anti-akw

Die Ereignisse in Philippsburg

Mehr als ein gelungener Probelauf in Sachen Castor

| Jochen Stay

Mitte Oktober war Castor-Alarm. Aus dem AKW Philippsburg sollte am 18.10. ein Atommüll-Zug nach La Hague fahren und die Anti- AKW- Bewegung mobilisierte in das badische Städtchen. Daß der Transport am Ende doch nicht fuhr, machte das Ganze zu einem gelungenen Probelauf für die AktivistInnen. Doch es war noch mehr...

Dies ist ein stark persönlich gefärbter Beitrag, weil ich über vieles keinen vollständigen Überblick habe. Trotzdem ist es mir wichtig, eine Bewertung zu versuchen, damit bei den bereits laufenden Diskussionen vielleicht der ein oder andere Aspekt Beachtung findet.

Was ist passiert?

Schon Anfang September kristallisierte sich heraus, daß es Mitte bis Ende Oktober aus Philippsburg den ersten Castor- Transport seit dem Transportstopp von 1998 geben soll. Entsprechend setzte bundesweit die Mobilisierung ein. Am 22.9., einen Tag vor der großen Gorleben-Demo, genehmigte das Bundesamt für Strahlenschutz acht Transporte aus Philippsburg, Stade und Biblis zur WAA La Hague. Lange sah es so aus, als ob der Atommüllzug aus Philippsburg am 23.10. losfahren würde. Doch kurzfristig haben wir mitbekommen, daß der Tag X bereits am 18.10. sein soll.

Entsprechend wurde der bereits für das Wochenende davor angesetzte Sonntagsspaziergang zur Auftaktdemonstration erklärt und die Leute aufgefordert, danach gleich in der Region zu bleiben. Am 15.10. beteiligten sich zwischen 1.500 bis 2.000 Leute an der Demo direkt bis zum Schienentor des AKW auf der Rheinschanzinsel.

Nach der offiziellen Auflösung durch den Anmelder berieten das Deli-Plenum der unterschiedlichen Anti-AKW- Gruppen und der SprecherInnenrat von „X-tausendmal quer“ über die Situation.

Schließlich entschied das Deliplenum, den Platz vor dem Tor zu verlassen und auf ein anderes Schienenstück vorzudringen. Dies gelang nur bis zu einer Polizeisperre am Rande der Insel. Später entschieden sich auch die Bezugsgruppen der „X-tausendmal quer“-Struktur zu einer räumlichen Verlagerung auf das parallel zur Straße verlaufende Schienenstück. Nachdem immer mehr Leute sich auf den Heimweg machen mußten, blieben in den zwei Gruppen auf dem Gleis etwa 200 Menschen übrig. Als die Polizei erklärte, diese in Gewahrsam nehmen zu wollen, entschieden sich alle, die Blockade nicht weiter aufrechtzuerhalten. Am Abend wurde in Rheinhausen-Oberhausen, drei Kilometer vom AKW entfernt, auf einer Wiese ein Camp errichtet, in dem alle übernachteten.

Am Montag, dem 16.10. wurde einerseits auf dem Camp in einem gemeinsamen Plenum über das weitere Vorgehen beraten, andererseits verstärkten Landkreis und Polizei ihren DruZuerst wurden immer neue ordnungsrechtliche Auflagen gemacht (Autos runter von der Wiese, Abwasseranschluß muß her etc.), später dann aber ganz konkret die Räumung vorbereitet. Dabei wurde u.a. die Eigentümerin der Wiese massiv unter Druck gesetzt. Schließlich forderte die Polizei dreimal auf und etwas mehr als die Hälfte der Aktiven verließ das Campgelände. Alle Zelte wurden abgebaut. Ein Teil der Leute blieb auf der Fläche und war bereit sich in Gewahrsam nehmen zu lassen. Doch die Polizei räumte nicht, beschlagnahmte aber die Fahrzeuge und das Material der Küchengruppen aus Freiburg und aus den Niederlanden.

