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Französische Anti-Atom-Bewegung ruft zu Aktionen gegen Castortransporte auf

Kritik an grünem Scheinausstieg

| Markus Pflüger

Die 4. Vollversammlung der französischen Anti-Atom-Bewegung fand Ende Januar 2001 in Rennes statt; auch VertreterInnen aus Deutschland und Italien waren eingeladen. Die Themen waren u. a. : der sogenannte deutsche Atomkonsens und die angekündigten Atomtransporte von und zur WAA La Hague. Das französische Netzwerk für den Atomausstieg (réseau sortir du nucléaire), welches die Vollversammlung („assemblé générale“) einberufen hatte, ist seit seiner Gründung 1997 stetig gewachsen und vereint inzwischen 613 Organisationen und damit rund 10 000 Mitglieder.

Deutscher Atomkonsens: es wurde allenfalls zur Halbzeit gepfiffen!

Die deutschen VertreterInnen berichteten über die aktuelle Situation in Deutschland: Sie kritisierten den rot-grünen Scheinausstieg in Deutschland und erläuterten die Strategie und Notwendigkeit von Castor-Blockaden unabhängig davon, woher die Transporte kommen und wohin sie gehen. Denn vom erfolgreichen Rücktransport nach Gorleben macht die französische Regierung alle weiteren Atommülltransporte nach La Hague abhängig. Fünf bereits im Herbst 2000 genehmigte WAA-Transporte konnten bisher aufgrund der politischen Blockade Frankreichs nicht durchgeführt werden. Umweltminister Trittin besteht deshalb auf der rechtlichen, politischen und moralischen Verpflichtung zur Rücknahme des deutschen Atommülls. Ein erfolgreicher Rücktransport nach Gorleben ist der Türöffner für Hunderte weitere Transporte in die Wiederaufbereitungsanlagen in Frankreich und England.

Es wurde erläutert, dass die Rechtfertigungsversuche der Grünen in Deutschland zu Castor-Transporten aus Sicht der Anti-Atom-Bewegung erbärmlich und falsch sind: „Der nichtratifizierte Atomkonsens in Deutschland ist nur ein Scheinausstieg: Die Kraftwerke dürften noch Jahrzehnte weiterbetrieben werden, die Atommüllmenge wird dabei in Deutschland verdoppelt, ohne dass es ein Entsorgungskonzept für das strahlende Erbe gibt. Dazu werden die atomaren Dreckschleudern La Hague und Sellafield – entgegen der Wahlversprechen bis 2005 weiterbeliefert – von „nationaler Verantwortung“ also keine Spur!“

Kritik an Grünen: „Wir erwarten Taten, nicht nur Worte“

Auch die französische Anti-Atom-Bewegung hat erlebt, dass von den Grünen, sobald sie an der Regierung sind, nicht mehr viel zu erwarten ist. So griff Nadine Schneider, Präsidentin der französischen Koordination gegen Atommüllendlager eine anwesende Vertreterin der Grünen an: „Wir erwarten Taten, nicht nur Worte“. Viele Initiativen fühlen sich von der grünen französischen Umweltministerin Voynet verraten, da sie grünes Licht für das sogenannte „Endlagerlabor“ in Bure/Lothringen gab. Von unerwarteter Seite wurde die Analyse des „Atomkonsens“ als Weiterbetriebsgarantie Anfang Februar bestätigt. Trotz der Vereinbarung im Atomkonsens könne „von einem Ausstieg heute nicht die Rede sein. In deutschen Atomkraftwerken darf künftig noch einmal so viel Energie produziert werden, wie sie bereits abgegeben haben.“ Dies erklärte Gert Maichels, RWE Vorstand und Sprecher des deutschen Atomforums und weiter: „Von einem Abpfiff kann deshalb keine Rede sein, es wurde allenfalls zur Halbzeit gepfiffen.“

