Das Konzept scheint aufgegangen zu sein. Der Idee, den Schwerpunkt der Widerstandsaktionen auf die Schienenstrecke zwischen Lüneburg und Dannenberg zu legen, ist der fabelhafte Erfolg geschuldet, den die Anti-Atom-Bewegung feiern sollte. Ein Tag Verspätung – kein schlechtes Resultat. Aber natürlich sind die Ankunftszeiten von DB-Zügen nicht das Aussagekräftigste. Wichtiger ist die Botschaft die rüberkam: mit uns gibt es keinen Konsens! Stop Castor heißt Atomausstieg. Und Atomausstieg heißt sofort und nicht die Bestandsgarantie von Trittin & Co.
Ich möchte in meinem kleinen Rückblick von Lüneburg, am Beginn des „Nadelöhrs“ für den Castor berichten.
Die Organisation im Vorfeld war hier vorbildlich. So gab es beispielsweise schon während der Demo am Samstag vor dem Transport eine umfangreiche Bettenbörse, für alle Angereisten, die bis zum Tag X in der Region bleiben wollten. Die richtige Antwort auf das weitgehende Verbot von Widerstandscamps. Auch die Kirchen öffneten ihre Pforten. So fanden auch in den folgenden Tagen Tausende in Lüneburg Obdach.
Täglich fand im örtlichen Infoladen „Anna und Arthur“ ein Plenum statt, bei dem Berichte von der gesamten Strecke abgegeben, Einschätzungen getroffen und Aktionen vorbereitet wurden. Hieran nahmen AktivistInnen aus Lüneburg und Menschen von außerhalb, die hier untergekommen waren teil. Vorher tagte regelmäßig ein Delegiertentreffen. Hier versammelte sich eine bunte Mischung nahezu aller Widerstandspektren der Bewegung. Gerade das war für mich von besonderem Reiz.
Schon in den Tagen vor dem Tag X waren wir immer wieder mit den Fahrrädern oder zu Fuß entlang der Strecke unterwegs. Die Schienenstrecke wurde genauestens in Augenschein genommen. Immer wieder drangen Menschen aus dem dichten Wald bis zu den Gleisen vor und blockierten sie kurzzeitig. Für die Polizeibeamten war es schlicht unmöglich die gesamte Schienenstrecke zu kontrollieren. Zu gut waren die Ortskenntnisse der Einheimischen, zu entschlossen die Lust der Menschen, jede Möglichkeit um auf die Gleise zu gelangen zu nutzen, zu fantasievoll die Ideen der AntiatomaktivistInnen und zu stupide, hierarchisch organisiert und unmotiviert das Vorgehen der vermeintlichen Staatsmacht.
In diesen Tagen wurde einmal mehr verdeutlicht, daß eine vielfältige selbstbewußte, gut organisierte und selbstbestimmt agierende Bewegung in der Lage ist Sand im Getriebe des Systems zu sein und nachdrücklich Wirkung zu erzielen.
Auch den AktivistInnen im X-tausendmal quer – Camp wurde ein Besuch abgestattet. Der Zug der die abgeräumten Menschen der ersten großen X-tausend-Blockade abtransportierte, wurde kurzfristig blockiert. Auf dem Lüneburger Bahnhof war der Versuch unternommen worden, das Umladen der Menschen in die bereitstehenden Busse zu verhindern. Auf dem Vorplatz wurden wir jedoch schnell von einem großen Polizeiaufgebot abgedrängt.
Nach dem Vorfall auf der großen Stunkparade der Bäuerinnen und Bauern am Sonntag, als eine Frau gezielt von zwei Faschisten mit dem Auto angefahren und verletzt wurde, fand in Lüneburg eine Spontandemo statt, um sich konkret dazu zu verhalten. Allerdings gelang es nicht adäquat, den Menschen unser Anliegen zu vermitteln und wir wurden auch schnell wieder von der grünen Ordnungsmacht vertrieben.
