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Meister der Systemapologetik

Der Preis im März geht an Alexander Böker für den Max-Illustriertenartikel über RAF-Kult

| Frank Tiresias

Jeden Monat vergibt die Süd-Redaktion der Graswurzelrevolution einen Preis für eine herausragende ideologische Anpassung ans System (System-Apologetik). Dem/der PreisträgerIn wird das Ibsen-Drama Stützen der Gesellschaft zugesandt, verbunden mit der Erwartung, auch in weiteren journalistischen oder künstlerischen Arbeiten zu den Systemstützen gezählt werden zu können.

Preisträger des Monats März wird Journalist Alexander Böker von der Illustrierten „Max“ für seinen Artikel: „Ist Terror cool?“

Laudatio: Böker beweist in seinem Artikel (siehe Abb.), dass der ewige Tabubruch das Lebenselexier der heute 30-jährigen ist. Und das jüngste Tabu, das nun modebewusst gebrochen wird, ist die Rote-Armee-Fraktion (RAF) und ihr Waffenkult: „Der tote Terrorist Andreas Baader wirbt für Schuhe, das RAF-Logo ziert T-Shirts – die Rote Armee Fraktion ist endgültig Pop.“ So Böker. Und er schreibt über eine Foto-Session der Zeitung Tussi Deluxe (an die dieser Preis getrost ebenso hätte vergeben werden können), in welcher Woolworth neben dem tot in seinem Blut liegenden Baader für Schuhe wirbt. Auch Baader & Ensslin vor Gericht oder Jan-Carl Raspe vor einem Mercedes mit einem Totem im Kofferraum werben für Schuhmode. RAF-Style aus der Boutique „Mägde und Knechte“ wird im Artikel feilgeboten, auf den Blödsinnsroman von Leander Scholz („Rosenfest“ – eine zurechtgezimmerte RAF-Geschichte über das Liebesleben von Baader und Ensslin mit Geschichtsverfälschungen wie einer Krahl-Rede, nach der „Jeder von uns“ Kennedy oder Ohnesorg umgebracht habe -) wird hingewiesen, und dann noch ein Kinofilm über die Geschichte des jungen Baader für den Herbst angekündigt: „Der trägt hauptsächlich Ray-Ban-Sonnenbrillen und lässige Secondhand-Klamotten, kauft Autos und mietet konspirative Wohnungen. Terroristenalltag, spannend und trendy. Da wäre man doch gern dabei gewesen.“

Das meint Böker nicht wirklich ernst. Denn die ahnungslosen Modedeppen aus der gehobenen Mittelklasse, die sowas tragen, wollen zwar den Tabubruch mutig nach aussen zur Schau stellen, interessieren sich aber nicht die Bohne für die tatsächliche Geschichte und haben kaum was anderes als den Staat im Kopf. So nennen sie die RAF „Terroristen“, keineswegs aber die staatlichen Verfolgungsbehörden des Deutschen Herbstes, oder die heutigen Staatenlenker, die Bomben auf Jugoslawien oder den Irak werfen. Da freut sich Böker: „Die RAF ist bereits Pop. Das Logo: cool. Die Kleidung: gern gesehen in den Clubs. Die Waffen: machen sich gut auf T-Shirts. Die Politik: ganz interessant.“ So interessant eben wie Hitler auch. Denn nach Böker geben die Macherinnen von Tussi Deluxe auf ihrer Website Adolf Hitler eine Stilberatung: „Weg mit dem Bart, neuer Haarschnitt und ein Ohrring – schon würde der Diktator in keiner Disco mehr auffallen.“ Böker zieht das Fazit, das zum RAF-Kult geführt hat: „Die Zeit der Rebellion ist vorbei, abgelöst durch eine neue Leichtigkeit.“ Die einzige Sorge: dass sich der RAF-Kult als Modetrend so weit ausweitet, dass er schon nicht mehr provoziert.

Keine Sorge: uns von der GWR provoziert das schon noch! Es ist diese sinnentleerte Leichtigkeit, die nicht nur RAF und Hitler gleichsetzt, weil sie zu tragen Tabubruch suggeriert, sondern die zugleich garantiert, dass eine sinnvolle Diskussion über andere Gesellschaftsformen, über Formen des Widerstands, über Revolutionsvorstellungen heute niemand ernsthaft führen mag, weil sie nämlich alle kreuzzufrieden sind mit ihrem ekelhaft gehobenen Status, mit ihrer verbrecherischen Teilhabe am Wohlstand und es ihnen scheissegal ist, ob die BRD zum zweitgrößten Waffenlieferanten aufgestiegen ist, vier mal soviele Menschen bei der Abschiebehaft oder bei der Abschiebung umbringt als die Nazis auf der Strasse, Atomtechnologie oder Polizeiüberwachungstechnik exportiert, die Wirtschaft für Zwangsarbeiterfonds einzahlt oder nicht usw. usf.

Gewaltfreien RevolutionärInnen ist noch nie ein ganzer Modetrend zuteil geworden: Tolstoi, Gandhi, Martin Luther King, Unbekannte wie Clara Wichmann gar – das ist langweilig. Die historischen Widerstandskampagnen ziehen sich über Jahre, ja Jahrzehnte hin – das ist dröge. Ein Gandhi im Lendenschurz auf T-Shirts suggeriert die vorindustrielle Gesellschaft – boäääh, da schüttelt’s die Wohlstandssöhn- und töchterchen. Es gibt bei uns auch – wenn alles gut läuft – keine Blutlachen, keinen Waffenkult, keine Schlacht mit Rauch und Feuer – eben kein Tabu, das die von Langeweile übersättigte Modewelt zu brechen sich genötigt sähe. Und vielleicht liegt sogar gerade darin ein Funke Hoffnung begründet, dass unseren Symboliken, Personen und Bewegungen die Erhebung zum Kult oder Modetrend erspart bleibt – vielleicht ist das, was wir machen, einfach zu wenig marktgängig! Das wär’ doch noch was.