bücher

Afrikanischer Feminismus

| Johanna Hellkerns

Susan Arndt: Feminismus im Widerstreit. Afrikanischer Feminismus in Gesellschaft und Literatur, Unrast-Verlag, Münster 2000, 205 S., 24,80 DM.

Susan Arndt, geb. 1967, studierte Germanistik, Anglistik sowie Afrikawissenschaften in Berlin und London, verbunden mit Forschungsaufenthalten in Oxford. Sie promovierte 1997 mit einer Arbeit zur nigerianischen Literatur. Gegenwärtig wirkt sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Seminar für Afrikawissenschaften der Humboldt-Universität Berlin und arbeitet an ihrer Habilitationsschrift zur afrikanischen Literatur. Ihre Intention der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit feministischen Standpunkten sowie Bewegungen hat ihren Ursprung im autobiographischen Erlebnisfeld. Sie selbst (sagt) dazu: „Es schlug zu Buche, dass ich in der Gesellschaft und bis hin zu Freunden und Bekannten feststellen musste, dass trotz zumeist großer aufklärerischer Gesten eine gleichberechtigte Partnerschaft, die wirklich in allen Lebenslagen und im Alltag auf dem Prinzip der Gleichberechtigung beruht, auch in der deutschen Gesellschaft noch längst keine Regel darstellt.“ (S. 9) Aufgewachsen in der ehemaligen DDR, erlebte Susan Arndt eine Art gesellschaftliche Gleichstellung der Frauen, zumindest in ökonomischer Hinsicht: im Unterschied zur BRD gingen mehr als 90 Prozent der Frauen arbeiten (einschliesslich Lehrlinge und Studentinnen). „Während sie dadurch also im offiziellen Raum einen festen und gewichtigen Platz innehatten, bestand der Nachteil darin, dass sie einer Doppelbelastung als Mutter und Hausfrau einerseits und im Berufsleben andererseits ausgesetzt waren, (…) während führende Positionen in Politik, Kultur und Wissenschaft vor allem von Männern vertreten wurden.“ (S. 11) Offiziell war es verboten, sich als Feministin zu bezeichnen. „Auch wenn der Feminismus in der Bevölkerung letztlich dennoch nicht wesentlich unbekannter war als in anderen europäischen Ländern, begegneten ihm viele Menschen in der DDR – und auch hier manifestiert sich eine Parallele zu anderen Teilen der Welt – mit Vorbehalten.“ (S. 11) Diese Vorbehalte beruhen oftmals auf fälschlich verstandenen radikalfeministischen Positionen. Es hängt vor allem mit der Existenz stereotypischer Vorstellungen vom Feminismus zusammen. Viele reduzieren diesen in einem plakativen Sinn auf „Männerhass und lesbische Liebe.“ (S. 11)

Susan Arndt gründete eine Familie und lebt in einer, wie sie betont, gleichberechtigt-erfüllten Partnerschaft mit einem Mann, für den „Gleichberechtigung tatsächlich Normalität ist.“ (S. 11) Sie ist jedoch keine Protagonistin heterasexueller Beziehungsmuster. Sie erweist sich als eine sensible und zugleich um Klarheiten bemühte Kritikerin, gerade auch im Hinblick auf die Gender-Problematik und die verschiedenen traditionellen geschlechtsspezifischen Verhaltensnormen afrikanischer Gesellschaften, sowie in Bezug auf die verschiedenen Ansätze afrikanischer Feministinnen. Gleichfalls berücksichtigt sie das Phänomen der Tabuisierung lesbischer Liebe und thematisiert deren offene Entfaltungsmöglichkeiten.

„Ich bin keine Feministin, aber keine Feministin bin ich auch nicht.“ (S. 21)

Diese ambivalente Aussage ist charakteristisch für die Feminismus-Debatte in afrikanischen Ländern. Augenscheinlich zeigen sich hierbei Parallelen zu bestimmten Infragestellungen feministischer Bestrebungen in europäischen Ländern. Z.B. fühlten sich ostdeutsche Feministinnen in und nach der „Umbruchphase von 1989/90“ (S. 12) von westdeutschen Feministinnen überschwemmt, ja am eigenen Selbstfindungsprozess gehindert. „Die Folge war, dass viele von ihnen sich dagegen sperrten, als Feministinnen bezeichnet zu werden, während sie gleichzeitig doch feministisch dachten.“ (S. 13)