Radioaktivität kennt keinen Grenzen, unser Widerstand auch nicht

Eine von fünf Arbeitsgruppen in Rennes beschäftigte sich konkret mit den Atommülltransporten. Waren die meisten französischen Initiativen was Transportblockaden anbelangt bisher eher skeptisch – schließlich soll der illegal in La Hague lagernde Müll irgendwann zu den Auftraggebern zurück – war eine Zustimmung zu Blockaden dieses mal möglich, denn der Rücktransport dient als Türöffner für weitere Hintransporte. Klar wurde auch: Die Rücktransporte dienen in erster Linie dem ungestörten Weiterbetrieb der Atomanlagen in Deutschland. Wenn der Castor von La Hague nach Gorleben ungehindert durchkommt, wird noch mehr Atommüll nach La Hague gebracht. Bei der dort stattfindenden Wiederaufarbeitung wird die Müllmenge verzwanzigfacht und immense radioaktive Emissionen in die Umwelt abgegeben. Rot-Grün lässt also Mensch und Umwelt in Europa verantwortungslos weiter verseuchen.

„Wenn nicht blockiert wird, liegt Ende 2001 mehr Atommüll in La Hague als jetzt!“ Dies stellte Jean-Yvon Landrac von einer Anti-Atom-Initiative aus Rennes fest. Dass die Gefährdung durch die Transporte eine gute Möglichkeit ist, die Bevölkerung zu sensibilisieren und über die verantwortungslose Atommüllverschieberei und -produktion aufzuklären, überzeugte. Eine Vernetzung mit deutschen Gruppen und konkrete Aktionen gegen das internationale Geschäft mit dem Atommüll wurden besprochen. An die Mitgliedsorganisationen entlang der Transportstrecke zwischen Deutschland und Frankreich erging in der Abschlusserklärung der Aufruf, gegen die Wiederaufnahme des Atommüllgeschäfts zu demonstrieren.

Es wird allerdings nicht einfach, solche Blockaden der Öffentlichkeit zu erklären, stellte die Arbeitsgruppe fest. Der Blick müsse über die nationalen Grenzen hinausgehen. Weder die Mülllagerung in La Hague noch in Gorleben oder Bure sei zu befürworten. Der Transport diene dem Weiterbetrieb und der Produktion von noch mehr Atommüll, die einzige Lösung sei die Abschaltung aller Atomanlagen.

Strategie und Perspektiven

An diesen zwei Tagen hat das Netzwerk für den Atomausstieg seine Strategie für das Jahr 2001 und die Perspektiven bis 2002 definiert. Die 85 VertreterInnen der Mitgliedsorganisationen beschlossen eine Aktionswoche zum 15. Jahrestag der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl vom 23. bis 29.4.01 und die Unterstützung der Widerstandswochen gegen das Atommüllendlager Bure als „Sackgasse der Atommüllentsorgung“ vom 21. bis 29. Juli 2001. Für den 21.10.01 wurden dezentrale Demonstrationen für den Ausstieg aus der Atomenergie in Frankreich beschlossen. Atomtransporte sowohl von Mox-Brennelementen als auch von Plutonium und Atommüll müssen zunehmend Thema des Widerstandes werden, betonte Corinne Francois von einer Initiative bei Bar-Le-Duc. Auf dem Treffen wurde außerdem die Idee einer internationalen Groß-Demonstration am 27.4.2002 in Strasbourg angenommen.

Nachspiel

Einige Tage nach der Vollversammlung der französischen AtomkraftgegnerInnen protestierten auch die französischen Grünen gegen die Wiederaufnahme der Atommülltransporte zwischen Deutschland und Frankreich. Die Abfälle müßten zwar in ihre Ursprungsländer zurück, aber die entgegengesetzte Richtung, also neue Transporte in die Wiederaufbereitung, seien nicht akzeptabel. Deutschland müsse die Wiederaufarbeitung beenden. Die Kritik der französischen Grünen fällt im Vergleich zu der französischen Anti-Atom-Bewegung moderater aus, es wird aber deutlich, dass trotz aller Regierungsrhetorik der anstehende Transport als Türöffner für weitere Lieferungen in die Wiederaufarbeitungsanlage erkannt wird.

Zeitgleich meldete die deutsche Presseagentur, dass deutsche und französische AtomkraftgegnerInnen die geplanten Atommülltransporte von Frankreich nach Deutschland blockieren wollen. Das sagte ein Sprecher der Bewegung europäischer Bürgerinitiativen in Metz: „Es gibt keine Studie, die die Undurchlässigkeit der Container belegt und die Unbedenklichkeit für das zuständige Personal und die Anwohner entlang der Transportstrecke garantiert“.