Für den Tag X wurde eine gemeinsame Aktion und ein günstiger Ort war vereinbart. Wir vermieden es allerdings in einer gemeinsamen Demo auf die Schienen zu gelangen. So verabredeten die einzelnen Bezugsgruppen auf unterschiedlichen Routen sich den Gleisen zu nähern. So drangen nach und nach immer neue Gruppen aus dem Wald auf den Gleiskörper vor, die immer wieder jubelnd begrüßt wurden. Es gelang relativ problemlos eine Schienenblockade mit etwa 250 Menschen durchzuführen. Bei dieser Aktion wurde allerdings einmal mehr deutlich, wie wenig darüber nachgedacht wird, das Konzept der Bezugsgruppen und Delegiertentreffen auch in der konkreten Aktion umzusetzen. Es fanden zwar Delegiertentreffen statt, um das weitere Vorgehen auf den Schienen oder im Wald abzusprechen, aber die Ergebnisse wurden nicht noch einmal in den Bezugsgruppen diskutiert, sondern direkt umgesetzt. Das führte zu teilweise chaotischen Verhaltensweisen als die Polizei uns an einem erneuten Begehen der Schienen hindern wollte. Anstatt entschlossen gemeinsam vorzugehen, rannten viele wild durcheinander. Hierdurch wurden einige stark verunsichert, andere beteiligten sich nicht mehr an der erneuten Blockade. Nach meiner Einschätzung wäre Zeit gewesen, basisdemokratisch zu agieren und in den Bezugsgruppen das weitere Vorgehen abzustimmen. So gelangen unsere Vorstellungen von antihierarchischen Strukturen in der konkreten Aktion oft an ihre Grenzen.
Der Castor blieb allerdings dank unserer und der Blockade in Wendisch-Evern immerhin 2 volle Stunden auf dem Bahnhof in Lüneburg stehen, bevor er weiterfuhr. Die meisten von uns wurden in Busse verfrachtet und nach Munster, Buchholz und Winsen gefahren um dort einfach wieder „laufengelassen“ zu werden. Das Aufnehmen von Personalien wäre einfach zu aufwendig gewesen, so daß der Polizeiapparat, um Zeit zu sparen, so verfuhr.
Auch am nächsten Tag, der Castor verbrachte wegen vielfältigster Aktionen entlang der Strecke auf dem Bahnhof in Dahlenburg die Nacht, konnten von Lüneburg aus noch einige Aktionen unternommen werden. So wurde aufgrund der hervorragenden Beobachtung des Bahnhofs versucht, den Reparaturzug, der auf Grund der „Robin Wood“-Aktion ausrücken mußte, zu behindern. Dabei gelang es, die Dieselloks, die den Castor transportierten, auf ihrer Fahrt nach Lüneburg zum Wiederauftanken, zu behindern.
Abschließend betrachtet sollte hervorgehoben werden, wie wichtig es ist, daß an vielen Orten entlang der Transportstrecke Aktionen liefen (am besten natürlich auch schon vor Lüneburg; so blockierten in Göttingen 600 Menschen die Schienen, so daß der Castor einen Umweg über Paderborn fahren mußte). Die spektakulären Aktionen von „Greenpeace“ oder „Robin Wood“ dürfen keinesfalls dazu führen, den Widerstand zukünftig den vermeintlichen „Profis“ zu überlassen. Es sollte zwar betont werden, daß beide Organisationen in ihren Aktionen als Teil des gesamten Widerstandspektrums wahrgenommen wurden und eine Spaltung hier ausblieb. Ohne eine breite Massenbewegung allerdings, die sich auch diesmal, aller rotgrünen Unkenrufe zum Trotz, mobilisieren ließ, ist ein wirkungsvoller Widerstand nicht denkbar. Erst durch das Nebeneinander aller verfügbaren Kräfte, ob autonome HandwerkerInnenaktionen, massenhafte Sitzblockaden, gewaltfreie Ankettaktionen oder eben das Einbetonieren im Gleisbett durch „Robin Wood“ ist es möglich eine solche Wirkung zu erzielen, die auch über das Wendland hinaus das Signal setzt, daß es hier um mehr als eine Anti-Castor -Bewegung geht. Der sofortige Ausstieg aus der Atomenergie ist nur mit der gesamten Breite der Bewegung zu erreichen.
Unverzichtbar sind auch die vielen Diskussionen und Prozesse während dieser Tage im Wendland, die bei der alltäglichen Arbeit der AktivistInnen Auswirkungen zeigen wird. Nicht zuletzt können wir alle von dem großen Schwung, von der zeitweisen Euphorie in diesen Tagen bei unserer alltäglichen Kleinarbeit vor Ort profitieren.