Inwiefern zeigt diese eher widersprüchliche Position Parallelen zu afrikanischen feministischen Standpunkten? Tatsache ist, dass „viele afrikanische Feministinnen, die die bestehenden Geschlechterverhältnisse kritisch beleuchten, dem patronisierenden Verhalten vieler Weisser Feministinnen gegenüber Afrikanerinnen, das sich mit einer Ignoranz gegenüber afrikanischen Besonderheiten paart, reserviert gegenüberstehen.“ (S. 13, die Großschreibung „Schwarz“ und „Weiss“ verweist auf sozialpolitische Identitäten im Gegensatz zu biologischen Merkmalen) Hinzu kommt die Erschwernis, dass den feministischen Bestrebungen in afrikanischen Ländern „mit sehr viel Vorbehalten begegnet wird“ (S. 21), bis hin zu ausdrücklichen Ressentiments. Die nigerianische Schriftstellerin Akachi Adimra-Ezeigbo bemerkte dazu: „Trotz seiner noblen Ziele wird der Feminismus oftmals missverstanden. Einige Menschen meinen, der Feminismus schwöre Visionen von aggressiven Frauen herauf, die versuchen wie Männer zu sein und grundlegende weibliche Attribute aufgeben.“ (S. 21) Doch gerade auch die autonom entwickelten transformatorischen, radikalfeministischen afrikanischen Konzepte rütteln vehement an den fest verankerten patriarchalisch-hierarchischen Strukturen afrikanischer Gesellschaften. Insbesondere die Privilegien der Männer sind dadurch angegriffen. Und afrikanische Frauen finden es in der Regel bedrohlich, „das Gewohnte zu verlieren“ (S. 22) – das, was sie als ‚Normalität‘ kennen.

Frauenfeindliche afrikanische Institutionen

Eindeutig frauenfeindliche Institutionen wie die genitale Beschneidung, das ‚Leviat‘, d.h. die Zwangsehe ohne Scheidungsrechte der Frauen (die hinterbliebene Frau wird mit ihrem ehemaligen Schwager zwangsverheiratet, damit sie ‚versorgt‘ ist), die Zahlung eines Brautpreises, die Polygynie sind bis heute in afrikanischen Gesellschaften tief verwurzelt. „Auch wenn in vielen Ländern Afrikas versucht wird, diesen patriarchalischen Strukturen Einhalt zu gebieten“ (S. 24), durch Regierungspolitik oder basisorientierte Kampagnen, beispielsweise hinsichtlich der genitalen Beschneidung von Mädchen und Frauen, sind feministisch-transformatorische Konzepte, die auf eine tatsächlich befreite Lebenssituation der Frauen zielen, in großem Maße der Verhöhnung sowie auch der politischen Verfolgung ausgesetzt. Angesichts dieser Situation wird deutlich, dass der Feminismus in Afrika nicht einzig und allein auf afrikanische Wurzeln zurück gehen kann – eine Position, die unter afrikanischen und auch afroamerikanischen Feministinnen heftig umstritten ist. Bei der Behauptung, dass der Feminismus nur auf afrikanische Wurzeln gründen solle, wird „die katalytische Funktion des Weissen westlichen Feminismus auf den afrikanischen völlig ausser Acht gelassen.“ (S. 25) Im Gegensatz dazu, so kontern Kritikerinnen, seien feministisch orientierte Afrikanerinnen nicht mehr als willenlose Nachahmerinnen des Weissen westlichen Feminismus. Gegen diese Unterstellung wehrte sich etwa eine der bekanntesten afrikanischen Schriftstellerinnen, Ama Ato Aidoo aus Ghana, die bereits seit den 50er Jahren afrikanisch-feministische Literatur publizierte: „Wir hören ständig, dass der Feminismus eine Sache sei, die nach Afrika importiert wurde, um die positiven Beziehungen zwischen afrikanischen Frauen und Männern zu ruinieren.“ (S. 24, vgl. S. 180: diese Position wird vertreten in Acholonu: Motherism, S. 79-85, und vorgestellt und kritisiert in Ogunyemi: Women and Nigerian Literature, S. 65) Der Katalog der Vorwürfe verschärfe sich bis hin zu der Behauptung, afrikanische Feministinnen seien vornehmlich Opfer der Kolonisierung des Denkens und des Bewusstseins, sie seien ignorant gegenüber ihrer afrikanischen Identität und Geschichte. In diesem Schussfeld der Ressentiments, der sexistischen und ideologischen Angriffe, ringen afrikanische Feministinnen um ihre autonomen Wege und Positionen. Dabei ignorieren sie keineswegs ihre eigenen sozio-kulturellen Wurzeln. Aufgrund ihrer Disposition mit selbst erlebten Unrechtssituationen sowie ihrer Kenntnis der jeweiligen kulturellen Lebensform, in die sie hinein geboren wurden, zeigen gerade die Dichterinnen und Literatinnen unter ihnen meist herausfordernde und eigenständige Wege der Befreiung auf. Wie sie sich auch in der Regel kritisch mit den kulturell- politischen und religiösen Hintergründen und Normen ihrer Herkunftsländer auseinandersetzen, so insistieren sie zurecht darauf, dass „afrikanische Traditionen“ nicht plakativ auf Beschneidung oder Polygynie reduziert werden.