Die Atomindustrie bestätigte am 1.2. die Argumente der AtomkraftgegnerInnen, die rot-grüne Bundesregierung wurde sogar ausdrücklich gelobt. So begrüßte das Deutsche Atomforum sowohl die deutsch-französische Einigung über Atomtransporte in die Wiederaufbereitungsanlage La Hague als auch die Bereitschaft, zusätzliche Lagermöglichkeiten für Brennelemente an Kraftwerken zu schaffen: «Darin erkennen wir das ernsthafte Bemühen der Bundesregierung, eine Verstopfung der Kernkraftwerke zu vermeiden», sagte der neue Chef der Organisation, RWE-Vorstand Gert Maichel. Außerdem habe die französische Cogema sich bereit erklärt, zwei zusätzliche Transportbehälter zur Verfügung zu stellen, um den reibungslosen Betrieb der deutschen Kernkraftwerke sicherzustellen, teilte der deutsche Bundeskanzler am 2. Februar stolz als Ergebnis eines Treffens mit Jospin in Strasbourg mit.

Mit „nationaler Verantwortung“ hat der Transport von La Hague nichts zu tun

Schröder und Jospin haben sich klar für die Interessen der Atomwirtschaft entschieden und trotz ungelöster Kontaminationsprobleme den von Merkel verhängten Atomtransportestopp aufgehoben. Mit einer „nationalen oder moralischen Verantwortung“ hat der jetzt anstehende Transport von La Hague nach Gorleben also wenig zu tun. Er ist lediglich für eine Fortsetzung der schmutzigen deutsch-französischen Atommüll-Connection notwendig. Die Grünen streiten sich indessen, ob Ihr Scheinausstieg noch zu zivilem Ungehorsam berechtigt. Basisgruppen und auch einige Landesverbände rufen aber klar zum Protest auf. Der Protest und Widerstand gegen die lebensgefährlichen Atommüllverschiebungen sind eine Frage der Zivilcourage und vereint Bürgerinitiativen, Umweltverbände und autonome Anti-Atomgruppen und jetzt auch die deutsche und französische Anti-Atom-Bewegung. „Dabei entscheidet nur das eigene Gewissen und nicht die Parteizugehörigkeit“ so die BUND-Landesvorsitzende Renate Backhaus in einer gemeinsamen Resolution verschiedener Umweltverbände und Initiativen. Vor allem die klare Unterstützung des Protestes durch das französische Netzwerk für den Atomausstieg gegen die Atommülltransporte stellt eine neue Qualität des Widerstandes und eine Intensivierung der grenzüberschreitenden Kooperation der Anti-Atom-Bewegung dar. Eine Internationalisierung des Widerstandes ist notwendig wie die am 31.1.01 endgültig erfolgte Fusion von Siemens (Deutschland) und Framatome (Frankreich) zum Atomkonzern „Framatome ANP“ verdeutlicht, dem neuen Branchenführer der Atomanlagen-Hersteller.

Nein zur Wiederaufbereitung und zum Atommüllexport

In einem öffentlichen Brief an die Grünen erklärte das französische Netzwerk am 9. Februar schließlich: „Wir stellen uns gegen dieses von der Regierung vorgeschlagene Schwindelgeschäft, wobei der Rücktransport eines CASTORs die Lagerung zehn neuer CASTORen in La Hague ermöglicht. Der nötige Rücktransport der in La Hague rechtswidrigen gelagerten Atomabfälle darf auf keinen Fall die Fortsetzung der Wiederaufbereitung ermöglichen. Nur ein Exportstopp des deutschen Atommülles würde deutlich zeigen, dass Deutschland – oder genauer gesagt, seine Atomstromerzeuger und seine Regierung – seine moralischen Verpflichtungen nachkommt.“ (…) Die Forderungen der französischen Anti-Atom-Bewegung sind: „Nein zur Wiederaufbereitung und zum Atommüllexport: Deutschland muss erkennen, dass es keine Lösung seines Atommülles hat und muss daraus die Konsequenzen ziehen. Nein zur Wiederaufnahme des Atommüllgeschäfts. Ja zur Rückkehr der Abfälle nach dem Stopp der Plutonium-Produktion.“