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Meister der Systemapologetik

Preisträger im Mai: "Zeit"-Leitartikler Josef Joffe für seinen liberalen Stolzismus

| Frank Tiresias

Jeden Monat vergibt die Süd-Redaktion der Graswurzelrevolution einen Preis für eine herausragende ideologische Anpassung ans System (System-Apologetik). Dem/der PreisträgerIn wird das Ibsen-Drama "Stützen der Gesellschaft" zugesandt, verbunden mit der Erwartung, auch in weiteren journalistischen Arbeiten zu den Systemstützen gezählt werden zu können.

Preisträger des Monats Mai: Josef Joffe von der „Zeit“ für seinen Leitartikel „Deutsch und Stolz“ vom 22.3.2001

Laudatio: Diesen Monat war es wieder mal schwer. Wenn dieser halbverrückte Haufen von politischer Klasse, der uns leider schon viel zu lange regiert, eins seiner Lieblingsthemen aus der Tasche zieht, den Stolz auf’s Vaterland nämlich, dann hagelt es verdächtige PreisträgerInnen. Angela Merkel wär’s fast geworden, will sie doch nicht nur stolz auf Deutschland sein wie jeder biedere Skinhead/Nationalist/PatrIdiot, nein, sie will auch stolz auf die NATO und die Westbindung sein. Wie wär’s denn mit dem Stolz auf den Nordatlantik, ohne den die NATO nie zum Nordatlantikpakt geworden wäre? Oder wahlweise mit Stolz auf die Skibindung? Naja, bei Merkel wär’s wahrscheinlich schon erst mal der Stolz auf ihre Verbindung!

Wie immer aber, wenn schon alles vorbei und auch alles überflüssige gesagt und dreimal wiedergekäut ist, kommt dann noch die liberale „Zeit“ daher und meldet sich jovial aus der Mitte aller angeblichen Extreme. So beginnt Joffe seinen ultimativen Stolzismus-Leitartikel gar mit einer Kritik an der angeblich „jüngsten Aufwallung der ’schwatzenden Klasse'“! Doch wer nun meint, diese Kritik würde zur Nationalismuskritik voranschreiten, sieht sich – klassisch „Zeit“ eben – bald getäuscht. „Unehrlich“ sei, so Joffe, wer aus Nation gleich Nationalismus mache oder Patriotismus als nationale Arroganz denunziere. Das kennen wir, und es endet immer so: „Ist es des Demokraten eiserne Pflicht, sich jede Vokabel von den Glatzen klauen zu lassen?“, fragt er. Ganz besonders preiswürdig erscheint uns hier das preußische „eiserne Pflicht“ – etwas anderes kann sich der ideelle Gesamtdeutschliberale unter Demokratie eben nicht vorstellen. Man/frau könnte sich ja ganz freiwillig eine Vokabel von den Glatzen klauen lassen, die eben sowieso den Glatzen gehört.

Wer also stolz sein will, kann nach Joffe auf eine Demokratie stolz sein („eisern“?), die „liberaler ist als die französische oder britische“ (hört, hört!) „Ein übermächtiger Staat? Die Macht ist nur in der Schweiz kräftiger zersplittert.“ Also, gleich nach der Schweiz haben wir die beste Anarchie! Noch nicht gewußt? Und dann erst: „Ausgrenzung von Fremden? Spät, aber doch hat sich das Recht auf Einbürgerung neben dem archaischen Prinzip des Völkischen durchgesetzt.“ Und das ist nun wirklich eine Meisterleistung, die nur der „Zeit“ gelingen kann. Nicht nur dass der Rassismus der 90er Jahre so zurecht gelogen wird, um darauf auch noch stolz sein zu können, nein, die Einbürgerung hat sich „neben“ dem archaischen Völkischen durchgesetzt – also letzteres doch auch, nicht wahr? So wird’s dann eben doch nicht ganz zur Lüge – sondern einfach nur zum Stuss! Meisterhaft!

Joffe schließt damit, dass ihm Verfassungspatriotismus zu „blutarm“ sei und fordert dann tatsächlich „Zuneigung“ für das Land. Die liberale Mitte endet in Blut und Boden und im liberalen Extremismus, denn „Zuneigung“ ist nun wirklich mehr als Stolz: es ist Liebe. Geht’s noch schlimmer? Kommt „Zeit“, kommt Rat!