Bei diesem Artikel handelt es sich um meinen Versuch als Graswurzlerin, Eindrücke, Fragen und Einschätzungen zu den Papieren und dem Vorgehen der FrauenLesbenRedaktion sowie der Münchner Redakteurin in der Auseinandersetzung mit dem HerausgeberInnenKreis in Worte zu fassen.
Eine Frau aus dem HerausgeberInnenkreis sprach mich Anfang des Jahres an, mit einem Kollegen aus Köln das nächste Treffen des HerausgeberInnenKreises und der Redaktionen zu moderieren. Dieses Treffen fand in Köln statt. Dort wurde beschlossen, dass auch das folgende Treffen in Münster moderiert werden sollte. Zum Münster-Treffen, bei dem keine Vertreterin der FrauenLesbenRedaktion erschienen war, lag ein erstes Streikpapier vor, dass ich zu diesem Zeitpunkt nur kurz überflogen hatte, weshalb ich die Rolle der Moderatorin noch übernehmen konnte.
Nach dem Münsteraner Treffen beging ich den „Fehler“, das Streik-Papier der FrauenLesbenRedaktion genauer zu lesen.
Aus zwei Gründen kann ich weitere Treffen zwischen HerausgeberInnen und der FrauenLesbenRedaktion nicht mehr moderieren. Zum einen ging meine persönliche Neutralität verloren, da ich in diesem Streikpapier von der FrauenLesbenRedaktion mit einem falschen Zitat vereinnahmt werde. Der zweite Grund findet sich in den Aussagen und der Sprache der FrauenLesbenRedaktion, die mich als Frau, Feministin und Anarchistin erstmal sprachlos machten und meine politische Neutralität aufhoben.
Dieser Text ist entstanden in der Auseinandersetzung mit zwei Diskussionspapieren (1), die über E-mail und Fax bereits erstaunlich weit in Graswurzel- und FrauenLesben-Kreisen verbreitet sind, und langen Gesprächen mit anderen Graswurzlerinnen, die mich ermutigten, ihn zu veröffentlichen.
Kursiv und in Anführungszeichen sind jeweils die Originalzitate aus den Papieren der FrauenLesbenRedaktion.
Ein Papier zur Lage der FrauenLesbenRedaktion
Das erste Papier zur Lage der FrauenLesbenRedaktion war alarmierend. Im HerausgeberInnenkreis schienen sich Mechanismen abzuspielen, die vielen Frauen aus Graswurzelzusammenhängen wohl vertraut sind – tlw. mit Bildern von und Erinnerungen an „ganz spezielle“ Männer. Die Forderung nach einer Moderation war abgewogen, und alle, die sich mit Strukturen von Treffen beschäftigen, wissen, wie wichtig dies ist und wunderten sich mehr oder weniger sanft, dass dies nicht schon längst Tradition in einem solchen Kreis ist.
Forderungen wie „Gespräche auf der Basis von gegenseitigem Respekt“, Änderung von Männerverhalten, Einforderung „kreativer, konstruktiver Kommunikationsformen“ – welche Frau in GWR-Kreisen fühlt sich nicht positiv bestärkt in der Kritik, die sie selbst so oft hatte? Und jetzt leiden andere Frauen unter der gleichen Situation und wollen offensiv etwas ändern? Solidarisierung fällt da erst mal leicht.
Im ersten Überschwang der Gefühle – schließlich tut sich endlich mal wieder was in graswurzel/anarcha/feministischen Kreisen – ließen sich andere Töne dieses Schreibens überlesen, wer sich nach dem ersten Überfliegen eine Meinung oder sogar ein Urteil gebildet hatte sollte sich bald verwundert die Augen reiben.
Schon in diesem Papier finden sich Formulierungen über Menschen, die nachdenklich machen. „Renommierte Feministinnen in München fangen an, die GWR zu abonnieren.“ „Die Anwesenden auf dem Berliner Treffen (…) – also bestimmt nicht der mainstream der üblichen ‚linken Feministinnen‘ (…)“.
