concert for anarchy

Ton Steine Scherben: Land in Sicht

| knobi

Da war in der GWR Nr. 250 (herzlichen Glückwunsch!) auf S. 16, im Artikel zu Chumbawamba's 'Smart Bomb' zu lesen, daß Bands mit politischem Anspruch, die zu einem Major-Label wechseln, seit der Punk-Zeit von der Politfraktion mit Verachtung gestraft würden, dabei ist dieser Vorgang so alt wie die Musik selbst.

Aber eine Band, die selbst wenn sie gewollt hätte, über Jahrzehnte keine Chance bei einem Major-Label unterzukommen hatte, war die im August 1970 gegründete Rockband Ton Steine Scherben. Ihre Songs transportierten derart radikale Texte, sodass ihnen seinerzeit nichts anderes übrig blieb, als ihre eigene Produktionsfirma – sprich: das erste Indie-Label „David Volksmund Produktion“- zu gründen. Nun, die Radikalität ihrer Texte wäre ja vielleicht kein Hinderungsgrund gewesen, wenn sie nicht in deutscher Sprache gewesen wären, was zu jener Zeit sehr ungewöhnlich war.

„Land in Sicht“ wurde 1971 von dem Gespann Rio Reiser & R.P.S. Lanrue getextet und komponiert, in dem Jahr, als nach einem Konzert von Ton Steine Scherben in Berlin das legendäre Rauch-Haus besetzt wurde, und somit jene neue Kampfform geschaffen wurde, um Freiräume in einer immer enger werdenden Welt zu erobern.

Ursprünglich hatte der Song einen englischen Text – alles war seinerzeit besser zu verkaufen, als ein deutschsprachiger Rocksong, aber 1975 war er dann in der bekannten Fassung auf der Doppel-LP „Wenn die Nacht am tieftsten…“ veröffentlicht worden, dem dritten Album der Band.

Die Scherben litten immer darunter, daß sie z.B. nicht im Radio gespielt wurden. Während ihnen zuerst gesagt wurde, daß ihre Texte zu radikal seien, war es nun der Vorwurf nicht radikal genug zu sein. Es war seinerzeit einfach Konsens, die Scherben nicht zu spielen, obwohl sie nichts anderes wollten als tanzbare Rockmusik zu machen, allerdings mit Texten, die die Jugendlichen ansprachen, weil sie ja selbst von den politischen und sozialen Ereignissen betroffen waren, aber musikalisch wie textlich wollten sie nicht auf ihrem ersten Szene-Hit „Macht kaputt was Euch kaputt macht“ stehen bleiben. Der überwiegende Teil ihrer über 80 Songs sind Liebeslieder – die besten, die je in deutscher Sprache veröffentlicht wurden, und Nachahmer wie Lindenberg, Grönemeyer, Westernhagen, BAP oder wie sie alle heißen kommen da längst nicht ran.

1985 löste sich die Band mit einem Berg von Schulden auf. Die letzten Konzerte fanden 1984 statt, wo auch die Live- Aufnahmen zu der 1996 erschienen letzten Scherben-CD „Live II“ aufgenommen wurden. Von den neun Songs stammen sieben aus den Jahren vor 1975 und „Land in Sicht“ war der würdige Schlußsong – so aktuell wie eh und je.

Land in Sicht

Land in Sicht
Singt der Wind in mein Herz
Die lange Reise ist vorbei
Morgenlicht
Weckt meine Seele auf
Ich lebe wieder und bin frei

Und die Tränen von gestern wird die Sonne trocknen
Die Spuren der Verzweiflung wird der Wind verweh’n
Die durstigen Lippen wird der Regen trösten
Und die längst verloren Geglaubten
werden von den Toten aufersteh’n

Ich seh
Die Wälder meiner Sehnsucht
Den weiten sonnengelben Strand
Der Himmel
Leuchtet wie Unendlichkeit
Die bösen Träume sind verbannt

Die Tränen von gestern wird die Sonne trocknen
Die Spuren der Verzweiflung wird der Wind verweh’n
Die durstigen Lippen wird der Regen trösten
Und die längst verloren Geglaubten
werden von den Toten aufersteh’n

Lesetipp

K.Sichtermann / J. Johler / Chr. Stahl; Keine Macht für Niemand - Die Geschichte der "Ton Steine Scherben". Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag Berlin, 320 S / zahlr. Abb. / 29,80 DM