antifaschismus

Finkelstein auf den Leim gegangen

| Alfred Schobert

Knapp zwei Wochen nach Erscheinen des Buches "Holocaust-Industrie" von Norman G. Finkelstein am 7. Februar 2001 sind laut dpa bereits 115.000 Exemplare des kruden Pamphlets verkauft worden.

Finkelstein trifft offenkundig den deutschen Publikumsgeschmack; begeistert wird aufgegriffen, dass nun endlich ein Jude sagt, was man eh schon immer über „die Juden“ gedacht hat: dass sie aus dem Holocaust Kapital schlagen. In Martin Walsers „Sonntagsrede“ klang dies an beim Stichwort „Instrumentalisierung unserer Schande zu gegenwärtigen Zwecken“.

Doch darüber hinaus verfügen Finkelsteins Thesen offenkundig auch über einen Appeal, dem sich Linke, auch – und gerade? – Linke in Deutschland nicht entziehen wollen oder können. Ein Einfallstor ist das verbreitete Unbehagen an bestimmten marktgängigen Umgangsweisen mit dem Holocaust, ein anderes der in der Linken seit 1967 (und in der deutschen Linken besonders intensiv) verbreitete Antizionismus. Darauf verweisen schon die Tatsache, dass das Buch im linken Verlag Verso (London und New York) erschienen ist und Finkelsteins Behauptungen in der „Danksagung“, Colin Robinson vom Verlag Verso habe die Idee zu diesem Buch entwickelt und Noam Chomsky habe dem Autor bei jeder Etappe der Buchentstehung hilfreich zur Seite gestanden.

Leider zeigt sich dies auch in der Graswurzelrevolution (Nr. 253 vom November 2000), wenn sich Theodor Webin in bester Absicht im Rahmen seiner Kritik am Film „X-Men“ positiv auf Finkelstein bezieht. Webin geißelt, dass hier der „Holocaust als Teil einer Fantasy-Welt“ behandelt werde, sieht also in „X-Men“ „Ausverkauf, im wahrsten Sinne des Wortes“. Etwas leichtfertig bemerkt Webin, es sei „in der Linken […] zur Zeit mal wieder ‚hipp‘, immer und überall Antisemitismus zu entdecken“. Immerhin räumt er ein, man könne „nicht vorsichtig genug sein bei diesem Thema“. Tatsächlich besteht innerhalb des gesamtgesellschaftlich kaum bedeutenden linken Diskurses die Gefahr einer Inflationierung des Antisemitismus-Vorwurfes. Entsprechend ist auch bei der vorliegenden Kritik Vorsicht geboten; deshalb sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es keineswegs darum geht, den Autor Webin als Antisemiten zu outen. Auch geht es nicht darum, seinen Text als antisemitisch zu kritisieren. Wohl aber geht es darum, auf eine merkwürdige Verzerrung und auf signifikante Ungenauigkeiten in seiner Argumentation hinzuweisen. Denn diese verweisen exemplarisch auf einen Punkt, wo Linke Gefahr laufen, Finkelstein auf den Leim zu gehen.

Es ist fast schon sympathisch, dass Webin im Herbst 2000 fälschlich behauptet, Finkelsteins Buch sei „vor kurzem […] auf deutsch im Piper-Verlag erschienen“; dies zeigt, wie wenig er sich mit Finkelsteins Machwerk befasst hat. Ein ungelesenes Buch lässt sich schlecht in seinen Kernaussagen referieren, entsprechend dürftig fällt Webins Darstellung aus. Finkelstein tut weit mehr, als – wie Webin stillschweigend Julius H. Schoeps aus der taz (13.9.2000) zitiert – „in eine nordamerikanische Debatte […], vor allem im Kultur- und Filmmilieu“ einzugreifen. Ausgerechnet Webins Thema, Film, spielt bei Finkelstein nur eine untergeordnete Rolle.

Daher wundert es auch nicht, wie dürftig und beside the point Webins Kritik an Finkelstein ausfällt. Das Buch sei „fragwürdig […], da es gerade den Jüdinnen und Juden einen ‚Ausverkauf‘ vorwirft, und dies mit dem Begriff ‚Industrie‘ untermauert, der unpassend ist, wenn mensch sich daran erinnert, daß es sich bei dem Holocaust um einen industriellen Massenmord handelt“. „Unpassend“ ist indes nicht nur, wie Webin (wiederum mit Schoeps) moniert, die Begriffskomponente „Industrie“, sondern der Begriff als solcher. Finkelstein hat ihn selbst in der Süddeutschen Zeitung (11.8. 2000) wie folgt bestimmt: „Der Holocaust, lautet die Hauptthese meines Buches, ist zu einer Industrie geworden. Jüdische Eliten beuten, im Einvernehmen mit der amerikanischen Regierung, das entsetzliche Leiden der Millionen von Juden aus, die während des Zweiten Weltkrieges umgebracht wurden, ebenso wie das der wenigen, die es schafften zu überleben – aus Macht- und Profitgründen.“

Von „Holocaust-Industrie“ sprach Finkelstein schon beiläufig in einer Anmerkung in seinem Pamphlet gegen Goldhagen. Der Begriff im eben zitierten Sinne wurde, wie sich in einem Projekt zur Dokumentation und Analyse der Finkelstein-Rezeption in der Publizistik der extremen Rechten zeigte, allerdings bereits früher in Neonazi-Kreisen benutzt. So sprach schon Anfang der neunziger Jahre der Holocaust-Leugner David Irving von „Holocaust-Industrie“ und „professionellen Überlebenden“, die mit dem „Holocaust-Mythos“ ein „großes Geschäft“ machten.

