Das Gerichtsgebäude der südfranzösischen Stadt Montpellier befindet sich nur wenige Hundert Meter entfernt vom Parc du Peyrou. Von diesem zentralen Platz der Stadt aus bewegt sich am frühen Morgen des 8. Februar 2001 eine kleine Demonstration zum Gerichtsgebäude. Von Kameras und Medienleuten flankiert schreiten die Angeklagten vorneweg. Sie tragen weiße T-Shirts der Bauernkonföderation (Confédération paysanne), auf denen ein zur Handgranate degenerierter Maiskolben die Erde bedroht. Die anderen DemonstrantInnen folgen in gebührendem Abstand. Die Angeklagten wirken wie eine moderne, gewaltfreie Ausgabe der drei Musketiere. Es handelt sich um den Tierhalter und Roquefort-Käsebauern José Bové aus dem Larzac, einer südfranzösischen Hochebene mit einer langen Tradition gewaltfreien Widerstands, die bis in die siebziger Jahre zurück reicht. Neben ihm geht der Bioweinbauer Dominique Soullier – der etwas atypisch ist, reiner Kleinbauer und kein ehemaliger Linker, der während der siebziger Jahre auf’s Land ging. Wie die historischen drei Musketiere sind auch die modernen etwas zerstritten: bei der Demonstration fehlt nämlich der dritte Angeklagte, der später vor Gericht auftauchen wird. Das ist René Riesel, Schäfer und radikaler Anti-Industrieller, der mit der alternativen Agrarpolitik der Confédération paysanne gebrochen hat, weil sie ihm nicht weit genug ging (1).
Gleich drei Prozesse fanden in diesen Tagen in Montpellier gegen José Bové und einige seiner MitstreiterInnen statt: zunächst mussten sich die drei Musketiere dafür verantworten, im Juni 1999 in ein Treibhaus der nationalen Forschungsfirma CIRAD (Centre de coopération internationale en recherche agronomique pour le déveleppement) eingedrungen und hunderte genmanipulierte Reispflanzen zerstört zu haben. Als Höchststrafe drohen ihnen hier fünf Jahre (!) Knast. Im weiteren Verlauf des Februar warteten auf Bové und andere zwei Prozesse vor dem Berufungsgericht in Montpellier: im einen geht es um eine „gewaltfreie Aktion, aber mit starker Symbolik“ (2), wie es Bové nennt, gegen die McDonalds-Filiale in der Stadt Millau auf dem Larzac. Am 15.8.1999 drangen Bové und einige AktivistInnen in das Geschäft ein und zerstörten Einrichtungsgegenstände sowie die Elektrizitätsversorgung. Dafür wurde Bové in erster Instanz zu drei Monaten verurteilt. Doch der Prozess wurde umgedreht und diente den Angeklagten der sachlichen Darstellung ihrer Kritik am von ihnen sogenannten „malbouffe“ (etwa: mieser Fraß) hormongestützter, profitorientiert produzierter Nahrung. 15.000 DemonstrantInnen machten den Prozess, der der südfranzösischen Bewegung gegen die Globalisierung mächtig Auftrieb gegeben hat, auch ausserhalb der Gerichtssäle zu einem öffentlich diskutierten Ereignis. Die Strafe wurde bis zur Berufungsverhandlung ausgesetzt. Schließlich geht es noch um eine in Frankreich allseits beliebte Aktion, die zeitlich befristete Einschließung dreier Verwaltungsfunktionäre in Rodez im März 1999, während einer Kampagne gegen die herrschende regionale Agrarpolitik, die den Imperativen der chemischen, massenproduktionsorientierten (von ihren GegnerInnen „Productivsme“ genannt) Landwirtschaft folgt. Hier wurde das Verfahren in erster Instanz eingestellt, aber die Staatsanwaltschaft ging in Berufung (3).