Tripple Oppression?

Zwei Positionen schälen sich aus den Diskussionen über die Veränderung der Geschlechterverhältnisse heraus. Die Literatinnen und die politischen Aktivistinnen (S. 24, vgl. S. 180, z.B. Amadiume: Male Daughters, Female Husbands) konzentrieren sich in der Regel auf die Infragestellung der Gender-Dispositionen. Dagegen beziehen besonders die marxistisch beeinflussten Vertreterinnen die gleichzeitige Veränderung aller gesellschaftlichen Strukturen mit ein. Vor allem die „Tripple Oppression“, ein zumeist von marxistisch geprägten afroamerikanischen Feministinnen entwickelter Ansatz (z.B. Angela Davis: Woman, Race & Class, oder: Afro-American Women – Social Conditions), bildet dabei den Kern der Diskussionen. Die Theorie der „Dreieinigkeit von race, ökonomischer Status und Geschlecht“ steht hierbei als Basiskonstrukt für die Intention einer gesellschaftlichen Radikalerneuerung, welche die Abschaffung der patriarchalen Ordnung in enger Verbindung mit der Aufhebung rassistisch motivierter Unterdrückung sowie des ökonomischen Gefälles anstrebt. Afrikanische Feministinnen kritisieren an diesem Konzept, dass es für afrikanische Verhältnisse zu kurz greife. Ausserdem seien diese marxistisch-theoretischen Konzepte keineswegs Bestandteil tatsächlicher Tagespolitik. Obwohl afrikanische Feministinnen in der Regel Repräsentantinnen der sozialen Mittelschicht sind, setzen sie sich zumeist mit den Befreiungsmöglichkeiten derjenigen auseinander, welche von sozialen Aufstiegschancen ausgegrenzt bleiben. Selbst aufgewachsen und in Ländern lebend, „die tiefe Narben kolonialer Willkür, neokolonialistischer Militärdiktaturen, von Armut, Hunger und Kriegen tragen, und die sich gegen westliche Kulturdominanz zu behaupten versuchen“ (S. 26), befinden sie sich in der Situation, sich von Weissen westlichen Bestrebungen abgrenzen zu müssen. Oft fühlen sie sich von kulturimperialistischen Bestrebungen überrollt.

Das Verhältnis zum westlichen Feminismus

„Weissen westlichen Feministinnen wird vorgehalten, dass sie entweder nicht über den Tellerrand ihrer eigenen Gesellschaft hinausschauen und folglich die spezifischen Probleme afrikanischer Frauen ignorieren oder marginalisieren“ (S. 27, vgl. S. 180: Kolawole: Womanism and African Consciousness) oder dass sie – und das trifft besonders die radikalen und marxistischen Feministinnen – gar zu voreilig „im Namen aller Frauen“ (S. 27) sprechen, ohne präziser über die Situation und Probleme von Frauen in afrikanischen Ländern informiert zu sein. Das konstruktiv-kritische Verhältnis afrikanischer Feministinnen zu den westlichen Bewegungen charakterisierte die Literatin Ama Ato Aidoo folgendermaßen: Die westliche Frauenbewegung hat „definitiv unsere Überzeugung bekräftigt, dass es notwendig ist, die Entwicklung von Frauen in jeder uns möglichen Form voranzutreiben. Aber man darf sich das nicht so vorstellen, dass jemand morgens aufwachte und feststellte, dass über die Entwicklung von Frauen gesprochen wird und man auf diesen Zug aufspringen sollte – nein. Was passierte war, dass der eigene Glaube und die eigene Überzeugung bestätigt wurden. Bei uns sagt man, wenn Du eine Trommel nimmst, um auf ihr zu spielen, und niemand einstimmt, machst Du Dich lächerlich. Die von der Frauenbewegung dargebotene Hilfe ist mit den Menschen vergleichbar, die die Trommel nehmen und mit Dir spielen.“ (S. 25, Aidoo in Nfah-Abbeny: Gender in African Women’s Writing)

In der Position der Abgrenzung zur übergestülpten westlich-feministischen Einmischung insistieren afrikanische Feministinnen darauf, dass die Frauen der „Dritten Welt“ autonom-gleichberechtigt an Definition und Konzipierung „des Feminismus“ beteiligt werden. Keineswegs dürfe es dabei jedoch um die Veränderung blosser Begriffe gehen. Sie plädieren für das Verständnis eines differenzierten Ansatzes, welcher der Heterogenität der Bedürfnisse sowie der Gegebenheiten afrikanischer Gesellschaften Rechnung trägt. Die Suche nach einem geschlossenen Ismus – auf Afrika bezogen – empfinden sie dabei als wenig hilfreich, weil ein solches Konstrukt nicht dazu führe, konkrete Handlungsspielräume aufzuzeigen sowie Perspektiven zu eröffnen, die einem Prozess der Überwindung von Diskriminierung gleichkämen.