Wer bzw. was sind renommierte Feministinnen für die FrauenLesbenRedaktion? Ist deren Abo mehr wert als das Abo weniger renommierter Feministinnen, dass dies so herausgestellt wird? Und gehören alle die Frauen, die nicht in Berlin waren oder nicht hundertprozentig hinter den Positionen dieses Papiers stehen zum „mainstream“ (ein verdeckt abwertender Begriff) und werden offen zu „üblichen linken Feministinnen“ abgewertet?
„.. und auch von (Hetero-) Männerseite kommt Neugier, Interesse, Bestätigung und Zuwendung.“
„Sie (d. Feministinnen) lassen sich nicht instrumentalisieren, sondern fordern einen grundsätzlichen Wandel im Dominanzverhalten (vor allem weißer) Männer und klagen Verständnis und Kooperation ein.“
Das ist alles, was von (Hetero-) Männern gewünscht ist? Und was ist genau mit der Formulierung „grundsätzlicher Wandel im Dominanzverhalten“ gemeint? Devot? Oder ausschließlich neugierig, interessiert, bestätigend, zuwendend? Was ist mit einem Dominanzverhalten von men of color? Diese müssen sich nicht/nicht so schnell ändern? Klagen im Sinne von beklagen, gleich in die passive Opferrolle gehen, oder im Sinne von anklagen, wobei dann die Frage bestünde, wem die RichterInnenrolle zufällt, oder sind die KlägerInnen auch RichterInnen?
Noch eine Merkwürdigkeit: Unterschrieben ist das Papier mit GWR-FrauenLesbenRedaktion. Im Text wird oft von einer anonym bleibenden „ich“, „Ich als Redakteurin“, „..hat zur Folge, dass ich nicht richtig Zeitung machen kann“, „A. (Männername) und Ich“ gesprochen. Um was handelt es sich denn nun? Ein Positionspapier der FrauenLesbenRedaktion, die dann nur aus „A. und Ich“ bestünde? Um ein persönliches Positionspapier, das aber mit GWR-FrauenLesbenRedaktion unterschrieben ist – womit die dem HerausgeberInnenKreis mehrfach vorgeworfene Funktionalisierung der FrauenLesbenRedaktion hier durch eine Frau und einen Mann stattfinden? Oder um einen ersten Entwurf, nach dem sich nicht die Mühe gemacht wurde, gegenzulesen und zu redigieren, was nicht gerade ein Qualitätsmerkmal für die FrauenLesbenRedaktion darstellen würde?
Ein Streik, sein Papier und der Feminismus
Nach Aussagen von verschiedenen TeilnehmerInnen war das erste moderierte Treffen des HerausgeberInnenKreises in Köln „nicht berauschend, aber doch ganz ordentlich verlaufen“. Es ist wohl einsichtig, dass auf einem Treffen nicht der gesamte aufgeworfene Themenkatalog abgearbeitet werden konnte. Immerhin fand eine Identifizierung und Strukturierung der notwendigen Arbeitsbereiche statt mit klaren Arbeitsaufträgen für das nächste Treffen.
Um so überraschender kam für viele der Streik der FrauenLesbenRedaktion. Was war passiert?
Die Münchner Redakteurin telefonierte mit einigen Männern aus dem HerausgeberInnenkreis und kündigte ihren Streik an. Ob sich dies spontan aus dem Verlauf der Telefonate ergab oder ob dieser Streik, unabhängig von den Ergebnissen des Kölner Treffens, schon länger geplant war, ist offen. Von einem Streik der FrauenLesbenRedaktion war zu diesem Zeitpunkt keine Rede.