Die südfranzösische Bewegung als Teil des internationalen Kampfes gegen Globalisierung
Die Prozessserie in Montpellier soll nun ebenfalls dazu dienen, den Inhalten dieser direkten Aktionen eine grössere Publizität zu verschaffen. Bové und die Confédération paysanne, die 1981 durch Bernard Lambert gegründet wurde, deren Tradition alternativer Bauernorganisierung aber bis in die späten sechziger Jahre zurück geht, bemühen sich sehr, ihre Aktionen nicht isoliert von einer transnationalen Bewegung gegen die Gen-Multis und die Ideologie der Globalisierung stattfinden zu lassen. Im Vorfeld der weltweit bekannt gewordenen Gegenbewegung zum Treffen der Welthandelsorganisation in Seattle im November 1999 tourten Bové und weitere französischen Bauern/Bäuerinnen zehn Tage durch die USA, um zu sagen, „dass sie nicht anti-amerikanisch sind, sondern für Gerechtigkeit in den weltweiten Handelsbeziehungen“ (4) eintreten. Und Ende Januar diesen Jahres hatten Bové und einige AktivistInnen am Rande einer Konferenz von GlobalisierungsgegnerInnen in Brasilien Versuchsfelder des US-Genmultis Monsanto gestürmt (5).
Vor allem zum brasilianischen Bundesstaat Rio Grande del Sul existieren seither gute Kontakte. Dort wehrt sich die von der christlichen Befreiungstheologie inspirierte Landlosenbewegung Sem Terra mit gewaltfreien Landbesetzungen gegen die ungerechten Landbesitzverhältnisse. Eine neue linke Landesregierung hat sich inzwischen sogar auf die Seite der Landlosen gestellt (6). Und es ist wohl schon einmalig in der Geschichte internationaler Widerstandsbewegungen, dass, wie jetzt in Montpellier am ersten Prozesstag gegen die drei Musketiere geschehen, der Landwirtschaftsminister des Bundesstaates Rio Grande del Sul vor Gericht zur Verteidigung von Aktivisten auftritt, die gesetzwidrig direkte Aktionen begangen haben. Herr Jose Hermato Hermann sprach von seinem Bundesland als einer Region, in der ein Prozent Landeigentümer 54 Prozent des Bodens besitzen, wo der US-Multi Monsanto „sich das Leben patentieren lässt“ (7), und wo 90 Prozent des Saatguts von vier Unternehmen kontrolliert werden. Es ist spannend zu verfolgen, ob diese Solidarisierung eines Teils einer Landesregierung mit der internationalen Bewegung gegen Gen-Food lange Bestand haben wird oder ob die Notwendigkeiten der Regierungsbeteiligung auf Länderebene zu den bekannten und erwarteten Anpassungsleistungen führen wird, die fürderhin solche Formen der Solidarität unmöglich machen.
Durch den Auftritt aus Brasilien jedenfalls konnten die drei Musketiere auch in Montpellier den Verhandlungsverlauf umdrehen und aufgrund einer konzilianten Richterin die „OGM’s (Organismes Génétiquement Modifiés – Genmanipulierte Organismen)“ und die sie fördernde französische Forschungsinstitution CIRAD auf die Anklagebank setzen. Soullier wetterte, dass der Hunger in der sogenannten „Dritten Welt“ für den Profit der Mulits „politisch organisiert“ werde, Bové denunzierte die wissenschaftliche Logik des Fortschritts um des Fortschritts willen, und der abtrünnige Riesel meinte, heute müsse man/frau RevolutionärIn oder ExtremistIn sein, um die einfachsten Wahrheiten aussprechen zu können. Die CIRAD hielt nicht schlecht dagegen und bestritt natürlich, dass sich eine staatliche Forschungseinrichtung den Erfordernissen der Gen-Multis beuge. Aber wem kommt die Genforschung denn zugute, wenn nicht den Multis? Wer hat denn sonst noch auch nur das geringste Interesse, durch Kauf der Forschungsprodukte die immensen Forschungskosten dem Staat zurück zu zahlen? Die CIRAD liess als Zeugen der Anklage Philippe Kourilsky auftreten, den Autor eines Gutachtens der Regierung Jospin. Er entblödete sich nicht, zu deklamieren, dass „alle Ideologien, die den Fortschritt des Wissens aufhalten wollen, nicht weit entfernt vom Faschismus sind.“ (8) Dagegen boten die Musketiere Jean-Pierre Berlan als einen Wissenschaftler, der die Seite gewechselt hat, auf. Und er erklärte die Ideologie der Gen-Food-Industrie, aufgrund der OGM’s könne man/frau den ganzen Planeten ernähren, zur „Mystifizierung“. Schließlich zeigte Hermato Hermann, dass die ungleiche Landverteilung als Ursache von Armut und Hunger angesehen werden muss und eine simple Produktionssteigerung bei Aufrechterhaltung der alten Besitzverhältnisse den Armen nichts nützt.
