Im folgenden Artikel möchte ich einige Überlegungen zum Scheitern und Zusammenbruch der Grünen als emanzipatorische Kraft darstellen.
Nun ist zwar schon lange (mir schon seit ca. 15 Jahren, spätestens nach der Aufgabe der Mandatsrotation) klar, dass von dieser Partei nicht mehr viel Positives zu erwarten ist, nichts desto trotz besteht für mich nach wie vor Erklärungsbedarf, wie es dazu gekommen ist. Denn ich halte es für verlogen, wenn GraswurzlerInnen so tun als wäre dies schon immer so gewesen. Am Beginn gab es zumindest von meiner Seite durchaus Hoffnungen und auch danach hat mich die Schnelligkeit und Widerlichkeit der Anpassung an die Nomenklatura überrascht. Und ich habe lange Zeit nicht verstanden, wie diese reaktionäre Wende der politischen Ausrichtung fast einer ganzen Generation ehemals Linker zustande kommt. Eine ganze Weile habe ich es nur wahrgenommen.
Ich selbst bin ungefähr 10 – 15 Jahre jünger als die Mehrheit der grünen Gründungsmitglieder, heute also 36 und seit ca 18 Jahren in der außerparlamentarischen Politik aktiv. Wenn es heute einen Konsens unter den linken Aktiven meiner Generation gibt, dann den, dass die Grünen scheiße sind, und dieser Konsens gilt für KommunistInnen, AnarchistInnen, FeministInnen bis hin zu linken ChristInnen. Die Erfahrung der reaktionären Wende der vorhergenden Politgeneration ist eine Erfahrung die zumindest eine gewisse Einigkeit geschaffen hat. Zum Teil einfach aus der Notwendigkeit heraus politische Strukturen, die mit den Grünen weggebrochen sind, schnell zu ersetzen, z.B. war dies in Hannover bereits eine Erfahrung im Widerstand gegen den Golfkrieg. Ein Großteil dieser Linken mobilisiert, soweit sie sich überhaupt noch für Wahlen interessieren, schon seit mehr als 10 Jahren für den Wahlboykott.
Ein Verstehen der reaktionäre Wende der politischen Generation der heute Mitte 40 bis Mitte 50 jährigen, eine Analyse, fehlt aber. Eine Wende die soweit geht, dass heute Angesichts zunehmder Rechtsbrüche und Übergriffe durch die Polizei nicht einmal mehr eine klassische linksliberale Öffentlichkeit existiert.
Die Grünen haben die Generation ihrer Mütter und Väter längst rechts überholt
Sehe ich, dass beim Anti-Expowiderstand in Hannover die Generationen älter als Mitte Dreißig fast vollständig gefehlt haben, kann ich nur feststellen, dass es wohl noch nie eine apolitischere Generation der Mitte 40 bis Mitte 50 Jährigen gegeben hat, wie diese, denn in den 80ern war dies noch anders.
Dies alles bedarf der Analyse um nicht die selben Fehler zu machen.
Da ich selbst mit grüner Politik wenig zu tun habe, habe ich lange Zeit nicht groß darüber nachgedacht, erst im Zuge des Kosovokrieges sind mir verschiedene Dinge aufgefallen. Ausgehend von Menschen aus ganz unterschiedlichen Zusammenhängen haben wir die Landesgeschäftsstelle der Grünen in Hannover besetzt. So kam es erstens zu Diskussionen bzw. Versuchen zu Diskutieren und die Zeit schuf die Möglichkeit zum Studium diverser grüner Schriften, die dort rumlagen.
Die zentrale Erfahrung war, mit Ausnahme einer Person, dass eine Verständigung nicht mehr möglich war. Das heißt es gab keine gemeinsame Sprachebene. Für mich ist es offensichtlich inzwischen einfacher mich, wenn auch im klaren Dissens, konservativ liberalen Bekannten meiner Eltern verständlich zumachen als grünen ParteifunktionärInnen. Die Bekannten meiner Eltern begreifen wenigstens was ich sage, auch wenn sie es ablehnen. Bei den Grünen blieb mein Eindruck gegen eine Wand zu reden. Ich will einmal versuchen einen Teil eines solchen Nichtgespräches hier sinngemäß wiederzugeben.
Ich: Sag mal irritiert es Euch eigentlich gar nicht wenn hier Leute aus allen möglichen Zusammenhängen, aus denen die Grünen einmal enstanden sind heute Euer Büro besetzen?
Grünenmitarbeiter: Das sehe ich nicht so.
Ich: Es gibt aber inzwischen einen antigrünen Konsens von pazifistisch christlicher Seite bis hin zu Autonomen.
Grünenmitarbeiter: Ja und?
Ich: Ja aber Ihr braucht doch auch eine politische Basis?
Grünenmitarbeiter: Was?
Ich: Das betrifft doch nicht nur antimilitaristische Gruppen, sondern auch große Teile der AntiAKWbewegung, radikale feministische Zusammenhänge, AntiRa und AntiFa, Euch bricht doch alles weg?