So gab es in der zweiten Nacht zwei Open-Air-Übernachtungsorte: die Campfläche und der Kirchplatz von Rheinsheim, auf den die andere Gruppe gezogen war, weil dort eine Mahnwache angemeldet war. Am Abend kristallisierte sich heraus, daß der geplante Transporttermin 18.10. nicht zu halten war. Entsprechend wurde bundesweit verbreitet, daß sich nur noch diejenigen auf den Weg nach Philippsburg machen sollten, die genügend Zeit haben und dann am wirklichen Tag X nochmal kommen können. Die Infotelefone standen Tag und Nacht nicht still und es gab unzählige große und kleine Gruppen, die in den Startlöchern waren. Am Dienstag, den 17.10. war ein Tag der Beratung, der Planung und der Aktion. Die Leute aus Oberhausen-Rheinhausen zogen um auf den Marktplatz Philippsburg. Am Stichgleis zum AKW kam es zu mehreren Aktionen, u.a. wurde etwas Schotter entfernt. Sechs Personen wurden festgenommen. Das angemietete Materiallager von „X-tausendmal quer“ konnte nicht mehr ohne polizeiliche Durchsuchung verlassen werden. Alles Material, was zum Aufbau eines Camps geeignet ist, wurde bei versuchtem Abtransport beschlagnahmt, u.a. auch private Kleinzelte. Ein Megaphon wurde mit der schriftlichen Begründung beschlagnahmt, daß es zur Durchführung einer Demonstration geeignet sei. Inzwischen erfuhren die Leute auf den Mahnwachen in Philippsburg und Rheinsheim direkte Solidarität. Sie wurden ganz toll von der Bevölkerung mit Essen versorgt. Gegen Abend begann einerseits der Zustrom von AktivistInnen aus dem ganzen Bundesgebiet, andererseits erhöhte auch die Polizei ihre Präsenz und richtete mehrere Kontrollstellen ein. Am Mittwoch, den 18.10. waren ca. 500 AtomkraftgegnerInnen rund um Philippsburg aktiv. Sie agierten in zwei großen und mehreren kleinen Gruppen. Schon morgens um 6.30 Uhr wurde der AKW-Schichtwechsel um eineinhalb Stunden aufgehalten. Später wurde die Straße zwischen Philippsburg und Rheinsheim blockiert und von der Polizei geräumt. Schließlich fand eine weitere Blockade der AKW-Zufahrt statt. Hier kam es zu etwa 130 Ingewahrsamnahmen. Um 12 Uhr gab es eine „vorläufige“ Abschlußkundgebung auf dem Marktplatz Philippsburg und danach eine Demo zur ehemaligen Bundeswehrkaserne, der Gefangenensammelstelle. Dort vor dem Tor gab es dann nochmal ein längeres Hin- und Her mit der Polizei, doch schließlich konnten die Leute raus. Sie waren in bester Stimmung, weil sie die Zeit in der Kaserne sinnvoll gestalten konnten. Die meisten AktivistInnen fuhren abends nach Hause, allerdings mit der Klarheit, wiederzukommen, wenn wieder ein Transport droht. Am Donnerstag, den 19.10. durchsuchte die Polizei die von „X-tausendmal quer“ genutzte Lagerhalle und beschlagnahmte das meiste Material. Dieses und die beschlagnahmten Küchen wurden erst Mitte November wieder herausgegeben.

Bewertung der Mobilisierung

Vereinzelt waren während und nach den Tagen in Philippsburg Stimmen zu hören, die sich enttäuscht zeigten, daß statt der X-tausend angekündigten QuerstellerInnen nur 1.500 bis 2.000 am Sonntag zur Demo und 500 am Mittwoch dabei waren.

Meiner Ansicht nach muß dabei aber gesehen werden, daß die Infotelefone überquollen mit hunderten von Anrufen von Leuten und Gruppen, die in den Startlöchern waren, sich aber nicht auf den Weg machten, weil eben doch kein Tag X war. Alleine beim Verdener Infotelefon haben in der „heißen Phase“ GruppenvertreterInnen von etwa 2.000 bis 3.000 Leuten angerufen. Sogesehen sehe ich für ein nächstes Mal – was ja sehr bald sein kann – nicht schwarz. Vor allem auch weil diejenigen, die diesmal vor Ort waren, sicher hochmotiviert sind, zu Hause weiter die Werbetrommel zu rühren.