Afrikanisch-feministische Literatur

Aufgrund der vielen Missverständnisse, besonders mit dem Begriff Feminismus und den Phänomenen antifeministischer Ressentiments, entwickelten Afrikanerinnen explizit eigene Alternativkonzepte. Ein zeitgeschichtlicher Kontext dieser Entwicklung lässt sich dabei am deutlichsten anhand der Entwicklung der afrikanisch-feministischen Literatur herausstellen, weil speziell diese Schriftstellerinnen die psycho-sozialen Umstände hinsichtlich der Transformation der Geschlechterverhältnisse in ihren Romanen und Erzählungen thematisieren. Die Pionierinnen der afrikanischen Literatur (Ifeoma Okoye, Flora Nwapa, Grace Okots, Sindiwe Magonna u.a.), in den 1920-30er Jahren geboren, vertreten vorrangig reformerische Konzepte. Sie begannen in der großen Zeit des Umbruchs, der Zeit der Unabhängigkeitsbewegungen, mit ihren Publikationen. Die zweite Autorinnen-Generation (Akachi Aimora-Ezeigbo, Buchi Emecheta, Mariama Bâ, Bessie Head u.a.) wurde in der Spätphase des Kolonialismus, den 1940-50er Jahren, geboren. Ihre seit 1970 publizierten Texte behandeln vor allem transformatorische Konzepte. Bei dieser zweiten Gruppierung, die als die quantitativ stärkste gilt, wird besonders deutlich, dass die Grenzen der Zuordnung fliessend sind, denn vereinzelt publizierten sie auch reformerische oder radikalfeministische Literatur. Explizit radikalfeministische Literatur publizierten die Autorinnen der dritten Generation (Pat Nugurkie, Calixthe Beyala, Nawal El Saadawi u.a.), die nach 1960 geboren wurden. Sie betraten die literarische Szene Ende der 1980er Jahre, nach dem die meisten Länder Afrikas ihre sogenannte Unabhängigkeit erreicht hatten. (S. 65-74)

Hinsichtlich der Frage, ob es Hoffnung auf Veränderungen bei Männern oder Möglichkeiten der Transformierung explizit patriarchaler Lebensweisen gibt, schliessen radikalfeministische Ansätze tendenziell die Hoffnung auf Veränderung bei Männern aus, während eine Vielzahl afrikanisch-feministischer Autorinnen, besonders die Vertreterinnen transformatorischer Ansätze das Prinzip der Komplementarität (gegenseitige Ergänzung) zwischen Frauen und Männern betonen. Wobei sie die Rolle der Veränderung primär den Frauen zusprechen.

Bei allen afrikanisch-feministischen Ansätzen ist die kritische Einstellung gegenüber den westlich-feministischen Konzepten zu beachten. Afrikanische Feministinnen wollen sich nicht einfach in eine vereinnehmende und einheitliche Kategorie „Feminismus“ einsortieren lassen. Zurecht insistieren sie auf ihren eigenen, aus dem jeweiligen sozio-kulturellen Kontext heraus entwickelten Ansätzen. Diese tendenziell abgrenzende, aber zugleich dynamisch-innovative, offene Position gegenüber dem Feminismus charakterisierte z.B. die nigerianische Schriftstellerin Flora Nwapa, als sie 1992 an einer Frauenkonferenz in Nsukka/Japan teilnahm, mit den Worten: „Als ich vor Jahren durch Nordamerika und Europa tourte, wurde ich oft gefragt, ‚Sind Sie eine Feministin?‘ Ich leugnete, eine Feministin zu sein. (…) Sie aber sagten, ‚All Ihre Texte, alles ist doch über Feminismus.‘ Und ich sagte, ‚Nein, ich bin keine Feministin.‘ (…) Nachdem ich nun (…) Ama (Ato Aidoo, d.A.) gehört habe, werde ich wohl hinausgehen und sagen, dass ich eine Feministin mit einem grossen ‚F‘ bin, weil es beim Feminismus um Möglichkeiten geht; es gibt Optionen. Lasst uns nicht davor zurückschrecken zu sagen, dass wir Feministinnen sind. Wir brauchen einander. Wir brauchen einander sehr. Weltweit brauchen wir einander.“ (S. 15f)

Anmerkungen

In der nächsten GWR erscheint ein weiterer Beitrag zur afrikanisch-feministischen Literatur.