libertäre buchseiten

Punk in Ost-Berlin

| Jochen Knoblauch

Die Lederjacke ist längst zu knapp geworden und die Badges („Plastics“ – und ich dachte immer, im Osten heißt es „Plaste“?), na ja, die würden wahrscheinlich auch nicht mehr so recht das wiedergeben, was wir heute fühlen – wahrscheinlich kämen sie einem ziemlich albern vor.

Als Gilbert Furian 1982 damit begann Interviews mit jungen Punkern in Ost-Berlin zu machen, war er 37 Jahre alt und für sich selbst auf der Suche…nach irgendwas jenseits des „realsozialistischen“ Lebens. Zuerst wohl aus purer Neugierde sammelte er Material über PunkerInnen, er wollte wissen, was sie denken, was sie fühlen – und war von ihrer frischen Unbekümmertheit, ihrer bisweilen naiven Anti-Haltung fasziniert. Hier geht es um SpießerInnen, Sehnsüchte und ‚zuviel Zukunft‘, vor allem die staatlich verplante, im Gegensatz zum Westen, wo die Parole ’no future‘ eher den Maßstab bildete.

Sein 20 Din-A-4-Seiten umfassendes Manuskript brachte ihm eine minutiöse Stasiüberwachung und 2 Jahre und 2 Monate Gefängnis (die Hälfte davon abgesessen) ein, und das alles wegen einem Heftchen, in dem Jugendliche ihre Meinung sagen. Der Staat war im höchsten Grad paranoid. Es war ihm, als wäre hier etwas aus dem Ruder gelaufen, was er nicht unter Kontrolle zu bekommen schien.

Wie vieles, was wir heutzutage aus der Ex-DDR zu lesen bekommen, spielen ganz persönliche Schicksale eine Rolle, und das Verhalten der einzelnen Menschen in persönlichen Krisensituationen. Wenn in diesem Buch mit Hochachtung der Autor Furian darüber spricht, daß Nikolaus Becker, der kleine Bruder des Schriftstellers Jurek, seinerzeit die Punker-Fotos im Original unkenntlich gemacht der Stasi übergab, und somit zur einsamen Heldentat gegenüber dem Staatsapparat wurde, dann berührt das einen schon. Als Westler sollte man sich dann die Frage stellen, wie man wohl selbst reagiert hätte.

Die Parole „Zwanzig Jahre Mauer – wir sind sauer“ brachte einer Punkerin anderthalb Jahre Knast. Für den ‚falschen‘ Spruch, etwa „Solidarität mit der RAF“, ist man im Westen für fünf Jahre eingefahren, wegen ‚Unterstützung einer terroristischen Vereinigung‘. Die Systeme waren sich in der Bekämpfung unliebsamer Freiheitsbestrebungen, und seien sie noch so diffus, einig. Jugendliche, die etwa seit den 50er Jahren immer wieder sich in rebellische Bewegungen zusammenschlossen, unterlagen immer irgendwelchen Repressalien.

Interessant ist auch, daß für dieses Buch, neben dem dokumentarischen Teil von damals, der Autor versuchte seine damaligen GesprächspartnerInnen ausfindig zu machen um zu erfahren, was heute aus ihnen geworden ist. Und, siehe da, es sind Menschen wie Du und ich, die vielleicht sich etwas mehr Freiheitsliebe bewahrt haben als diejenigen, die sie damals verfolgten.

Dieses Bändchen fordert einem Respekt ab für die damaligen ProtagonistInnen, deren Existenz um einiges höher gefährdet war als das ihrer West-KollegInnen. Das Buch mag nicht nur für (Ex-)DDR-PunkerInnen interessant sein, es sollte vor allem auch von Westlern gelesen werden. Sie könnten vielleicht daraus lernen, wie einfach es ist, sich Attitüden zuzulegen, ohne die Befürchtung mit staatlichen Repressionen rechnen zu müssen.

Gilbert Furian / Nikolaus Becker; Auch im Osten trägt man Westen. Punks in der DDR - und was aus ihnen geworden ist, Verlag Thomas Tilsner Bad Tölz / Archiv der Jugendkulturen Berlin 2000, 120 S. / Format: 21 x 21 cm / zahlr. Abb. / 28 DM

Anmerkungen

Infos über das Jugendarchiv, seine Zeitschrift und Buchproduktion gibt es im Internet unter: www.jugendkulturen.de