Grünenmitarbeiter: Das interessiert mich nicht. usw.
Selbst die SPD würde es nicht wagen so mit ihren Kleingärtnervereinen umzugehen, wie die Grünen derzeit mit den ihrer Partei (früher) nahestehenden politischen Zusammenhängen.
Eine Erklärung findet sich vielleicht in der Äußerung einer der Partei nahestehenden Bekannten, die über Gespräche der Bundesspitze erzählte, dass dort zunehmend Polit-Yupies, die die grüne Partei als Managementproblem begreifen, an Einfluß gewinnen. Das einzige Problem wird dann im schlechten Marketing der Grünen gesucht. Das heißt die Grünen vollziehen als Partei einen radikalen Prozeß der Entpolitisierung. Und hier wird vielleicht eine Auslassung in der Analyse der Funktionsweise des parlamentaristischen Systems deutlich. Die Parteien haben offensichtlich nicht nur den Zweck politisch radikale Bewegungen aufzusaugen und in harmlose reformistische Projekte umzuwandeln. Ein viel wichtigerer Beitrag zur Stabilisierung autoritärer parlamentaristischer Entscheidungsstrukturen liegt vielleicht in ihrer Rolle der Entpolitisierung der Gesellschaft. Die eigentliche Rolle der Parteien läge also in der Zerstörung des Politischen. Ich lasse dies hier als offene These stehen, um noch einmal in anderer Form meine Ausgangsfrage anzugehen.
Wie kommt es zum Zusammenbruch, zur reaktionären Wende einer ganzen politischen Generation?
Eine weitere Erfahrung im Zuge des Krieges war das Verhalten von Angelika Beer, der verteidigungspolitischen Sprecherin der Grünen. Eine Politikerin, die ich aufgrund meiner Arbeit unter anderen zur Repression in Kurdistan als sehr integer wahrgenommen hatte. Eine der wenigen verbliebenen Linken in der Partei. Im Unterschied zu Fischer unterstelle ich ihr keinen billigen doppelmoralischen Karrierismus. Sie ist auch nicht einfach eine schon immer dumme Autoritäre, Militaristin, oder weiß ich was, sondern ich habe sie als glaubwürdige Linke wahrgenommen. Entsprechend gehe ich auch nicht davon aus, dass ihr neuer Militarismus, ihre Befürwortung von Massenmord, Vertreibung und Krieg einfach dem Erhalt eines warmen Pöstchens geschuldet ist.
Angelika Beer ist für mich ein typisches Beispiel einer Exlinken ihrer Generation, die fest daran glaubt alle ihre politischen Grundpositionen behalten zu haben, obwohl sie alles, an was sie mal geglaubt hat, verraten hat. Denn dies ist für mich das eigentliche Problem der reaktionären Entwicklung dieser Politgeneration, dass sie selbst ernsthaft glauben, sie würden ja weiterhin linke Politik machen. Auch dies erklärt vielleicht zum Teil die Unfähigkeit der Verständigung mit ihnen.
Angelika Beer sind die Erfahrungen mehrerer Jahrzenhte antimilitarischen Kampfes bekannt, sie mußte also wissen, dass der Kosovoeinsatz nur weiteres Blutvergießen, weitere Vertreibung nach sich ziehen würde, sie mußte wissen dass sie Mord an der Zivilbevölkerung unterstützt, die Zerschlagung eines unliebsamen Wirtschaftsystems, dass die Befürwortung des Krieges langfristig kathastrophale Auswirkungen auf die Remailitarisierung deutscher Außenpolitik haben würde, sie wußte was der Begriff Militärisch-Industrieller-Komplex bedeutet. Sie mußte wissen dass sie ein Verbrechen unterstützt.
Die Frage ist, wieso hat sie es trotzden getan und wieso hält sie sich mit aller Gewalt am Glauben an die Richtigkeit ihrer Handlung fest?
Ich sehe sie hier synonym für viele Exlinke ihrer Generation, die alles wissen, und doch alles vergessen haben bzw. ausblenden im entscheidenden Augenblick. Der Einwand, dass diese Entscheidung durch Betroffenheit erzeugt werden, ist eine billige Ausrede. Angelika Beer kennt schließlich auch die Kritik an der Betroffenheitsrethorik der Friedensbewegung der 80er, und wieso ist sie dann nicht auch von zerfetzten serbischen Kindern betroffen. Dass es in bestimmten Situationen keine befriedigende Lösung gibt, war ihr auch vorher bekannt, und bis dahin kein Grunde für einen Militarismus, der alles noch verschlimmert.
Die Antwort muß offensichtlich außerhalb der eigentlichen Situation gesucht werden. Vor allem, da andere Exlinke ihrer Generation dieselbe Wende schon an anderer Stelle aber in ähnlicher Form vollzogen haben.