Einer der Herausgeber sah sich genötigt, eine „persönliche Einschätzung der Situation“ und einen emotional gefärbten Antrag zum weiteren Umgang mit dieser Situation zu schreiben, der dem HerausgeberInnenkreis und der betreffenden Redakteurin zuging. Auf dieses Schreiben eines (!) Herausgebers an den Kreis – das im übrigen heftig kritisiert wurde und auf dem darauf folgenden Treffen wegen der Anzahl angekündigter Vetos nicht mehr behandelt wurde – bezieht sich ein großer Teil der ersten schriftlichen Streikankündigung und der Forderungen der FrauenLesbenRedaktion.
Das Vorgehen der FrauenLesbenRedaktion auf ein solches Papier ließe sich leicht nachvollziehen, wenn es sich um eine öffentliche Erklärung des HerausgeberInnenKreises gehandelt hätte – als Reaktion auf die tlw. kritikwürdige Ausdrucksweise eines einzelnen Mannes ist es schwer verständlich – es sei denn, dieser Mann wäre als so mächtig einzuschätzen, dass er den HerausgeberInnenkreis total unter Kontrolle hat.
Der Streik der Redakteurin ist eine andere Sache. Als eine von drei hauptamtlichen RedakteurInnen besteht auch für sie die Aufgabe, die Gesamtbelange der Zeitung im Auge zu behalten. Wenn die Redakteurin die Zeitungsproduktion bestreikt, lebt sie selbst den im Streikpapier erhobenen Vorwurf an den HerausgeberInnenkreis bezüglich Haupt- und Nebenwidersprüchen aus, da sie alle anderen für die nächste Ausgabe relevanten Themen dem Thema Feminismus in der GWR unterordnet. Eine andere Frage ist, wie der Streik einer Hauptamtlichen in einem Projekt zu bewerten ist, das von vielen ehrenamtlich engagierten Menschen getragen wird, die durch diesen Streik getroffen werden. Dazu müsste die Redakteurin belegen, und nicht nur behaupten, dass sie persönlich von den erhobene Vorwürfen „Männerbündelei, Erstarrung, Akademismus, Repräsentationspolitik“ sowie „Sexismus, Homophobie und A-Label- Anarchismus“ betroffen sei.
In dem am Anfang erwähnten Papier zur Lage der FrauenLesbenRedaktion wird der fehlende „feministische Grundkonsens in der GWR“ behauptet. Wer jedoch einmal z.B. im Internet-Archiv recherchiert wird feststellen, dass in 220 archivierten Ausgaben der GWR 306 Artikel unter dem Stichwort Feminismus ausgegeben werden und sich bestellen lassen (dabei ist dieses Archiv noch nicht einmal fertiggestellt).
Aber es ging auch nicht um die Inhalte der Zeitung, sondern darum, „wie es feministischerweise in der Graswurzel zugeht“, was sich angeblich „bundesweit herumsprach“, weshalb angeblich bei vielen Frauen das Interesse verlorengegangen sei und es der Hauptamtlichen schwerfällt „FrauenLesben gegen ihre Einschätzung auf ein Treffen zu locken“.
Beim Lesen des Streikpapiers stellt sich dann allerdings die Frage, was die FrauenLesbenRedaktion überhaupt unter Feminismus versteht.
Die FrauenLesbenRedaktion als Opfer des HerausgeberInnenKreises?
Wer im Streikpapier nachliest, findet viele Vorwürfe und Forderungen, die bekannt erscheinen. Die ganze Palette linksfeministischer Kampfvokabeln ist aufgefahren und weckt erst einmal die vertrauten Reflexe zwischen unkritischer Solidarität und Abwehr, je nach Grundeinstellung. Genau gelesen wird das ganze spannend. Sprechen da Opfer?
