Noam Chomsky ist einer der meist zitierten lebenden Intellektuellen weltweit. Als Zwölfjähriger schrieb er seinen ersten Artikel über Barcelona während der Spanischen Revolution. Die Begeisterung für anarchistische Ideen ist dem heute über 70jährigen, us-amerikanischen Linguistik-Professor nicht abhanden gekommen.
In der Zürcher edition 8 ist jetzt die erste Biographie des Wissenschaftlers und Politaktivisten erschienen. Robert F. Barsky hat sie geschrieben und zugunsten Chomskys parteiisch gehalten. Und das ist auch gut so. Barsky trägt damit dazu bei, die komplexen inhaltlichen Positionen Chomskys verständlich und nachvollziehbar zu machen. Mit der Parteinahme hängt die zweite Stärke des Buches zusammen: Chomsky in seiner wissenschaftlichen und politischen Umgebung, in seinen Diskussionen und Streits zu beschreiben, erscheint als Darstellungsform geeignet. Denn überall dort, wo sich Chomsky in der Öffentlichkeit bewegt hat, gibt es diese Auseinandersetzungen um sein Werk und seine Person. Die frühen politischen Einflüsse durch den Spanischen Anarchismus und zionistische Gruppen in den USA werden ebenso geschildert, wie der wissenschaftliche Werdegang zu einem der tonangebenden Linguisten überhaupt. Dargestellt wird ein Intellektueller, der lieber zu einfachen Leuten spricht als zu Fachpublikum. Und ein kritischer Intellektueller, dem die Gesellschaftskritik der Frankfurter Schule schon zu verschnörkelt und dem postmoderne Theorie kaum mehr als die Vernebelung simpler Tatsachen ist. Gezeigt wird auch ein sanfter Mensch, der mit äußerster Vehemenz seine Überzeugungen vertritt. Mehr störrisch als stoisch wies er die Kritik an seinem abstrakten Begriff von Meinungsfreiheit zurück, die ihm angesichts seines Einsatzes für die Redefreiheit des französischen Auschwitz-Leugners Faurisson entgegengebracht wurde. Für Chomsky ist das derselbe Kampf gegen das Verschweigen und das unmerkliche Unterschlagen von Nachrichten, für den er sich im letzten Jahrzehnt als Medientheoretiker stark gemacht hat.
„Die politische Ökonomie der Menschenrechte“
Ob Chomsky tatsächlich über eine Theorie der Medien verfügt, oder ob er sich lediglich ein paar schlaue Gedanken zum Thema gemacht hat, ist ohne Englischkenntnisse und komplizierteste Buchausleihverfahren hierzulande gar nicht nachprüfbar. Denn anders als seine linguistischen Werke, ist kaum eines seiner politischen Bücher vollständig ins Deutsche übersetzt. Immer wieder haben wir es mit Sammlungen von Aufsätzen oder bloß mit Auszügen aus Reden und Interviews zu tun. Gerade Chomskys Kritik an selektiver Berichterstattung lädt dazu ein, hier ein publizistisches Manko zu sehen. Auch bei dem Aufsatzband aus dem Trotzdem-Verlag handelt es sich nicht um das bereits 1979 von Chomsky zusammen mit Edward S. Herman veröffentlichte Buch, das den gleichen Titel trägt (The Political Economy of Human Rights, Boston/ Montreal). Statt dessen sind hier einige, bislang unveröffentlichte Chomsky-Texte aus den späten 90er Jahren zusammengestellt.
Seine kenntnisreichen Attacken gegen die us-amerikanische Außenpolitik vermitteln ein schlüssigeres Bild von Chomskys Ansatz als die Medienkritik. Wie kaum jemand sonst legt Chomsky Doktrin und Praxis dieser Politik offen. Für beide Bereiche zeigt er nüchtern auf, daß und inwiefern die USA weltweit führend darin sind, die Menschenrechte zu relativieren. Zur Doktrin gehört es dabei, den Teil der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ abzulehnen, der die sozialen und wirtschaftlichen Rechte betrifft, und dessen Geltung zu leugnen. Praktisch hat das immense Konsequenzen, die Chomsky an zahlreichen Beispielen militärischer Interventionen aus verschiedensten Amtsperioden aufzeigt – von Kennedy zu Clinton, von Kuba und Süd-Vietnam über Nicaragua und Lybien zum Irak. Dabei ist Chomskys gekonnte Auflistung und Verkettung von schlichten Tatsachen immer ein intellektueller Frontalangriff auf diese Politik.
Neben der Menschenrechtsdiskussion bildet die Einmischung in die Debatte um den Neoliberalismus einen anderen Schwerpunkt des Aufsatzbandes. Die forcierte Jagd nach Profiten produziere eine Art von marktuntauglicher „Überflußbevölkerung“. Menschen also, die sowohl in den Metropolen, als auch in der „Dritten Welt“ leben, und nicht einmal mehr ausbeutbar sind. Gleichzeitig werden einerseits die Sozialausgaben stetig verringert, während auf der anderen Seite seit der Reagan-Ära die Anzahl der Bevölkerung in den Gefängnissen enorm ansteigt. Größere soziale Ungleichheit zieht wachsende soziale Kontrolle nach sich. Der Wohlfahrtsstaat ist in den Augen Chomskys nicht so sehr der Bewahrer sozialer und zivilisatorischer Errungenschaften wie vielleicht für andere Intellektuelle im Kampf gegen den Neoliberalismus. Chomsky hält den Staat – z.B. im Gegensatz zu Pierre Bourdieu – nach wie vor für einen Käfig. Diesen allerdings in dem Moment einzureißen zu wollen, in dem draußen ein Raubtier namens „freier Markt“ besonders wild rumtobt, wäre auch für Chomsky töricht. Gegen eine anti-neoliberale Staatsfixierung weist er aber darauf hin, daß es einen „Freihandel“ im eigentlichen Sinne gar nicht gibt. Die Ideologie der „freien Märkte“ sei vielmehr ein staatlich geförderter Betrug, der letztlich darauf abzielt, arme Länder in wirtschaftlicher Abhängigkeit von US-Konzernen zu halten. Dass diese Ansicht plausibel durchanalysiert wird, diesmal am Beispiel der Beziehungen zwischen den USA und Haiti, entkräftet ein weiteres Mal den Vorwurf gegen Chomsky, seine Kritik entspringe nur der Paranoia eines Extremisten.
Barsky, Robert F.: Noam Chomsky. Libertärer Querdenker. Eine Biographie aus der edition 8; Zürich 1999. 335 S., 39,80DM. ISBN 3-85990-012-9.
Chomsky, Noam; Die politische Ökonomie der Menschenrechte. Essays. Trotzdem Verlag; Grafenau 2000. 202 S., 32,-DM. ISBN 3-931786-10-2.