Die Antwort marxistischer TheoretikerInnen, dass sich hier die Klassenlage grüner PolitikerInnen letztendlich eben doch durchsetzt, ist mir zu mechanistisch, und außerdem fehlt es mir in dieser Generation dann auch an revolutionär gestimmten ArbeiterInnen, dort müßte sich dann die Klassenlage doch auch durchsetzen. Auch wenn die sozialen Erfahrungen als Teil einer verbeamteten Oberschicht und die eigene bürgerliche Herkunft eine Rolle spielen mögen, auch wenn jahrelange Repressionserfahrungen, das ihrige tun, so reicht mir dies doch als Erklärung nicht.
Ich sehe eine Möglichkeit des Verstehens dieser TäterInnenschaft in der Form der Politisierung vieler Linker der grünen Generation in Abgrenzung zu den Mütter/Väter/TäterInnen, bzw. in Abgrenzung zur deutschen TäterInnenschutzgemeinschaft, die vor allem moralisch erfolgte. D.h. diese Politgeneration hat sich vor allem moralisch auf ein besser sein als ihre Familie verpflichtet. Dies betrifft sowohl die moralische Stringenz des eigenen Handelns wie die moralische Verpflichtung einzugreifen und zwar gemessen an der herrschenden gesellschaftlichen Wertung. Die Art und Weise bürgerlicher Moral wurde dabei aber nicht grundsätzlich umgestülpt sondern nur mit neuen Inhalten gefüllt. Es ging eben darum einfach alles besser und wahrhaftiger zu tun. Die jungen Grünen immaginierten sich selbst als die besseren Menschen, einfach besser als ihre Eltern. Das bedeutet auch eine mangelnde Institutionenkritik und den Glauben diese durch die eigene ‚überlegene moralische Qualität‘ ändern zu können.
Eine Kritik des autoritären Zwangscharakters des bürgerlichen Moralbegriffs fand im Politischen nicht statt, einer Moral, die in einer widersprüchlichen bürgerlichen Gesellschaft immer schon Doppelmoral ist. Denn ein widerspruchsfreies moralisches Handeln ist in ihr nur zum Preis der Selbsaufgabe (z.B. RAF) möglich, und führt selbst dann, durch die Selbstaufgabe und den mit ihr verbundenen Fanatismus, zu Widersprüchen. D.h. die Politgeneration der Grünen hat sich sowohl zum eingreifenden Mitmachen in der Gesellschaft verpflichtet und dazu dies widerspruchfrei, moralisch einwandfrei, zu tun. Dies mußte zu einem Umkippen der Moral führen, d.h. zu ihrer Anpassung an die herrschenden Verhältnisse. Nur so konnte der zwanghafte Moralbegriff mit der zwanghaften Fixierung auf etablierte Politik in Übereinstimmung gebracht werden. Nur so konnten sie ihre besseren eigenen Eltern werden. Letztendlich haben sie dadurch aber die TäterInnenschaft reproduziert.
Ich will dies am Beispiel des Kosovokrieges ausführen. Der moralische Handlungsimperativ unter den sich diese Generation gestellt hatte erforderte ein Eingreifen und zwar im gesellschaftlich als relevant anerkannten Rahmen, also nicht im Rahmen z.B. der Friedensbewegung, sondern im staatlichen Rahmen. Gleichzeitig mußte das Handeln gut sein, egal welche Fakten dagegen sprechen. Die Fakten wurden also ausgeblendet und eine humanistische Fassade aufgebaut, die unter allen Umständen aufrecht erhalten wird. Gerade die aus ihrer Abgrenzung von den Mütter/Väter/TäterInnen entstandene Reproduktion der TäterInnenschaft der Elterngeneration darf auf keinen Fall benannt werden. Stoltenberg oder Rühe hatten diese Probleme nicht, sie haben die Interessen der Militarisierung klar formuliert und waren damit auch angreifbar. Von der rotgrünen Regierung wird jegliche politische Auseinandersetzung verunmöglicht.
Am ehesten ist diese politische Fassade vielleicht noch vergleichbar mit Familien in denen Kinder mißbraucht werden, alle wissen es und doch will es keine/r wahr haben. Es wäre also zumindest zum Teil gerade die moralische Stringenz dieser Politgeneration die zur Doppelmoral führt. Ein Faktum, das es um so schwieriger macht, denn ihre Stringenz haben sie ja bewahrt, wenn auch auf Kosten ihrer Wahrhaftigkeit. Dafür sind sie aber eben jetzt ihre ‚besseren‘ eigenen Eltern geworden. D.h. sie belügen sich selbst.
Die Konsequenz wäre, zu begreifen, dass es nicht immer eine Möglichkeit des direkten Eingreifens gegenüber politischen Verbrechen bestehen und dass ein politisches Handeln die Grenzen dieser Gesellschaft überschreiten muß, um wirksam zu werden. Die Ziele den Gegebenheiten anzupassen um Widersprüche zu vermeiden führt letztendlich zur Reproduktion schlechter Verhältnisse.
Ich stelle dies zur Diskussion und würde mich über weitere Beiträge freuen.