Jeden Monat stiftet die Süd-Redaktion der Graswurzelrevolution einen Preis für eine herausragende Leistung der ideologischen Anpassung, für eine Neu-Rechtfertigung und Legitimation des Systems (deswegen: System- Apologetik). Ziel der Preisverleihung ist die Bloßstellung des Lebens der PreisträgerInnen als Büttel des Systems. Als Preis wurde in der letzten Ausgabe Thomas Manns Betrachtungen eines Unpolitischen ausgelobt, in die sich die SystemapologetikerInnen vertiefen und noch viel lernen können. Der Preis wird im Anschluss an das Erscheinen der jeweiligen GWR-Ausgabe dem Preisträger oder der Preisträgerin zugesandt. Nun ist uns beim Versuch, diesen Preis für die nächsten Monate auf Halde zu erstehen, vom Buchhandel eröffnet worden, dass die Taschenbuchausgabe von Thomas Manns Oeuvre vergriffen ist und erst nachgedruckt wird. Erstehbar sei nur die gebundene Ausgabe für 74 DM. Nun ist der Preis ein Preis, der uns Spaß machen soll, und kein Preis zur Verschleuderung unserer allseits knappen Einkünfte. Daher wird der Preis vorläufig ersetzt durch eine Taschenbuchausgabe von Henrik Ibsens Drama Stützen der Gesellschaft, in dem auf ironische Weise das lebenswichtige Apologetenhandwerk dargestellt wird, immer nur soviel zuzugeben, wie sich auf Druck der Öffentlichkeit einfach nicht mehr vermeiden lässt – auf dass die PreisträgerInnen nach Lektüre sich noch weiser als eben solche Stützen der Gesellschaft erweisen. (Red. HD)
Preisträger des Monats Februar wird Außenminister Josef Fischer für sein Stern-Interview vom 4.1.2001: „Ja, ich war militant“
Laudatio des Staatsschutzes: In schwieriger Lage, angegriffen durch eine tobsüchtige Meinhof-Verwandtschaft (Klaus- Rainer und Bettina Röhl) und die HäscherInnen des eifersüchtigen Frankfurter Politsumpfes (Ditfurth, Schmidt & diverse Waschlappen der ehemaligen Putztruppe), die ihm den Platz an der Sonne der Reputation missgönnen, den sie nur selber gerne einnehmen würden, hat sich unser Außenminister in weiser Selbsteinschätzung zu seiner Vergangenheit bekannt und sich gleichzeitig von ihr distanziert („Als ordentlicher Sponti hatte ich einen ADAC- Schutzbrief abgeschlossen. Lachen Sie nicht, so ist der deutsche Anarchist.“).
Das Mirakel seiner widerspruchsfreien Vergangenheitsbewältigung leitete er mit seiner Erfahrung eines Stuttgarter Sitzprotestes gegen den Vietnamkrieg während der 68er-Zeit ein, in der er von vorneherein klarstellte, dass gewaltfreier Widerstand auf keinen Fall eine Alternative zu den militanten Kampfformen sein kann, denen er später kurzzeitig nicht abhold war:
„Das war die Zeit, in der ich das erste Mal Bekanntschaft mit Polizeiknüppeln machte, obwohl ich damals noch völlig harmlos war.“
Gewaltfreier Widerstand, so lernen wir aus dieser erfahrungsgesättigten Aussage, ist völlig harmlos – ob er nun das britische Kolonialreich, die Segregation in den USA oder das Honecker-Regime zertrümmert hat. Und darin erkennen wir eine Verballhornungsstrategie, die die Ideologie des Militanten von damals mit uns Staatsschützern von heute so unmittelbar verbindet. Auch heute müssen wir jedem potentiellen Protestierer immer wieder den Gedanken ins Hirn brennen, gewaltfreier Widerstand möge so harmlos bleiben, wie Fischer ihn versteht, er möge als Widerstand zudem nur Symbol sein und beinhalte das einklagbare