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Fischers faschistische Fußtritte

Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit des Außenministers ist in erster Linie 68er-Bashing

| Oskar Lubin

Eine Fotoserie aus den frühen 70er Jahren beschert dem publizistischen Genre einen arbeitsreichen Jahresbeginn. Verhandelt wird allerorten über die militante Vergangenheit des Grünen Außenministers Joseph Fischer. Auf den Fotos schlägt Fischer als Anführer einer autonomen „Putztruppe“ auf einen Polizisten ein. Auf ihrer Suche nach Indizien für eine Anklage gegen den Minister, hatte die Journalistin und Tochter Ulrike Meinhofs, Bettina Röhl, die Fotos in einer FAZ von 1973 gefunden, Fischer darauf identifiziert und dem Stern zur Verfügung gestellt. Sämtliche noch auffindbaren Ex-Spontis werden interviewt, die Worte Häuserkampf und Terrorismus haben Hochkonjunktur. Und eigentlich stellen alle fest, daß Fischer nicht trotz, sondern wegen seiner Vergangenheit ein so beliebter Spitzenpolitiker ist. Daran vermochten auch Jutta Ditfurths Schmähartikel in der Neuen Revue nichts zu ändern. Allein die falsche Antwort auf eine Frage könnte den Minister stürzen: Jungle World (3/2001) und Spiegel (2/2001) stellen sie: Hat er nur agitiert, geprügelt und Steine geschmissen, oder hat er Mollies befürwortet und geworfen? Die Frage nach den einzelnen verschiedenen Formen der Gewalt führt aber in die Irre und lenkt von Inhalten ab. Und um Inhalte geht es immer, wenn geschichtsträchtige Chiffren wie „die 68er“ in der öffentlichen Diskussion kursieren. Beispielhaft zeigt sich das daran, wie die konservative und neurechte Presse sich des Falles angenommen hat. Nicht allein die sogenannten Jugendsünden eines Ministers stehen hier zur Debatte, sondern die gesamte antiautoritäre Bewegung der späten 60er und frühen 70er Jahre. Und damit die deutsche Vergangenheit. „Genauso dreist“ wie jetzt Fischer, ist im Leitartikel der Welt (09.01.2001) zu lesen, „haben sich einst auch die Nazi-Mitläufer aus der Affäre zu ziehen versucht“. Es ginge ihm nicht um die Gleichsetzung von Taten, behauptet der Autor Johann Michael Möller, wohl aber um die „Vergleichbarkeit der Verantwortung“ dafür. Alt-68er und Nazis, moralisch gesehen unterscheiden sie sich also nicht, das steht schon in der Überschrift: „Sie wollen es nie gewesen sein“. Zu einem im Kern totalitären Angriff auf die Bundesrepublik schreibt auch Thomas Schmid in der FAZ (05.01.2001) die Bewegung um, zu der er selber früher gehörte. Die härtesten Geschütze im diskursiven Feldzug fahren immer die auf, die sich auch von einer eigenen Vergangenheit losschreiben wollen. Den Totalitarismusvorwurf konkretisiert zum Beispiel Klaus Rainer Röhl, ehemaliger konkret-Herausgeber und Vater von Bettina Röhl, indem er die Frankfurter Putztruppe „eine Art linke SA“ nennt. In der Neuen Revue (3/2001), in der auch Zitate aus Ditfurth-Artikeln wieder platziert sind, weiß der rechte Publizist zu berichten, daß die linken Hausbesetzer Antisemiten waren. Sie outeten Spekulanten mit jüdisch klingenden Namen durch Sprühereien an Häuserwänden. Aus diesen in der Tat antisemitischen und zu kritisierenden Aktionen zieht Röhl ein weiteres mal die Nazi-Parallele: „Die Methoden sind den betroffenen jüdischen Bürgern nicht unbekannt“. Fischers Fußtritte gegen den Polizisten werden zum Ausdruck der „ungezügelten Brutalität“ einer ganzen Bewegung. Das abstrakte Gerede über einen nicht näher bestimmten Begriff von Gewalt paßt hervorragend in die Strategien der konservativen und neuen Rechten. Mit den Vergleichen zur NS-Zeit wird ein weiteres Mal an der Abwicklung der deutschen Verbrechen geschrieben. Mit Hilfe der Anklage der Sponti-Militanz wird versucht, der Zahl 1968 eine neue Bedeutung zu verleihen. Diese Bedeutungsverschiebungen sind selbst Teil eines Kulturkrieges. Darin geht es u.a. darum, wie Pierre Bourdieu es einmal genannt hat, das „68er-Denken“ zu demontieren. Wer in Zukunft über ’68 redet, spricht nicht mehr über den globalen Aufbruch der Jugend, über sozialistische Utopien, gewaltfreien Widerstand, feministische Emanzipation, Aufarbeitung der NS-Geschichte, pazifistische Antikriegsaktionen, über antikolonialistische Befreiungskämpfe oder basisdemokratische Organisierung, sondern über: Gewalt.