„Der HerausgeberInnenkreis verschleppt seine Aufgabe und erfüllt sie nicht. Er lässt damit besonders die FrauenLesbenRedaktion im Stich.“ „(…) Keine Auseinandersetzung mit der Geschlechterfrage und Geschlechtlichkeit, obwohl MAN sich eine FL-Redaktion hereingeholt hat.“
Wieso wird „besonders die FrauenLesbenRedaktion im Stich“ gelassen, wenn HerausgeberInnen ihre Aufgabe verschleppen? (Und welche Aufgabe/n sind gemeint?) Was ist mit den anderen RedakteurInnen/AutorInnen? Leiden die weniger? Haben sich da einige FrauenLesben passiv in den HerausgeberInnenKreis hineinziehen lassen, sind somit beinahe Opfer einer Art Vergewaltigung?
Kein einziges Mal kommt dabei zum Ausdruck, dass sich eine Redakteurin selbst auf diese Stelle beworben hat. Ebenfalls bleibt außen vor, dass sich FrauenLesben eigenständig entschieden haben, in diesem Graswurzelprojekt mitzuarbeiten. Die vorgeworfene (zahlenmäßige) Männerdominanz war bekannt und wurde nie in Abrede gestellt, ebenso lagen die Entscheidungsstrukturen immer offen. Und zuletzt waren es nicht nur Männer, die über die Einstellung der Redakteurin entschieden haben. Wie ist die Auseinandersetzung in der FrauenLesbenRedaktion mit der Geschlechterfrage zu verstehen, wenn drei Frauen einfach mal unter einem großgeschriebenen, fettgedruckten „MAN“ subsumiert werden?
„Der HerausgeberInnenkreis vermeidet jegliche unterstützende offene Auseinandersetzung zu Geschlechterfrage und Gleichgeschlechtlichkeit.“ Wie soll das vonstatten gehen? Eine offene Auseinandersetzung bedeutet auch kritische und abweichende Meinungen, die nicht immer alles unterstützen, oder ist hier eigentlich eine „offen unterstützende Auseinandersetzung“ gegenüber anderen gemeint? Dann gäbe es aber keine Auseinandersetzung nach innen, die doch scheinbar gefordert ist.
„Der HerausgeberInnenkreis steht nicht hinter der FL-Redaktion: Der HerausgeberInnenKreis ist bezüglich seiner Meinung über die FrauenLesbenRedaktion gespalten eingestellt. Die zwiespältige Haltung raubt ihr viel Energien. Es entsteht eine Verunsicherung von Anfang an für die FrauenLesbenRedaktion.“
Wie soll ein „hinter der FL-Redaktion stehen“ sich zeigen? Hat sich der HerausgeberInnenKreis in seiner Gesamtheit zu einzelnen Themen kritisch geäußert? Oder waren nicht alle Personen im HerausgeberInnenkreis mit der Einrichtung einer FrauenLesbenRedaktion einverstanden?
Im ersten Fall muss sich diese FrauenLesbenRedaktion die Frage gefallen lassen, warum sie außerhalb der Kritik des HerausgeberInnenKreises stehen soll, der ja schließlich gesamtverantwortlich für die Zeitung zeichnet. Im zweiten Fall stellt sich die Frage, wieso schon die Nichtzustimmung eines Teiles der HerausgeberInnen reicht, um so zu verunsichern. Schließlich kann es sich um max. 25% der Entscheidenden gehandelt haben, die Mindestzustimmung für neue Projekte in der Zeitung liegt bei 75%, sonst kommen sie nicht zustande. Oder ist die FrauenLesbenRedaktion hier wirklich Opfer, allerdings ihrer eigenen Unsicherheit?