Allerdings muß ich bei dieser positiven Bewertung eine Einschränkung machen: Ich hatte nicht erwartet, daß die Fixierung auf den Tag X selbst so hoch ist. Ich hatte damit gerechnet, daß mehr Leute sich schon im Vorfeld an Aktionen beteiligen, um den politischen Druck zu erhöhen. Aber auch hier gibt es natürlich gute Gründe: So hatten viele auf die Woche ab dem 23.10. geplant und konnten das kurzfristig nicht mehr umschmeißen. Jedenfalls auch auf diesem Wege nochmal der Appell an alle, sich nächstes Mal so rechtzeitig wie möglich auf den Weg zu machen. Schließlich haben wir es mit einem Abfahrts-AKW zu tun. Das unterscheidet unsere Vorgehensweise deutlich von Gorleben- und Ahaus-Transporten, bei denen es notfalls auch noch möglich war, loszufahren, wenn der Transport schon unterwegs war. Und noch etwas: Manche, so hört mensch, haben daran gezweifelt, ob der 18.10. wirklich als Transporttermin vorgesehen war. Doch unsere Informationslage war eindeutig. Und wenn selbst die Schulen in der Region für den 18.10. Unterrichtsausfall vorgesehen hatten, dann sagt das doch alles, oder?

Bewertung der eigenen Strukturen

Sehr gemischt, würde ich sagen. Oder auch: Nett, daß die Bewegung diesen „Probelauf“ hatte. Wir haben irre viel gelernt. Teile der vorbereiteten Sachen haben sehr gut funktioniert, z.B. die Infrastruktur, anderes ist verbesserungswürdig. Ich will mich hier nicht im Detail auslassen, da zuerst die Beteiligten eine gemeinsame Auswertung machen sollten und ich auch gar nicht den Überblick über alles habe.

Bei der Kampagne „X-tausendmal quer“ entsteht eine spezielle Situation dadurch, daß es einerseits eine Gruppe von Menschen gibt, die sich im Vorfeld viele Gedanken über das Gelingen des Ganzen gemacht haben und die in der Aktionsphase auch teilweise eher im Hintergrund arbeiten (z.B. um die AktionsteilnehmerInnen mit allem Nötigen zu versorgen) und eben andererseits die Aktionsgruppen selbst, die in ihrem basisdemokratischen Diskussionsprozeß eine ganz eigene Dynamik haben. Ob dabei die Rolle der „OrganisatorInnen“ eher als hilfreich oder eher als hinderlich für das selbstbestimmte Handeln empfunden wurde, ist mir nicht ganz klar. Wahrscheinlich teils teils. Jedenfalls ein interessanter Bereich für Auswertung und Weiterentwicklung.

Bewertung der Entwicklung der Bezugsgruppen von „X-tausendmal quer“

Gerade hier war es echt wertvoll, mehrere Tage „üben“ zu können. So wurde aus einem anfänglich recht inhomogenen und eher „ängstlichen“ Haufen eine gut funktionierende und mutige Aktionsgruppe, so zumindest meine subjektive Wahrnehmung. Daraus gelernt habe ich, daß es sichtbar ist, daß es in den letzten zwei Jahren im Anti-AKW-Bereich wenig gewaltfreie Aktionen Zivilen Ungehorsams gab und deshalb die aktuelle Aktionserfahrung nicht besonders ausgeprägt ist. Also auch dafür war Philippsburg wichtig. Falls bis zum Transporttermin genügend Zeit bleibt – was sich im Augenblick schwer sagen läßt – dann empfiehlt es sich wirklich, daß möglichst viele Gruppen noch an einem Training in gewaltfreier Aktion teilnehmen.

Bewertung der Zusammenarbeit der verschiedenen Teile der Anti- Atom-Bewegung

Ich fand es sehr gelungen – mit den üblichen kleinen Reibereien zwischendurch. Ab und zu kommen halt „alte Geschichten“ wieder hoch, aber ich denke, zwischen denjenigen, die wirklich aktiv zusammengearbeitet haben, hat es im Großen und Ganzen sehr gut geklappt.