Es ist wichtig zu beachten, dass in Finkelsteins Begriff „Holocaust-Industrie“ sogleich spezifische Interessen „jüdischer Eliten“ mitgedacht sind. Diese gehen weit über die warenförmiger Produktion von Filmen usw. eigenen Proftinteressen hinaus. Es handele sich um die Produktion einer „machtvollen Waffe“ in der ideologischen Auseinandersetzung. Beispielsweise behauptet Finkelstein bezüglich der zweiten Hälfte der siebziger Jahre: „Um Israels Druckmittel für Verhandlungen zu stärken, steigerte die Holocaust-Industrie ihre Produktionsrate“.

Diese Begriffsimplikationen unterscheiden den Begriff von dem der „Kulturindustrie“, den Max Horkheimer und Theodor W. Adorno in der „Dialektik der Auflärung“ (zur weiteren theoretischen Entfaltung) vorstellten. Entsprechend lässt sich von Finkelstein auch kein Bogen schlagen zu einer Kritik an den Produkten warenförmiger „Erinnerungskultur“, wie sie – das sei wohlwollend unterstellt – Webin wohl im Sinn hat. Diesen Unterschied gilt es zu begreifen. Wer ihn übersieht, geht Finkelstein auf den Leim. Dies würde auch nicht dadurch besser, dass ein Idol der Libertären, nämlich Noam Chomsky öffentlichkeitswirksam den Thesen Finkelsteins zustimmte. In der Woche vom 28.7.2000 meinte Chomsky: „Der Holocaust wird – wie auch ich schon seit Jahrzehnten schreibe – seit den späten 60er Jahren ausgebeutet. Und zwar nicht nur zur Rechtfertigung der israelischen Besetzung im Nahen Osten, sondern auch aus innenpolitischen Gründen in den USA (und anderswo im Westen) und schlicht aus vulgärem Karrierismus. Finkelsteins Analyse einer ‚Holocaust-Industrie‘ ist daher völlig korrekt.“

Eher sollten die libertären Chomsky-Fans dies zum Anlass nehmen, künftig genauer zu prüfen, wo Chomsky vielleicht auch mal völlig falsch liegt. Anlass dazu gibt es seit längerem, denn Chomsky setzt sich bekanntlich seit mehr als einem Jahrzehnt mit großer Publikumsresonanz für die Redefreiheit der Holocaust-Leugner ein. Doch dieses heikle Thema wird von seinen Anhängern häufig nur beschönigend oder nur beiläufig behandelt, wie jüngst in Robert F. Barskys Biographie „Noam Chomsky. Libertärer Querdenker“. Mehr als leichtes Unbehagen wurde auch in der Buchbesprechung in der Graswurzelrevolution (Nr. 252 vom Oktober 2000) nicht deutlich: „Gezeigt wird auch ein sanfter Mensch, der mit äußerster Vehemenz seine Überzeugungen vertritt. Mehr störrisch als stoisch wies er die Kritik an seinem abstraktem Begriff von Meinungsfreiheit zurück, die ihm angesichts seines Einsatzes für die Redefreiheit des französischen Auschwitz-Leugners Faurisson entgegengebracht wurde. Für Chomsky ist das derselbe Kampf gegen das Verschweigen und das unmerkliche Unterschlagen von Nachrichten, für die er sich im letzten Jahrzehnt als Medientheoretiker stark gemacht hat“, schrieb Jens Petz Kastner. Wenn das mal so einfach wäre.

Literatur

Barsky, Robert F.: Noam Chomsky. Libertärer Querdenker. Zürich: edition 8 1999

Dietzsch, Martin/Schobert, Alfred (Hg.): Ein "jüdischer David Irving"? Norman G. Finkelstein im Diskurs der Rechten - Erinnerungsabwehr und Antizionismus. Duisburg: DISS (im Erscheinen)

Finkelstein, Norman G./Birn, Ruth Bettina: Eine Nation auf dem Prüfstand. Die Goldhagen-These und die historische Wahrheit. Mit einer Einleitung von Hans Mommsen. Hildesheim: Claassen 1998.

Finkelstein, Norman G.: Die Holocaust-Industrie. Wie das Leiden der Juden ausgebeutet wird. München/Zürich: Piper 2001