Eine bunte Bewegung
Auf dem Parc du Peyrou bot sich während dessen ein buntes Bild der Bewegung gegen Gen-Food. Auf der einen Seite hatten die Bio-Bauern/Bäuerinnen aus dem Larzac und anderen ländlichen Regionen ihre Stände aufgebaut. Hier gab es wenig Flugblätter und Bücher, dafür alle Arten von Kulinarischem, vom okzitanischen Wein über Käse, Fische bis hin zu Schnecken oder Muscheln zu essen. Die vegetarisch-vegane Kultur hat sich in diesem Milieu noch nicht sehr weit vorgearbeitet, die Bewegung ist weit davon entfernt, darin eine Perspektive zu erkennen. Auf der anderen Seite dagegen die Stände der mit der Bewegung sympathisierenden Polit-Gruppen. Hier gab es nix zu essen, sondern nur zu lesen.
Die unterschiedlichsten Gruppierungen waren vertreten: Das Nicht-Regierungsnetzwerk ATTAC (Action pour une taxe Tobin d’aide aux citoyen) ging Ende 1997 aus einer Initiative der linken Monatszeitung Le Monde diplomatique hervor. Es hat inzwischen 150 Lokalgruppen mit über 22000 Mitgliedern. Es versteht sich als nicht an Grenzen gebunden. Schwerpunkt ist die Beschäftigung mit ungerechten Weltwirtschaftsbeziehungen. Die geforderte „taxe Tobin“ soll eine Regierungssteuer auf Finanzspekulationen sein, mit der der gesamte Finanzkapitalismus eingedämmt oder gar zerstört werden soll – ein etwas etatistischer Ansatz. Trotzdem beteiligten sich die Lokalgruppen an Basisaktivitäten wie der Kampagne gegen den EU-Gipfel in Nizza im vergangenen Dezember (9). Eine zweite Solidaritätsgruppierung sind die linken Gewerkschaftsgruppen, dabei natürlich die Bauerngewerkschaft Confédération paysanne mit ihrer Monatszeitung Campagnes Solidaires (10), oder die linke Basis-Gewerkschaftsgruppe Union Syndicale G10 mit ihrer Zeitung Solidaires, die die europäischen Arbeitslosenmärsche mitorganisiert hat (11). Dann gab es da die eher trotzkistisch angehauchten Stände der Ligue Communiste Révolutionnaire und ihrer Zeitung Rouge (12) sowie die Zeitung L’Étincelle (Der Funke) eines „Netzwerks aktiver Basis-Sozialisten“ (13), von denen mir letztere Gruppierung die offenere zu sein scheint. In ihrer aktuellen Zeitung jedenfalls war eine hitzige Diskussion über Gewaltfreiheit und Grenzen der Gewaltfreiheit zu lesen. Interessant auch der Stand der tendenziell der linkssozialdemokratischen Monde diplomatique nahestehenden Wochenzeitung Politis (14). Und, ja, auch die anarchistischen Gruppen waren da: die Regionalgruppe der eher individualistischen Fédération Anarchiste hatte einen Bücherstand mit ihrer Wochenzeitung Le Monde libertaire (15) und betreibt in Montpellier einen eigenen anarchistischen Buchladen. Und die gewerkschaftliche Confédération Nationale du Travail (CNT) mit ihrer Zeitung Combat Syndicaliste hat eine sehr lesenswerte Theoriezeitschrift Les Temps Maudits (Verfluchte Zeiten), in der in der letzten Ausgabe gar ein Schwerpunkt zum Thema Gen-Food erschien (16).