„Die FrauenLesbenRedaktion ist mit der Regelung dieses Konfliktes so belastet, dass sie kaum richtig Zeitung machen kann. (…) Die FrauenLesbenRedaktion scheint für die Aufarbeitung mangelnder Beziehungsfähigkeit von Männern da zu sein. Anstatt dafür honoriert zu werden, gilt sie noch als Störfaktor.“
„(…) so gab es Streit (zwischen den RedakteurInnen), welche feministische Aktion auf das Titelblatt darf, anstatt feministische Anliegen zu fördern.“
„Die Redakteurin wird persönlich aufgerieben: Kann ein männlicher Redakteur Konflikte noch halbwegs wegdrücken (…) zerfasert eine FrauenLesbenRedaktion unter diesen Erschwernissen gänzlich.“
Die FrauenLesbenRedaktion stellt mangelnde Beziehungsfähigkeit fest – anhand welcher Kriterien ist noch immer offen – und kann deshalb nicht richtig Zeitung machen? Die abweichende Meinung eines Redakteurs, welches Thema auf ein Titelblatt kommen soll, ist also antifeministisch? Weil er es als Mann geäußert hat? Als Nicht-FrauenLesbenRedaktions- Mitglied? Hier erscheint zum ersten mal offen auch die biologistische Haltung, mit der die FrauenLesbenRedaktion arbeitet. Männer können – qua Geschlecht – Gefühle wegdrücken und FrauenLesben leiden. Und dieses Leiden wird zum Thema gemacht. (Anstatt zu erwähnen, dass die Redakteurin mit großer Unterstützung des HerausgeberInnenKreises die Titelseite bekam.)
Feministischerweise oder Die (Un)Sprache der FrauenLesbenRedaktion
Viel wurde sich in der FrauenLesbenRedaktion wohl nicht mit dem Thema einer gleichberechtigten Sprache beschäftigt, zumindest lese ich zum erstenmal in GWR-Zusammenhängen die Formulierung „männlicher Redakteur“, die nach einmaligem Studium von Luise F. Pusch „Das Deutsch als Männersprache“, einer Klassikerin feministischer Literatur, nicht mehr vorkommen dürfte. Aber auch ohne diese – zugegeben – Spitzfindigkeit lassen sich sowohl unter graswurzlerischen wie feministischen Gesichtspunkten Bedenken äußern.
Was sollen GraswurzelerInnen davon halten, dass eine hauptamtliche Redakteurin meinte, „FrauenLesben gegen ihre Einschätzung auf ein Treffen (zu) locken“ zu müssen?
So klein dieser Satz ist, so ungeheuerlich ist, was er bedeutet wenn er der Wahrheit entspricht. Da hätte eine Graswurzelredakteurin anderweitig engagierten FrauenLesben die eigene Wahrnehmung/Einschätzung abgesprochen und hätte diese wider besseren Wissens mit irgendwelchen Versprechungen oder unter Vorspiegelung falscher Tatsachen zu einem Treffen „gelockt“. Und das Ganze dient dann auch noch als Nachweis für die Mühe mit dem Aufbau einer Redaktion!
Wenn schon die eigenen Kreise in dieser Art betrachtet und behandelt werden, wie sieht es dann mit Frauen/Lesben außerhalb der FrauenLesbenRedaktion aus? Und wie werden Männer gesehen?
Frauen, die nicht mit der FrauenLesbenRedaktion konform gehen, werden sprachlich ausgegrenzt oder eliminiert. Im Gegensatz zur herkömmlichen Umgangssprache, in der das „man“ meistens gedankenlos eingesetzt wird, dient in der Formulierung „obwohl MAN sich eine FL-Redaktion hereingeholt hat“ dieses Wort der offenen Wegleugnung von Frauen im HerausgeberInnenKreis. Noch offener fällt eine Botschaft an diese Frauen auf: „Der HerausgeberInnenkreis muss allmählich in der Lage sein, ohne weibliche Hilfe selbstständig und niveauvoll mit einer FrauenLesbenRedaktion umzugehen.“ Die Frauen im HerausgeberInnen-Kreis haben sich gefälligst rauszuhalten. Oder sie gelten als unweiblich.
Ein Rundumschlag gegen alle, die sich nicht mit der jetzigen FrauenLesbenRedaktion im Einklang sehen wird mit dem folgenden Satz ausgeteilt.
