnlichen Erklärungen, warum sie für einen Dienst am Krieg nicht zur Verfügung stehen.
„Ich verweigere die Zusammenarbeit mit dem existierenden System. Ich bin entschlossen, mich jeder Art von Gewalt zu enthalten. Ich verweigere die Zusammenarbeit mit der von Staaten organisierten Gewaltinstitution Armee. Ich werde keine Waffen tragen, Menschen töten, Befehle befolgen und nach Bedarf sterben.“ erklärte Timucin Kizilay. In einem Kollektiv zu verweigern haben sie allerdings nicht diskutiert, sagte Kizilay in einem Interview.
Das Wort „Kollektiv“ rufe bei ihm auch die Vorstellung einer Uniformierung hervor und er wolle mit seiner Individualität nicht in einem Kollektiv untergehen.
Die Website liest sogar der Generalstab
Um ihre Ideen zu verbreiten, gehen die Verweigerer und die IAMI auch ungewöhnliche Wege. Dass das Festival unter dem Deckmantel einer Versammlung der ÖDP (Özgürlük ve Dayinisma Partisi) ausgegeben werden musste, um eine Genehmigung zu erreichen, gehört zum politischen Alltag.
Eine Webseite (www.savaskarsitlari.org) aufzubauen, die zukünftig auch auf kurdisch, armenisch, griechisch und anderen Sprachen über die Aktivitäten berichten soll, ist dann schon recht ungewöhnlich. Um ihre Informationen in der Türkei verbreiten zu können, hat die IAMI sich auf die Suche nach e-mail Adressen gemacht. Auf verschiedene Weise sind sie fündig geworden und haben einen Verteiler von 100.000 Adressen aufbauen können. Im Vorwege des Festivals erhielten dann die ersten 10.000 Adressen eine Werbung für die Webseite. Das erhöhte den Zugriff auf die Seite schlagartig auf zur Zeit ca. 1.000 am Tag. IAMI hatte mit ca. 200 gerechnet. Aus ihren Protokollen lässt sich dabei ersehen, dass sowohl der Generalstab als auch das Büro des Staatspräsidenten auf die Seite zugegriffen hat.
Zu schließen ist die Seite zur Zeit nicht. In der Türkei gibt es keine gesetzliche Grundlage für ein Einschreiten gegen die in der Türkei befindlichen Server. Auch wenn in Ankara an der gesetzlichen Grundlage gearbeitet wird, wehren sich die einflussreichen Anbieter aus der Wirtschaft noch hartnäckig. So verzichtete der Staat bisher darauf, ohne gesetzliche Grundlage zu handeln.
Medienembargo gebrochen?
Die Informationen über das Internet zu verbreiten war bisher auch die einzige Möglichkeit eine große Menge von Menschen zu erreichen. Seit Mitte der neunziger der Jahre leiden die antimilitaristischen Gruppen darunter, dass der Generalstab auf einem der üblichen Pressebriefings eine Embargo verhängt hat und berichtende Journalisten anklagte. Seitdem kam das Thema über Randnotizen nicht hinaus. Heute traute sich dann die angesehene, kemalistische Cumhuriyet, ein Interview mit den Verweigerern auf der Seite drei zu veröffentlichen. Die Reaktion des Staates darauf kann jetzt mit Spannung erwartet werden. Wird es eine Änderung der bisherigen Politik geben?
Im vergangenen Jahr erreichte eine Presseerklärung zum 15. Mai nur wenige, unter anderem allerdings den Staatsanwalt des großen Generalstabs, der dann Anklage wegen Verstoß gegen § 155 Militärstrafgesetzbuch erhob. Die am 09. Mai 2000 angesetzte Gerichtsverhandlung vor dem Militärgericht wurde, wie so oft, ergebnislos vertagt.
Sanar Yurdatapan kritisiert die Militärgerichtsbarkeit
Auf dem Festival war es dann Sanar Yurdatapan, bekannter Schriftsteller und Intellektueller in der Türkei, der gegen die Militärjustiz argumentierte.
In dem Schauprozess gegen Öcalan (vgl. GWR 237 & 245) habe der türkische Staat auf internationalen Druck den Militärrichter im Staatssicherheitsgericht durch einen zivilen Richter ersetzen müssen. Der Militärrichter als Teil der Exekutive ist direkt weisungsgebunden und ein unbefangenes Urteil kann so kaum erwartet werden. Im Militärgericht sitzen den Angeklagten, die in Fällen des § 155 in der Regel Zivilsten sind, gleich zwei Militärrichter gegenüber. Der dritte am Richtertisch ist dann nur noch Offizier und hat keine juristische Ausbildung. Das, so Yurdatapan, sei ein System, das sich überleben werde, so anachronistisch sei es. Yurdatapan hat aus Solidarität in der Vergangenheit Erklärungen von Antimilitaristen öffentlich unterstützt, gegen ihn wird ebenfalls vor Militärgerichten prozessiert. Er trage dort weder eine juristische noch politische Verteidigung vor. Er beschränke sich darauf, dem Gericht nachzuweisen, dass es weder zuständig noch legal sei.
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