Diese Gruppen bilden ein ebenso widersprüchliches wie vielfältiges Forum der Solidarität für Bové und seine Musketiere. Und die Übergänge von dieser Bauernbewegung gegen Gen-Food zur Bewegung gegen die ungerechte Weltwirtschaftsordnung sind fliessend. Überhaupt ist Frankreich stärker sensibilisiert als andere europäische Länder, was die neoliberale Wirtschaftspolitik im sozialdemokratischen Mäntelchen anbetrifft, die aufgrund der mächtigen Gegenbewegungen in Frankreich bei der Jospin-Regierung sehr viel gefilterter durchgesetzt wird als etwa in England unter Blair oder in der BRD unter Schröder. Viviane Forrester mit ihrem Buch Der Terror der Ökonomie oder Jean-François Kahn mit seiner Kritik der kapitalistischen Vernunft, sowie natürlich die Schriften von Pierre Bourdieu hatten längst ein Feld beackert, lange bevor z.B. im Sommer 1999 die BSE-Krise über Frankreich herein brach. Sicher kann Bové aufgrund seines Images als entschlossener Bauernführer sowohl als patriarchal als auch als informelle Führungsperson kritisiert werden. Real ist er jedoch den Strategiediskussionen der Confédération paysanne untergeordnet. Und ich glaube, er ist eher ein populistisches Aushängeschild einer in ihrem Innern durchaus organisatorisch gefestigten, basisdemokratisch bis libertär strukturierten Bewegung, die gegensätzliche Ansätze zulässt ohne dabei das Eintreten für direkte gewaltfreie Aktion gegen die kapitalistisch-industrielle Landwirtschaft, die Agro- und Gen-Multis und ihre Ideologie der Globalisierung, sowie für Bio-Landbau und alternatives Leben verwischen zu lassen. Den ganzen ersten Tag des Prozesses präsentierte sich diese Bewegung im Parc du Peyrou, aber auch an anderen Plätzen der Stadt auf eine lebendige Weise mit Theater, Strassenmusik, Happenings und immer wieder mit kritischen Diskussionsveranstaltungen über die Gefahren der Globalisierung. Eine Demo am späten Nachmittag beendete diese Selbstdarstellung einer sozialen Bewegung, die noch einiges an Entwicklungspotential in sich birgt. Jedenfalls werden sich Bové und GenossInnen von der gegenwärtigen Prozessserie in Montpellier nicht in die Knie zwingen lassen.
(1) Vgl. die Berichte in der Zeitung Midi libre Montpellier, 8.2.2001, S. 15.
(2) José Bové, François Dufour: Le monde n’est pas une marchandise. Entretiens, Paris 2000, S. 18.
(3) Vgl. Catherine Coroller: En février, Bové abonné aux procès, in: Libération, 8.2.2001, S. 20.
(4) Gilles Luneau: Avant-propos, in: Bové/Dufour: Le monde n’est pas une marchandise. Entretiens, Paris 2000, S. 9.
(5) Vgl. AP-Meldung vom 11.2.2001.
(6) Zur aktuellen Entwicklung der Bewegung Sem Terra und zur Situation in Rio Grande del Sul vgl. das neue Buch von Helmut Thielen: Die Wüste lebt. Jenseits von Kapital und Staat, Verlag Graswurzelrevolution, Heidelberg 2001, besonders S. 207-294.
(7) Zitiert nach J. Vilaceque: Les OGM transforment le prétoire en forum, in: Midi Libre Montpellier, 9.2.2001, S. 17.
(8) Zit. ebenda.
(9) Vgl. die Bücher: ATTAC - tout sur ATTAC, Paris 2000, sowie: ATTAC - contre la dictatur des marchés, Paris 1999.
(10) Zu bestellen über l’association Media Pays, 104, rue Robespierre, 93170 Bagnolet.
(11) Zu bestellen über 80, 82 rue de Montreuil, 75011 Paris.
(12) Zu bestellen über 2, rue Richard-Lenoir, 93108 Montreuil-sous-bois.
(13) Zu bestellen über BP 15 - 94111 Arcueil Cedex.
(14) Zu bestellen über 2, impasse Delaunay, 75011 Paris.
(15) Zu bestellen über 145, rue Amelot, 75011 Paris.
(16) Zu bestellen über BP 38, 94601 Choisy-le-Roi Cedex (Combat Syndicaliste) und BP 72, 33038 Bordeaux Cedex (Les Temps Maudits).