„Manche Männer (im HerausgeberInnenKreis) verhalten sich wie in einer bürgerlichen Kleinfamilie, in der Interessen gewahrt werden (Konflikte innen, heile Welt nach außen). Deshalb fehlt ihnen die entsprechende Sensibilität im Umgang mit der FrauenLesbenRedaktion sowie mit schwulen Männern.“
Es wird hier so getan, als käme dieser Umgang mit Konflikten ausschließlich in Hetero-Kreisen vor bzw. nur dort gäbe es die genannten Folgen. Ignoriert wird außerdem, dass viele schwule und lesbische Paare die Lebensform der Kleinfamilie ebenfalls bevorzugen und zweitens diese Form des Umgangs mit Konflikten wirklich nicht geschlechtsspezifisch ist. Aber vielleicht ja ohne die negativen Folgen? Spannend auch, dass es um „fehlende Sensibilität“ gegenüber der „FrauenLesbenRedaktion sowie (..) schwulen Männern“ geht. Was ist mit den vielen Hetero/Bi/FrauenLesben außerhalb der Redaktion? Brauchen die nicht so viel Sensibilität? Und Bi- bzw. Hetero-Männer sowieso nicht ?
Ist der Ansatz der FrauenLesben-Redaktion feministisch?
Für den Feminismus soll hier Janet Radcliffe Richards sprechen, die seit über 20 Jahren international feministisch tätig ist.
„Ziel des Feminismus ist somit nicht, all jenen Personen Vorteile zu verschaffen, die zufällig weiblichen Geschlechts sind, sondern die gesellschaftliche Behandlung des Frauseins zu verbessern, unter der einzelne Frauen heute als Frauen leiden […] Die Behauptung der Ungerechtigkeit gegenüber Frauen bedeutet nicht, dass jeder einzelnen Frau eine größere Summe an Unheil widerfährt als jedem Mann.“ (Janet Radcliff Richards, „Welche Ziele der Frauenbewegung sind feministisch?“, 1983)
Besteht der Konflikt zwischen den HerausgeberInnen und der FrauenLesbenRedaktion oder der Redakteurin aufgrund einer Diskriminierung als Frauen? Anders gefragt, wäre dieser Konflikt nicht entstanden, wenn es sich um Männer gehandelt hätte? Beides lässt sich verneinen. Im Gegenteil, gerade mit der Begründung des Frauseins wird versucht, Vorteile zu erringen, die einem Mann in der Redaktionsarbeit in dieser Form nie zugestanden würden.
Die Begründung für die Arbeitsverweigerung der Redakteurin, wie auch für den Streik der FrauenLesbenRedaktion trüge jetzt nur noch, wenn dem biologistischen Ansatz zuzustimmen wäre: Hetero-, Bi- und Lesbische Frauen würden dann aufgrund ihres Frauseins in einem solchen Herausgeber-InnenKreis leiden. Diese Argumentation führt jedoch feministische Arbeit ad absurdum, immerhin hat die Ausgrenzung von Frauen jahrtausendelang nach dem gleichem Muster funktioniert.
Worum es anscheinend wirklich geht
„Eine Feministin muss sich für die faire Behandlung der Frauen als eigenständiges Ziel einsetzen, ganz ungeachtet, ob daraus auch ein anderer Nutzen wachsen könnte.“ (Janet Radcliff Richards, s.o.)
Es stellt sich die Frage, ob die FrauenLesben, die FrauenLesbenRedaktion oder die anwesenden Frauen auf den Treffen „unfair“ behandelt wurden. Ebenfalls müssen sich die FrauenLesbenRedaktion sowie einzelne Frauen die Frage gefallen lassen, ob sie selbst fair handeln.