Es ist eben wichtig, daß die verschiedenen Ansätze ihren jeweiligen Freiraum haben, dann klappt es schon.

Bewertung des Vorgehens der Polizei

Da wurde eine gewisse Doppelstrategie versucht. Nach außen immer freundlich und verbindlich und gleichzeitig massive Einschränkung der Infrastruktur, weit über das rechtlich zulässige hinaus. Die juristische Auseinandersetzung darüber läuft, denn es geht letztendlich um die Frage, ob es auch in Baden-Württemberg ein Grundrecht auf Versammlungsfreiheit gibt.

Es bleibt zu hoffen, daß diejenigen, die mit Empörung zur Kenntnis nehmen mußten, wie die Polizei vorgeht, sich auch zukünftig in die Diskussion einmischen werden, so daß es die Polizei nicht immer so einfach hat, massive Einschränkungen der Grundrechte durchzusetzen.

Bewertung der Situation vor Ort

Da hat sich echt was getan. Wie sind wir doch vorher gewarnt worden, daß in und um Philippsburg alle für das AKW seien und wir es ganz schwer haben würden. Und tatsächlich haben ja beispielsweise die Bürgermeister aus der Region im Vorfeld öffentlich dazu aufgerufen, uns keinesfalls zu unterstützen.

Jugendliche wurden in der Schule gewarnt, auf Demonstrationen zu gehen, weil sie das eine Lehrstelle kosten könnte. Einzelne, die uns doch unterstützen wurden massiv unter Druck gesetzt etc. Das ist die eine Seite. Doch durch die Strategie der Polizei, uns unserer Infrastruktur zu berauben, hat sich die Stimmung in einem Teil der Bevölkerung gedreht. Entscheidend war dabei aus meiner Sicht die Klohäuschen-Frage. Da gingen gleich zwei Vorurteile zu Bruch.

Zuerst gingen viele Einheimische davon aus, wir wären ungewaschene Chaoten, die alles kaputtmachen und überall ihren Dreck hinterlassen. So war die Überraschung entsprechend groß, als bekannt wurde, daß wir eine ganze Menge Klohäuschen mitgebracht hatten, um Rabatte und Vorgärten vor unseren Entsorgungsproblemen zu schützen. Zweite Überraschung war dann aber, als der Landkreis und die Bürgermeister verboten, diese Klohäuschen aufzustellen.

Auch die Beschlagnahmung der Küche haben viele nicht verstanden. Am Ende bekamen wir so viele Essenspenden aus der Bevölkerung, daß wir nicht mehr alles aufessen konnten.

Es ergab sich folgende Grundregel: Egal, was die Polizei bei uns beschlagnahmt, wir bekommen es in doppelter Menge aus der Bevölkerung wieder. Wer hätte dies vorher gedacht?

Dies alles wäre sicher nicht möglich gewesen, wären wir die ganze Zeit auf einem funktionierenden Camp irgendwo auf der grünen Wiese mit Großküche, Klohäuschen und aller Infrastruktur gewesen.

Erst unsere Notsituation und die räumliche Verlagerung auf die Marktplätze hat den direkten Kontakt uns die Solidarität ermöglicht.

Wir haben unzählige neue Kontakte zu sehr engagierten Leuten aus Philippsburg und Umgebung knüpfen können und sehen für das nächste Mal gute Chancen, daß wir mit diesen netten Menschen an einem Strang ziehen können.

Übrigens: Inzwischen hat sich vor Ort eine neue Anti-AKW-Bürgerinitiative gegründet.

Fazit

Die Tage zwischen dem 15. und 18. Oktober waren einerseits für alle Seiten ein Probelauf für den Tag X. Andererseits hat in diesen Tagen auch politisch bedeutsames stattgefunden, dessen Auswirkungen nicht zu unterschätzen sind. Mir ist es nicht bange vor dem wirklichen Tag X. Ich bin zu der Überzeugung gekommen, daß wir den Betreibern in Philippsburg noch eine Menge Schwierigkeiten machen können.