Recht (einen ADAC-Schutzbrief sozusagen, lachen Sie nicht, so ist der deutsche Gewaltlose!), dass der Staat, mit gewaltfreiem Widerstand konfrontiert, auf Polizeiknüppel verzichte. Nur dann bleiben die Leute so blöde, die Polizeieinsatzkräfte so nah herankommen zu lassen, dass sie einen SprecherInnenrat mühelos einkesseln oder eine Sitzblockade durch Knüppeleinsatz auflösen können, weil die Leute einfach nicht damit rechnen, dass die Staatsgewalt auch gegen Gewaltlose per Knüppel vorgeht – zumindest sind sie dann rechtschaffen empört. Sie werden vor allem nach dieser „Erfahrung“ – von der ihnen niemand im Vorhinein hätte erzählen können! – ganz sicher nie wieder blockieren und, so hoffen wir insgeheim: sie werden nie wieder gewaltlosen Widerstand leisten! Und damit sie auch fürderhin nicht auf diesen Gedanken kommen, wird Herr Fischer, derjenige also, der gewaltlosen Widerstand für harmlos hält, nun öffentlich dazu aufgefordert, für die Gewaltfreiheit der kommenden Widerstandsaktionen gegen die Castor-Transporte zu sorgen – sein Aufruf gilt als erfahrungsgesättigt, er weiss, wovon er spricht.
Doch unser Herr Fischer hat noch einen zweiten Punkt angesprochen, der für uns wie für jeden Militanten von ausschlaggebender Bedeutung ist:
„Ich akzeptiere, gerade aufgrund meiner eigenen Erfahrungen, Gewalt nur noch als äußerste ultima ratio – wo es um das Leben und die Freiheit geht und andere Mittel nicht mehr helfen. Ansonsten ist Gewalt extrem gefährlich, und ich lehne sie ab. (…) Es gibt manchmal sehr gute Gründe sich zu wehren. Deswegen bin ich auch nie Pazifist gewesen und werde es nie werden, weil ich den letzten Grund, für seine Freiheit und für sein Leben zu kämpfen, nie ausschließe.“
Recht so, Herr Außenminister! Gewalt nur als ultima ratio – und was das ist, definieren wir selber! Diesem Mirakel haben wir es zu verdanken, dass ein Molotow-Cocktail der Punkt, an dem unser Außenminister zurücktreten müsste, sein kann, aber die Bomben auf Jugoslawien zwar gerechtfertigte Gewalt, aber nicht „extrem gefährlich“ sind, schon gar nicht für so irrelevante Menschen wie die Serben, weil die Bomben eben „ultima ratio“ sind. Ob nun wir, die Vertreter des staatlichen Gewaltmonopols, definieren, was die ultima ratio ist, oder der Militante als Vertreter des subjektiven Gewaltmonopols: das Ergebnis mag verschieden sein, das Prinzip aber ist dasselbe. Denn auch unsere Festlegung ist eine subjektive, völlig willkürliche – wir kaschieren das nur besser als die Militanten, wir dröhnen öffentlich von Objektivität, von Rechtsstaat und all dem Quatsch, den ja wir selber nicht glauben, den uns aber jeder brave Bürger abnimmt. Und weil sich unsere Begründungen so ähnlich sind, sind wir Vertreter des Staates wie der Militanz auch „nie Pazifist gewesen“ und werden es selbstredend nie sein. Denn Pazifisten, hier von Fischer in schlauer Manier und zur Begriffsverwirrung als Synonym gebraucht für gewaltfreie Widerständler, dürfen gar nicht erst auf den Gedanken kommen, sie könnten sich mit ihren Methoden „wehren“ wollen, gar zu der Überzeugung finden, mit ihren Methoden „für Freiheit und für Leben zu kämpfen“ – wo kämen wir da hin? Wir hätten weder eine Legitimation für unseren Staat noch für unsere Militanten, die wir doch so gern bekämpfen, wenn wir sie nicht befördern…