Letztendlich findet sich die eigentliche Forderung der FrauenLesbenRedaktion in einem kleinen, gut versteckten Satz auf Seite 2 des ersten Streikpapiers: „Eine FrauenLesbenRedaktion ist ideell, moralisch und in allen anderen Beziehungen so zu stärken, dass sie sich wohl fühlt, aber nicht in die Frauenecke rutscht oder zum Alibi verkommt.“
Dieser ultimative, materielle wie emotionale Versorgungsanspruch, der in den bisherigen Papieren angedeutet, aber nie so offen ausgesprochen wurde, ist es, der so sprachlos macht. Nicht nur, dass keine Chance besteht, ihn je erfüllen zu können – bei „in jeder Beziehung unterstützen“ lässt sich immer wieder eine neue „Beziehung“ finden, die noch nicht erfüllt wurde – nein, jeder emanzipatorische oder feministische Grundgedanke ist mit diesem Satz aufgekündigt. Konkret bedeutet dieser Satz: Wenn ihr (Männer und nicht in unserem Sinne denkende Frauen) uns nicht absolut, ohne wenn und aber, versorgt und bestätigt, können wir nicht arbeiten / leben („wenn es keine adäquat lebbare Lösung für die FrauenLesbenRedaktion gibt.“) und ihr seid antifeministisch, erstarrt, sexistisch, homophob, mackerhaft.
„Feminismus wird gedacht, aber nicht gelebt“ – dieser Vorwurf findet sich gegenüber dem HerausgeberInnenKreis. Ich behaupte: Feminismus wird von der Redakteurin und der FrauenLesbenRedaktion vorgeschoben und dieser Begriff missbraucht, um Vorteile bzw. Macht zu erringen und jegliche Kritik auszuschließen.
Wie weiter?
Auch wenn das Vorgehen der FrauenLesbenRedaktion und einer Redakteurin bedenklich ist, auch wenn sprachlich und argumentativ Begriffe wie Erstarrung, Homophobie oder Sexismus in ähnlicher Weise benutzt werden wie der Feminismusbegriff, eine intensive Auseinandersetzung mit diesen Vorwürfen ist dem HerausgeberInnenKreis anzuraten und wurde dort zum Thema „Eigener Sexismus“ auch schon für das nächste Treffen beschlossen.
Wie notwendig dies ist, zeigt sich m.E. darin, dass anscheinend bei der Einstellung der Münchner Redakteurin die im Sinne echter Gleichbehandlung gleichen Kriterien und kritischen Nachfragen wie gegenüber dem Münsteraner Redakteur unterblieben. Ob dies aufgrund der Eigendarstellung der Bewerberin geschehen konnte, aus positivem Sexismus bzw. unkritischer Begeisterung, weil sich „endlich eine Frau“ auf die Stelle beworben hat, oder in der Hoffnung, dass „endlich eine FrauenLesbenRedaktion“ entstehen könnte, wäre dringend zu überprüfen.
Nachdem der HerausgeberInnenKreis über ein Jahr den Mitteln der FrauenLesbenRedaktion nichts entgegensetzen konnte ist zu diskutieren, wie mit Gruppen umgegangen werden kann, die einerseits aus ihrer spezifischen Situation legitime Ansprüche haben, andererseits jedoch Machtpolitik betreiben. Damit ein gewaltfreier Umgang in solchen Situationen gelingen kann, muss die eigene Position eindeutig geklärt sein und immer wieder neu überprüft werden. Der Beschluss des HerausgeberInnen-Kreises, zum eigenen Sexismus zu arbeiten, ist da ein ermutigender Beginn.
Die FrauenLesbenRedaktion sollte sich ihrerseits dringend mit ihrem Verständnis von Feminismus auseinandersetzen, und klären, ob sie überhaupt mit den Zielen der Graswurzelrevolution übereinstimmt. Falls dies (doch) der Fall sein sollte, wäre hier die Reflexion des eigenen Verhaltens und der eigenen Sprache mindestens so notwendig wie im HerausgeberInnenKreis, um gemeinsam konstruktiv politisch tätig sein zu können.
(1) Interessierte können diese Papiere bei den Heidelberger und Münsteraner GWR-Redaktionen bestellen. Alle Namen der in den Papieren genannten Personen werden von der Redaktion aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes geschwärzt.